Irene Crusius, Helmut Flachenecker. Studien zum Prämonstratenserorden. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2003. 712 S. + Ill. + Kt. ISBN 978-3-525-35183-3.
Reviewed by Joachim Schmiedl (Philosophisch-theologische Hochschule Vallendar)
Published on H-German (November, 2004)
Die Ergebnisse zweier Tagungen des Forschungsprojekts "Germania Sacra" sind im vorliegenden Band über den Regularkanonikerorden von Prémontré zusammengefasst. Obwohl der Schwerpunkt auf der Anfangsphase und der Ausbreitung im Hoch- und Spätmittelalter liegt, greifen einige Beiträge auch bis zur Säkularisation aus. Dass die wechselvolle Geschichte des Ordens im 20. Jahrhundert gerade in Ostmittel- und Osteuropa mit den politischen Entwicklungen verzahnt ist und sich Verfolgung, Unterdrückung und Neubeginn innerhalb weniger Jahrzehnte abwechseln, zeigen neben der Situierung einer der beiden dokumentierten Tagungen im Stift Geras die beiden Schlussbeiträge von Karel Dolista (S. 617-650) und Andreas E. Kovács (S. 651-668), die zum Ausdruck bringen, dass die Prämonstratenser ein nach wie vor lebendiger Orden sind.
Den Rahmen der Fragestellungen für die Anfänge des Ordens steckt die Einleitung von Irene Crusius (S. 9-32) ab. Die Gründerpersönlichkeit des Norbert von Xanten faszinierte und entzweite bereits die Zeitgenossen. Bis heute umstritten ist seine Entscheidung, eine noch unfertige Gemeinschaft zu verlassen und Erzbischof von Magdeburg zu werden. Ebenso ungeklärt ist der Umfang und Stellenwert der Adelsgründungen unter den Prämonstratenserstiften, für die Einzeluntersuchungen zu den jeweiligen Stiften noch weitgehend fehlen. Doch trotz einer so wechselvollen Gründungsgeschichte vollzog sich ein enormes Wachstum in den ersten Jahren des Bestehens: 68 Niederlassungen bis zum Tod Norbert, 140 in den folgenden 27 Jahren--nachzuverfolgen auf den beiliegenden Karten.
Diese zweite Periode war geprägt durch Hugo von Fosses, dem ersten Abt von Prémontré und "Organisator des Prämonstratenserorden," wie ihn Kaspar Elm in seiner Würdigung bezeichnet (S. 35-55). Hugo führte die jährlichen Generalkapitel ein, erarbeitete Statuten, Konstitutionen und den Liber ordinarius für die Regelung der Alltagsgebräuche. Im Unterschied zu Norbert, der selbst nicht Ordensgründer sein wollte, sondern sich als "Erneuerer des gemeinsamen Priesterlebens, der vita canonica" (S. 55) verstand, war Hugo die eigentliche ordnende Persönlichkeit der prämonstratensischen Frühgeschichte, als deren Protagonisten in einem weiteren Beitrag die Stifter Gottfried und Otto von Cappenberg vorgestellt werden (S. 57-74).
Eine noch nicht geklärte Frage bezieht sich auf Dauer und Umfang prämonstratensischer Doppelklöster. Nach Bruno Krings (S. 75-105) müsse man unterscheiden zwischen Annexklöstern und Tochterklöstern. Trotz gegenteiliger Generalkapitelsbeschlüsse wurden jedoch bis zum 15. Jahrhundert noch Frauenklöster gegründet, in denen keineswegs nur Adlige lebten, die jedoch einen hohen Bildungsstand aufwiesen. Überhaupt könne man bei den Prämonstratensern keinen so hohen Organisationsgrad feststellen wie bei den gleichzeitig entstandenen Zisterziensern. Sind die Prämonstratenser folglich gar kein Orden? Mit der Verteidigung der norbertinischen Lebensform durch Anselm von Havelberg setzt sich die lange Studie von Werner Bomm auseinander (S. 107-183). Doch für eine gottgeweihte Lebensweise kam im 12. Jahrhundert erst langsam der Begriff ordo in Gebrauch, wie Peter Landau darlegt (S. 185-199) und Gert Melville an Hand der Bulle Papst Lucius' II. von 1144 ergänzt (S. 201-224). Gerade die Organisation eines Ordens bereitete jedoch den Prämonstratensern Schwierigkeiten. Die angestrebten jährlichen Generalkapitel, aber auch die Bemühungen um regelmäßige Visitationen und die dezentralisierende Einteilung in Zirkarien zeigen, so Jörg Oberste (S. 225-250) das Scheitern des Ideals einer einheitlichen Leitung des Ordens.
Im Spätmittelalter war auch der Prämonstratenserorden an den Reformen in den Orden beteiligt. Direkte Anstöße kamen dabei von der Kurie. Franz J. Felten bespricht vor allem die Ermahnungen der Päpste zur Reform von Gregor IX. bis zum Anfang des 16. Jahrhundert (S. 349-398). Widerstände gegen Reformen kamen unter anderem aus der Sorge um die Beschneidung von Pfründen und Pitanzen (Stiftungen zur Aufbesserung des Speiseplans) die Stifte suchten nach Möglichkeiten, die tolerierten Mitgiftschenkungen gewinnbringend und standesgemäß anzulegen (Ingrid Ehlers-Kisseler, S. 399-461). Dass es für Kanoniker und Nonnen, die sich zwar zu einem Leben im Kloster entschieden hatten, dieses aber nach den Gepflogenheiten führen wollten, wie sie zum Zeitpunkt ihres Eintritts bestanden, nicht leicht war, sich für die Reform zu entscheiden, zeigt Ludger Horstkötter in seinem anschaulichen Beitrag (S. 463-515). Schließlich spielte für den Eintritt nicht nur die mönchische Askese, sondern auch das Engagement in der Seelsorge eine zentrale Rolle, wie Alois Schmid am Beispiel der Klöster Windberg und Speinshart ausführt (S. 543-565). Eindrucksvoll ist der Beitrag von Ingrid Joester, die auf der Grundlage eines Rechnungsbuches aus dem 18. Jahrhundert (1702-1799) das Alltagsleben in der Prämonstratenserabtei Steinfeld rekonstruiert (S. 567-598).
Mehrere Beiträge aus dem umfangreichen Sammelband wären noch zu nennen. So zeigen vier Aufsätze den regionalen Schwerpunkt der Prämonstratenser in Böhmen, Polen sowie Ungarn, der Slowakei und Rumänien. Die mittelalterliche Musik und Liturgie behandelt Joachim F. Angerer (S. 251-278), während Robert Münster die Musik in den süddeutschen Prämonstratenserklöstern des 18. Jahrhunderts in den Blick nimmt und eine Liste von Komponisten aus dem Orden liefert (S. 599-613).
Die Prämonstratenserforschung hat durch den vorliegenden Sammelband einen wichtigen neuen Bezugsrahmen. Zentrale Probleme der Anfangszeit werden auf dem neuesten Forschungsstand behandelt, wie die Frage nach der Rolle Norbert von Xantens bei der Gründung, die Frage der Doppel- und Frauenklöster und das Eingreifen der Kurie und der Päpste in Ausbreitung und Gestaltung des Ordens. Anschauliche lokale Fallbeispiele finden sich ebenso wie regionale Durchblicke, deren Auswahl allerdings etwas zufällig scheint. So wird der für die Prämonstratenser wichtige Raum Belgiens und Nordfrankreichs nicht behandelt. Für den süddeutschen Raum ist das eben erschienene "Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte" (Band 22) eine wichtige Ergänzung, in dem eine Studientagung über "Die Prämonstratenser im deutschen Südwesten" dokumentiert wird. Jeder, der sich mit der Entwicklung der Kanonikerorden beschäftigt, wird mit großem Gewinn auf den vorliegenden Band zurückgreifen.
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Citation:
Joachim Schmiedl. Review of Crusius, Irene; Flachenecker, Helmut, Studien zum Prämonstratenserorden.
H-German, H-Net Reviews.
November, 2004.
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