Büro trafo.K, Renate Höllwart, Charlotte Martinz-Turek, Nora Sternfeld, Alexander Pollak. In einer Wehrmachtsausstellung: Erfahrungen mit Geschichtsvermittlung. Wien: Turia und Kant Verlag, 2004. 223 S. EUR 22.00 (paper), ISBN 978-3-85132-371-9.
Reviewed by Monika Sommer (Wien Museum)
Published on (August, 2004)
Die Literatur, die zu den beiden Wehrmachtsausstellungen erschienen ist, füllt mittlerweile mehrere Laufmeter. Die vom Hamburger Institut für Sozialforschung erarbeitete Ausstellung und ihre Neuauflage stellen einen zentralen Bezugspunkt für die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und der sich darauf beziehenden Erinnerungspolitik in Deutschland und Österreich dar. Nicht nur für die breite Öffentlichkeit, auch für die Disziplinen Zeitgeschichte, Politikwissenschaften und Soziologie wirkten der Inhalt, die beeindruckende Dichte der Rezeption und die Geschichte der Ausstellung(en) irritierend, ja beunruhigend. Das Internationale Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien beispielsweise veranstaltete 2001 ein Werkstattgespräch mit dem Titel "Die Wehrmachtsausstellung. Wie konstruieren HistorikerInnen eine wissenschaftliche Tatsache und was leistet die politische Ikonografie? Eine Selbstversicherung"--um nur ein Beispiel für das enorme irritierende Potenzial der Ausstellungen zu nennen.
Wie aber kann dieses komplexe inhaltliche Geflecht, das zumindest aus den Fäden Dekonstruktion des Mythos von der sauberen Wehrmacht, Revision bisheriger Vergangenheitspolitik, enorme öffentliche Mobilisierung und Emotionalisierung gegen die Ausstellung, wissenschaftliche Zweifel am Medium Fotografie als historische Quelle und daraus resultierender Revision der ersten Ausstellung besteht, an Jugendliche vermittelt werden?--Dieser Aufgabe stellte sich anlässlich des Aufenthalts der zweiten Wehrmachtsausstellung in Wien das Büro trafo. K--ein Erfahrungsbericht liegt nun vor und legt Zeugnis ab für das hohe Maß an Selbstreflexion und methodologischem Bewusstsein, das die Grundlage für die Vermittlung in der Ausstellung bildete und sich in fast allen abgedruckten Beiträgen wiederfindet. Eines gleich vorweg: Wer sich mit Fragen der Vermittlung von Zeitgeschichte in Ausstellungen--aber auch im Schulunterricht--beschäftigt, sollte das in dem kleinen Wiener Spezialverlag Turia + Kant erschienene, grafisch wunderschön gestaltete Büchlein unbedingt in die Hand- bzw. Fachbibliothek aufnehmen.
Das 223 Seiten umfassende Buch gliedert sich in zwei, am Umfang gemessen ungleich gewichtete Teile, die sich "Vermittlung in zeithistorischen Ausstellungen" und "Studien zum Thema Nationalsozialismus" nennen. Die Lektüre des Vorworts gibt Aufschluss über die Vorgeschichte und Ziel der Publikation, die "im Rahmen der Geschichtsvermittlung einen grundlegenden Diskussionsbeitrag leisten und als Basis für weiterführende Auseinandersetzungen sowohl zur Theorie und Praxis von Vermittlungsprogrammen als auch zum Umgang mit der NS-Vergangenheit dienen" soll (S. 8). Dass sich die HerausgeberInnen entschieden haben, keinen Artikel über die Geschichte der Wehrmachtsausstellung/en in ihrem Band aufzunehmen, spricht einerseits für sie, haben sie doch sehr viel Bemerkenswertes über ihr eigentliches Kernthema--eben die Geschichtsvermittlung--zu sagen, andererseits wäre zumindest ein Absatz darüber bzw. ein Verweis auf diesbezügliche Literatur im Vorwort wünschenswert gewesen: Das Wissen um die Genese des Projekts erleichtert es zu verstehen, warum "sowohl die erste als auch die zweite Wehrmachtsausstellung zu den am heftigsten umstrittenen und politisch umkämpftesten Ausstellungen der Nachkriegszeit" zählen und warum die "Brisanz des Themas" die Arbeit der VermittlerInnen mitbestimmte und eine "neue Herausforderung" für sie darstellte (S. 7). Die Frage, warum es gerade die Akademie der bildenden Künste in Wien war, die den Auftrag zu Konzeption und Durchführung des Begleit- und Vermittlungsprogramms vergab und als Veranstaltungsort fungierte, bleibt offen--und führt uns geradewegs hinein in eine weitere Forschungsfrage, die am Beispiel der wandernden Wehrmachtsausstellungen erörtert werden könnte: An welchen (symbolträchtigen bzw. "neutralen") Orten in den einzelnen Städten darf die Ausstellung Station machen? Wer sind die jeweils lokal verantwortlichen Projektträger? Welchen Erinnerungsgemeinschaften, Vereinen, Verbänden, Institutionen ist die Durchführung der Ausstellung warum ein Anliegen? Doch zurück zum Buch.
Die ersten drei Beiträge widmen sich den grundlegenden methodischen Überlegungen zu Fragen personaler Vermittlungsarbeit und zu diesbezüglichen Chancen bzw. Fallen bei thematischen Bezügen zur NS-Vergangenheit. Nora Sternfelds und Charlotte Martinz-Tureks Beitrag erklärt allgemeine Richtlinien des Büros trafo.K, um anschließend den für die Arbeit mit Jugendlichen in der zweiten Wehrmachtsausstellung gewählten methodischen Zugang auszuführen. Ihr Ansatz korrespondiert mit aktuellen theoretischen Diskursen in den Geschichtswissenschaften; Ziel war es, "eine Form der Auseinandersetzung mit den historischen Fakten zu ermöglichen, die weder nach Betroffenheit heischen, noch eine kalmierende 'Versöhnung' mit der Vergangenheit herstellen wollte. Das Thema der Ausstellung sollte als eines behandelt werden, das in der Gegenwart eine Rolle spielt und die Vergangenheit als ein bis heute 'umkämpftes Terrain' sichtbar macht." (S. 15). Die Eigenständigkeit der Jugendlichen, die selbstständige Erkundung und kritische Reflexion der Ausstellung erachten die beiden als grundlegend, um die "aktive Wahrnehmung" der Jugendlichen und die Verknüpfung des Gesehenen und Gelesenen mit dem eigenen Erfahrungs- und Wissenshorizont zu befördern. Absolute Notwendigkeit ist es für die beiden, als VermittlerInnen darauf zu achten, die Verbrechen der Wehrmacht nicht zu rationalisieren und die so oft gestellte Frage nach den Gründen und Ursachen für den Völkermord zuzulassen, sich aber einer eindeutigen Antwort zu entziehen, denn jede Form der Vermittlung läuft Gefahr, dem Holocaust Sinn zu verleihen. Die Jugendlichen sollen über die Auseinandersetzung mit dem Holocaust nicht zum "besseren Menschen" erzogen werden, sondern die Grenzen der Verstehbarkeit nachvollziehen können, um Verantwortung gegenüber der Geschichte übernehmen zu können. Die Gegenwart in ihrer historischen Bedingtheit ist der zentrale Fokus der Vermittlungsarbeit von trafo.K. In ihrem zweiten Beitrag "Ein Ergänzungsblatt für das Schulbuch" führen Sternfeld und Martinz-Turek ihren "aktiv-reflexiven Ansatz" schließlich ganz konkret aus; sie erklären den Ablauf eines Ausstellungsgesprächs für Jugendliche im Alter von 16-18 Jahren und berichten von ihren Erfahrungen und den unterschiedlichen Formen der Rezeption in der Ausstellung. Interessant ist, dass die im Vorwort ausgeführte, ursprüngliche Annahme, jugendliche BesucherInnen würden sich für zeithistorische Themen, im speziellen die NS-Vergangenheit, nicht interessieren, revidiert werden musste und ein aktives Eigeninteresse, nicht zuletzt angeregt durch die ausführliche Medienberichterstattung, bei den Jugendlichen festgestellt werden konnte. Rezeptionsthemen wie "Warum gerade die Juden?", Familienbezüge der Jugendlichen oder Geschichtsnarrativen bei MigrantInnen dürften wohl auch GeschichtslehrerInnen bekannt sein. Der anschließende Beitrag "Vom Sprechen in einer Wehrmachtsausstellung" von Renate Höllwart und Charlotte Martinz-Turek erläutert Überlegungen und Erfahrungen über das Sprechen über den Nationalsozialismus--ein zentrales Werkzeug für VermittlerInnen in Ausstellungen. Sie erläutern Möglichkeiten und (räumliche, zeitliche, persönliche) Grenzen von Kommunikationsprozessen in Ausstellungen. Die Aufforderung zum Sprechen, so der Ausgangspunkt der beiden VermittlerInnen, bringt eine andere, vermutlich eine nachhaltigere Auseinandersetzung mit den Ausstellungsinhalten mit sich als die schweigende Anteilnahme. Nora Sternfelds Frage "Was heißt selbstbestimmt?", der sie in einem eigenen Beitrag nachgeht, unterscheidet zwischen einem fakten- und einem subjekt- bzw. wahrnehmungsorientierten Ansatz der Vermittlung. Die SchülerInnen mit der Positioniertheit und Konstruiertheit jeder Ausstellung zu konfrontieren, erachtet sie als wesentliche Aufgabe der Geschichtsvermittlung, die die Selbstbestimmtheit der Jugendlichen ernsthafter ansprechen würde, als die Wiedergabe eines bereitgestellten Kanons an Fakten. Die Realisierung von Sternfelds Appell, Jugendliche bei der Geschichtsvermittlung in Ausstellungen nicht "dort abzuholen, wo sie stehen", sondern "sie von dem freizusetzen, wo sie stehen" (S. 98f.)--und dafür auch in Kauf zu nehmen, dass sie möglicherweise schmerzhaft erkennen, in Stereotypen und Vorurteilen verhangen zu sein, wäre wohl für viele VermittlerInnen in historischen Museen und Ausstellungen eine neue Herausforderung.
Die Frage, ob wir aus der Geschichte lernen können, ist für Alexander Pollak Ausgangspunkt seiner Überlegungen zum Thema Geschichtsvermittlung. Wird dieser Topos--oft benutzt, um vergangenheitspolitische Maßnahmen zu legitimieren oder an die Moral zu appellieren,--mit einem Fragezeichen versehen, zwingt er die VermittlerInnen dazu, Stellung zu beziehen und ihre Arbeit vor sich selbst, aber auch vor anderen zu legitimieren. Pollak kommt in seinem überaus flüssig und anschaulich geschriebenen Beitrag zu dem Schluss, dass uns die Auseinandersetzung mit Geschichte ein Erfahrungsreservoir anbietet, das es uns ermöglicht, gegenwärtige gesellschaftliche Phänomene differenziert zu betrachten und monokausalen Erklärungsmustern kritisch zu begegnen. Claudia Ehgartners Beitrag über die "jeweils anderen Fragen von Kunst- und Geschichtsvermittlung" enthält interessante und durchaus anregende methodische Überlegungen (S. 103-110). Dass sie sich diese Fragen stellt, ist wohl ein Resultat der zahlreichen Erfahrungen des Büros trafo.K im Bereich der Vermittlung in Kunstausstellungen; vom Thema der vorliegenden Publikation ausgehend, wäre freilich ein Beitrag über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Gedenkstättenarbeit und Geschichtsvermittlung in der Wehrmachtsausstellung bzw. in anderen zeithistorischen Ausstellungen, die nicht am authentischen Ort stattfinden, zumindest als Ergänzung vom vorliegenden Beitrag nahe liegend gewesen. Katharina Wegan und Daru Huppert befassen sich in ihren Aufsätzen, angeregt durch die Erfahrungen, die sie als Teil des Vermittlungsteams in der Ausstellung machen konnten, mit Abwehrhaltungen, Erklärungswünschen und Rationalisierungsversuchen von Jugendlichen, die sich beispielsweise in antisemitischen oder in revisionistischen Reaktionen manifestierten.
Den Auftakt zum zweiten Teil des Buches macht Alexander Pollacks Beitrag mit dem Titel "Der Nationalsozialismus im Bewusstsein nach 1945. Bestandsaufnahme und Vergleich von soziologischen Studien und Umfragen zur NS-Vergangenheit in Österreich", in dem er sich mit den wenigen, in Österreich existierenden empirischen Studien zur Wahrnehmung von NS-Zeit und NS-Ideologie kritisch auseinandersetzt. Pollak konstatiert "erhebliche Defizite" und attestiert den zum Großteil rein quantitativen Untersuchungen "eingeschränkte[n] Aussage- und Erkenntnisgehalt" (S. 137). Die Fragestellung von Pollacks Beitrag, der die Anzahl und die angewandten Methoden der bisher existierenden Studien erhoben und analysiert hat, ist vor allem vor dem Hintergrund verdienstvoll, dass das Büro trafo.K eine qualitative Studie zur Wahrnehmung des Vermittlungsprogramms in der zweiten Wehrmachtsausstellung sowie zu den Bezügen der Jugendlichen, die die Ausstellung besuchten, zum Thema Nationalsozialismus in Auftrag gegeben hat. Spannend wäre gewesen, hätte der mehrfach ausgewiesene Experte um Diskurse um die NS-Vergangenheit, die Tatsache der--im Vergleich zu Deutschland--geringen Anzahl an existierenden Studien stärker vergangenheitsbewältigungsgeschichtlich kontextualisiert, doch vielleicht hätte das den ihm vorgegebenen Rahmen gesprengt.
Iris Garnitschnig und Stephanie Kiessling haben in ihrem Beitrag mit dem Titel "Meine Großeltern erzählten einmal, dass sie keine andere Wahl hatten, als Hitler zu verehren" die wesentlichsten Ergebnisse ihrer oben schon erwähnten, 2002 im Auftrag des Büros trafo. K verfassten qualitativen Studie veröffentlicht. Inhalt der Studie waren einerseits die inhaltlichen und familiären Bezüge der Jugendlichen zum Thema Nationalsozialismus und Verbrechen der Wehrmacht, andererseits die Beurteilung des Vermittlungsprogramms. Zumindest für die Rezensentin überraschend war das Ergebnis, die Jugendlichen würden den Nationalsozialismus mit seiner ihm inhärenten bürokratisch organisierten und industriell durchgeführten Vernichtungsmaschinerie nicht von anderen totalitären Regimes unterscheiden. Die Verwunderung fußt auf der in der Vermittlung der in Graz in der ersten Wehrmachtsausstellung--freilich völlig subjektiv--gemachten Erfahrung, dass für viele Jugendliche gerade von den straffen organisatorischen Strukturen des NS-Regimes eine positive Faszination ausging und sie über ein enorm detailliertes Wissen darüber verfügten. Spannend wäre jedenfalls, die Erhebung an anderen Ausstellungsorten in Österreich und in Deutschland möglichst bald zu wiederholen.
Abschließend ist zu sagen, dass die Lektüre des vorliegenden Buches über die Erfahrungen mit Geschichtsvermittlung in der zweiten Wehrmachtsausstellung für interessierte und professionelle AkteurInnen des "historischen Feldes" eine absolute Bereicherung darstellt. Spannend wäre--gerade vor dem Hintergrund des reichen vorhandenen Erfahrungsschatzes im Bereich der Vermittlung in Kunstausstellungen--freilich noch ein Beitrag zum Thema Vermittlung in einer Ausstellung ohne "Original" gewesen. Doch vielleicht wird diese museologische Frage ja in einem nächsten Erfahrungsbericht von trafo. K aufgegriffen?
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Citation:
Monika Sommer. Review of Büro trafo.K; Höllwart, Renate; Martinz-Turek, Charlotte; Sternfeld, Nora; Pollak, Alexander, In einer Wehrmachtsausstellung: Erfahrungen mit Geschichtsvermittlung.
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August, 2004.
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