
Rudolf Leeb, Maximilian Liebmann, Georg Scheibelreiter und Peter Tropper. Geschichte des Christentums in Ö?sterreich. Von der SpÖ¤tantike bis zur Gegenwart. Wien: Ueberreuter, 2003. 624 S. EUR 51.90 (gebunden), ISBN 978-3-8000-3914-2.
Reviewed by Joachim Schmiedl (Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar)
Published on HABSBURG (May, 2004)
Christentum in Österreich: Institutionen, Entwicklungen, Mentalitäten
Christentum in Österreich: Institutionen, Entwicklungen, Mentalitäten
Aus der renommierten Reihe Österreichische Geschichte ist ein Band anzuzeigen, der in einem Längsschnitt die Entwicklung des Christentums in Österreich behandelt. Von den ersten Spuren des Christentums, die im letzten Viertel des zweiten Jahrhunderts zu finden sind, bis zur Gegenwart reicht der Bogen, den die vier Autoren schlagen. Geographisch beschränken sich die Beiträge auf den Raum des heutigen Österreich, was gelegentliche Ausgriffe in die benachbarten Regionen des heutigen Bayern, Slowenien, Südtirol und die Gegend um Goricia nicht ausschließt. Ausgewiesene Fachleute konnten für die einzelnen Epochen gewonnen werden, was der Qualität der Beiträge zugute kommt. Reichhaltige Illustrationen veranschaulichen den Text, ebenso wie eine Zeittafel, ein Verzeichnis der kirchlichen Amtsträger und ein 65seitiges, eng bedrucktes Quellen- und Literaturverzeichnis, das einen ausgezeichneten Überblick zum Forschungsstand bietet. Bedauerlich, dass die Anmerkungen nicht am Seitenende stehen; sie verlieren dadurch ihren Wert.
Den Abschnitt über das Christentum in Spätantike und Mittelalter hat der Wiener Mediävist Georg Scheibelreiter übernommen. Detailliert kann er anhand schriftlicher und archäologischer Quellen die Ausbreitung des Christentums im Alpenraum nachweisen, ausgehend von den ersten Zentren in Osttirol und Kärnten, ab dem achten Jahrhundert zunehmend dominiert vom Salzburger Metropolitansitz und den Klöstern und Chorherrenstiften. Die chronologische Darstellung der Ereignisse wird für das Spätmittelalter durch eine Innensicht ergänzt, bei der die sozialen und mentalitätsgeschichtlichen Perspektiven in den Vordergrund treten. Der zusammenfassende Blick auf die spätmittelalterliche Frömmigkeit führt den Facettenreichtum dieser Umbruchszeit anschaulich vor Augen.
Daran kann der protestantische Wiener Kirchenhistoriker Rudolf Leeb anknüpfen, der den "Streit um den wahren Glauben" (S. 145) in der Zeit der Reformation und Gegenreformation beschreibt. Leeb gelingt es, die historischen Entwicklungen im österreichischen Raum unter den für die Periode der Reformation und Katholischen Reform gängigen Interpretamenten darzustellen, ausgehend von den differenziert zu beurteilenden Voraussetzungen der Glaubensspaltung, den in Österreich wirksamen Strömungen der Reformation bis hin zur katholischen Gegenbewegung. Die österreichischen Besonderheiten, welche eher von "Gegenreformation" als von "Katholischer Reform" zu sprechen erlauben, werden anschaulich zur Sprache gebracht.
Das Spannungsfeld von Staat und Gesellschaft, von Aufklärung und Barockkatholizismus schreitet der Grazer Archivar und Kirchenhistoriker Peter G. Tropper ab. Die Periode zwischen dem Westfälischen Frieden (oder wurde der zeitliche Einschnitt gewählt wegen der 1647 erfolgten Erhebung Marias zur Schutzfrau der habsburgischen Länder?) und dem Ende der napoleonischen Ära war geprägt von jesuitischem Einfluss, Protestantenverfolgung, kirchlicher Aufklärung und der Durchsetzung staatskirchlicher Konfessionalität unter Kaiserin Maria Theresia und Joseph II. Die Entwicklung in den einzelnen Landesteilen, von Tropper nach den heutigen Bundesländern behandelt, verlief sehr unterschiedlich, doch zeigten sich bis in die Klöster und auf die Gemeindeebene hinein die Spannungen zwischen einem revival traditioneller Frömmigkeitsformen und dem wachsenden Einfluss von Nützlichkeitsgesichtspunkten nicht nur im Bereich naturwissenschaftlich-technischen Denkens, sondern auch in der Beurteilung des alltäglichen religiösen Lebens.
Den letzten Zeitabschnitt vom Wiener Kongress bis zur Gegenwart behandelt der Grazer Kirchenhistoriker Maximilian Liebmann. Im Mittelpunkt seiner Ausführung steht das Ringen der Kirchen um ihre Freiheit in einem Staat, der im 19. Jahrhundert das josephinische Staatskirchentum mit demokratischeren Mitteln fortzusetzen suchte und im 20. Jahrhundert unter den Gestaltungen von Ständestaat und NS-Diktatur neue Herausforderungen für das religiöse Leben darstellte. Die durchgehenden Probleme der Regelung des Schulwesens, der Besoldung der Geistlichen und der Diskrepanz zwischen staatlichem und kirchlichem Eherecht stammten dabei noch aus der Zeit vor dem 19. Jahrhundert, wurden aber nun unter wachsender Autonomie sowohl des Staates als auch der Kirchen gelöst. "Freie Kirchen im freien Staat" (S. 440) stehen am Ende des Durchgangs durch die österreichische Christentumsgeschichte.
Die Autoren behandeln in souveräner Weise die komplexe Geschichte des Christentums in Österreich. Dabei werden für die Zeit nach 1500 angemessen auch die Entwicklungen in den protestantischen Bekenntnissen sowie den altkatholischen und orthodoxen Kirchen berücksichtigt. Die einzelnen Abschnitte bieten eine Geschichte der Institutionen, konkret der Bistümer, des Staat-Kirche-Verhältnisses und des innerkirchlichen Lebens. Dabei kommen zwar immer wieder Aspekte der Frömmigkeitsgeschichte zur Sprache. Vom Ansatz her bleibt es jedoch weitgehend eine "Geschichte von oben", die uns die Autoren vorlegen.
Von diesem Ansatz aus muss eine--ob der immensen Leistung der Autoren in der Zusammenfassung und Präsentation der historischen Ereignisse und Entwicklungen von fast 2000 Jahren auf gut 600 Seiten zumindest leise-- Kritik am vorliegenden Werk formuliert werden. Der Anspruch einer Christentumsgeschichte insinuiert mehr als eine Institutionengeschichte. Es muss--immer abhängig von den zur Verfügung stehenden Quellen, die natürlich für die Neuzeit reichlicher fließen--die Wechselwirkung zwischen obrigkeitlichen Verordnungen und der Reichweite der Umsetzung vor Ort bedacht werden. Es bedarf einer stärkeren Berücksichtigung derjenigen Initiativen, als deren Urheber die "einfachen" Christinnen und Christen auftreten.
Am Beispiel der religiösen Frauengemeinschaften, die rein zahlenmäßig zumindest in den letzten beiden Jahrhunderten die der Männerorden bei weitem überragen, sei dieses Desiderat verdeutlicht. Im Mittelalter-Kapitel finden sich über Frauenkonvente immerhin drei Seiten. Das Kapitel über das Zeitalter der Reformation beschränkt sich auf die pastorale Arbeit der Jesuiten und der nachtridentinischen Männerorden. Die relativ ausführliche Darstellung über das Ordenswesen in Barock und Aufklärung nennt immerhin einige benediktinische Frauenkonvente sowie eine Reihe von weiblichen Ordensgemeinschaften im erzieherischen und karitativen Bereich. Für die beiden letzten Jahrhunderte fallen die Frauenkongregationen in der Darstellung völlig aus.
Dahinter verbirgt sich meines Erachtens mehr als ein beckmesserischer Anspruch auf Vollständigkeit. Es geht um die Frage nach den Methoden und Ansätzen heutiger Kirchengeschichte, wie sie sich gerade in der kirchlichen Zeitgeschichte bemerkbar macht. In der Historiographie des Mittelalters und der Frühen Neuzeit haben sich mittlerweile Interpretationsstandards durchgesetzt, die es erlauben, den vorhandenen Quellenbestand zur Erhebung eines institutionellen Grundgerüsts ebenso zu verwenden wie zur Deutung von Mentalitäten und ihrer quantitativen und qualitativen Verbreitung. Das gilt nicht in gleichem Maße für die kirchliche Zeitgeschichte. Sie ist im vorliegenden Buch noch fast ausschließlich eine Geschichte, die sich im Dreieck von österreichischen kirchlichen Amtsträgern (katholisch oder evangelisch), staatlichen Behörden und ideologischen Prämissen (genannt seien Staatskirchentum, katholischer Staat und Nationalsozialismus) abspielt.
Über die Wirkungen dessen, was auf amtlicher Ebene verhandelt oder erstritten wurde, auf die Pfarrgemeinden erfährt der Leser fast nichts. Mögliche Beispiele für eine solche Interaktion wären etwa die Aktivitäten der Frauenkongregationen auf pfarrlicher Ebene. Ebenso hätten sich manche Schwierigkeiten der katholischen Kirche Österreichs in der jüngsten Vergangenheit auf dem Hintergrund des Zweiten Vatikanischen Konzils in den drei Phasen der Erwartungen an dieses Ereignis, der Begleitung des konziliaren Prozesses und der Rezeption der Konzilsergebnisse, etwa an der Person des jüngst verstorbenen Wiener Kardinals Franz König, darstellen lassen. An dieser Stelle hätte die Chance zu einer Verzahnung der (kirchen)politischen Ereignisgeschichte mit der Mentalitäts- und Pastoralgeschichte besser genutzt werden können.
Diese Anmerkungen sollen keineswegs den Wert dieser österreichischen Christentumsgeschichte schmälern, die auf lange Zeit ein Standardwerk bleiben wird. Sie wollen eher ein Plädoyer dafür sein, Ergebnisse bereits vorliegender Studien zu Teilthemen, die sich um die Rezeption neuerer methodischer Ansätze bemühen, in maßvoller Form in Überblicksmonographien einfließen zu lassen.
Copyright (c) 2004 by H-Net, all rights reserved. H-Net permits the redistribution and reprinting of this work for nonprofit, educational purposes, with full and accurate attribution to the author, web location, date of publication, originating list, and H-Net: Humanities & Social Sciences Online. For other uses contact the Reviews editorial staff: hbooks@mail.h-net.msu.edu.
If there is additional discussion of this review, you may access it through the network, at: https://networks.h-net.org/habsburg.
Citation:
Joachim Schmiedl. Review of Leeb, Rudolf; Liebmann, Maximilian; Tropper, Georg Scheibelreiter und Peter, Geschichte des Christentums in Ö?sterreich. Von der SpÖ¤tantike bis zur Gegenwart.
HABSBURG, H-Net Reviews.
May, 2004.
URL: http://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=9270
Copyright © 2004 by H-Net, all rights reserved. H-Net permits the redistribution and reprinting of this work for nonprofit, educational purposes, with full and accurate attribution to the author, web location, date of publication, originating list, and H-Net: Humanities & Social Sciences Online. For any other proposed use, contact the Reviews editorial staff at hbooks@mail.h-net.org.