Thomas Schnalke, Hrsg. Miguel Ribeiro: PortrÖ¤t der Krankheit. Fotografien aus einem Krankenhaus in SÖ¼dafrika. Berlin: Berliner Medizinhistorisches Museum, 2003. 144 S. EUR 14.80 (broschiert), ISBN 978-3-930929-19-1.
Reviewed by Liselotte Hermes da Fonseca (Universität Hamburg)
Published on H-Museum (March, 2004)
Der Mediziner und Fotograf Miguel Ribeiro, 1952 in Madrid geboren, stellte bis zum 1. Februar 2004 seine Fotografien schwarzer Patienten im Berliner Medizinhistorischen Museum (BMM) aus. Bilder, die--wie es heißt-- eigentlich zunächst als medizinisches Anschauungsmaterial für den Unterricht gedacht waren. Die Bilder Ribeiros entstanden in den Jahren 1981 bis 1989 im Krankenhaus Kalafong in einem Vorort Pretorias, damals eine Klinik für Schwarze.
Mit diesem Hinweis wird die mehrfach betonte vorgebliche Freiwilligkeit der Dargestellten jedoch fragwürdig: "Sie erklärten ihre schriftliche Zustimmung, die Bilder sowohl im medizinischen Unterricht als auch in öffentlichen Ausstellungen zu präsentieren" (S. 23). Die Vorstellung einer schriftlichen Veröffentlichungsgenehmigung ist so sehr an unsere kulturellen Bestimmungen gebunden, dass sie angesichts des Ortes und der Situation, in der sich die Patienten befinden, eher problematisch wird. Sie setzt nicht nur voraus, dass die Betroffenen die juristische Bedeutung einer solchen Genehmigung kennen, sondern dass sie generell über Lese- und Schreibfähigkeiten verfügen.
Legitimiert wird die Ausstellung außerdem damit, dass die auf den Fotografien präsentierten Krankheiten, die zwar durchaus in Europa bekannt sind, auf dunkler Haut anders wirken. Sie würden zudem in Formen auftreten, die in den reichen Industriestaaten nicht mehr vorkämen: "Die Fotografien sind somit ein Stück Medizingeschichte" (S. 36-37), so der Herausgeber, würden Menschen mit dunkler Hautfarbe heute doch eher mit dem Schicksal von Aids gleichgesetzt. Damit werden all diese Krankheiten und die ihnen zugehörigen Leiden und Schmerzen mit Argumentationen verbunden, die an Sammlungsstrategien des 19. Jahrhunderts erinnern: 'bewahren bevor es ausstirbt'. Miguel Ribeiros Bilder zeigen uns geradezu aseptische und ästhetische Körper. Auch dies ist ein durchaus musealer Zug. Die auf den Fotografien abgebildeten Patienten bleiben anonym und "[...] anonym präsentieren sie ihre Leiden. Dennoch verschwindet das Leiden der Betroffenen nicht" (S. 8). "Offen zeigen sie Schmerz und Verzweiflung" (S. 9). Die Bilder zeigen "eine Kraft, eine Stärke, einen Lebens- und Überlebenswillen" (ebd.) "Schienen viele der gezeigten Gebrechen zu grausam, die Blicke auf persönliches Leid zu privat, zu schwierig aber auch die Veröffentlichung des ,Fremden', zumal der kranken ,Schwarzen' in unserer Gesellschaft" (S. 7). Aber, so die Erklärung: "Zur Schau gestellt? Die hier gezeigten Fotografien kranker ,Schwarzer' sind nicht nur Krankenbilder für die Medizin. Als ästhetisch durchgearbeitete Porträts besitzen sie auch einen eigenen künstlerischen Wert. Ihre Aussagen reichen über das Existenzielle hinaus in soziale, politische und kulturelle Bereiche. Somit erlangen die Bilder eine öffentliche Dimension und sind auch öffentlich vorzeigbar" (S. 140). Doch vermag die Ästhetik damit alles zu legitimieren? Was für eine Ästhetik wäre das?
Beim Betrachten der Fotografien stellt sich die Frage, welchen Quellen- und Aussagewert diese Bilder letztlich haben. Die Titel der gezeigten Arbeiten bemühen sich um Sachlichkeit, heißt es im Ausstellungskatalog. Die Kranken würden gleichsam in Augenhöhe gerückt: "In den Bildern tritt eine Kraft, eine Stärke, ein Leben-und Überlebenswille zu Tage, welche den Portraitierten eine spezifische Würde verleihen. Die Fotografien führen den körperlichen und seelischen Aspekt eines kranken Menschen in einer ästhetisch durchgearbeiteten Bildgebung zusammen. Damit werden sie zu Ikonen der Krankheit in ihrer gesamten Ausprägung und gleichzeitig zu einem eigenen Stück Kunst" (S. 9). Daraus liesse sich auch lesen: Dank der Ästhetisierung, die sie zu Ikonen und zu öffentlich Ausstellbaren erhebt, erhalten die Kranken eine Würde. Fast vermeint man eine gewisse Freude über die Krankheiten herauszulesen, über den ,schönen casus', über die medizinisch ansonsten bereits ausgestorbenen Krankheiten. Dass ein leidender Mensch vor uns steht, scheint aus dem Blick gerückt zu werden. Betrachtet man die Fotografien, scheint weder das medizinische noch das ästhetische Argument aufzugehen. Was ist medizinisch wissenschaftlich relevant, wenn man drei sehr magere Männer mit dem zugehörigen Untertitel "Speiseröhrenkrebs" sieht? Damit wird keine Krankheit präsentiert, schon gar nicht in ihrer wissenschaftlichen Diagnostizierbarkeit, sondern höchstens ihre Auswirkung, die durchaus auch auf andere Krankheiten zutreffen könnte. Man könnte anführen, dass es sich hierbei um wirklich schöne Bilder handelt, die--wie Schnalke meint--durch die sachlich gehaltenen Bildtitel und die Untertexte der Öffentlichkeit ohne die Gefahr des Voyeurismus gezeigt werden können. Doch diese Texte beschreiben, meist ohne jeden Hinweis auf die Behandlungsmöglichkeiten, lediglich die Symptome der Krankheiten, die allerdings auf den meisten Bildern nicht zu sehen sind. Problematisch erscheinen auch die abstrakten Bezeichnungen im Katalog. "Kranke ,Schwarze'", heißt es da durchgängig, nicht "kranke Menschen". So lautet der Katalogtitel auch nicht "Porträt des Menschen", sondern "Porträt der Krankheit". Auch das Umschlagbild verweist nicht auf die dort abgebildeten Menschen, sondern auf ein "Ösophaguskarzinom mit Kachexie." Und so wurde dann auch scheinbar folgerichtig die Besprechung in der ZEIT vom 30. Oktober 2003 mit "Der kranke Kontinent" übertitelt, als seien diese Fotografien ein Abbild Afrikas.
Doch nun zu den Bildern selber, die übrigens alle schwarz umrandet präsentiert werden. Das erste Bild zeigt ein sehr schlankes, knabenhaftes und nacktes Mädchen, das uns in einer außergewöhnlichen Haltung gegenübersteht. Indem sie ihre eigene Taille mit ihren Händen umfasst und dabei ihre Arme nahezu unsichtbar werden, erscheint sie eher als Körper-Artistin. Doch der zugehörige Text erklärt, dies sei das "Marfan-Syndrom [...] Die Gelenke sind überstreckbar. Die Herzklappen schließen oft nicht dicht" (S. 12). Der Text gibt genau das an, was nicht zu sehen ist. Die Bilder zeigen skulpturartige Körperausschnitte in schwarz-weiss, marmorhafte Haut ohne jeden Makel, die ganz und gar nicht mehr schwarz aussieht, wenn es nicht erwünscht ist. Sie zeigen Verformungen der Wirbelsäulen und Körperteile, die zarte und weiche Kurven schlagen und dabei eher an Arp-Skulpturen erinnern als an verstellende Krankheiten mit Bezeichnungen wie "Kyphoskoliose". Es geht hier nicht darum, die Darstellung von Krankheiten im Allgemeinen zu problematisieren, sondern die gewählte Darstellungsart in Frage zu stellen.
Auf einem anderen Foto ragen verformte Hände von unten ins Bild wie zwei Blumen. Der Bildttitel informiert darüber, dass es sich hierbei um "Syndaktylie und Spalthand" handelt. Ein Mädchen lächelt in die Kamera und kreuzt ihre Arme vor der nackten Brust. Warum sind überhaupt fast alle Dargestellten nackt? Repräsentiert die Nacktheit das Bild, dass mit Afrika assoziiert wird? Sie schaut sehr selbstbewusst in die Kamera und es würde ohne den Begleittext gar nicht auffallen, dass dies nicht einfach nur ein Bild eines schwarzen nackten Mädchens ist, sondern dass sie am "Pendred-Syndrom" leidet, eine "angeborene Eiweißstörung mit Ausbildung eines Kropfes und Hörverlust" (S. 18). Das Bild eines hockenden, ebenfalls nackten Jungen ist so aufgenommen, dass sein Geschlecht zwischen den Beinen zu erkennen ist. Die eine Hand hält er auf die Seite seines Gesichts, von der aus er aufgenommen wurde, seine Augen sind niedergeschlagen, fast geschlossen. Der Bildtext verrät, dass hier das "Down-Syndrom" angebildet wird. Was also gerade in seinen angeblich typischen Merkmalen nicht zu sehen ist, versucht der Text zu erklären: "Das komplexe Krankheitsgeschehen ist durch geistige und oft auch körperliche Behinderungen, weiterhin durch einen rundlichen Minderwuchs gekennzeichnet. [...] Häufig leiden die Betroffenen, wie auch der hier im Bild Gezeigte, an einem Herzfehler. [...] In Hockstellung ergibt sich eine verbesserte Sauerstoffsättigung des Blutes" (S. 20-21). Eine Erklärung, die vielmehr das Unsichtbare des Bildes zu füllen versucht.
Ein Torso, ein schöner, haarloser, weiß erscheinender Rumpf vor einem schwarzen Hintergrund, ohne Arme, Knie, Füße und Kopf. Ein straffer, mädchenhafter Busen, ein flacher Bauch, schmale Hüften, halb seitlich fotografiert, und ein jungenhaft haarloses, männliches Geschlecht. Hier wiederholt sich in jeder erdenklichen Weise das Klischee des antiken Hermaphroditen, jedoch unter dem Titel "Gynäkomastie und Femisierung. Gutartige Vergrößerung der Brustdrüse und Ausprägung weiblicher Körperformen beim Mann" (S. 24). Damit sollen anscheinend die Ästhetisierung der Krankheit und eine Schaulust mit einem wissenschaftlich medizinischen Begriff verdeckt werden. Dies geschieht ganz in der Art einiger wissenschaftlicher Fotobände des 19. Jahrhunderts, die ebenfalls voller nackter Körper waren, die außer ihrer Nacktheit nichts zu präsentieren schienen. Eine heimliche Freude darüber, dass sich hier etwas zeigt, das in unserer Gesellschaft aufgrund der medizinischen Forschung so nicht mehr vorhanden ist, ist kaum zu übersehen. Auch ein idealisierter männlicher Oberkörper ist abgebildet: Mit perfekter Haut erscheint hier ein stählerner, muskulöser und schwarzer Oberkörper, wieder ohne Kopf und Unterleib. Ohne die Bildzeile würde man den kleinen weißen Punkt an der Brustwarze mit der Bezeichnung "Galktorrhoe. Milchabsonderung aus den Brustdrüsen" (S. 26) schlicht übersehen.
Ein anderes Gesicht ist wiederum so fotografiert worden, dass es an Abbildungen von Feuchtpräparaten erinnert. Der Bildausschnitt ist ausserdem so gewählt, dass er Assoziationen mit dem Tod weckt: Der Mund des Abgebildeten ist leicht geöffnet, ein Auge wirkt milchig starr, ansonsten fällt einem zunächst nichts ,Krankhaftes' auf. Die Zähne sehen gesund aus, die Haut ebenfalls. Es ist das Gesicht eines älteren Menschen und wird mit einer "Akromegalie. Vergrößerung bestimmter Abschnitte des Körpers mit Ausbildung prominenter Körperspitzen und Körperendglieder" (S. 28-29) bezeichnet. Es folgen fünf weibliche Porträts, die alle gewisse ,Merkwürdigkeiten' aufweisen, auf den ersten Blick aber keine Krankheiten zeigen. Eine der abgebildeten Frauen hat keine Haare, eine andere hat etwas hervortretende Augen, ein Frau ist etwas korpulenter und schaut den Betrachter traurig aus ihrer Nacktheit entgegen. Indem man ihnen allerdings Krankheiten zugewiesen hat, die für einen Laien nicht ersichtlich sind, werden die gezeigten Menschen zu Objekten der Suche, zu Bildern, auf denen man nach dem Kranken, nach dem Anderen sucht. Doch es gibt auch Bilder, die an Stiche aus dem 18. Jahrhundert oder an Fotografien von Krankheitserscheinungen im 19. Jahrhundert erinnern. Die Auswahl der Ikonografie ist groß.
Alle Körper und Körperteile sind von Ribeiro in einem sterilen weißen oder schwarzen Umfeld isoliert fotografiert worden. Sie wurden so aufgenommen, dass die Körper sogar bei Hautkrankheiten immer makellos sauber, glatt und schön erscheinen. Der "Madurafuß", eine eitrige Infektion bzw. eine Art offener Wunde, wird beispielsweise als einziger an einem Mann gezeigt, der mit einer Baskenmütze und einem weißen Gewand bekleidet ist. Seine Kleidung erinnert hierbei selbst an einen Künstler des 19. Jahrhunderts, der seinen Fuß wie ein Kunstwerk präsentiert. "Das Fremde. Auf Bilder von kranken ,Schwarzen' reagieren wir nicht neutral. Phantasien und Projektionen schwingen mit. Die wachgerufenen Emotionen und Vorurteile haben meist eine lange Vorgeschichte" (S. 92). Durch diese Aussage des Herausgebers werden di e Bilder in ihrer angeblichen Neutralität bestätigt und zugleich jede kritische Skepsis in den Bereich der Vorurteile des Betrachters gerückt. Bemerkenswert ist auch, dass im Ausstellungskatalog nichts über die möglichen Behandlungsmethoden der gezeigten Krankheiten und auch nichts über das weitere Schicksal der Menschen zu lesen ist. Sie haben hier keine Geschichte. Damit wird zugleich auch eine Naturalisierung des inszenierten Schwarzen betrieben, so als werde jetzt endlich der "wahre Schwarze" gezeigt, krank und verstümmelt. Eine namenlose Ikone der europäischen Medizingeschichte, die höchstens den Namen der europäischen Ärzte trägt, nach denen die Krankheiten benannt wurden . Das ist eine Bildpolitik, die nicht zu differenzieren vermag zwischen dem Bild und dem Abgebildeten, und die darin durchaus eine Nähe zu der "Köperwelten"-Schau eines Gunther von Hagens aufweist. Eine solche Bildpolitik leugnet jedwede Beteiligung an einer Inszenierung, inszeniert damit aber letztlich den gefühllosen Blick auf das Leid: "Krankenbilder in der Medizin. Bilder von Kranken haben einen festen Platz in der medizinischen Ausbildung. Sie zeigen Sitz und Ausprägung einer Krankheit. Beziehen sie den individuellen Körperausdruck--vor allem das Mienenspiel des Gesichts--mit ein, verraten sie bis zu einem gewissen Grade, wie der Betroffene auf sein Leiden reagiert. Zu sehen ist ein Kranker in einer sehr privaten und fragilen Lebenssituation. Damit gibt er im Dienste der medizinischen Ausbildung sehr viel von sich preis und verdient dafür einen besonderen Schutz. Seine Bilder wie auch seine medizinischen und persönlichen Daten sind vertraulich. Lehrende und Lernende müssen sich an die ärztliche Schweigepflicht halten" (S. 126-127).
Dieses physiognomische Lesen der Bilder im Glauben an die Wahrheit, ohne Eingriff des Betrachters, schützt vor allem das Handeln der Ärzte. Der Mensch verkommt zum Menschenmaterial, das erst in der Präsentation seinen (Lebens-)Sinn erfährt. Doch die Ausgestellten verdienen nicht den Schutz der Anonymität, damit wir uns an ihrem Anblick ,erfreuen' können. Sie verdienen dasselbe Recht auf Behandlung und Minderung ihres Leidens, ohne das daran Bedingungen geknüpft werden.
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Citation:
Liselotte Hermes da Fonseca. Review of Schnalke, Thomas; Hrsg., Miguel Ribeiro: PortrÖ¤t der Krankheit. Fotografien aus einem Krankenhaus in SÖ¼dafrika.
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March, 2004.
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