Sorin Mitu. Die ethnische IdentitÖ¤t der SiebenbÖ¼rger RumÖ¤nen. Eine Entstehungsgeschichte. KÖ¶ln-Weimar: BÖ¶hlau Verlag, 2003. 354 S. EUR 37.90 (gebunden), ISBN 978-3-412-16402-7.
Reviewed by Hans-Christian Maner (Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Historisches Seminar, Abteilung für Osteuropäische Geschichte)
Published on HABSBURG (March, 2004)
Nationale Identität als konstruierte Antwort auf Angriffe und Verleumdungen
Nationale Identität als konstruierte Antwort auf Angriffe und Verleumdungen
Bei der vorliegenden Darstellung handelt es sich um die Übersetzung der Dissertation des Klausenburger Historikers. Die 1997 im Bukarester Humanitas Verlag erschienene Arbeit[1] hatte seinerzeit großes Aufsehen erregt, was schließlich den Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde dazu bewogen hat, die Darstellung in einer seiner Reihen in deutscher Fassung einem größeren Leserkreis zugänglich zu machen. Dabei ist es ihm gelungen, mit Edith Szegedi eine kompetente ebenfalls an der Klausenburger Universität lehrende Historikerin für die Übersetzungstätigkeit zu gewinnen.
Dass die Wahl ein großer Gewinn war und durchaus nicht im Sinn des geflügelten italienischen Wortes "traduttore--traditore" gesehen werden kann, belegt bereits der leicht gewandelte neue Titel. Während der ursprüngliche rumänische Titel "Geneza identitatii nationale la romanii ardeleni"--Der Ursprung der nationalen Identität bei den Rumänen Siebenbürgens--den Inhalt des Buches nicht gänzlich wiedergegeben hat und missverständlich aufgefasst werden konnte, strahlt die neue Überschrift sehr viel mehr Klarheit aus. Zumindest signalisiert sie sofort, dass die Untersuchung nicht in ereignisgeschichtlicher Abfolge den Entstehungsprozess der Identität bei den Rumänen Siebenbürgens nachzeichnen will, sondern dass es sich dabei um eine Art Rezeptionsgeschichte handelt.
Das Interesse an Mitus Buch liegt zum Teil darin begründet, wie die Herausgeber formulieren, dass er sich durch seine Analyse "als kompetenter und ernstzunehmender Gesprächspartner" anbietet. Der Autor hebt sich durch die Hinterfragung des Konzepts der Nation sowie der nationalen Identität von bislang traditionellen Antworten ab. Zunächst stehen Formalia wie der inhaltliche Aufbau, die Vorgehensweise und schließlich der eigentliche Apparat (Anmerkungen und Literaturverzeichnis) für korrektes wissenschaftliches Arbeiten. Einnehmend, offen und anregend ist auch die Schreibweise.
Der Autor erläutert ausführlich seine Vorgehensweise. Im Mittelpunkt steht für Sorin Mitu die Frage nach der Nation, der nationalen Identität und deren Bedeutung bei den Rumänen Siebenbürgens, indem er Texte der intellektuellen Rumänen Siebenbürgens zugrunde legt. Der Klausenburger Historiker will herausfinden, aus welchem Grund diesen Konzepten bei den Rumänen eine so überragende Bedeutung zukommt. Dadurch schlägt er einen anderen Weg ein als beispielsweise Klaus Heitmann in seiner imagologischen Untersuchung.[2] Deutlich grenzt Mitu sich aber auch von der überwiegenden Anzahl der Autoren in Rumänien ab. Während letztere die Argumente des zu untersuchenden Gegenstandes übernommen und bewusst oder unbewusst die Debatte um die nationale Identität in der Gegenwart weitergeführt haben, will Mitu nicht nur Stereotypen wiedergeben. Der Autor beansprucht als unbeteiligter Betrachter "eine kritische, pluralistische und relativierende" Haltung einzunehmen (S. 6). Als Paten und zugleich auch als Garantie für Qualität stehen der Dissertation die anerkannten Werke von Sorin Antohi, Claude Karnoouh und Katherine Verdery.
Sorin Mitu versteht unter Nation eine neue Art der kollektiven Solidarität, die auf der Grundlage einer Sprache beruht. Unter Berufung auf neuere Darstellungen zur Problematik (Ernest Gellner, Eric Hobsbawm oder Benedikt Anderson) steht der kämpferische, aggressive Nationalismus als Antwort auf die negativen und feindlichen Bilder und Haltungen der anderen. Zeitlich gesehen bewegt sich das Thema der Untersuchung zwischen 1791--der öffentlichen Bekundung der Forderungen im "Supplex Libellus Valachorum"--und 1848.
Der Autor will seine Arbeit nicht als "Ideengeschichte" verstanden wissen, sondern als eine "Geschichte des imaginären Sozialen". Es geht ihm um eine beschreibende Analyse: detaillierte Beschreibung der Themen und Klischees, die dieses Selbstbild kennzeichnen, sowie Analyse der Art und Weise dieser Ausdrucksform. Mitu grenzt sich deutlich von jenen ab, die nicht von einer Frage oder einem Konzept ausgehen, sondern die Fakten und Ereignisse in positivistischer Manier in den Vordergrund stellen, um darzustellen, "wie es gewesen ist".
Der junge Historiker strebt schließlich--und dies ist ein besonders anspruchsvolles Unterfangen--eine Entzifferung der Funktion der Bilder und deren ideologischer Rolle an. In der Darstellung wird deutlich, dass das Selbstbild und -verständnis der Rumänen Siebenbürgens, wie dies aus den Schriften der rumänischen Intellektuellen in der angegebenen Zeitspanne hervorgeht, nicht dem Zufall unterliegen. Auch sind es nicht Vereinfachungen oder Entstellungen der Wirklichkeit. Der Autor schreibt ihnen sehr genaue soziale Funktionen zu. Äußerungen über Gastfreundschaft, Toleranz, Fleiß, Mut, Intelligenz oder über Unehrlichkeit, Oberflächlichkeit, Uneinigkeit, Schlauheit stellen Stereotypen dar, denen sehr genaue symbolische Bedeutungen zukommen. Ganz allgemein ist damit die Abgrenzung vom anderen gemeint. Bei den Rumänen Siebenbürgens ist das Selbstbild das Ergebnis der vehementen Entgegnung auf negative und feindliche Bilder fremder Beobachter. Weitere Funktionen der Stereotypen wären die Förderung des Selbstvertrauens und der nationalen Aktivität, des weiteren die Autoillusion bezüglich der Wirklichkeit sowie die Legitimation eines politischen Vorgehens. Jede einzelne Funktion wird im Hauptteil mit zahlreichen Textbeispielen belegt.
Der Band ist in acht Großkapitel unterteilt (Argumente, Das Selbstbild und die Fremdbilder, Die negative Dimension des Selbstbildes, Zwischen Gut und Böse, Die historische Dimension des positiven Selbstbildes, Das positive Selbstbild als Grundmuster der nationalen Identität, Fazit). Eine hilfreiche weiterführende Bibliographie sowie ein Personenregister runden den gelungenen Band ab.
Anmerkungen
[1]. Geneza identitatii nationale la romanii ardeleni (Bucuresti: Humanitas, 1997).
[2]. Klaus Heitmann, Das Rumänenbild im deutschen Sprachraum 1775-1918. Eine imagologische Studie (Studia Transylvanica 12, Köln-Weimar: Böhlau, 1985).
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Citation:
Hans-Christian Maner. Review of Mitu, Sorin, Die ethnische IdentitÖ¤t der SiebenbÖ¼rger RumÖ¤nen. Eine Entstehungsgeschichte.
HABSBURG, H-Net Reviews.
March, 2004.
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