Reimund Haas, Reinhard Juestel, Hrsg. Kirche und FrÖ¶mmigkeit in Westfalen: Gedenkschrift fÖ¼r Alois Schroeer. MÖ¼nster: Aschendorff, 2002. xi + 361 S. EUR 39.90 (gebunden), ISBN 978-3-402-03840-6.
Reviewed by Joachim Schmiedl (Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar)
Published on H-German (October, 2003)
Es sollte die Festschrift zum 95. Geburtstag von Alois Schröer werden. Doch sechs Wochen vor diesem Jubiläum verstarb der "Historiker der Kirche von Münster" (Bischof Reinhard Lettmann). So wurde aus der Fest- eine Gedenkschrift mit einem Verzeichnis der Publikationen von Alois Schröer im Anhang. In ihr sind 21 Beiträge zu den Forschungsschwerpunkten des Geehrten versammelt, die in vier Abteilungen präsentiert werden: westfälische Kirchengeschichte des Mittelalters, der Reformation und innerkirchlichen Reform, der Neuzeit sowie religiöse Volkskunde.
Überraschend ist es sicher, eine Festschrift mit einer Kritik am Jubilar beginnen zu lassen. Hans Jürgen Brandt (S. 3-15) setzt sich mit dem Verdikt Schröers an den kirchlichen Zuständen in Minden vor der Reformation auseinander und wendet die positive Neubewertung des Spätmittelalters auch auf die ostwestfälische Bischofsstadt und ihre geistlichen Institutionen an. Ebenfalls eine Korrektur zu Schröers frühen Forschungen liefert Géza Jászai (S. 16-24) mit der Beschreibung des spätgotischen Altaraufsatzes in der Pfarrkirche zu Einen. Wilhelm Kohl, der Altmeister der westfälischen Klostergeschichte, fragt nach den Gründen, warum um die Mitte des 9. Jahrhunderts in Sachsen vom einheimischen Adel Frauen-, aber keine Männerklöster errichtet wurden (S. 25-34). Der Mittelalter-Teil wird abgeschlossen von Wolfgang Seegrün (S. 35-47), der einen Brief von Papst Nikolaus I. an König Horich von Dänemark aus dem Jahr 864, in dem die Hoffnung auf die Bekehrung und Taufe des Herrschers ausgesprochen wird, kommentiert und ediert.
Das Hauptforschungsgebiet Alois Schröers, der Geschichte der Reformation und innerkirchlichen Reform, behandeln sechs Beiträge. Drei von ihnen gehen auf Ereignisse des 17. Jahrhunderts ein: Manfred Becker-Huberti (S. 51-83) ediert vier Predigten, die der Franziskaner Zacharias Kirchgesser 1635, während des Dreißigjährigen Kriegs, in Münster gehalten hat und an die ein Fürstenspiegel des Hofpredigers Karls V., Antonio de Guevara, angeschlossen ist; die Sehnsucht des Ordensmanns nach religiöser und politischer Einheit des Reiches sind ein interessantes Zeitzeugnis für die Erwartungen des katholischen Teils auf dem Höhepunkt der Kriegswirren. Einige Jahre weiter zurück, in das Jahr 1622, führt ein Statusbericht über Pfarreien aus dem bergischen Land, der von Reimund Haas nach dem Schicksal der Pfarrer ausgewertet wird und Licht auf die Auswirkungen des Krieges bis in die Dörfer hinein wirft (S. 102-117). Peter Ilisch berichtet über den Konfessionswechsel des nahe Münster gelegenen Hauses Nordkirchen in den 1630er Jahren (S. 118-129).
In das 16. Jahrhundert zurück führen ebenfalls drei Aufsätze: Wie sich vier westfälische Kleinterritorien, nämlich die Grafschaften Rietberg, Bentheim, Hoya und Diepholz, in der Zeit zwischen dem Beginn der Reformation und dem Augsburger Religionsfrieden, dem Expansionsdrang der umliegenden Mittelmächte zu erwehren hatten, behandelt Hans-Joachim Behr (S. 84-101). Harm Kluetings literaturgesättigter Beitrag wendet das Konzept der reformierten Konfessionalisierung auf den westfälischen Raum, besonders die Grafschaft Bentheim, an (S. 130-154). Die Gründungsurkunde des Leprosen- und Armenhauses bei Castrop im heutigen Ruhrgebiet wird von Wilfried Reininghaus ediert und kommentiert (S. 155-164).
Die Beiträge zur neueren westfälischen Kirchengeschichte werden von Helmut Lahrkamp eingeleitet, der eine kurze Autobiographie ediert, die der Paderborner Fürstbischof Ferdinand von Fürstenberg für die Zeit bis zu seiner Bischofserhebung verfasst hat (S. 167-186). Mit der Lebensgeschichte des Arztes, Priesters und Bischofs Niels Stensen setzt sich Heinrich Mussinghoff auseinander (S. 187-201). Die Frömmigkeit Stensens wird von Frank Sobiech beleuchtet, der die von diesem für die Prozession von Coesfeld nach Telgte verfassten Rosenkranzbetrachtungen ediert und kommentiert (S. 293-314).
Der Beitrag von Hermann-Josef Scheidgen führt in das 19. Jahrhundert. Er analysiert die Romreisen rheinischer und westfälischer Bischöfe vor dem Ersten Vatikanischen Konzil, die als Pilgerreisen aufgefasst wurden und mit einem äußerst positiven Eindruck von Papst Pius IX. verbunden sind (S. 202-212). Den wechselnden Schicksalen des vom Vorgänger Schröers als Leiter des Instituts für religiöse Volkskunde in Münster gegründeten Deutschen Studentenheims geht Tobias Schrörs nach (S. 213-224). Am Beispiel des Archivs der Wilkingheger Missionsschwestern in Münster erörtert Eric Steinhauer deren Bedeutung für die Erforschung religiöser Gemeinschaften und deren Spiritualitätsgeschichte und plädiert für die Sicherstellung der Archive von durch Nachwuchsmangel in ihrer Existenz bedrohten Institutionen (S. 225-237).
Die letzte Sektion der Festschrift behandelt Beiträge zur religiösen Volkskunde. Zunächst geht Franz-Josef Jakobi der Entstehung und Bedeutung der Kalandsbruderschaft am Münsteraner Dom nach (S. 241-250). Reinhard Jüstel beschreibt vier Chorschrankenreliefs derselben Kathedralkirche, auf denen die "vier Marschälle" des Bistums Münster, nämlich Paulus, die beiden Ewalde, Karl der Große und Liudger, dargestellt sind, und analysiert die kunstgeschichtliche Nachwirkung dieser für Westfalen selten bezeugten Personenkombination (S. 251-265). Ebenfalls mit dem Bistumsgründer Liudger setzt sich Georg C.M. Rabeneck auseinander, der dessen Verehrung in der Benediktinerabtei Werden an der Ruhr von der Bursfelder Reform bis zur Säkularisation beschreibt und dabei vor allem auf die 1710 gegründete Ludgerusbruderschaft eingeht (S. 277-292). Mögliche Themen für ein eigenes universitäres Curriculum zur Volksreligiosität stellt an Hand einer Mainzer Ringvorlesung der Kirchenhistoriker Johannes Meier vor (S. 266-276). Abgeschlossen wird der Band mit dem Versuch einer historischen Einordnung der Reinhildis-Verehrung in dem kleinen Ort Riesenbeck (S. 315-324).
Beiträge aus unterschiedlichen Epochen sind im vorliegenden Band gesammelt. Verbunden werden sie durch den immer wieder zum Ausdruck gebrachten Bezug auf Alois Schröer. Entlang seiner Forschungen ergeben sie ein buntes Bild der westfälischen Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte. Sie zeigen, dass Westfalen im Lauf der Jahrhunderte nur selten im Mittelpunkt der großen politischen und kirchlichen Ereignisse stand. Dennoch spiegeln sich im regionalen Fokus die großen Entwicklungen wider. Das gilt für den Prozess der Christianisierung und der Herausbildung funktionierender kirchlicher Strukturen im ersten christlichen Jahrtausend ebenso wie für die Reformbewegungen des Spätmittelalters. Westfalen war diese Einsicht ist nicht zuletzt den Forschungen Schröers zu verdanken keineswegs immer ein geschlossen katholischer Landstrich. Westfalen war hineingezogen in die Wirren des Dreißigjährigen Krieges, wenn es auch erst am Ende durch die Wahl der Verhandlungsorte für den Friedensschluss in den Mittelpunkt rückte. In der Zeit nach 1648 brachte Westfalen allerdings auch bedeutende Bischöfe hervor, von denen in der Festschrift Ferdinand von Fürstenberg und Niels Stensen behandelt werden.
In der Tradition Schröers stehen auch die Beiträge zur Frömmigkeitsgeschichte und religiösen Volkskunde. Beide Bereiche sind zumindest in Deutschland in Gefahr, von den Vertretern der Kirchengeschichte vernachlässigt zu werden. Die Hinweise auf die Ursprünge dieser Forschungsrichtung, für die Schröer und sein akademischer Lehrer Georg Schreiber stehen, können deutlich machen, wie fruchtbar die Mikroperspektive für das Erhellen von Zusammenhängen und Entwicklungen in Mentalitäten und Spiritualitäten sein kann.
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Citation:
Joachim Schmiedl. Review of Haas, Reimund; Juestel, Reinhard; Hrsg., Kirche und FrÖ¶mmigkeit in Westfalen: Gedenkschrift fÖ¼r Alois Schroeer.
H-German, H-Net Reviews.
October, 2003.
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