Martin Humburg Veltmann, Dominik Bonatz, Claus, Hrsg. Im "Land der Menschen". Der Missionar und Maler Eduard Fries und die Insel Nias. Bielefeld: Verlag fÖ¼r Regionalgeschichte, 2003. 128 S. EUR 19.00 (broschiert), ISBN 978-3-89534-493-0.
Reviewed by Günter Bernhardt (Westfälisches Museumsamt, Münster)
Published on H-Museum (July, 2003)
"Im Land der Menschen", tanö niha, nennen die Bewohner der Insel Nias vor der Westküste Sumatras ihren Lebensraum. Sie, die ono niha, "Kinder der Menschen", lebten bis weit ins 19. Jahrhundert hinein nahezu unbeeinflusst von der seit dem 17. Jahrhundert im südost-asiatischen Raum wirksamen Kolonisierung durch die Europäer. In dieses "Land der Menschen" reist am 10. Januar 1904 ein Angehöriger der Rheinischen Mission, der Missionar Eduard Fries. 16 Jahre wird er dort verbringen, bevor er 1920 mit seiner Familie wieder den Boden des Deutschen Reiches betritt. Über seine Zeit auf Nias, seine Tätigkeit als evangelischer Missionar der Rheinischen Missionsgesellschaft und seine Annäherung an einen zunächst fremden Kulturraum, berichten zahlreiche private und öffentliche Quellen. Diesen Schatz an Informationen gesichert, aufbereitet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu haben, ist das Verdienst der Herausgeber Martin Humburg, Dominik Bonatz und Claus Veltmann. Ethnologen, Historiker, Theologen, Museumsfachleute und eine Südostasienspezialistin vervollständigen den Kreis der Wissenschaftler, deren interdisziplinärer Ansatz zwei Ziele verfolgt: einerseits Eduard Fries, sein missionarisches Wirken, seine Lebensumwelt auferstehen zu lassen und zugleich andererseits Einblicke in die niassische Kultur zu gewähren. Das vom Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld, betreute Begleitbuch wird durch eine u.a. im Völkerkundemuseum der Archiv- und Museumsstiftung Wuppertal, den Franckeschen Stiftungen zu Halle und im Städtischen Museum Lemgo präsentierte Wanderausstellung ergänzt.
Acht Autoren zeichnen das Bild des Menschen und Missionars Eduard Fries; ergänzt wird der Textteil durch einen 18-seitigen Anhang mit Auszügen aus Rundbriefen zu Reiseeindrücken, niassischem Recht und Ereignissen um die "erste Umkehr [zum christlichen Glauben, d. Verf.] des Sitambaho", Häuptling des Ortes Sifaoro`asi, Sitz der 1904 neu gegründeten Missionsstation. Wenn auch mit den Auszügen nur ein geringer Teil der insgesamt 500 Druckseiten starken 65 Rundbriefe präsentiert wird, ermöglichen sie doch einen guten Einblick in die im Übrigen zeitgemäße Mentalität von Eduard Fries. Mit dem Abdruck eines Beitrages für die Allgemeine Missionszeitschrift zu den niassischen Gesängen aus dem Jahr 1907, einer Bibliographie zu Fries und Publikationen über Fries sowie einem Verzeichnis des im Begleitbuch wie in der Ausstellung zu sehenden künstlerischen Oeuvres (Strichzeichnungen und Aquarelle) endet der Textteil, dem sich ein mehrseitiger Farbteil mit insgesamt 36 Bildern--von Fries erstellte Landkarten und Landschafts- sowie Architekturzeichnungen--anschließt.
Das ungewöhnlich dichte Quellenmaterial öffnet aus ganz unterschiedlichen Perspektiven Einblicke in Fries' Jahre auf Nias. Über 500 persönliche Briefe, eine "retrospektive Familienchronik" des Vaters Wilhelm Fries, die bereits erwähnten Rundbriefe, der Lebenslauf der Elfriede Fries, geb. Winkler, und--ungewöhnlich genug--über 300 Aquarelle, Zeichnungen, Karten und Skizzen setzen Akzente einer stark auf biografische Elemente aufbauenden Missionsgeschichte in einer jüngeren Phase eurokolonialer Expansion.
Folgerichtig startet der Begleitband mit "Eduard Fries--Einblick in seine Biografie" (S. 9-22), die Martin Humburg in ihren wichtigsten Stationen beschreibt. Der Lebensweg von Fries beginnt in Barmen bei Wuppertal am 6. März 1877 und endet auch dort mit seinem Tod am 10. Mai 1923. Den Großteil seiner Lebenszeit verbringt er jedoch außerhalb der damals noch selbständigen Gemeinde Barmen, zunächst seinem Vater nach Bielefeld, dann, nach einer kurzen Zwischenstation in Eutin, schließlich nach Halle an der Saale folgend, wo Eduard Fries sein Abitur ablegt und ein Studium der Theologie beginnt. Das Umfeld des Ravensberger Pietismus in Bielefeld und die Berufung des Vaters an die Franckeschen Stiftungen in Halle, ab 1895 in leitender Position, prägen nachhaltig seinen zukünftigen Lebens- und Berufsweg. Seine Bestimmung zum Missionarsberuf festigt sich im Elternhaus und im Umkreis seiner acht Geschwister; nachhaltig wirken dabei der Hallesche Pietismus und die Visionen eines August Hermann Francke, Gründer der Franckeschen Stiftungen. Humburg arbeitet in kurzen Absätzen das missionarische Sendungsbewusstsein eines Menschen heraus, der neben seinem Vater weiteren Vorbildern, wie dem Direktor der Rheinischen Missionsgesellschaft, Schreiber, und dem Professor für Missionswissenschaften, Gustav Warneck, Vieles verdankt. Und wenn er von der Perspektive zukünftiger Arbeit für die Rheinische Missionsgesellschaft spricht, mag man seine Aufbruchstimmung und Weltoffenheit nachempfinden, die ihn an jede Stelle des Erdballs führen könnte: "[...]; denn je mehr Plätze man auf der Welt findet, wo man "zu Hause" ist, desto reicher wird man. Und das eigentliche "zu Hause" wird nicht kleiner dadurch, sondern immer größer" (S. 13). Sehr deutlich treten die Intentionen zu Tage, die ihn nach einem kurzen Aufenthalt auf Sumatra (1903) schließlich 1904 nach Nias führen, wo er seine ganze Kraft der Gründung einer Missionsstation und der Bekehrungs- und Betreuungsarbeit im Sprengel widmet. Und dies so erfolgreich, dass er 1913 zum Präses der Niasmission ernannt wird. 1920 dann die Rückkehr nach Deutschland, 1921 die Ernennung zum Direktor der Rheinischen Missionsgesellschaft und am 10. Mai 1923 der frühe und unerwartete Tod.
Die Beiträge von Mai Lin Tjoa-Bonatz--"Der Maler: Der Blick auf das Fremde--Asienikonographie als Weg der Annäherung?" (S. 23-29) und Wolfgang Marschall--"Eduard Fries als Kartograph von Nias" (S. 30-35)--widmen sich einer für das Projekt wichtigen Quellengattung, dem malerischen und zeichnerischen Oeuvre, insbesondere den Architektur- und Landschaftszeichnungen sowie Landkarten. Letztere entstehen während seiner Reisen durch die Insel; vor allem in den Jahren 1904 bis 1915 fertigt er topografische Karten, die trotz der vielen unzulänglichen technischen Voraussetzungen wichtige Vorlagen für das amtliche Kartenwerk lieferten und in künstlerischer Qualität wie im Detailreichtum heute noch viele andere Karten übertreffen (Marschall S. 34). Vielleicht von noch größerer Bedeutung für die retrospektive Erforschung niassischer Ethnografie sind die exakten Aquarelle und Zeichnungen zur Bauweise der Häuser auf Nias (z. B. Abb. 4-6, S. 26-28). "Seine [Fries, d. Verf.] Bilder dokumentieren diesen Wandel und vermitteln gleichzeitig mit einer gezielt auf europäische Augen abgestimmtem Asienikonographie eine andere, vergangene Welt in der Fremde." (Tjoa-Bonatz S. 29).
Dominik Bonatz--"Niassisches Leben (damals und heute)" (S. 36-52)--behandelt einen übergreifenden Aspekt des Begleitbuch- und Ausstellungsprojektes. In seiner vergleichenden Betrachtung niassischer Gesellschafts- und Sozialstrukturen tritt das Ausmaß kulturellen Wandels zu Tage, das in der Folge kolonialer und missionarischer Inbesitznahme des 19. und 20. Jahrhunderts neben Nias viele andere außereuropäische Regionen (vornehmlich in Asien und in Afrika) erfasst. 97% der Niasser gehören heute dem christlichen Glauben an, ursprüngliche Feste und Riten haben bis auf einige ihre Bedeutung verloren. Die massiven Eingriffe durch die Rheinische Mission im Zusammenspiel mit Maßnahmen der niederländischen Kolonialverwaltung befördern einen Kulturwandel, der es immer mehr Niha verwehrt, "[...], zwischen dem Klischee einer vergangenen Kultur und der Realität einer gegenwärtigen Kultur zu unterscheiden. Aus der eigenen Welt ist eine gewandelte Welt geworden" (S. 51). Kulturwandel durch Missionierung, Kolonisierung, Handels- oder Kulturkontakte, ob nun konfrontativ oder in Annäherung, führt per se zu konfliktbeladenen Prozessen in Gesellschaften, deren Identität wesentlich auf Erinnerungen an die eigene (mythische) Herkunft und Bedeutung der einzelnen Gruppe fußt. Die Beschreibungen niassischen Kulturwandels durch Bonatz fördern darüber hinaus eine Reihe von interessanten Details zu Tage, so den Wandel des Ahnenkultes unter tätiger Mithilfe der Missionare, die zehntausende von Kultfiguren der Zerstörung preisgaben, aber gleichzeitig der Faszination des fremden Kunstwerkes erlagen und für einen regen Transfer der Kult-Objekte in europäische Missionssammlungen und Völkerkundemuseen Sorge trugen. (Dazu auch Tjoa-Bonatz S. 53). Ein Phänomen, das für nahezu alle Missionsgesellschaften gilt. Interessant ist die für Nias schlüssige Deutung der megalithischen Steinsetzungen und ihre Verankerung im Verdienstfestwesen, beispielhaft die wissenschaftliche Durchdringung der niassischen Kultur als Mittel zum Zweck der erfolgreichen Missionierung. Und so gilt auch für Nias wie für andere Regionen in der außereuropäischen Welt, dass Europäer und insbesondere die Missionare Einfluss nehmen auf indigene Gesellschaften, auch um den Preis ihrer Zerstörung, und gleichzeitig einem paradoxen Phänomen erliegen, indem sie das vor ihren Augen Zerfallende unmittelbar wissenschaftlich-ethnografisch konservieren; man könnte hier noch gedanklich ergänzen: gleichsam als intellektuelle Wiedergutmachung für die Zerstörung der physischen und psychischen Lebensgrundlagen der kolonisierten Völker.
Mai Lin Tjoa-Bonatz verfolgt in ihrem Beitrag ebenfalls die Spuren des gesellschaftlichen Wandels und kann ob des hervorragenden Quellenmaterials die biografische Perspektive einnehmen. "Begegnungen der Kulturen" (S. 53-62) wertet die Rundbriefe Eduard Fries' aus. "Uns interessiert in diesem Kontext, den Kulturkontakt als Prozess eines interkulturellen Lernens zu beschreiben, in dem wir ein Bemühen zur Erkenntnis des "Anderen" erspüren" (S. 55). Beispielhaft ordnet die Gliederung ihres Beitrages die Phasen des Kontaktes: zunächst über die ethnozentristische Wahrnehmung hin zu einem Verständnis durch interkulturelles Lernen, das die Annäherung durch Reisen, Spracherwerb und die Teilnahme an traditionellen Bräuchen und Festen einschließt. Dem steht gleichzeitig die Beschreibung des Fries'schen psychosozialen Wandels zur Seite, der sich exemplarisch an den Rundbriefen ablesen lässt. Der Euphorie des Anfangs folgt eine Phase der Verunsicherung, dieser die Akkulturation und schließlich Stabilität. Die Niasser ihrerseits schwanken zwischen Abgrenzung und Akzeptanz; Fries nutzt die indigene Praxis des Gabentausches und schafft ein Klima der Verpflichtung. Über die Anwendung europäischer Kulturtechniken, sei es nun die erfolgreiche Verabreichung von Medizin oder die Fähigkeit Schriften zu lesen, erlangt er Respekt. Am Beispiel des Brautkaufes werden die kulturellen Kontraste verdeutlicht, die Möglichkeiten und Grenzen der missionarischen Einflussnahme an der gesellschaftlichen Rolle der niassischen Frau aufgezeigt. Die Begegnung der Kulturen geht am Ende zu Lasten der niassischen Sitten und Gebräuche, und obgleich Fries seinen Beitrag dazu leistet, folgt am Ende seiner Zeit auf Nias das Bedauern über den Wandel und den Verlust der Überlieferung, eine Haltung, die Tjoa-Bonatz als rückwärtsgewandte Perspektive beschreibt, die "[...] nicht zuletzt seine eigene Wahrnehmung der Fremdbegegnung als einen Prozess der Entzauberung des exotisch-Fremden [kenntlich macht, d. Verf]."
Keine Missionserfolge ohne koloniale Schutzherrschaften. Auch wenn die Missionsorden--in Nias wird die Rheinische Missionsgesellschaft 1865 aktiv--schon mit Forschungsreisenden und Händlern des 17. und 18. Jahrhunderts in die außereuropäischen Regionen eindringen, erfahren sie ihre größte und zudem erfolgreiche Ausbreitung erst in der jüngeren kolonialgeschichtlichen Phase ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Und dabei waren sie nicht nur Nutznießer kolonialer Interessen, sondern, wie Gründer 1982 ausführt, "gleichzeitig integraler und integrierender Bestandteil der Kolonialbewegung selbst." "Kolonisierung und Mission", (S. 63-73), von Martin Fries und "Es geht vooruit" auf Nias. Das Verhältnis von Eduard Fries zur Niederländischen Kolonialmacht" (S. 74-85), von Claus Veltmann widmen sich genau diesem Verhältnis zwischen geistlicher Mission und weltlichem Sendungsbewusstsein, das auch bestimmend für das Wirken Eduard Fries' auf Nias war.
Martin Fries beschreibt in seinem Beitrag zunächst die allmähliche Vereinnahmung der Insel Nias und ihrer Bewohner durch westliche Kolonisatoren, die Ausbreitung der "Vereinigten Ostindischen Compagnie" in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und die ersten tastenden Missionierungsbemühungen der Rheinischen Mission seit 1865. Militärische Interventionen zur Befriedung der Insel durch die niederländische Kolonialverwaltung verfehlten ihr Ziel, so dass man das politische Ziel einer Befriedung auch mit Hilfe der Missionsgesellschaft zu erreichen hoffte. Die Ausbreitung des Evangeliums förderte u. a. auch eine Übersetzung des Neuen Testamentes ins niassische; das Wachsen der christlichen Gemeinde, die Ausbreitung der Missionsstationen und die mit Hilfe der bereits bekehrten Niasser immer erfolgreichere Erziehung der Bevölkerung zu westlichen Werten diente auch den Bestrebungen der Kolonialverwaltung. 1936 schließlich führen diese Bemühungen zur Gründung des ersten niassischen Kirchenverbandes protestantischer Christen und schaffen eine lebensfähige Infrastruktur, der im Jahr 2003 auf Nias, Java und Sumatra 327.000 Mitglieder angehören. Nur allmählich setzte sich in den Kolonialverwaltungen (auch der niederländischen) die Erkenntnis eines moderaten, auf Einsicht, Verbesserung der Lebensbedingungen und der Infrastruktur zielenden Wandels durch; nicht Konfrontation, sondern Überzeugen durch Vermittlung der eigenen Werte bemaß den Handlungsspielraum. So gelangt Eduard Fries in der Beurteilung der niederländischen Kolonialmacht zu der Meinung, mit ihr gemeinsam "an der Wohlfahrt des Volkes" arbeiten zu können (S. 67). Die Wechselwirkungen kolonialer und missionarischer Interessen, so macht Martin Fries deutlich, führen zum Erfolg. Anzufügen wäre hier der Hinweis, dass die niederländischen Kolonisationsbemühungen im Vergleich zu denen anderer Staaten vornehmlich Handelsinteressen den Weg ebnen sollten und weniger eine koloniale Durchdringung bis hin zur Annahme der Besatzersprache beabsichtigt war. Analog zu dieser Einstellung wollten protestantische Orden eher die Ausbildung selbständiger einheimischer Kirchen in den kolonisierten Gebieten gefördert sehen und forcierten weniger ein staatlich gestütztes christliches Religionsmonopol.
Claus Veltmann beschließt den Beitragsteil mit einer kritischen Analyse der Rundbriefe, indem er nochmals die Person Eduard Fries in den Blick nimmt. Sein Selbstverständnis als Deutscher, sein Verhältnis zur niederländischen Kolonialmacht, wie seine Rolle bzw. die Rolle der Mission bei der kolonialen Durchdringung der niassischen Kultur sind die Subthemen Veltmanns; sie bündeln entscheidende Inhalte des Projektes. Die Rundbriefe werden zunächst in ihrer Wertigkeit als Quelle einer kritischen Würdigung unterzogen; man erfährt dabei auch die Einschränkungen der "Lesbarkeit" der Briefe. Insbesondere kritische Einlassungen Fries' zur niederländischen Kolonialmacht fallen bisweilen redaktionellen Eingriffen des Bruders Wilhelm Fries zum Opfer, der für die Verbreitung der Briefe in Deutschland Sorge trägt. Veltmann nimmt aus diesem Grund ein Referat des RMG-Missionars August Brabeck von 1910 zur Hilfe, in dem dieser das Verhältnis zwischen Missionaren und niederländischer Kolonialmacht durchleuchtet. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die ideologische Wirkung des bis 1884 im Amt des Direktors der Rheinischen Mission befindlichen Friedrich Fabri auf Eduard Fries. Fabri gilt bis zu seinem Tod 1891 als einer der Kolonialpropagandisten des Deutschen Reiches, dessen Einstellung Fries in einigen seiner Rundbriefe Tribut zollt. Und dennoch finden wir ihn nicht uneingeschränkt auf der Seite der deutschen Kolonialmacht, wenn es um Verfehlungen wie die militärische Niederschlagung des Herero-Aufstandes in Deutsch-Südwest-Afrika geht. Sein Verhältnis zur niederländischen Kolonialverwaltung erscheint hingegen in einem milderen Licht, steht er doch den Niederländern "aufgrund ihrer Humanität gegenüber den Einheimischen" (S. 79) sehr loyal gegenüber--ohne seine nationale (deutsche) Identität in Frage gestellt zu sehen. Die koloniale Durchdringung der Insel Nias beschleunigt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Paradigmenwechsel in der niederländischen Kolonialpolitik, die sich zunehmend an der Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung und der infrastrukturellen Entwicklung interessiert zeigt, ohne allerdings völlig von militärischen Maßnahmen zu lassen; von diesem Paradigmenwechsel profitieren wiederum die Missionsgesellschaften, mithin die Rheinische Mission, deren Zugang zur Bevölkerung--u.a. über die Beherrschung der einheimischen Sprache--sich zunehmend erfolgreicher gestaltet. Im Zuge der gewünschten "Sozialdisziplinierung" sieht die Mission, neben der Einflussnahme in Glaubensfragen, in der Bildung und Erziehung, aber auch in der Einübung kapitalistischer Arbeits-und Wirtschaftsprozesse wesentliche Elemente einer Europäisierung indigener Bevölkerungsgruppen. Der Beitrag Veltmanns arbeitet noch einmal sehr klar die Wechselwirkungen kolonialer und missionarischer Durchdringung auf Nias heraus.
Der vorliegende Begleitband "Im Land der Menschen" folgt einem innovativen Trend in der Aufarbeitung von Missions- und Kolonialgeschichte der letzten Jahre, indem archivische Quellen mit museologisch bewertbaren Überlieferungen verknüpft werden. Der biografische Ansatz führt uns ein "Einzelschicksal" der jüngeren deutschen (niederländischen) Kolonial- und Missionsgeschichte vor Augen, das sich mit weiteren Beispielen in Zukunft zu einem sehr detailreichen Gesamtbild fügen könnte. Die vorbildliche Bearbeitung des Fries'schen Nachlasses leistet hierzu einen wichtigen Beitrag.
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Citation:
Günter Bernhardt. Review of Veltmann, Martin Humburg; Bonatz, Dominik; Claus; Hrsg., Im "Land der Menschen". Der Missionar und Maler Eduard Fries und die Insel Nias.
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July, 2003.
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