
Mariana Hausleitner. Die RumÖ¤nisierung der Bukowina. Die Durchsetzung des nationalstaatlichen Anspruchs GrossrumÖ¤niens 1918-1944. MÖ¼nchen: R. Oldenbourg Verlag, 2001. 497 S. EUR 64.00 (gebunden), ISBN 978-3-486-56585-0.
Reviewed by Harald Heppner (Institut für Geschichte der Universität Graz)
Published on HABSBURG (February, 2002)
Das "silberne Zeitalter" der Bukowina
Die politische Wende 1989/91 in Europa hat nicht nur der politischen Gestaltung des Kontinents eine Fuelle von Impulsen verliehen, sondern auch der Historiographie neue Wege gewiesen: Was frueher zu bearbeiten nicht opportun war, kam selten zum Zuge, viele Materialien waren nicht zugaenglich, auch gerieten so manche Themen in Vergessenheit. Zu den Effekten dieses historiographischen Wandels zaehlt unter anderem, dass Regionen, die einst zu "Mitteleuropa" gezaehlt wurden, wieder verstaerkt ins Rampenlicht gerieten, und das aus mehreren Gruenden: zum einen, weil das systematisierende Vorgehen der Wissenschaften nun wieder leichter angewandt werden kann, zum anderen, weil es (zum Teil gerade noch) Personen gibt, deren Schicksal und Erinnerung anregende Vermittlung leisten. Dazu kommt schliesslich auch, weil Fachleute aus den oestlichen bzw. suedoestlichen Laendern nun mehr als frueher die Moeglichkeit haben mitzuwirken.
Eine jener Regionen, die von diesem Wandel profitieren, ist die Bukowina, jenes ehemalige Kronland der Habsburgermonarchie (aus westlicher Sicht) hinter den Karpaten, wo das Zusammentreffen ost-, suedost- und zentraleuropaeischer Komponenten eine ganz spezifische Mischung von Sedimenten hinterlassen hat, die das Land bis zum heutigen Tag kennzeichnen. Steht einmal Czernowitz, die Hauptstadt der Bukowina, selbst im Fadenkreuz der Aufmerksamkeit, ist es ein anderes Mal das ganze Land mit seiner ethnisch-kulturellen Buntheit.
Das historiographische Bild ueber die Bukowina ist bislang von deutschen und juedischen Facetten dominiert worden, und zwar deshalb, weil der deutsche Anteil an der Entwicklung des Landes verhaeltnismaessig gross war und stimulierend gewirkt hatte, waehrend der juedische Anteil zur internationalen (vor allem literarischen) Bekanntheit jener Region erheblich beigetragen hat. Es gibt aber einen weiteren Grund fuer diese Ausrichtung des Bildes: Da beide ethnische Gruppen vor allem in den Jahren 1940/41 das Land weitgehend verlassen mussten bzw. in den Strudeln des Zweiten Weltkrieges umkamen, reicht der im Westen etablierte Interessenshorizont meist nicht weit ueber das "goldene" Zeitalter hinaus, dessen Existenz mit der Zeit der Donaumonarchie verknuepft wird.
Das "silberne" Zeitalter hingegen - die Zeit zwischen den beiden Kriegen - wurde (und wird) von ihrem kulturellen Echo her freilich auch noch wahrgenommen, aber nicht systematisch durchleuchtet, weil es sich dabei schon um "eine andere Zeit" handelt. Die Andersartigkeit jener Periode beruht im wesentlichen auf der Eingliederung der Bukowina im damaligen Grossrumaenien, die aus dem Argument heraus erfolgte, das Land sei bis 1775 Bestandteil des aus dem Mittelalter hervorgegangenen Fuerstentums Moldau gewesen und beherberge einen erheblichen Anteil an rumaenischsprachiger Bevoelkerung, doch steht dahinter auch der Standpunkt der "Verlierer" (Juden, Deutsche), eine Zeit, die andere Herren brachte, sei keine "eigene" Zeit mehr.
An dieser Stelle im thematischen Gefuege setzt Mariana Hausleitner ein, indem sie ihre Aufmerksamkeit auf die Zwischenkriegszeit in der Bukowina lenkt, waehrend der die rumaenische Regierung bemueht war, die historisch gewachsenen, multikulturellen Verhaeltnisse im Lande umzuwandeln zugunsten nationalstaatlich-zentralistischer Vereinheitlichung. Bereits im einleitenden Kapitel, das den Titel "Rumaenisierung zwischen Modernisierung und Barbarisierung" traegt, wird ersichtlich, worum es nicht nur damals real ging, sondern auch heute aus der Retrospektive historiographischen Urteilens. Es versteht sich von selbst, dass die Autorin, um den Vergleich herstellen zu koennen, von der Zeit vor 1918 ausgegangen ist, als in der Bukowina unzweifelhaft Modernisierung stattgefunden hat. Der wesentlichste Effekt, der die Lage kennzeichnete, war hingegen, dass keine der ethnischen Einheiten stark genug war, um die anderen zu dominieren, was auch die Politik der Wiener Regierung verhindern wollte.
Nach 1918 hat sich die Lage jedoch rasch geaendert: Die auch durch den Weltkrieg hervorgerufene Armut, das Interesse der Bukarester Regierung, das Land so rasch wie moeglich fuer den rumaenischen Nationalstaat zu sichern, aber auch die Skepsis der Nichtrumaenen, unter neuen Verhaeltnissen eine attraktive Perspektive zu erhalten, haben nationalisierende Kraefte stimuliert, die den Rumaenisierungsprozess, aber auch Reaktionen darauf eingeleitet haben.
Die Autorin fuehrt sehr ausfuehrlich und plausibel vor Augen, dass vorerst noch weniger ideologische Motive im Vordergrund standen, sondern der Wunsch nach oekonomischer Nutzung fuer das gewaltig angewachsene Rumaenien in seiner Unterentwicklung. Da die wirtschaftlichen und (daraus ableitbaren) gesellschaftlichen Probleme jedoch nicht in den Griff zu bekommen waren, radikalisierte sich die Lage ab den ausgehenden zwanziger Jahren, da nun ideologische Mauern hochgezogen und Positionen bezogen wurden: Ausgeloest durch rumaenische nationalistische Kreise reagierten vor allem die Ukrainer, aber auch die Deutschen im Lande, Rueckhalt in den "Mutterlaendern" suchend. In dem darauf bezogenen Kapitel ueber die Zeit bis 1940 schildert die Verfasserin, die Eskalation sei weitgehend auf von aussen ins Land getragene Einwirkungen zurueckgegangen und nicht auf autochthone Urspruenge.
Das anschliessende Kapitel ueber die Zerstoerung der Multikulturalitaet zwischen 1940 und 1944 beinhaltet das Zusammenwirken jener Faktoren, die das bis dahin noch immer bestehende plurale Gefuege in der Bukowina beseitigt haben ^Â einerseits durch das Wechselbad sowjetischer und erneut rumaenischer Zugehoerigkeit, andererseits durch die Aussiedlung eines Grossteils der Deutschen und die Deportation bzw. Liquidierung der meisten Juden. Freilich sei auch auf die Ukrainer verwiesen, die in Missliebigkeit gerieten, und zwar nicht nur aus rumaenischem, sondern auch aus sowjetischem Blickwinkel.
Das letzte Kapitel kann als besonders wichtig bezeichnet werden, denn es handelt von der Beschaeftigung mit der Bukowina als Politikum, das heisst von der Frage, wie mit dem Thema Bukowina in der Zeit seit 1944 politisch-historisch, aber auch historiographisch umgegangen worden ist. Aus diesen Ausfuehrungen wird ersichtlich, wie vorsichtig und die Realitaet umdeutend das Thema im Zeitalter sowjetischer Vorherrschaft behandelt werden musste, waehrend in der Zeit seit der Wende rumaenische und ukrainische Standpunkte wieder aufflammen konnten.
Als Fazit kommt Mariana Hausleitner zu dem Schluss, die Rumaenen haetten Rumaenisierung mit Modernisierung gleichgesetzt, wodurch die dahinter stehenden sozialen Anliegen verdeckt wuerden. Die Raison lautet daher: "Das Hauptproblem der Gesellschaften im Uebergang zur Moderne ist die Verarmung grosser Massen. Wenn viele Menschen keine Hoffnung auf ein Ende des Tunnels haben, muss mit gewaltigen Ausbruechen gerechnet werden. Wenn die Zukunft nichts verspricht, wird die Vergangenheit verklaert. Die Analyse der Entwicklungsblockaden Rumaeniens aus der Zwischenkriegszeit koennte dazu beitragen, dass einige damalige Fehler verhindert werden, damit die Modernisierung diesmal [in der Gegenwart] nicht nur auf dem Papier stattfindet" (S. 462).
Ohne als Beckmesser auftreten zu wollen, geht dem aufmerksamen Leser eine Facette des Themas ab, die das Bild ueber die historische Situation gleichwie ueber deren retrospektive Reflexion ergaenzen haette koennen: Hausleitner befasst sich mit der augenfaelligen und (trotz aller Muehen der Recherche) leichter greifbaren bzw. nachweisbaren "oeffentlichen" Geschichte; die "private", das heisst vielfach ungeschriebene Geschichte bleibt Kulisse, die gerade im vorliegenden Fall zur Gesamtbeurteilung des Themas nicht unwesentlich sein duerfte.
Die vorliegende Studie beruht auf einer sehr breiten Quellenbasis: Zum einen sind Dokumente aus dem Staatsarchiv in Bukarest, dem Archiv des franzoesischen Aussenministeriums, aus der Zeitgeschichte-Dokumentation in Nanterre, aus den Staatsarchiven in Czernowitz und Lemberg, aus dem Kriegsarchiv in Wien sowie aus dem Politischen Archiv des Auswaertigen Amtes in Bonn verarbeitet, zum anderen eine Fuelle zeitgenoessischen Schrifttums herangezogen worden. Analog zur Herkunft der Quellen ist das Feld verwendeter Fachliteratur breit ueber Deutsch, Englisch, Rumaenisch und Ukrainisch verstreut. Die vielen neuen inhaltlichen Einsichten sowie die solide methodische Vorgangsweise bei gleichzeitiger Bewahrung der Lesbarkeit und Verstaendlichkeit machen diese Studie zum wichtigen Behelf fuer das Verstaendnis suedosteuropaeischer Problematiken in Vergangenheit und Gegenwart.
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Citation:
Harald Heppner. Review of Hausleitner, Mariana, Die RumÖ¤nisierung der Bukowina. Die Durchsetzung des nationalstaatlichen Anspruchs GrossrumÖ¤niens 1918-1944.
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