Alena KÖ¶llner. Buchwesen in Prag. Von Vaclav Matej Kramerius bis Jan Otto. Wien: Edition Praesens, 2000. 178 S. EUR 35,00 (gebunden), ISBN 978-3-7069-0041-6.
Reviewed by Irmgard Heidler (Berlin )
Published on HABSBURG (November, 2001)
Prager Verlagswesen im 19. Jahrhundert
Prager Verlagswesen im 19. Jahrhundert
Waehrend die deutsche Buchwissenschaft durch die Historische Kommission des Boersenvereins des Deutschen Buchhandels, durch universitaere Institute, das Deutsche Bucharchiv in Muenchen oder die Deutsche Buchwissenschaftliche Gesellschaft fest etabliert ist, befindet sich die oesterreichische noch in ihren Anfaengen. Zur Institution wurde sie erst durch die 1998 von Peter R. Frank und Murray G. Hall ins Leben gerufene Gesellschaft fuer Buchforschung in Oesterreich. Diese nahm drei Projekte in Angriff, eine Topographie der Buchdrucker, Buchhaendler, Verleger usw. in der oesterreichischen Monarchie 1750-1850, eine kleine, zweimal jaehrlich erscheinende Zeitschrift, "Mitteilungen der Gesellschaft fuer Buchforschung in Oesterreich", und schliesslich, im Jahr 2000, die Reihe "Buchforschung. Beitraege zum Buchwesen in Oesterreich" im Wiener Verlag Edition Praesens. [1]
Zwischen der Inkunabelzeit und dem 20. Jahrhundert liegt weitgehend eine terra incognita. [2] Die Themenstellung der Buchwissenschaft zwischen Produktion, Distribution und Rezeption von Literatur - ohnehin ein weites historisches Gebiet -, wird durch die bekannten historischen Ausformungen des Vielvoelkerstaats Oesterreichs erschwert, durch Sprachvielfalt, Eingriffe einer kirchlichen und "dann staatlichen Zensur; Beschraenkung der Konzessionen; drueckende Steuern, Zolltarife und Postgebuehren; ein hemmungsloser Nachdruck; und schliesslich das zu lang fehlende Urheberrecht." Die Herausgeber der Reihe sprechen in ihrer Einfuehrung vom "Dickicht von politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kraeften" als einer "Herausforderung fuer die Forschung" ( S. 5). Wie immer liegt hierin auch die Moeglichkeit zu ungewoehnlichem Ergebnisreichtum: In ihren Spannungsfeldern, Schnittstellen, Disparatheiten koennen schlaglichtartig bestimmte Fragestellungen der Buchwissenschaften im allgemeinen beleuchtet, analysiert und ihre Eigentuemlichkeiten gegeneinander profiliert werden. Das Buchwesen in seiner Bedeutung fuer politische, soziologische und kulturelle Entwicklungen vermag hier augenfaellige neue Beispiele zu finden.
Die Topographie, die fuer die gesamte Monarchie - also weit ueber das deutschsprachige Buchwesen hinaus - die Daten und Fakten sichern und nachweisen will, geht von der Hypothese eines vielfaeltigen und dichten Kommunikationsnetzes aus mit der Absicht, das Mass buchwirtschaftlicher Abhaengigkeit und Selbstaendigkeit unter den diversen Nationalitaeten zu erfassen. Die Schwierigkeiten der Aufgabe beruhen nicht nur auf der Notwendigkeit jeweiliger Sprachkenntnisse, sondern auch auf teilweise unueberschaubaren und lueckenhaften Archivalienbestaenden. Das gilt gleichermassen fuer die Reihe "Buchforschung". In Einzelstudien und Ueberblicken ueber Themen oder Zeitraeume soll hier bausteinartig "ein umfassendes Bild des Buchwesens in Oesterreich" (so die Herausgeber) entworfen und auch die Darstellung und Eingrenzung der Abhaengigkeiten von Deutschland geleistet werden. Zwei Baende liegen vor, Alena Koellners Buchwesen in Prag und die Gesammelten Schriften des Buchforschers Carl Junker. [3]
Das Thema "Prager Buchwesen" ist bedeutend und wert, die neue Reihe einzuleiten. Prag war Knotenpunkt zwischen Leipzig und Wien, die zweitwichtigste Buchdruck- und Buchhandelsstadt in Oesterreich und steht exemplarisch fuer die Probleme der multikulturellen Erblaender Oesterreichs. Es handelt sich um ein Gebiet, in das der deutschsprachige Leser bislang - ausser durch einzelne Forschungen zum Buchdruck - noch kaum Einblick bekommen hat. [4] Eingrenzung des Themas und Fokussierung der Darstellung sind damit unvermeidlich.
Koellner nimmt sich die "Taetigkeit und Produktion der Drucker, Verleger und Buchhaendler" in Prag von etwa 1780 bis etwa 1880 vor. Die in Prag aufgewachsene Verfasserin konnte dabei auf die tschechisch- wie deutschsprachigen Quellen zurueckgreifen. Die Archivbestaende des Museums der Tschechischen Literatur (Dependance in Stare Hrady in Nordboehmen) sind bibliothekarisch weitgehend unbearbeitet. Erhalten sind das unvollstaendige Archiv des Gremiums der Prager Buchhaendler, das fuer den gewaehlten Zeitraum wenig aufschlussreich war, das umfassende Archiv des Vereins der tschechischen Buchhaendler und Verleger (auch hier gerade die fuer diese Arbeit interessanten Materialien der ersten zehn Jahre offensichtlich verschollen), das Archiv des Verlags Otto, darunter auch ein Buchmanuskript des Bibliothekars Jaroslav Svehla aus den vierziger Jahren zur Biographie Ottos, das Koellner benutzte. Im Zentralen Staatsarchiv in Prag fand sich die Korrespondenz des Gremiums mit dem Landesgubernium, die, schwer oder nicht mehr leserlich, fuer diese Arbeit nicht herangezogen wurde.
Der gewaehlte Zeitraum ist der des kulturpolitischen Prozesses der tschechischen "nationalen Erneuerung". Die daraus folgenden Fragestellungen umfassen die Beziehungen zwischen den beiden Sprachen, Literaturen und Nationalitaeten, die Bedingungen und Moeglichkeiten zur Edition tschechischsprachiger Buecher und ihre Rolle im politischen Geschehen. Koellner geht - frei nach Fr. Chr. Perthes' Programmschrift von 1816, Der deutsche Buchhandel als Bedingung des Daseyns einer deutschen Literatur - davon aus, dass die Existenz der tschechischen Literatur von Buchdruck und Buchhandel abhaengig war: "Buchdruck und Buchhandel, und damit die tschechische Literatur, konnten in Prag seit dem ersten Druck von 1487 bis ins 17. Jahrhundert auf eine eindrucksvolle Tradition zurueckblicken" (S. 13). In der Folgezeit verfiel die tschechische Literatur, die Sprache degradierte zur Umgangssprache der Landbevoelkerung im Innern Boehmens und Maehrens, waehrend im Zeichen der Gegenreformation das Deutsche zur allgemeinen Bildungs-und Amtssprache wurde.
Hingegen erlebte die tschechische Literatur zwischen 1780 und 1848 eine Renaissance; 1793 wurde an der Prager Universitaet ein Lehrstuhl fuer tschechische Sprache eingerichtet. Koellner macht den Buchhandel als treibenden Faktor aus: "Bis heute wurde in der wissenschaftlichen Literatur die Tatsache kaum beachtet, dass der Buchhandel fuer die Idee der Nationalen Erneuerung eine entscheidende Rolle spielte. Fest steht, dass die ersten Werke, die fuer die Nationale Erneuerung von Bedeutung waren, in Prag und Wien von deutschsprachigen Verlegern veroeffentlicht wurden" (S.24). Sie betont, dass zu Beginn dieses Zeitraums die Verwendung der tschechischen oder deutschen Sprache im Bildungsbuergertum keine "Zugehoerigkeit zu einem 'Volksstamm' zu dokumentieren" vermochte. (S.16) Vielmehr lebte ein neues kulturpolitisches Selbstbewusstsein unter den Deutschboehmen auf, aus dem die Tendenzen fuer eine Erneuerung des Tschechischen als Kultursprache hervorgingen. Die Ausgangssituation im Buchhandel war, dass wenig tschechische Buecher auf dem Markt waren, dass diese eher in Oesterreich oder Deutschland als in Boehmen und Maehren gedruckt wurden (das galt uebrigens auch fuer die hebraeischen Buecher), und dass es nur geringe Nachfrage danach gab.
Koellners Beweisfuehrung stuetzt sich auf die Sammlung der Verlagsdaten aller Buchdrucker, Buchhaendler und Verleger - bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, dann nur mehr einer Selektion - und den Vermerk deren jeweiliger tschechischer Produktion: Zunehmend wurden Sprachbuecher, Zeitungen, Neuausgaben aelterer tschechischer Literatur, Kalender, Trivialliteratur neben der Hochliteratur, Buecher zur Geographie, Geschichte und Kultur, zu Naturwissenschaften und Religion verlegt. Besonders auf wissenschaftlichem Gebiet gab es manche gescheiterten Versuche, denkt man etwa an die Beitraege aus verschiedenen Wissensbereichen, die der Drucker, Buchhaendler und Verleger Kaspar Widtmann 1786/87 herausgab und nach fuenfzehn Schriften einstellen musste, oder die "Slawischen Sammelschriften" Sbornik slovansky (1881-1887) Jan Ottos, die nach sechs Jahren eingingen: "Es handelte sich nicht um ein gewinnorientiertes Unternehmen, eher um die slawische Passion eines patriotischen Verlegers," so der Redakteur E. Jeninek (S.107).
Bedingungen buchhaendlerischer Niederlassungen waren in Oesterreich seit den Zeiten Maria Theresias, seit 1772 und damit beinahe dreissig Jahre vor aehnlichen Regelungen in Deutschland festgelegt. Verordnet war eine Lehre, die neben den praktischen Aufgaben auch literarische und bibliographische Kenntnisse foerderte. Per kaiserlichem Dekret wurde unter Joseph II. 1781 erweiterte Pressfreiheit eingefuehrt, die dem Buchwesen zum Aufschwung verhalf; der Nachdruck fuer die auf oesterreichischem Gebiet gedruckten Buecher wurde verboten. Verschiedene Gewerbedekrete folgten: Seit 1782 durften Buchdrucker neben eigenen auslaendische Buecher verbreiten, seit 1786 benoetigten Buchbinder zum Handel mit Buechern eine Konzession, 1788 und 1798 wurde Nichtbuchhaendlern im allgemeinen der freie Buchverkauf verboten. 1795 erhielten Verlagsbuchhaendler die Genehmigung zur eigenen Druckerei. Sortimentsbuchhandlungen, Verlagsbuchhandlungen, Handel mit Kunstgegenstaenden und Antiquariate blieben bis 1860 separate Geschaeftszweige.
Bereits im 18. Jahrhundert bildete sich eine Buchhaendlerorganisation, die auch als Interessenvertretung gegen die von Leopold II. verschaerfte Zensur wirkte. 1806 erliess Franz II. schliesslich ein Buchhaendlerpatent, das eine "Ordnung fuer das Gremium der Buchhaendler und Antiquare" einschloss. Das Prager Gremium, noch im gleichen Jahr gegruendet (spaeter gab es auch ein Gremium juedischer Antiquare in Prag), verpflichtete alle Buchhaendler zur Mitgliedschaft. Konzessionen wurden dabei nur sparsam erteilt. Kommissionaere bildeten ein Verbindungsnetz nach Wien und Leipzig.
Zu den herausragenden fruehen Verlegerpersoenlichkeiten gehoerten Johann Nepomuk Ferdinand Schoenfeld (geb. 1750) und Vaclav Matej Kramerius (geb. 1753). Schoenfeld begann als Buchdrucker, der vorwiegend die staatlichen Druckauftraege auf sich versammelte, und bald auch eine Kupferstecherei, Papiermuehle und schliesslich lithographische Anstalt fuehrte. Ab 1780 besass er die groesste Prager Buchhandlung, 1786 liess er die erste tschechische Zeitung (Prager Postzeitung) neu aufleben. Kramerius war sein Redakteur, der selbst 1789 zum ersten tschechischen Verleger wurde. Auch er uebernahm eine eigene Druckerei, insbesondere aber errichtete er ein Kommissionsnetz in Boehmen, Maehren und Ungarn, um den noch problematischen Vertrieb tschechischer Buecher zu bewaeltigen. Er war kein Mitglied des Gremiums, obwohl er seine Taetigkeit noch zwei Jahre nach dessen Gruendung fortfuehrte.
Kramerius' verlegerisches Spektrum war breit. Er verschrieb sich der Volksbildung, die er auf alle erdenkliche Weise, mit Neuausgaben, Reiseberichten, Sachbuechern foerderte. Um die literarische Qualitaet volkstuemlicher Literatur zu heben, schrieb, uebersetzte und bearbeitete er selbst. Die Vertriebsorganisation tschechischer Buecher blieb allerdings problematisch; engagierte Mitglieder der "nationalen Erneuerung", tschechische Wissenschaftler und keineswegs nur Protestanten dienten als Vertriebspersonen. Erst in den dreissiger Jahren setzte der Drucker, Buchhaendler und Verleger von mehr als dreihundert tschechischen Buechern, Jan Hostivit Pospisil, den ersten konzessionierten rein tschechischen Buchhandel durch.
Die zentralistische Restauration nach der gescheiterten Revolution 1848 bedeutete noch einmal fuer ein Jahrzehnt Unterdrueckung tschechischer Kultur und Sprache. Angesichts der schwierigen innen-und aussenpolitischen Situation (Niederlage in Italien, Spannungen in Ungarn, Krise der Staatsfinanzen) war sie aber nicht aufrechtzuerhalten. Die sich abzeichnende Wirtschaftsliberalisierung fand ihren Ausdruck in der neuen Gewerbeordnung von 1859; und das Oktoberdiplom von 1860 bedeutete einen Kompromiss zwischen foederalistischen und zentralistischen Tendenzen. Die Landessprachen der Monarchie fanden im Schulwesen zunehmend Gleichberechtigung. Ab 1882 konnte auch das Studium an der Prager Universitaet vollstaendig auf tschechisch erfolgen.
Mit der erwaehnten Gewerbeordnung war das Buchhaendlerpatent von 1806 aufgehoben. Die neu ausgearbeiteten Statuten mit fuenfzig Paragraphen wurden 1861 bestaetigt, die Gremien der Buchhaendler, Kunsthaendler und Antiquare in einen Verband zusammengefasst. Konzessionen wurden jetzt grosszuegiger erteilt, die Anzahl der Mitglieder wuchs, und auch Angestellte und Gehilfen wurden (unter eigener Verfassung) eingegliedert. 1862 gab es in Prag 24 Sortimentsbuchhandlungen, 29 Verlagsbuchhandlungen (zwanzig davon waren beides), zehn Antiquariate, vier Buechereien, vier Musikalienhandlungen und zwei Handlungen mit Kunstgegenstaenden. Ab 1877 erfolgte die Ausgabe der Rundschreiben und anderer Dokumente auch auf tschechisch. 1883 zaehlten zum Buchhaendlergremium 51 selbstaendige Buchhaendler, 86 Gehilfen, 33 Lehrlinge, 75 Diener. 1885 wurden die Statuten dahingehend modifiziert, dass auch die Prager Vorstadt in das Gremium einbezogen wurde, was die tschechische Mehrheit bedeutete. 1887, nach der Bestaetigung dieser Statuten durch den Magistrat, uebernahmen die tschechischen Firmen, nicht ohne Widerstand der deutschen (und juedischen), Vorsitz und Entscheidungen im Gremium. Damals hatten sich bereits separate nationale oder geographisch bedingte Buchhaendlerorganisationen herausgebildet, deren Mitglieder - deutsche und tschechische -teilweise auch dem Boersenverein beitraten.
Ignac Leopold Kober (geb. 1825), der seine Buchhandelskonzession ohne eine Lehre im Buchhandel 1857 erhielt, wurde zum bedeutendsten Verlagsbuchhaendler (mit eigener Druckerei) der sechziger Jahre. Er war gleichermassen Herausgeber der "Schriften der ausgezeichneten zeitgenoessischen tschechischen Dichter", einer "Nationalen Bibliothek", des ersten tschechischen Lexikons Slovnik naucny , von Weltliteratur wie auch erfolgreicher deutschsprachiger Verleger, etwa der Romanreihe Album. Bibliothek deutscher Originalromane. In den siebziger Jahren florierte die neue tschechische Literatur (neben einer zunehmenden Produktion von Trivial- und Kolportageliteratur). Mit der Gruendung von dreizehn neuen tschechischen Firmen in Boehmen 1871 war fuer Koellner ein "wichtiger Wendepunkt" erreicht (S. 95).
Koellner schliesst mit der Darstellung Jan Ottos (1841-1916), der in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts zum grossen Mann des Prager Buchhandels werden sollte. Auf seine Idee ging bereits der 1867 gegruendete Leseverein Matice lidu zurueck. 1870 verlegte Otto erste Buecher, 1871 uebernahm er die Druckerei seines Schwiegervaters Jaroslav Pospisil (deren wechselvolle, auch vom Organisatorischen her interessante Geschichte nur kurz angedeutet wird) und begruendete die Reihe Ottova lacina knihovna narodni (Ottos billige nationale Bibliothek). Das Buecher- und Reihenprogramm bewegte sich zwischen Volksaufklaerung und Weltliteratur, wobei der deutsche Buchhandel offensichtlich in vieler Hinsicht als Vorbild diente. Die Reihe Svetova knihovna (Bibliothek der Weltliteratur) ab 1897, deren fuenfhundertster Band 1906 erschien, verglich Otto selbst mit Reclam's Universal-Bibliothek.
1872 liess Otto die Zeitschrift Lumir (die einzige in der ersten Haelfte der fuenfziger Jahre uebrig gebliebene tschechische literarische Zeitschrift) wieder aufleben; sie wurde zur wichtigsten literarischen und kulturellen Zeitschrift des letzten Drittels des Jahrhunderts, das "wichtigste Organ dieser Zeit" in seinen Information ueber tschechische Literatur und - im Vergleich dazu und als Anregung gedacht - das aussernationale Kulturleben: "Aus diesen Anregungen schoepfte dann die tschechische Literatur und Kultur" (S.101). (Zugleich fand Frantisek Augustin Urbanek mit dem bibliographischen Periodikum Vestnik bibliograficky als Chronik des tschechischen kulturellen Lebens wenig Publikumsinteresse.) 1908 uebernahm Otto auch das Konkurrenzblatt zu Lumir in sein Zeitschriftenprogramm, die literarisch national ausgerichtete Osveta (Aufklaerung). Redakteur der Zeitschrift Athenaeum. Listy pro literaturu a kritiku vedeckou (Blaetter fuer Literatur und wissenschaftliche Kritik) war zwischen 1883 und 1886 T. G. Masaryk. Folgend zeichnete er als Chefredakteur verantwortlich fuer Ottos groesstes wissenschaftliches Projekt, die tschechische Enzyklopaedie _Ottuv slovnik naucny in 28 Baenden (1888-1908), wobei oeffentliche Diskussionen um wissenschaftliche Inhalte und eine Spaltung in ein juengeres und aelteres Lager - Masaryk trat noch vor Erscheinen des ersten Bandes zurueck - die Herausgabe ueberschatteten.
Ein Wort zum Schluss: Diese Informationen waren nicht leicht zusammenzutragen. Denn das Buch ist mehr Rohfassung als wissenschaftliche, durchgearbeitete Darstellung, seine Kennzeichen sind Aneinanderreihung und Materialfuelle. Ein konturiertes Gesamtbild der Entwicklung, der Verlegerbiographien, ihrer Wechselbeziehungen und Konkurrenzen, des Buechermarkts ueberhaupt, ein Gefuehl von Groessenordnungen oder Motivationen gewinnt der Leser also nur schwer. Schluessige Beweisfuehrung, klare Strukturen und Analyse vor dem Hintergrund der historischen Situation bleiben weiteren Arbeiten, vorlaeufig wohl erst in Einzelbereichen, ueberlassen.
So werden buchhaendlerische Ideen, Vorschlaege, Reformen, Innovationen und Fakten aller Art vorwiegend unter deren Urheber verzeichnet, meist ohne Querverweise, womit die uebergeordneten Zusammenhaenge verloren gehen. Auch dient die Einteilung der Verlagsueberblicke in "Buchdrucker, die gleichzeitig Buchhaendler und Verleger waren" / "Buchdrucker und Verleger" / "Buchhaendler, Verleger und Antiquare (ohne Druckerei)" als blosse Auflistungsmoeglichkeit, die durch die inhaltliche Argumentation vor dem Hintergrund der Gesetzgebung zu Ende des 18. Jahrhunderts und von Strukturbewegungen (zwischen spezialisierten oder Universalfirmen, zwischen Gewerbemonopolen oder frei zugaenglichen Konzessionen mit buchhaendlerischen Vertriebsstellen) nur wenig gestuetzt wird.
Aufgeschluesselt werden koennen die Sachverhalte weitgehend durch die Firmen-, Personen-, Orts- und Sachregister des Bandes, der auch angenehm gestaltet, reich illustriert, gut dokumentiert (Abbildungen und Beilagen textlich leider nicht integriert) ist. Der Wert des Buchs liegt in seinen Ueberblicken und vielfachen Nachweisen, worunter besonders der Anhang "Verzeichnis der Prager Buchdrucker, Buchhaendler und Verleger" erwaehnt sei. Man vermisst zwar die biographischen Daten, doch sind die Hinweise auf Namensversionen, Lehre/Beschaeftigung, Taetigkeit, Vorgaenger und Nachfolger, der Personen im Betrieb und der Literaturnachweise (hinsichtlich des 173 Nummern umfassenden Literaturverzeichnisses) von substantiellem Interesse.
Die Fragen nach dem Prozess der Literaturvermittlung vom Autor zum Leser koennen von hier aus gestellt werden, Fragen etwa, welche Beduerfnisse der Autoren vorhanden waren, wie die Interaktion mit den Verlegern stattfand, welche Honorarzahlungen sie erhielten; oder die, wie die tschechische Literatur angeregt und ermutigt wurde, wie sich schliesslich auch das Publikum dafuer fand. Wurde nicht zunaechst vor allem die Leserschicht bedient, die ohnehin tschechisch sprach und las? Welche Buecher waren fuer die tschechische Kultur und welche fuer die tschechische Literatur von Bedeutung und in welcher Hinsicht? Wie hoch war der jeweilige Anteil deutscher Literatur an der Verlagsproduktion? Oder welchen Anteil hatten welche Produktionsbedingungen an der Entstehung moderner Literatur, neuer Kommunikationsformen, von "freien" Schriftstellern? Unbekannt bleiben die buchhaendlerischen Konditionen, die verlegerische Kalkulation, Auflagen- und Absatzzahlen, Buecherpreise. Auch insofern moege das Buch zur weiteren Forschung anregen.
Anmerkungen:
[1]. Vgl. die homepage der Gesellschaft fuer Buchforschung http://seemann.or.at/buchforschung/
[2]. Vgl. das bahnbrechende Standardwerk von Murray G. Hall, Oesterreichische Verlagsgeschichte 1918-1938. 2 Bde. (Literatur und Leben N.F. 28, Wien u.a.: Boehlau, 1985).
[3]. Carl Junker, Zum Buchwesen in Oesterreich. Gesammelte Schriften 1896-1927. Ed. Murray G. Hall (Buchforschung 2, Wien: Edition Praesens, 2001). Als Band 3 soll Doris Schrenk, Buchwesen in Siebenbuergen folgen.
[4]. Vgl. Josef Volf, Geschichte des Buchdrucks in Boehmen und Maehren bis 1848 (Weimar: Straubing und Mueller, 1928) und Frantisek Horak, Pet stoleti ceskeho knihitsku - Fuenf Jahrhunderte tschechischer Buchdruckerkunst (Prag: Odeon, 1968).
Copyright (c) 2001 by H-Net, all rights reserved. H-Net permits the redistribution and reprinting of this work for nonprofit, educational purposes, with full and accurate attribution to the author, web location, date of publication, originating list, and H-Net: Humanities & Social Sciences Online. For other uses contact the Reviews editorial staff: hbooks@mail.h-net.msu.edu.
If there is additional discussion of this review, you may access it through the network, at: https://networks.h-net.org/habsburg.
Citation:
Irmgard Heidler. Review of KÖ¶llner, Alena, Buchwesen in Prag. Von Vaclav Matej Kramerius bis Jan Otto.
HABSBURG, H-Net Reviews.
November, 2001.
URL: http://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=5669
Copyright © 2001 by H-Net, all rights reserved. H-Net permits the redistribution and reprinting of this work for nonprofit, educational purposes, with full and accurate attribution to the author, web location, date of publication, originating list, and H-Net: Humanities & Social Sciences Online. For any other proposed use, contact the Reviews editorial staff at hbooks@mail.h-net.org.