Georg Mölich, Norbert Nußbaum, Harald Wolter-von dem Knesebeck. Die Zisterzienser im Mittelalter. Köln: Böhlau Verlag, 2017. 393 S. (gebunden), ISBN 978-3-412-50718-3.
Reviewed by Joachim Werz
Published on H-Soz-u-Kult (November, 2017)
G. Mölich u.a. (Hrsg.): Die Zisterzienser im Mittelalter
Wer die intellektuellen Fundamente der 2017 eröffneten Ausstellung des LVR-Landesmuseums Bonn „Die Zisterzienser. Das Europa der Klöster“ verstehen will, der muss um die Existenz dieses Bandes wissen. Internationale Fachleute auf dem Gebiet der Zisterzienserforschung haben sich in Vorbereitung auf die kulturhistorische Ausstellung zu einem Kolloquium versammelt, um Ideen zu sammeln und Konzepte zu entwickeln. In ihrer Einleitung (S. 9–12) verweisen die Herausgeber auf die drei Problemfelder, die sich beim Befassen mit den Zisterziensern zeigen: Wie kann – zum Ersten – die monastische Reform als zivilisatorische Leistung bewertet werden? Zum Zweiten: Wie wurde diese Leistung konkret im klösterlichen Alltag und in der monastischen Lebenswelt ausgestaltet? Und wie greifen drittens Ökonomie, Politik und zisterziensisches Ideal des Hoch- und Spätmittelalters ineinander – oder eben auch nicht? (S. 11) Diese Bereiche sollen im vorliegenden Band durch 18 Beiträge renommierter Autorinnen und Autoren in fünf Großthemen abgedeckt werden.
Im ersten Abschnitt blickt Gert Melville auf die Anfänge des Ordens, der wie kein anderer die Grundfesten der religiösen Avantgarde mit den traditionellen Fundamenten der Benediktusregel verband und eine Erfolgsgeschichte ins Rollen brachte (S. 15–30). Neues wird jedoch nicht gezeigt, lediglich Bekanntes kompakt geschildert. Eine Neuinterpretation versucht Jörg Oberste bei seiner Analyse der Carta caritatis. Er sieht in dieser einen Ausdruck dafür, wie anpassungsfähig der Orden in seinen Anfängen war und neue Formen monastischen Zusammenlebens organisierte (S. 31–43). Maximilian Sternberg prüft anhand verschiedener Kunst-Bewegungen – unter anderem der ‚Art-Sacré‘ und bestimmter Künstler wie Le Corbusier (1887–1965) –, ob die Zisterzienser in ihrer speziellen Baukunst als Vorreiter und Inspiration für Kunst und Architektur im 20. Jahrhundert gesehen werden können (S. 45–62).
Wie die Idee der zisterziensischen Lebensform in Architektur und Bildlichkeit Niederschlag gefunden hat, steht im Fokus des zweiten Kapitels. Matthias Untermann thematisiert die mittelalterlichen Formdebatten in der Zisterzienserarchitektur (S. 65–84). Er exemplifiziert seine Beobachtungen zum Bauprozess und zur Sichtbarmachung der forma ordinis, die vor allem zu einer monastischen Perfektion der Mönche führen sollte, an den Beispielen der Abteien Otterberg, Maulbronn und Bronnbach. Den aktuellen Forschungsstand zu Bau- und Raumkonzepten rheinischer Männer- und Frauenzisterzen gibt Kristin Dohmen wieder (S. 85–112). Mit ihren Beispielen (Hoven, Bürvenich, Eppinghoven, Graefenthal) kann sie zeigen, dass die jeweilig unterschiedlichen Baukonzepte dennoch einen gemeinsamen Nenner haben: die exakt definierte Raumorganisation von Kirche und Kloster.
Einen interessanten Beitrag liefert Nigel F. Palmer über die Buchilluminationen für Zisterzienserinnen im 13. und 14. Jahrhundert als Prozess der imaginativen Vergegenwärtigung von heilsgeschichtlichen Ereignissen (S. 113–131). Die gewählten Abbildungen aus verschiedenen Zisterzienser-Handschriften (Wonnentaler Graduale und Freiburger Psalter) veranschaulichen Palmers Überlegungen. Er zeigt anhand der Abbildungen, dass meditative Schaufrömmigkeit in Form von visualisierter Heilsgeschichte aufs Engste mit sakralem Geschehen und liturgischem Vollzug verknüpft war. Jens Rüffer analysiert die Bildpolitik der Zisterzienser unter besonderer Berücksichtigung der Apologie des Bernhards von Clairvaux gegen seinen Freund Wilhelm von St. Thierry (S. 131–148). In diesem Kontext will der Kunsthistoriker vor allem Widersprüche und Missverständnisse klären, die immer wieder in der Forschung und Rezeption auftauchen. Seiner Überzeugung nach hat das Verbot der figürlichen und ornamentalen Darstellung seine geistigen Wurzeln nicht bei Bernhard von Clairvaux, sondern beim Kirchenvater Augustinus. Wie die Wirtschaftsgebäude der Zisterzienser gebaut waren, welche architektonischen Vorbilder zu Grunde lagen, welche Funktionen sie hatten und welche Bedeutung ihnen in der Geschichte des Ordens zukam, stellt Tobias Schöneweis in seinem Beitrag vor (S. 149–173). In seiner Untersuchung kann er die Ambivalenz zisterziensischen Lebens verdeutlichen, das sich von den monastischen Anfängen bis in die Gegenwart in der Spannung von spirituellem Ideal und ökonomischem Zwang bewege und sich gegenseitig relativiere.
Ein oftmals vernachlässigter Aspekt in der zisterziensischen Ordensforschung sind die liturgischen Einflüsse und Auswirkungen des Ordens. Um diese Forschungslücken zu füllen präsentiert unter anderem Fabian Kolb seine Untersuchung zum zisterziensischen Singen im Hochmittelalter, die in der Spannung zwischen schriftlicher Normierung und liturgischem Vollzug steht (S. 173–201). Der Musikwissenschaftler und Romanist zeigt anhand verschiedener Fragmente aus dem 12., 13. und 14. Jahrhundert, wie die Ideale von stimmlicher Ästhetik und erfahrbarer Mystik den Zisterzienserchoral formten und regulierten. Eine lesenswerte und innovative Studie, die aus musikwissenschaftlicher Perspektive zisterziensisches Singen analysiert. Auch die Auswertung des Codex Gisle als Graduale für das Zisterzienserinnenkloster Rulle bei Osnabrück soll Verständnis für die Geschichte zisterziensischer Liturgie ermöglichen (S. 203–228). In ihrem Aufsatz konzentriert sich Beate Braun-Niehr besonders auf den Aspekt der Uniformität, der im liturgischen Vollzug der Zisterzienser als Ideal und Norm erreicht werden sollte. Susanne Wittekind präsentiert die stiefmütterlich behandelte Textgattung der zisterziensischen Legendare im Kontext der hochmittelalterlichen Reformbewegung (S. 229–252). Beispiele – unter anderem aus Heiligenkreuz und Zwettl – untersucht sie sowohl auf ihre Entstehung als auch ihre Nutzung und vergleicht diese mit anderen Reformorden des Hochmittelalters.
Im Zentrum des vierten Kapitels steht das wirtschaftliche Handeln des Ordens. Guido Gassmann, der sich bereits in mehreren Arbeiten mit dem Konversentum im Mittelalter beschäftigte, analysiert den Zisterzienserorden im Bereich der heutigen Schweiz auf die sozial-, wirtschafts- und frömmigkeitsgeschichtliche Bedeutung (S. 255–269). Seine interessanten Beispiele informieren über Spiritualität und Gebetszeiten der Konversen. Die Fallstudie von Christian Hillen analysiert kursorisch die Wirtschaftsgeschichte der Abtei Marienstatt (S. 271–281). Maria Magdalena Rückert zeigt die grundherrschaftlichen Verhältnisse und das ökonomische Handeln der Abtei Schöntal, die von Anfang an auf eine intensive Vernetzung sowohl innerhalb des Ordens und der Kirche als auch mit Politik und der sozialen Umwelt bemüht war (S. 283–301). Ebenfalls mit Schöntal, aber auch mit der Abtei Niederschönenfeld, befasst sich Julia Bruch, die die Wirtschaftsweise der beiden Klöster im ausgehenden 13. und beginnenden 14. Jahrhundert vergleicht (S. 303–322). Sie präsentiert wichtige Ergebnisse zur Wirtschaftsgeschichte der Zisterzienserinnenklöster, die oftmals im Schatten der Erforschung der Männerklöster stehen.
Wie verhält sich zisterziensisches Ideal zu Herrschaft? Diesem spannungsvollen Verhältnis widmet sich die abschließende Sektion des Bandes. Der Kunsthistoriker Markus Thome untersucht die Begräbnispolitik und den Kirchenbau der spätmittelalterlichen Zisterzienser anhand der Um- und Neubaumaßnahmen in den Abteien Herrenalb, Eberbach, Zwettl und Kaisheim (S. 325–344). Durch Abbildungen und Graphiken erklärt Thome Gründe und Ausformung der Baumaßnahmen, die oftmals im Zusammenhang von ordensinterner Memoria und Konkurrenz zu anderen Kirchenbauten standen. Georg Mölich und Joachim Oepen berichten über das 2018 erscheinende „Nordrheinische Klosterbuch“ (S. 345–358). Jirí Kuthan stellt die königlichen Klöster im Bereich Böhmen unter Karl IV. vor (S. 359–376).
Der vorliegende Band verfügt über ein Personen- und Handschriftenregister (S. 387–393). Wer sich Grundwissen über die Zisterzienser im Mittelalter aneignen will, findet in dem vorliegenden Tagungsband interessante Aufsätze und teils innovative Studien. Wer sich jedoch durchweg neue Erkenntnisse über die Zisterzienser im Mittelalter erhofft, wird enttäuscht sein. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass das Kolloquium als Vorbereitung für die Landesausstellung diente, in der Grund- und nicht forschungsbasiertes Detailwissen über die Zisterzienser vermittelt werden soll. Weiß man um diesen Tagungsband, dann liegen hier die Wurzeln des entscheidend zu kritisierenden Moments von Ausstellung und Ausstellungskatalog: Es gibt neben dem besser und besser erforschten zisterziensischen Leben im Hoch- und Spätmittelalter auch noch andere Zeitabschnitte, in denen das Phänomen dieses Ordens analysiert und untersucht werden kann. Leider wird dies – auch trotz epochenungebundenem Titel der Ausstellung – wieder einmal vergessen.
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Citation:
Joachim Werz. Review of Mölich, Georg; Nußbaum, Norbert; Wolter-von dem Knesebeck, Harald, Die Zisterzienser im Mittelalter.
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November, 2017.
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