Bodie A. Ashton. The Kingdom of Württemberg and the Making of Germany, 1815-1871. London: Bloomsbury Academic, 2017. 240 pp. $114.00 (cloth), ISBN 978-1-350-00007-0.
Reviewed by Ursula Rombeck-Jaschinski (Universität Stuttgart)
Published on H-German (February, 2018)
Commissioned by Jeremy DeWaal
Auch im 21. Jahrhundert bleibt die Nation „the fundamental unit of sociopolitical identification“ (S.1). Mit dieser zutreffenden Feststellung beginnt Bodie A. Ashton die Einleitung seines interessanten und instruktiven Buchs über die Bildung der deutschen Nation. Da die Nation heute vielfach als etwas Gegebenes angesehen wird, weist Bodie A. Ashton zu Recht darauf hin, daß die Nation keine natürliche Einheit darstellt, sondern gemacht und geschaffen wurde. Nicht von heute auf morgen, sondern als Resultat eines längeren historischen Prozesses. Dieser Nation Building Prozess wird von Bodie A. Ashton exemplarisch am Beispiel Deutschlands aufgezeigt und zwar aus der besonderen Perspektive des Königreichs Württemberg. Auf den ersten Blick mag dieser methodische Zugriff überraschen, gehörte Württemberg doch neben Bayern, Baden und Sachsen zu den weniger bedeutenden süddeutschen Mittelstaaten. Bis zur Reichsgründung im Jahr 1871 konnten die Mittelstaaten ihre staatliche Souveränität zwar weitgehend bewahren, gegenüber Österreich und Preußen spielten sie aber eine eher untergeordnete Rolle. Auf den zweiten Blick wird jedoch sichtbar, daß die Mittelstaaten und nicht zuletzt das Königreich Württemberg einen wichtigen Beitrag auf dem Weg zur deutschen Einheit geleistet haben. „As this work will demonstrate, destiny was certainly influenced by the large powers but smaller states also had importent roles to play“ (S. 7).
Der Weg zur deutschen Einheit war kurvenreicher als es aus der Retrospektive vielfach wahrgenommen wurde. Die deutsche Nation entwickelte sich spät. Bis 1806 war Deutschland ein Teil des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, einem eher losen rechtlich-politischen Rahmen. Vormacht und Inhaber der Kaiserkrone war jahrhundertelang das Haus Habsburg, das im Verlauf des 18. Jahrhunderts zunehmend mit dem erstarkenden Preußen in Konflikt geriet. Napoleon versetzte diesem Gebilde den Todesstoß und ordnete das aus über 300 Klein- und Kleinststaaten bestehende Territorien neu. Wie die anderen süddeutschen Staaten profitierte Württemberg erheblich von der territorialen Neuordnung durch Napoleon. Der Beitritt zum Rheinbund zahlte sich aus. Württemberg konnte sein Territorium verdoppeln und wurde zum Königreich erhoben, mußte aber Kontingente für die verlustreichen napoleonischen Kriege stellen. Mit dem Scheitern des Russlandfeldzugs fielen die süddeutschen Staaten von Napoleon ab. Der Wiener Kongress sicherte die bestehende Souveränität der Mittelstaaten. Die Politik von König Friedrich und seinem Nachfolger Wilhelm war ganz auf die Sicherung und Festigung der württembergischen Identität ausgerichtet. Die nebulöse „deutsche Nation“ der Dichter und Denker spielte für sie keine Rolle. 1815 ersetzte der Deutsche Bund das Heilige Römische Reich. Während König Friedrich den Bund als potentielle Beeinträchtigung der württembergischen Souveränität betrachtete, hielten ihn Kritiker wie Friedrich List für viel zu schwach. Der Nationalstaatsgedanke trat in den 20er und 30er Jahren des 19. Jahrhunderts in vielfältigen Formen auf. Neben der großdeutschen und der kleindeutschen Variante gab es noch eine weniger bekannte dritte Überlegung. Diese bezog sich auf ein Deutschland ohne Österreich und Preußen, im Kern basierend auf den deutschen Mittelstaaten. Ein erstes Tasten in diese Richtung war die gescheiterte Bildung eines süddeutschen Zollvereins im Jahr 1823 durch Baden, Bayern, Württemberg und Hessen-Darmstadt. Auf dem Wiener Kongress war Frankreich im Interesse einer Balance of Power wieder in den Kreis der europäischen Großmächte aufgenommen worden. Württemberg fürchtete sich latent vor der Rache Frankreichs für seinen abrupten Seitenwechsel unter Napoleon. Der Deutsche Bund diente als Sicherheitsgarant gegen einen französischen Angriff. Eine Alternative bot sich nicht, weil Österreich unter Metternich kein Interesse an einer engeren Kooperation mit den süddeutschen Staaten hatte. Preußen gewann auf dem Wiener Kongress die katholischen Rheinlande hinzu. Es begann 1824 mit der Reorganisation seiner Armee. 1830 garantierte Preußen die Sicherheit der süddeutschen Staaten während einer schweren Krise zwischen Österreich und Frankreich. Das konservative Preußen entwickelte sich zu einer starken Kraft im Deutschen Bund. Württemberg war zu schwach, um dauerhaft als eigenständiger Staat überleben zu können. Da weder Österreich noch Preußen in dieser Phase eine Zukunftsperspektive boten, blieb ein Block der süddeutschen Mittelstaaten ein alternatives Denkmodell. Einer Realisierung standen aber erhebliche Hindernisse entgegen.
Im Gegensatz zum Nachbarland Baden verlief die 48er Revolution in Württemberg in gemäßigten Bahnen, nicht zuletzt deshalb, weil König Wilhelm den Republikaner Friedrich Römer mit der Leitung seines „Märzministeriums“ betraute und damit Reformbereitschaft signalisierte. Zahlreiche Abgeordnete der Paulskirche stammten aus Württemberg. Als diese im Mai zusammentrat war der Schwung der Märzrevolution allerdings schon weitgehend verpufft. Die liberale Nationalbewegung fand weder in Wien noch in Berlin eine positive Antwort. Der preußische König Friedrich Wilhelm lehnte die Annahme der Kaiserkrone brüsk ab. Mit der Wiederherstellung des Deutschen Bundes 1850 und dem preußischen Verzicht auf eine eigene Deutschlandpolitik lag die nationale Frage erst einmal auf Eis. In dieser Phase geriet die Variante eines Dritten Deutschlands d.h. eines Zusammenschlusses der Mittelstaaten wieder in den Blick. Die Initiative zur Kooperation mit Württemberg ging von Bayern aus, dem größten Mittelstaat. Gleichzeitig versuchte Württemberg seine eigene Position durch eine dynastische Heiratspolitik mit den Romanows zu stärken. Grundsätzlich stellte sich die Frage, ob die Vormächte Österreich und Preußen eine enge süddeutsche Kooperation überhaupt akzeptieren würden. Im Gegensatz zu Preußen und Österreich gab es in den Mittelstaaten praktisch keine ethnischen Minderheiten. Das war ein Vorteil. Die späten 1850er und frühen 1860er Jahre boten die historisch beste Gelegenheit, eine Alternative zur klein- und zur großdeutschen Lösung zu entwickeln. Allerdings fehlte den Mittelstaaten letztlich der Wille, Eitelkeiten zurückzustellen und Chancen für ein Drittes Deutschland auszuloten. Der erbärmliche Zustand des württembergischen Militärs veranlasste König Wilhelm, wenigstens eine militärische Kooperation der Mittelstaaten vorzuschlagen. Treffen im Sommer 1860 und Mai 1861 brachten jedoch keine Annäherung. Auch in Württemberg gewannen die Befürworter einer kleindeutschen Lösung an Einfluß. Der von König Karl 1864 ernannte Staatsminister Karl von Varnbüler war ein Freund des preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck, ohne dessen Politik blind zu folgen. Die süddeutschen Staaten standen gemeinhin in dem Ruf einer pro-österreichischen Haltung. Die württembergische Politik bemühte sich jedoch eher um eine Äquidistanz zu beiden Vormächten, obwohl Österreich als die stärkere Macht galt. Beim Ausbruch des preußisch-österreichischen rechnete man in den süddeutschen Staaten mit einem Sieg der Österreicher und einem langen Waffengang, der die endgültige Entscheidung über die Suprematie in Deutschland fällen würde. Zur allgemeinen Überraschung erzielte Preußen einen schnellen und umfassenden Sieg über Österreich, das seinen Status als Großmacht verlor. Trotz des Sieges wollte Bismarck 1866 keinen deutschen Nationalstaat bilden. Er beschränkte sich auf die Gründung des Norddeutschen Bundes. Obwohl die süddeutschen Staaten zumindest nominell auf Seiten Österreichs gestanden hatten, behandelte Bismarck sie mit größter Milde und schloß ihren späteren Beitritt zum Norddeutschen Bund keineswegs aus. Im August 1866 schlossen sich die süddeutschen Staaten mit ausdrücklicher Billigung Preußen und Frankreichs zu einem eher schwachen regionalen Block zusammen. Damit standen 9 Millionen Süddeutsche 28 Millionen Norddeutschen gegenüber. Es zeigte sich rasch, daß der Süden dem Norden wirtschaftlich deutlich unterlegen war. Obwohl die Preußen in Württemberg nicht besonders beliebt waren, erzeugte der Norddeutsche Bund eine immer größere Sogkraft. Nach 1866 war Österreich für den deutschen Süden definitiv keine Alternative mehr. Eine Einigung Deutschlands unter der Führung Preußens wurde immer wahrscheinlicher.
Der Sieg von Sedan löste auch in Württemberg eine Welle patriotischer Gefühle aus. Alle Bedenken gegenüber Preußen schienen wie weggeblasen. Euphorisiert schrieb Varnbühler einen Gratulationsbrief an Bismarck und hielt noch am Siegestag ohne Abstimmung mit König Karl eine Ansprache an das Volk. Karl reagierte mit der sofortigen Entlassung seines Ministers und ersetzte ihn durch Hermann von Mittnacht. Karl war weniger euphorisch, was die Zukunft für Württemberg in Preußen-Deutschland bringen würde. Seit 1815 hatte man versucht, eine Antwort auf die deutsche Frage zu finden. Nun war sie da und (fast) alle waren glücklich darüber. Die Bedenken Karls bewahrheiteten sich jedoch vorerst nicht. Württemberg fand seinen Platz im Kaiserreich und konnte wirtschaftlich enorm profitieren. Unter Kaiser Wilhelm II. trat aber später ein Bedeutungsverlust der Länder zu Gunsten des Reiches ein.
Aus der Retrospektive scheint die deutsche Einigung ein zwangsläufiger und unaufhaltsamer Prozess gewesen zu sein. Verbunden mit dem „Zeitgeist“ kämpften zuerst Liberale und geistige Eliten für die deutsche Einheit, bevor Preußen mit seiner militärischen Stärke den Prozess in seinem Sinne zum Abschluss brachte. Übersehen wird dabei vielfach die Rolle der Klein- und Mittelstaaten. Am Beispiel Württembergs analysiert Bodie A. Ashton die wichtige Rolle der Mittelstaaten im deutschen Einigungsprozess, der keineswegs gradlinig und zwangsläufig verlief. Von den 1820er bis in die 1860er Jahre gab es immer wieder Überlegungen und Initiativen zur Bildung eines Dritten Deutschlands auf der Basis einer engen Kooperation der süddeutschen Mittelstaaten. Dass diese immer wieder im Sand verliefen lag nicht zuletzt an der Rivalität der Länder Württemberg, Baden und Bayern. Diese waren durchaus unterschiedlich, was Bodie A. Ashton für Württembergs klar herausarbeitet. Der Autor versteht sein Buch als Beitrag, die Geschichte des deutschen Einigungsprozesses von der immer noch anhaltenden Preußen-Zentrierung zu befreien. Sein kompaktes und dicht geschriebenes Buch basiert auf der Auswertung umfangreichen Aktenmaterials aus baden-württembergischen, deutschen und britischen Archiven, der Analyse von Zeitungen und unveröffentlichten Quellenmaterials sowie der Aufarbeitung der Forschungsliteratur. Bodie A. Ashton leistet mit seinem Buch einen wichtigen Beitrag zur deutschen und regionalen Geschichte des 19. Jahrhunderts. Die Lektüre des Buches ist zu empfehlen.
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Citation:
Ursula Rombeck-Jaschinski. Review of Ashton, Bodie A., The Kingdom of Württemberg and the Making of Germany, 1815-1871.
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