Brigitta Schmidt-Lauber. "Die verkehrte Hautfarbe": Ethnizität deutscher Namibier als Alltagspraxis. Berlin, Hamburg: Dietrich Reimer Verlag, 1998. 477 S. (broschiert), ISBN 978-3-496-02656-3.
Reviewed by Sabine Kiefer (Institut für Ethnologie, Universität Tübingen)
Published on (December, 2000)
Die Studie von Brigitta Schmidt-Lauber ueber Ethnizitaet deutscher Namibier ist eine Studie ueber das Phaenomen "Grenze". Anhand von Interviews und Beobachtungen, die sie waehrend ihrer viermonatigen Feldforschung 1994 in Namibia machte, geht Schmidt-Lauber der Frage nach, wie und warum deutsche Namibier durch ihr Reden und Handeln Grenzen zu schwarzen Mitbuergern konstituieren. Namibia war von 1884 bis 1919 deutsche Kolonie, und als deutsche Namibier verstehen sich heute - und die Autorin folgt ihnen in dieser Definition - "Nachfahren von Siedlern, die zur Kolonialzeit eingewandert waren, oder spaeter in verschiedenen Migrationswellen bis in die Gegenwart zugezogene Migranten aus Deutschland" (S. 9).
Diese Studie ueberschreitet aber auch Grenzen. In aller Regel vermutet man bei Arbeiten ueber "deutsche Kultur" Volkskundler, Historiker oder Germanisten als Verfasser sowie man bei einer Monografie ueber Namibia Einblicke in die "fremden Welten" einer der zahlreichen Ethnien erwartet. Lange Zeit waren die Faecher Volkskunde und Ethnologie deutlich voneinander getrennte Wissenschaften, mit ihren eigenen Theorien, Methoden, Perspektiven durch die jeweilige Wissenschaftsgeschichte definiert. Seit geraumer Zeit sind Versuche der Annaeherung und Zusammenarbeit von Vertretern beider Faecher unuebersehbar. Im September 1999 fand erstmals an der Universitaet Tuebingen ein von Volkskundlern und Ethnologen organisierter Kongress zur Deutschlandforschung statt. Auch die vorliegende Studie von Brigitta Schmidt-Lauber, Ethnologin am Hamburger Institut fuer Volkskunde, reiht sich in diese junge Tradition ein. Begrifflichkeiten beider Wissenschaften wendet sie auf das Thema "deutsche Identitaet in Namibia" am Schnittpunkt von Volkskunde und Ethnologie an (S. 23-40). Doch nicht nur das! Wenn auch die Forschungsgegenstaende von Volkskunde und Ethnologie stets verschieden waren, so laesst sich die "Suche nach Urspruenglichkeit in der Primitivitaet" (Gisela Welz, Inszenierungen kultureller Vielfalt, Berlin 1996, S.42f.) als das Erkenntnisziel beider Wissenschaften formulieren.
Schmidt-Lauber naehert sich jedoch dem Thema nicht mit rueckwaertsgewandtem Blick in der Absicht, "Relikte eines Deutschtums" zu finden. Ihr geht es auch nicht darum, Namibier fernab der deutschen Heimat anhand eines Merkmalkatalogs als "deutsch" bzw. als "besonders deutsch" darzustellen, wie es Journalisten gerne tun. Ihr Ziel ist es, ausgehend vom sozialen und historischen Kontext des suedlichen Afrikas den "alltaeglichen Erfahrungsgehalt" (S. 15) von Ethnizitaet fuer deutsche Namibier nachzuzeichnen (S. 51). Vier Jahre nach der Unabhaengigkeit von Suedafrika und dem Ende der Apartheid - im Jahr 1994 zum Forschungszeitpunkt - ist Ethnizitaet ein aktuelles und politisch brisantes Thema, wie die Studie zeigt. Beruhend auf einer fundierten Diskussion der Arbeiten u.a. von Barth, Bourdieu, Gellner und Anderson, praezisiert sie ihre Sicht auf Ethnizitaet und formuliert ihr Anliegen in der These, dass "die ethnische Identitaet deutscher Namibier eine aktive soziale Praxis entschluesselbarer Konstruktionen und sozialen Handelns ist, in denen und durch die Grenzen Gestalt annehmen" (S. 36). Dieser Ansatz stellt insofern ein Novum dar, als Schmidt-Lauber, ausgehend von der Alltagspraxis, sich auf den Weg macht, den Prozess der Ethnisierung, d.h. des Redens und Agierens hinsichtlich der kulturellen Differenz selbst, aufzuzeigen, und darueber hinaus nach den Begruendungen der permanenten Realisierung im Alltag fragt. Nicht ein -Ismus oder ein Merkmalskatalog, sondern die Alltagspraxis ihrer Informanten stehen im Mittelpunkt der Arbeit, deren Grundlage 152 Interviews sind. Die Mehrzahl der Gespraechspartner gehoeren zu den wohlhabenden Mittel- und Oberschichten, Arbeiter und Arbeitslose sind nicht dabei. Als repraesentativ bezeichnet sie das Sample, da Personen der Berufsfelder, in denen man deutsche Namibier in der Regel findet, vertreten sind. Zur Verfuegung standen ihr zudem Daten, die sie bei einem frueheren Aufenthalt im Jahr 1988 aufnahm (S. 61f.).
Nach Einleitung und Erlaeuterung der theoretischen Ansaetze stellt Brigitta Schmidt-Lauber im dritten Kapitel Lebensformen deutscher Namibier vor. Wie gestaltet sich, aeusserlich sichtbar fuer den Betrachter, der Alltag auf einer Farm und in der Stadt, und wie zeigt er sich in den Erzaehlungen deutscher Namibier? Diese Fragen beantwortet sie anhand von -streckenweise etwas langatmigen und recht pauschal wirkenden -Schilderungen einzelner Lebensbereiche wie Wohnen, Nahrung, Arbeit, Mobilitaet. Dabei untersucht sie vor allem Orte und Formen der Begegnung von Schwarzen und Weissen, die sich nach wie waehrend der Apartheid hauptsaechlich im Arbeitsbereich finden. Interessant ist, dass trotz vielfaeltiger Begegnungsmoeglichkeiten, vor allem in der Stadt, diese in den Erzaehlungen der Weissen kaum erwaehnt werden (S. 141). Suggeriert Apartheid das Leben von Grenzen aufgrund raeumlicher, juristisch festgelegter Trennung, fuehrt Schmidt-Lauber den Leser in diesem Kapitel zum Verstaendnis, dass "Grenze als eine soziale Tatsache, die sich raeumlich formt, zu verstehen ist"(S. 179). Eindrucksvoll belegt sie dies am Beispiel der Alltagspraxis an dem Ort, wo es "zwangslaeufig zu Ueberschneidungen" (S. 162) von Schwarzen und Weissen kommt, der Kueche. Weisse Frauen erzaehlten ihr vom "ersten Ekel" vor schwarzen Hausangestellten, dass schwarze Frauen ihre Kinder zwar erzoegen, ihnen aber trotz aller Zuneigung die Anerkennung der sozialen Mutterschaft verweigerten. Sie sah, dass Schwarze andere Speisen erhalten. Sie hoerte sich die "Hausfrauensorgen" angesichts der "mangelnden Sauberkeit" Schwarzer an. Und sie schreibt: "Die Kueche ist ein solcher alltaeglicher Raum der Begegnung, in dem kulturelle Normen gelebt und Grenzen folgenreich gezogen werden. Die Grenzziehungen treten gerade in den Beduerfnissen und Selbstverstaendlichkeiten des Alltags zutage, gruenden sogar in emotionalisierten Zuschreibungen und sind damit weit wirksamer als viele Gesetzestexte es waren oder sein koennen" (S. 158). Auch die Forschungspraxis traf diese Grenzziehung. Die Autorin fand zu den Hausangestellten keinen Zugang.
War es auch ein Ziel des dritten Kapitels, durch die Schilderungen einem Bild von deutschen Namibiern als einer sozialen homogenen Gruppen entgegenzuwirken, stellt Schmidt-Lauber sie gleich zu Beginn des vierten Kapitels als eine "Sprechergemeinschaft" (S. 182) vor, die ueber das gleiche Repertoire an Rechtfertigungs- und Selbstvergewisserungsstrategien verfuege. Anhand einer Analyse des Diskurses - bemerkenswert sind ihre kurzen und praezisen Erlaeuterungen bei Einfuehrung von Begriffen, wie hier "Diskurs" - arbeitet sie Eigen- und Fremdverstaendnis heraus, die sich einander bedingen. Letzteres liest sich wie aus einem Buch Rousseaus oder einem Klassiker des Evolutionismus. Das Reden ueber die "andere Mentalitaet" (S. 189), die sie bereits "mit der Muttermilch aufgesaugt" haetten (S. 195) oder "ueber die Staemme", die "noch nicht so weit sind" (S. 226) entlarvt die Autorin durch ihre genaue Analyse der widerspruechlichen und flexiblen Anwendung als Mechanismen der Verortung seitens deutscher Namibier. "Das Charakteristische an der ethnischen Grenzziehung zeigt sich nicht in dem Grad der Ablehnung oder Verfremdung von Menschen, nicht in der konkreten Begruendung der Grenze und ihrer Implikation, sondern in der Instrumentalisierung von Menschen als ganz andere" (S. 231). Waehrend ueber Schwarze stets im Plural als Repraesentanten eines Kollektivs gesprochen werde, stellen sich deutsche Namibier unabhaengig von sozialer Position und politischer Ansicht, so die Autorin, als ein Kollektiv von Individualisten vor, die stark und eigenverantwortlich ihr Schicksal gestalten (S. 248). In scharfem Kontrast zur Sicht auf die "unterentwickelten Staemme" stehe dabei die Redefigur des "Pioniers" der ersten Stunde, der aus dem "Nichts" und unter "harten" Bedingungen das Land aufgebaut habe (S. 241). Dies, die Ueberhoehung Namibias als schoener Natur (S. 257) und das unerbittliche Festhalten an gruenderzeitliche Geschichtsmythen arbeitet Schmidt-Lauber als Merkmale des Diskurses des Eigenen heraus, wobei sich noch eine andere Grenze offenbart, die zu den Bundesdeutschen. Ihre Ausfuehrungen ueber die abgewehrten Versuche des deutschen Botschafters, das Geschichtsbild deutscher Namibier zu modernisieren, oder ueber die "Pilgerfahrten nach Deutschland" belegen, dass sich deutsche Namibier ihre idealisierende Sicht auf ihre Geschichte nicht nehmen lassen und sich auch darueber definieren (S. 282-299). Die Autorin ist Bundesdeutsche, und die Frage stellt sich, wie diese Grenzziehung ihre Feldforschungspraxis beeinflusst hat. Auch wenn die Autorin zu Beginn ueber Skepsis und Vertrauen, das sie gewann, schreibt und im weiteren auch Einblicke in Interviewdynamiken gibt, so haetten Ausfuehrungen ueber ihre "deutsch-deutschen Verhandlungen" an dieser Stelle der Grenze abrundend gewirkt.
Im fuenften Kapitel zeigt sie die Versuche von Institutionen, allen voran der Schule, und privater Netzwerke, sich in den Zeiten nach dem Umbruch zu oeffnen bzw. die "Grenze" zu sichern. Ein Reiz der Studie ist es, dass die Autorin an dieser Stelle nicht halt macht, sondern ein Licht auf aktuelle und historische Grenzfaelle wirft und nach ihren Wirkungen auf die Grenzziehung und ihren Potentialen fuer einen sozialen Wandel im heutigen Namibia fragt. Schmidt-Lauber stellt Biografien deutscher Namibier, die sich als Ausnahme empfinden, Schwarzer mit deutschen Vorfahren und von "DDR-Kindern" vor. Unter letzteren versteht sie die Kinder, die die SWAPO einst aus Sicherheitsgruenden in die DDR brachte. Gut 70 Jahre nach Ende der deutschen Koloniemacht und kurz nach der Unabhaengigkeit von Suedafrika wurden diese schwarzen Deutschen 1990 "repatriiert" (S. 402-407). Anhand dieser Daten zeichnet sie zum einen den historischen Prozess der Grenzziehung zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach und kommt zum anderen zu dem Schluss, dass die Grenze heute ueber ein erhebliches Mass an Flexibilitaet verfuegt und die gelebte soziale Praxis und ihre Begruendungen auch angesichts von Grenzfaellen aufrecht erhalten bleibt (S. 427/443). Sie schreibt zum Schluss: "Die Grenze ist ein fortwaehrender sozialer Prozess des flexiblen Ein- und Ausschlusses" (S. 429).
Ein Verdienst der Studie ist, anhand der aktuellen politischen Entwicklungen das Gesagte ueber die "Grenze" einer abschliessenden Betrachtung zu unterziehen. Die Rede von der "verkehrten Hautfarbe", die deutsche Namibier 1994 sowohl sich selbst zuweisen als auch den "DDR-Kindern", zeuge zwar von der Persistenz der Kategorie Rasse im Diskurs (S. 422/430), aber zugleich von Verunsicherung, die Ansaetze fuer eine Aenderung der sozialen Praxis bergen koenne. Als Faktoren hebt sie u.a. die erstmals stattfindende Begegnung von Schwarzen und Weissen in den Schulen sowie die Praesenz schwarzer Jugendlicher hervor, die in Deutschland sozialisiert wurden und selbstbewusst eine Jugendkultur leben. Dies koennte eine Pluralisierung von Lebensstilen versprechen. Doch vorerst stellt Schmidt-Lauber fuer die gegenwaertige Gesellschaft fest, "dass eine Ambivalenz zwischen gesteigertem Gruppenzwang und Optionen auf andere als ethnische Identitaetskategorien existiert" (S. 441). Eine Studie, die keiner Frage eine Antwort schuldig bleibt!
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Citation:
Sabine Kiefer. Review of Schmidt-Lauber, Brigitta, "Die verkehrte Hautfarbe": Ethnizität deutscher Namibier als Alltagspraxis.
H-Net Reviews.
December, 2000.
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