Zsolt K. Lengyel, Ulrich A. Wien, Hrsg. SiebenbÖ¼rgen in der Habsburgermonarchie. Vom Leopoldinum bis zum Ausgleich (1690-1867). KÖ¶ln, Weimar, Wien: BÖ¶hlau Verlag, 1999. viii + 245 S. DM 34 (broschiert), ISBN 978-3-412-05998-9.
Reviewed by Konrad Gündisch (Bundesinstitut für ostdeutsche Kultur und Geschichte in Oldenburg)
Published on HABSBURG (July, 2000)
Vielvölkerregion im Vielvölkerstaat: Zur Gegenwartstauglichkeit historiographischer Erkenntnis
Der Band dokumentiert die Ergebnisse einer gleichnamigen Tagung, die der Arbeitskreis fuer Siebenbuergische Landeskunde in Zusammenarbeit mit dem Institut fuer Ost- und Suedosteuropaforschung der Universitaet Wien und dem Oesterreichischen Ost- und Suedosteuropa-Institut im Herbst 1997 in Wien veranstaltet hat. Sind Tagung und Tagungsband weitere Belege fuer die von Matthias Weber diagnostizierte "neue publizistische Konjunktur", die die Habsburgermonarchie angesichts der intensivierten Bemuehungen um ein vereintes Europa erlebt?[1] Gewiss spielen bei derlei Veranstaltungen und Publikationen auch Aspekte des allgemeinen Interesses und der Wahrnehmung durch die Oefentlichkeit eine Rolle, wie der Umschlagtext andeutet, der Hilfe bei der "Suche nach Loesungsansaetzen fuer die Minderheitenprobleme" ankuendigt. Entscheidend duerfte aber die Tatsache gewesen sein, dass Siebenbuergen ueber zwei Jahrhunderte lang (von 1690 bis 1918) Teil des Habsburgerreiches gewesen ist, ueberdies bereits seit dem Mittelalter in engen, zeitweise auch konfliktgeladenen Beziehungen zu den Habsburgern gestanden hat.
Folgerichtig stehen im Mittelpunkt des vorliegenden Bandes die vielfaeltigen Verbindungen zwischen Siebenbuergen und der oesterreichischen Hauptstadt, insbesondere in der Zeit der unmittelbaren Beziehungen der Region zum Wiener Hof, das heisst von ihrer Eingliederung in das Habsburgerreich bis zu ihrer Union mit dem ungarischen, von Budapest aus regierten Teil der Doppelmonarchie (1867). Diese Verbindungen wurden in drei Abteilungen behandelt, in die der Sammelband gegliedert ist: Geschichte, Kirchengeschichte, Naturwissenschaften. Deutlich wird, dass es weder beabsichtigt war noch Absicht sein konnte, der Vielfalt der politischen, rechtlichen, ethnischen, religioesen, kulturellen und kuenstlerischen Entwicklungen Siebenbuergens im 17.-19. Jahrhundert gerecht zu werden. Hingegen gelingt es den Autoren, diese Komplexitaet in ihren Untersuchungen zu beruecksichtigen und an die Leser weiter zu vermitteln.
Einfuehrend schildert Paul W. Roth (Graz) die Vorgeschichte und Bestimmungen des Leopoldinischen Diploms, das er als "Grundgesetz fuer die dauernde Eingliederung des Fuerstentums Siebenbuergen in die Habsburgermonarchie" bezeichnet.(S. 1) Er fasst dabei die umfangreiche Fachliteratur ueber diesen Rechtsakt auf wenigen Seiten zusammen.
Einen umfassenden und praezisen Ueberblick ueber die ethnisch-konfessionelle Vielfalt in diesem Raum bietet Robert J. W. Evans (Oxford) mit dem Beitrag ueber "Religion und Nation in Ungarn 1790-1849."(S. 13-45) Sein Fazit: Trotz einer Saekularisierung der Eliten in der Zeit des Vormaerz haben waehrend der Revolution von 1848/1849 ueberlieferte Religionssymbole und -vorurteile den Grad der Gewalttaetigkeiten verschaerft und ihre Erscheinungsformen mitbestimmt. Folgerichtig stellt er abschliessend die Frage in den Raum, "ob der ungarische Buergerkrieg 1848/1849 unter diesem Aspekt [...] als erster Balkankrieg zu verstehen ist."(S. 45)
Den Siebenbuerger Sachsen bescheinigt Evans Habsburgtreue, doch auch die Tendenz, "ihre Zugehoerigkeit zum moderneren Deutschtum jenseits des Kaiserstaates hervorzuheben."(S.25) Differenzierter betrachtet Harald Heppner (Graz) diesen Aspekt in seinem Aufsatz ueber die "politische Kultur" im Verhaeltnis Habsburgs und der Siebenbuerger Sachsen zwischen 1688 und 1867.(S. 47-59) Fuer ihn ist es ein Desiderat kuenftiger Forschungen, das "'deutsche' Bewusstsein" dieser Gruppe zu hinterfragen und festzustellen, inwieweit die saechsischen Vorstellungen von "deutsch" mit jenen der Habsburger uebereingestimmt haben.(S. 57) Ueberhaupt sei "die Rolle Habsburgs fuer die Siebenbuerger Sachsen (und umgekehrt) historiographisch noch immer nicht befriedigend behandelt worden beziehungsweise strittig geblieben."(S. 48)
"Das Revolutionsjahr 1848/1849 in Siebenbuergen. Mythen und Modelle" (S. 61-72) ist der Titel des Beitrags von Ambrus Miskolczy (Budapest). Die Bewertung dieses januskoepfigen Ereignisses zwischen haesslichem Buergerkrieg und idealistischer Begeisterung sei heute noch nicht frei von nationalbetonten Interpretationsmodellen und politischer Instrumentalisierung. Deshalb plaediert der Autor fuer den Kompromiss als "strukturellen Faktor im Zusammenleben der siebenbuergischen Voelker."(S. 71)
Camil Muresanu (Cluj/Klausenburg/Kolozsvar) zeichnet in diesem Sinn ein differenzierendes Bild der "Nationalitaetenfrage im Siebenbuergen des Neoabsolutismus" (S. 73-86) und greift, freilich nicht mehr ausdruecklich,das Marx'sche Diktum von den "Testamentsvollstreckern der Revolution" wieder auf: Der Neoabsolutismus habe versucht, "die Fehler zu korrigieren, die zur Revolution gefuehrt hatten." (S. 72) Im interethnischen Gefuege Siebenbuergens ergab sich daraus eine Konkurrenz zwischen den waehrend der Revolution habsburgtreuen Rumaenen und Sachsen um eine Vorrangrolle, die vor 1848 die Magyaren eingenommen hatten. Den Vorstellungen von einer autonomen "Markgrafschaft" der Sachsen wird der Vorschlag entgegengesetzt, der Kaiser moege sich auch den Titel eines "Grossherzogs der Rumaenen" zulegen.
Weniger positiv urteilt Zsolt K. Lengyel in seinen vom ungarischen Standpunkt ausgehenden "Betrachtungen zu den staatsorganisatorischen Prinzipien" in neoabsolutistischer Zeit (S. 87-118): Als Reaktion auf den "antihabsburgischen Freiheitskampf" (S. 87) habe man eine "zentralistische Autokratie" (S. 91) errichtet nach dem "staatsorganisatorischen Prinzip eines grossoesterreichischen, deutsch bestimmten Einheitsstaates."(S. 92) Der "uebernationale" Staat habe nicht zur Loesung der Nationalitaetenfrage beigetragen, vielmehr bei den Nationalitaeten "den Eindruck unentwegter Behinderung eigener Emanzipationsansprueche" hinterlassen.(S. 116f.)
Nation und Religion sind in Siebenbuergen eng verknuepft, insoweit war die thematische Gliederung in "Geschichte", wo vorwiegend die nationalen Fragen der Zeit behandelt worden sind, und "Kirchengeschichte" eher aus organisatorischen denn aus sachlichen Gruenden geboten. Das kirchenhistorische Kapitel folgt erneut dem chronologischen Prinzip, obwohl sich hier eher eine Gruppierung der Beitraege nach Sachkriterien (Prosopographie von weltlicher und geistlicher Kirchenfuehrung; Gegenreformation; einzelne Glaubensgemeinschaften) angeboten haette.
Gabor Sipos stellt die Herausbildung der Obersten Kirchenleitung, des Supremum Consistorium der Reformierten Kirche in Siebenbuergen (1690-1713) vor (S. 119-133), das die Funktionen des ehemals reformierten Fuersten uebernahm und weiterfuehrte. Die institutionalisierte Zusammenarbeit hochrangiger, meist der Aristokratie entstammender Laien mit den fuehrenden Pfarrern der Kirche ermoeglichte den konsequenten Widerstand gegen die habsburgischen Rekatholisierungsversuche.
Kritisch untersucht Ernst Chr. Suttner die gegenreformatorische Politik der Habsburger in seinem Beitrag ueber die Kirchenunion in Siebenbuergen 1697-1761, dem er einen zusammenfassenden Untertitel beigibt: "Das Bemuehen um Sakramentengemeinschaft zwischen Schwesterkirchen degeneriert zur Konversion orthodoxer Christen zum Katholizismus."(S. 135-150) Fuer diesen Wandel in der Zeit zwischen dem Beginn der Unionsverhandlungen (1691) und dem von Maria Theresia geduldeten Amtsantritt eines rumaenisch-orthodoxen Bischofs in Siebenbuergen fuehrt der Autor ekklesiologische, sozialpolitische und mentalitaetsgeschichtliche Gruende an.
Der fundierte Beitrag "Status catholicus und Kirchenpolitik in Siebenbuergen. Entwicklungsphasen des roemisch-katholischen Klerus zwischen Reformation und Josephinismus" (S. 151-180) von Joachim Bahlcke (Leipzig) fragt nach dem Zusammenwirken von Geistlichkeit und Politik und damit auch nach dem Spannungsverhaeltnis von kirchlicher Autonomie und staatlichem Machtanspruch im 18. Jahrhundert. Der Autor weist auf den unbefriedigenden Kenntnisstand ueber die katholische Kirchengeschichte der Fruehneuzeit hin und erklaert ihn mit der konfessionellen Partikulargeschichtsschreibung der anderen, zahlenmaessig staerkeren ethnisch-religioesen Gruppen. Nach einem Rueckblick auf die Entwicklung der katholischen Kirchenorganisation und deren Minderheitensituation seit der Reformationszeit werden die Neufundation des Weissenburger Bistums, die Kirchenunion der bislang orthodoxen Rumaenen, die kirchliche Konsolidierung in der ersten Haelfte des 18. Jahrhunderts und der Konflikt zwischen Kirche und Staat analysiert, der unter Joseph II. ganz scharfe Zuege angenommen hat.
Wiederum den Beziehungen von weltlichen zu geistlichen Mitgliedern einer Kirchenorganisation ist der Beitrag von Karl Schwarz (Wien) ueber den siebenbuergisch-saechsischen Kirchenrechtspraktiker Joseph Andreas Zimmermann (S. 181-207) gewidmet, der in Wien als Staatsbeamter Karriere gemacht und als Vorsitzender des Evangelischen Oberkirchenrates gewirkt hat.
Im dritten Kapitel "Naturwissenschaften" beschaeftigt sich Marianne Klemun (Wien) mit der Rolle der naturwissenschaftlichen Vereine und Gesellschaften als Informationstraeger zwischen Wien und Hermannstadt.(S. 209-220) Die intensive wissenschaftliche Kommunikation verlief in beide Richtungen, war fuer die Entwicklung der einschlaegigen Forschungen in Siebenbuergen ebenso wichtig wie fuer die Rezeption der Forschungsergebnisse durch die scientific community. Heinz Heltmann (Bonn) wuerdigt schliesslich den "Beitrag oesterreichischer Botaniker zur botanischen Erforschung Siebenbuergens im 19. Jahrhundert."(S. 221-237)
Der sorgfaeltig redigierte und mit einem Personen- und Ortsnamenregister versehene Band fasst zum Teil bisherige Forschungsergebnisse zusammen, bietet einige neue Ansaetze und Thesen, verzichtet erfreulicherweise auf die fuer die Historiographie der Region charakteristischen nationalen bis nationalistischen Geschichtsdeutungen, sollte und konnte aber das Thema nicht erschoepfend behandeln. Etwas vollmundig, ja der Politik sich anbiedernd erscheint die Ankuendigung auf dem Umschlagtitel, die Beitraege dieses Bandes koennten "ueber ihre geschichtswissenschaftliche Relevanz hinaus dazu beitragen, gegenwartstaugliche politische Loesungen fuer ein friedliches Zusammenleben der Voelker Ostmittel- und Suedosteuropas zu finden". Da klafft zwischen Anspruch und Wirklichkeit doch eine gewisse Kluft.
Note
[1]. Matthias Weber, "Ein Modell fuer Europa? Die Nationalitaetenpolitik in der Habsburgermonarchie - Oesterreich und Ungarn 1867-1914 im Vergleich", Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 47 (1996), S. 651-672, hier S. 651.
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Citation:
Konrad Gündisch. Review of Lengyel, Zsolt K.; Wien, Ulrich A.; Hrsg., SiebenbÖ¼rgen in der Habsburgermonarchie. Vom Leopoldinum bis zum Ausgleich (1690-1867).
HABSBURG, H-Net Reviews.
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