
Dareg A. Zabarah. Nation- and Statehood in Moldova: Ideological and political dynamics since the 1980s. Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2011. 212 S. ISBN 978-3-447-06472-9.
Reviewed by Andrei Avram
Published on H-Soz-u-Kult (August, 2013)
D. Zabarah: Nation- and Statehood in Moldova
Die 2011 veröffentlichte, auf der Dissertation des Verfassers beruhende Monographie Dareg Zabarahs ist eine inhaltlich wie methodisch willkommene Bereicherung der zwar mittlerweile vielfältigen, jedoch im regionalen Vergleich weiterhin dürftigen Literatur zur Staats- und Nationsbildung in der Republik Moldau. Ein besonderer Verdienst des Autors liegt darin, zum einen die komplexen, auf nationaler bzw. auf regionaler Ebene stattfindenden Prozesse des Staats- und Nationsaufbaus in Chişinău, Comrat und Tiraspol komparativ herauszuarbeiten, zum anderen im ehrgeizigen Versuch, eine analytische Brücke zwischen der Nationalismusforschung und dem (diskursiven) Institutionalismus zu schlagen.
Die Erkenntnis, dass im postsowjetischen Raum Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre Prozesse der nationalen Mobilisierung der Titularnationen und der Minderheiten in den ehemaligen Unionsrepubliken zumindest in gewissem Maße parallel stattgefunden haben, hat sich in der Literatur weitgehend durchgesetzt. Partiell davon abweichend wird auch für die ethnischen Minderheiten der Republik Moldau – als Antwort auf die nationale Bewegung der Mehrheitsbevölkerung – ein reaktiver Nationalismus konstatiert. Zabarah geht auf diesen Spagat in der Literatur zwar nicht direkt ein, vergleicht aber die entsprechenden Diskurse auf nationaler (moldauischer) bzw. regionaler (gagausischer und transnistrischer) Ebene, um zu erklären, warum bestimmte Sichtweisen über Nation und Staatlichkeit von den politischen wie akademischen Eliten bewusst aufgenommen und der jeweiligen Bevölkerung angeboten wurden. Diesbezüglich geht Zabarah jedoch von der diffusen Hypothese aus, sämtlichen Diskursen zur Staats- und Nationsbildung läge eine „sowjetische Weltanschauung” (S. 4) zugrunde. Aber freilich birgt der Versuch, ein einheitliches Analyseraster für die moldauischen, gagausischen und transnistrischen Prozesse des Nationsaufbaus zu entwickeln, die Gefahr einer Ausblendung der nicht unwesentlichen Unterschiede der Ideen- und Akteurkonstellationen, die die Entstehung dieser Prozesse begünstigten. Denn ausgerechnet der vom Autor gewählte Fokus auf die Eliten würde eine deutlichere als in der Studie geleistete Unterscheidung zwischen den politischen und gesellschaftlichen Akteuren erfordern, die in Chişinău 1989 die Einführung einer neuen Sprachgesetzgebung bewirken konnten, sowie den regionalen Schlüsselfiguren etwa in Comrat, die weder über die personellen, noch über die intellektuellen Ressourcen verfügt haben dürften, um den auf republikanischer Ebene entworfenen Projekt des Nationsaufbaus qualitativ ebenbürtig komplexe Vorhaben entgegenzustellen. Es dürfte jedoch anzunehmen sein, dass die Eliten in der (ehemaligen) Moldauischen Sozialistischen Sowjetrepublik auf allen Ebenen durch ihre Sozialisierung im sowjetischen Verwaltungsapparat bestimmte institutionelle Handlungs- und ideelle Denkmuster verinnerlicht haben, so dass der analytische Ausgangspunkt durchaus sinnvoll ist.
In diesem Sinne stellt das von Zabarah entwickelte Drei-Ebenen-Modell zur Erklärung des kausalen Zusammenhangs zwischen der Internalisierung des sowjetischen Weltbildes und der Entwicklung von programmatischen Ideen zum Staats- und Nationsaufbau, die sich wiederum auf der Policy-Ebene konkret widerspiegeln, eine empirisch begründbare und methodisch innovative Herangehensweise. Sie ermöglicht die vergleichende Analyse der Gründe für die Präferenz der Eliten für bestimmte Diskurse zum Nationsaufbau. Zu Recht liegt der Fokus auf den politischen und akademischen Eliten als wichtigste Akteure in diesen Prozessen, denn aufgrund der planwirtschaftlichen Struktur existierte keine selbständige wirtschaftliche Elite in der UdSSR. Andererseits errangen im Umbruch vor allem in Transnistrien Inhaber von Schlüsselämtern in der Industrie, gestützt auf streng hierarchisch aufgebaute Arbeiterkollektive, ein politisch nicht zu vernachlässigendes Gewicht (S. 156). Selbiges dürfte zumindest teilweise auch für die Mobilisierung in Gagausien gelten, wenn auch – aufgrund der wirtschaftlich schwachen Struktur der Region, wie der Autor zurecht bemerkt – ohne dieselbe Wirkungskraft. Es ist positiv hervorzuheben, dass der Autor aufgrund intensiver Auseinandersetzung mit der Elitenstruktur auf die unterschiedlichen Grade der Offenheit der Diskurse gegenüber gesellschaftlichen Inputs eingeht – pluralistisch in der Republik Moldau (und in Gagausien), autoritär in Transnistrien (S. 156). Diese Erkenntnis liefert eine Erklärung, warum auf zentraler Ebene die Identität kontrovers diskutiert wird, während in Tiraspol scheinbarer Konsens in der Identitätspolitik herrscht. Zwar hat hier auch ein Wandel stattgefunden, von einer transnistrischen hin zu einer faktisch panrussischen Identität, dieser wurde jedoch von oben nach unten durchgesetzt. Gleichwohl arbeitet der Verfasser überzeugend heraus, wie geopolitische und pragmatische Überlegungen verknüpft mit sowjetisch geprägten Denkmustern die identitätspolitischen Präferenzen der politischen Eliten in Chişinău und Tiraspol beeinflussen konnten. So gelingt ihm die Erklärung, dass die zunächst panrumänische Haltung eines wesentlichen Teils der Entscheidungsträger in Chişinău nicht vereinbar war mit der Option für einen unabhängigen moldauischen Staat. Auf der politischen Ebene wurde der Panrumänismus zugunsten einer sogenannten moldowanistischen Identität aufgegeben, die zwar für die Titularnation eine federführende Rolle im Staat vorsieht, jedoch eine Abgrenzung von der rumänischen Identität (einschließlich im sprachlichen oder im erinnerungspolitischen Bereich) mit sich bringt (S. 91). In Tiraspol bewirkte hingegen erst die Einführung strengerer Zollbestimmungen an der Grenze zur Ukraine die Hinwendung der Eliten zum Pan-Slawismus bzw. Pan-Russismus (S. 165f.). Weniger überzeugend ist allerdings der Versuch des Autors, zwischen einer nationalen und multinationalen moldowanistischen identitätspolitischen Ausrichtung zu differenzieren, wobei die vermeintlichen Unterschiede zum einen darin lägen, dass erstere einen unabhängigen moldauischen Staat und eine Dominanz der Mehrheitsbevölkerung beinhalte, während letztere den Eintritt in die russische Einflusssphäre sowie eine Gleichheit aller Nationalitäten im Lande vorsähe (S. 66).
Problematisch ist weiterhin die These, wonach die Partei der Kommunisten der Republik Moldau (PCRM) eine moldowanistisch-nationale Linie verfolge (S. 106f.), obwohl deren Wahlsieg 2001 unter anderem darauf zurück zu führen war, dass der Beitritt zur Union zwischen Russland und Belarus sowie die Einführung des Russischen als zweite Amtssprache zentrale Themen im Wahlkampf der PCRM gewesen waren. Auch sieht die moldowanistisch-nationalistische Linie nicht unbedingt die moldauische Nation als Gemeinschaft innerhalb der jetzigen Staatsgrenzen vor, dies belegt beispielsweise die Aussage Vasile Statis, einem bedeutenden moldowanistischen Ideologen, der von einer moldauischen Bevölkerung im Osten des benachbarten Rumänien ausgeht. Vasile Stati, Istoria Moldovei în date, Chişinău 2008. Die Grenze zwischen den zwei moldowanistischen Sichtweisen zum Staats- und Nationsaufbau, die vom Autor identifiziert wird, ist reichlich verschwommen.
Etwas enttäuschend ist die identitätspolitische Betrachtung der Diskurse zum Staats- und Nationsaufbau in Gagausien. Zum einen endet die entsprechende Analyse im Jahr 1994, wodurch zum Teil fragwürdige Schlüsse bezüglich der Unterschiede im Prozess des nation-building in Transnistrien und Gagausien gezogen werden. Die Aussage, in Gagausien sei kommunistische Symbolik im öffentlichen Diskurs nicht vorhanden gewesen (S. 187f.) steht im Widerspruch zu anderen Forschungen, die eine Persistenz der sowjetischen Erinnerungskultur in der Region konstatieren. Andrei Avram, Territorial Autonomy of the Gagauz in the Republic of Moldova: a Case Study, in: István Horváth / Márton Honk (Hrsg.), Minority politics within the Europe of regions, Cluj-Napoca 2011, S. 211–236, hier S. 224f. Durch die zeitliche Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes entgeht Zabarah auch der Konflikt innerhalb der intellektuellen Eliten in Comrat über die Orientierung an den russischen bzw. den türkischen Raum und der damit einhergehenden Präferenz für eine Leitkultur. Doch dies schließt eine Vergleichbarkeit der Diskurse zum Staats- und Nationsaufbau in Gagausien mit denjenigen in Chişinău und Tiraspol nicht zwangsläufig aus, denn der Verfasser arbeitet akribisch heraus, warum im Süden der Republik Moldau ausgerechnet eine „nationale” autonome Region – mit Titularnation – entstehen konnte und erklärt dies ebenfalls mit Verweis auf die sowjetische Weltsicht, in der jede ethnische Gruppe das Recht auf eine „eigene” Gebietskörperschaft hatte (S. 135).
Der empirische Mehrwert der Studie von Dareg Zabarah ist erheblich. Vor allem in Bezug auf Gagausien und Transnistrien ist eine in der bisherigen (westlichen) Literatur zur Republik Moldau kaum vergleichbare Fülle an Material gesichtet und ausgewertet worden. Eine Bewertung des analytischen Mehrwerts des Buches ist hingegen weniger eindeutig, wobei dies vor allem daran liegt, dass Prognosen über die künftigen identitätspolitischen Ausrichtungen in Chişinău, Comrat und Tiraspol sehr schwierig sind. Zabarah bemerkt zurecht, dass nach 2009 auf zentraler Ebene kulturelle rumänische Einflüsse erneut zur Geltung kommen konnten, wie auch, dass aufgrund der EU-Mitgliedschaft von Rumänien eine Wiedervereinigung nicht mehr auf der außenpolitischen Agenda in Bukarest steht (S. 192). Und die faktisch nicht vorhandene Bereitschaft der Eliten in Chişinău wie in Tiraspol zur Akzeptanz eines universalistischen Bürgerbildes anstatt einer auf ethnischen Kategorien beruhenden Sichtweise der Staatsbürgerschaft (S. 193f.) dürfte ebenfalls zutreffen. Aber letzten Endes wird eine Annäherung zwischen dem rechten und dem linken Ufer des Dnjestr weniger von identitätspolitischen Fragen abhängig sein, sondern von geopolitischen und sozioökonomischen Faktoren. Daher dürfte selbst die von Zabarah vorgeschlagene Übernahme des Konzeptes der universal personhood (S. 193) nicht Ausschlag gebend sein für die Überwindung eines der letzten gefrorenen Konflikte im postsowjetischen Raum.
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Citation:
Andrei Avram. Review of Zabarah, Dareg A., Nation- and Statehood in Moldova: Ideological and political dynamics since the 1980s.
H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews.
August, 2013.
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