Evangelisches Klosterleben in Niedersachsen. Bad Bevensen: Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte, Hannover; Klosterkammer Hannover, 18.03.2009-20.03.2009.
Reviewed by Hans-Christian Roestel
Published on H-Soz-u-Kult (June, 2009)
Evangelisches Klosterleben in Niedersachsen
Pflanzen, Kräuter und andere Dinge der Naturheilkunde, wie sie Hildegard von Bingen (1098-1179) noch in hochmittelalterlicher Zeit erforschte, suchte man vergebens auf dem Drei-Tage-Programm zum „Evangelischen Klosterleben in Niedersachsen“. Vielmehr trat das im Titel der Veranstaltung angesprochene Leben im Konvent in den Aspekten Bildung und Unterricht, Kultur, Ehrung Gottes und die Glaubenspraxis zutage, „den vier üblichen Aufgaben“ von Klöstern, wie es HANS OTTE (Hannover), Vorsitzender der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte zuspitzte. Die Hannoveraner Forschungsgesellschaft hatte zu drei Tagen wissenschaftlicher Diskussion unter Theologen und Historikern in das Zisterzienserinnenkloster Medingen nahe Bad Bevensen in Niedersachsen eingeladen.
Neben überwiegend deskriptiv und strukturalistisch angelegten Vorträgen – mitunter zu Fallbeispielen aus dem Südwesten Deutschlands – waren die Beiträge von HANS-WALTER STORK (Hamburg) sowie GÖTZ J. PFEIFFER (Frankfurt am Main) von aktueller Brisanz und regionaler Bedeutung: ging es hier doch um neue Erkenntnisse bei der Identifizierung Medinger Buchbestände sowie eine aktuelle Bestandsaufnahme der klösterlichen Kunstgegenstände.
Einblicke in die Entstehung und Sicherung von Klostervermögen bis in die heutige Zeit der Klosterkammer Hannovers sowie in die Bedeutung nutznießender Freundschaften oder Netzwerke adeliger Damen zur Erlangung der Mitgliedschaft in einem Damenstift gaben MARKUS VOLLRATH (Hannover), MANFRED VON BOETTICHER (Hannover), ANDREAS HESSE (Hannover) und HEIKE DÜSELDER (Oldenburg) in ihren Beiträgen. Hans-Walter Stork, Handschriftenbibliothekar an der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek, zeigte an Handschriften aus dem Medinger Skriptorium, wie Historiker an Schriftbild und signifikanten Aspekten der Buchmalerei diese Werke zuordnen können: Für Medinger Handschriften sind hier die beständige und wiederkehrende (!) Vielfarbigkeit der Ausführung in den Farben Schwarz, Blau oder Rot. Hinzu kommt die Opulenz der häufig in Blattgold angefertigten Miniaturen oder Kapitälchen zu nennen. Des Weiteren gilt für das Schriftbild eine sehr regelmäßige und feine Textur. Heute sind bis zu 41 Codices aus Medingen nachgewiesen, die beispielsweise an Orten wie Hamburg, Hildesheim, Hannover oder Trier bewahrt werden. Hiermit steht Medingen im Kreis der Lüneburger Heideklöster nach Ebstorf mit 51 nachgewiesenen Codices an zweiter Stelle, gefolgt von Wienhausen (21) und Lüne (20).
Stork verweist hier auf einschlägige Arbeiten von Johann Lyssmann (Klosterchronik, Halle 1772), Walther Lipphardt (1969ff.) oder Gerard Achten (1987) sowie Erkenntnisse im Zusammenhang der Ausstellung „Von Frauenhand. Mittelalterliche Codices aus dem Nonnenkloster Medingen“. „Dass bislang die Fragmentensammlungen derjenigen Bibliotheken nicht systematisch durchsucht wurden, die Medinger Handschriften besitzen und somit zu Neufunden führen kann, zeigt das Auffinden eines Einzelblattes in den Hamburger Fragmentenbeständen“. Hier rekurriert Stork auf ein Fragment in niederdeutschem Idiom mit einem Text zur Weihnachtszeit. Hans-Walter Stork wird die betreffende Einzelseite in der nächsten Zeit erfassen und edieren.
Zudem revidiert der Bibliothekar den in der Forschungsliteratur bislang angenommenen Entstehungszeitraum der Medinger Handschriften von 200 Jahren (n. Lipphardt: 1290-1525) auf 50 Jahre, nämlich lediglich zwischen 1475 und 1525. Festzuhalten ist, dass im Kloster selbst keine Handschriften mehr bewahrt werden, sondern dass der Bestand nicht zuletzt durch den Brand 1781 in alle Welt verteilt worden ist. „In Hamburg habe man daher nach aktuellstem Stand nunmehr acht Handschriften und ein Fragment“, so Stork in einem zusätzlichen Gespräch nach der Tagung.
Was den Hinweis auf bewahrte Medinger Inkunabeln angeht, so bezieht sich Hans-Walter Stork hier auf eine bereits publizierte, aber seiner Ansicht nach „noch zu verifizierende Quelle“ Sigrid Krämers. Sigrid Krämer, Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters, München 1989: Bd.2, S.565. Krämer verzeichne eine mit einer Handschrift zusammengebundene Inkunabel, der „Expositio brevis et utilis super toto Psalterio“ von Johannes de Turrecremata im seltenen Druck von Peter Schöffer (Mainz 1474). Diese ist in einem Münchner Auktionskatalog von 1926 verzeichnet, aber gemäß den Recherchen Storks sind die gegenwärtig im „Gesamtkatalog der Wiegendrucke“ der Staatsbibliothek zu Berlin verzeichneten Exemplare mit dem betreffenden nicht identisch. Unter der Mainzer Druckermarke findet sich ein handschriftlicher Eintrag, der das Exemplar als Schenkung an das Medinger Kloster bezeichnet. Weitere Recherchen Stockholmer Nationalbibliothek zwei Inkunabeln als einem Kloster „Medingen“ zugehörig. „Nun gilt es zu klären, welcher Provenienz diese Werke tatsächlich sind“, ergänzte Hans-Walter Stork. Denn es könnte im zeithistorischen Zusammenhang genauso ein Kloster Medingen nahe Augsburg gemeint sein.
Auch GÖTZ J. PFEIFFER, Kunstreferent der Evangelischen Kirche in Kurhessen-Waldeck, stellte anhand einer Reihe bedeutender, heute noch zu besichtigender Kunstwerke die Klostergeschichte Medingens vor. Daher war am nächsten Tag die Führung durch das Haupthaus mit Zellen und Refugium sowie der Klosterkirche einer der Höhepunkte.
Nach dem abendlichen Vortrag KATHARINA TALKNERS aus Hannover zum „Aktiven Liederrepertoire in Lüneburger Frauenklöstern“ fand in der Kirche eine Konzertaufführung der „Schola und Ensemble devotio moderna“ unter der Leitung von ULRIKE VOLKHARDT statt. Auf historisch adäquat nachgebauten Instrumenten wie Glocken und einem Schellenbaum kamen Stücke aus dem Fundus des Medinger Klosters zur Aufführung. Dank des Ensembles und der Ergebnisse dieses Forschungsprojekts unter der Leitung von Ulrike Hascher-Burger (Universität Utrecht) und Ulrike Volkhardt werden historische Werke aus den norddeutschen Heideklöstern Ebstorf, Isenhagen, Lüne, Medingen, Walsrode und Wienhausen wieder hörbar. In dieser willkommenen Weise wird der kulturelle Raum des Klosters mit seinen überraschenden Facetten in abwechslungsreicher Weise erhalten. Die sechs angesprochenen Lüneburger Klöster waren zwischen dem 10. und 14. Jahrhundert als Benediktiner- und Zisterzienserinnenkonvente gegründet worden. Der Reformation widersetzten sich die Konventualinnen zwar zunächst, konnten die Umwandlung in evangelische Damenstifte letztlich jedoch nicht verhindern. Seit dem 16. Jahrhundert unterstand der Unterhalt der Klöster den adeligen Landesherren, seit 1963 obliegt diese Aufgabe der Klosterkammer Hannover. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts zur Musik in Handschriften der Lüneburger Frauenklöster, in dessen Rahmen etwa 128 bislang größtenteils unbekannte Quellen mit bis zu 3000 Gesängen gesichtet wurden, sind in einem Katalog sowie sechs CDs veröffentlicht.
Konferenzübersicht:
Äußere Ordnung, politische und wirtschaftliche Bedeutung
Markus Vollrath (Hannover):
Landesherrschaft und Kloster im Zeitalter der Konfessionalisierung im Reich unter besonderer Berücksichtigung der welfischen Territorien
Manfred von Boetticher (Hannover):
Von der landesherrlichen Verwaltung der Klöster in den welfischen Territorien unter Herzog Julius zum Braunschweigischen Kloster- und Studienfonds
Andreas Hesse (Hannover):
Die Bedeutung des Allgemeinen Hannoverschen Klosterfonds und die Entwicklung der Vermögensmasse im 20. Jahrhundert
Heike Düselder (Oldenburg):
Die Bedeutung der Damenstifte für den landsässigen Adel
Götz J. Pfeiffer (Frankfurt/M.):
Kunstwerke in Medingen als Zeugnisse der Klostergeschichte
Reformation und Nachreformation
Immo Eberl (Ellwangen/Tübingen):
Evangelische Klosterschulen des Herzogtums Württemberg 16.-18. Jahrhundert
Walter Jarecki (Verden):
Die Domprediger Huberinus (1569) und Rimphoff (1640) als Kanoniker des Verdener Andreasstifts und ihre Kritik am Stiftsleben
Christof Römer (Braunschweig):
Der retardierte Übergang zu einem evangelischen Klosterleben: Bursfelde und die Calenberger Benediktinerklöster 1517-1634
Inge Mager (Hamburg):
Fürstäbtissin Henriette Christine von Gandersheim und ihr Beitrag zur Konversion ihrer Nichte Elisabeth Christine zum Katholizismus im Jahre 1707
Einzelbeispiele; Soziales und kulturelles Wirken
Birgit Hoffmann (Wolfenbüttel):
Das Kloster ‚Zur Ehre Gottes’ in Wolfenbüttel
Ida-Christine Riggert-Mindermann (Stade):
Neuenwalde: das adelige Damenstift der Bremischen Ritterschaft
Renate Oldermann (Bremen):
Geistliches und soziales Leben in den niedersächsischen Frauenklöstern und Stiften (Walsrode, Bassum, Börstel)
Henrike Anders (Walsrode):
Sophie Anne Dorothee von Hinüber (1730-1803) bzw. die Äbtissinnnen des Klosters Walsrode im 18. Jahrhundert
Heike Talkner. (Hannover):
Lied und Gesang in den Calenberger Frauenklöstern
Erzieherisches Wirken, Traditionswahrung
Thomas Klingebiel (Göttingen):
Das Hamelner Bonifationsstift vom 16.-19. Jahrhundert
Sabine Graf (Hannover):
Das erzieherische Wirken der fünf Calenberger Frauenklöster
Klaus Kieckbusch (Holzminden):
Die Lateinschule im Kloster Amelungsborn von 1569-1748
Hans-Walter Stork (Hamburg):
Die mittelalterlichen Handschriften des ehemaligen Zisterzienserinnenklosters Medingen in nachreformatorischer Zeit
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Citation:
Hans-Christian Roestel. Review of , Evangelisches Klosterleben in Niedersachsen.
H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews.
June, 2009.
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