Kolonialkriege. Beiträge zu einer vergleichenden Kulturgeschichte militärischer Gewalt im Zeichen des Imperialismus. Erfurt: Thoralf Klein und Frank Schumacher, 10.01.2003-11.01.2003.
Reviewed by Steffen Raßloff
Published on H-Soz-u-Kult (March, 2003)
Kolonialkriege. Beiträge zu einer vergleichenden Kulturgeschichte militärischer Gewalt im Zeichen des Imperialismus
Am 10. und 11. Januar 2003 fand in der Erfurter Begegnungsstätte Kleine Synagoge eine von Thoralf Klein und Frank Schumacher (beide Universität Erfurt) organisierte Tagung statt, auf deren Tagungsband man schon jetzt gespannt sein darf. Die zehn Beiträge nebst einer inspirierenden Einleitung „Warum Kolonialkrieg?“ von Dierk Walter (Hamburg) entwarfen ein in dieser Form bisher einmaliges Panorama gewaltsamer kolonialer Auseinandersetzungen in Asien und Afrika vom späten 19. Jahrhundert bis zur Dekolonialisierung der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. Hierbei kam es zu eingehender Diskussion der als roter Faden dienenden Fragen nach einer Definition von „Kolonialkrieg“ im imperialistischen Zeitalter, nach dem Charakter von Kolonialkriegen, den Frontstellungen, Kräfteverhältnissen, Truppeneinsatz usw. Ganz im Sinne des Konzeptes der Universität Erfurt stand neben „klassischen“ militär- und politikgeschichtlichen Fragen auch die kulturgeschichtliche Dimension mit im Mittelpunkt: Aspekte wie Kriegserlebnis und -verarbeitung, Dehumanisierung des Gegners und Rassismus, Formen von Kulturtransfer durch militärische Konflikte, zeitgenössische Wahrnehmung und „Semantik“ der Kriege im In- und Ausland sowie deren Verortung im kollektiven Gedächtnis, Langzeitfolgen für die politische Kultur in den ehemaligen Kolonien oder das heutige, nicht selten durch historische Filme wesentlich mitgeprägte Bild des Kolonialkrieges.
Den Auftakt bildete das Panel „Kolonialkriege an der Schwelle zum 20. Jahrhundert in Asien“ mit dem Beitrag von Frank Schumacher (Erfurt) „´Niederbrennen, Plündern und Morden sollt Ihr ...´. Der Kolonialkrieg der USA auf den Philippinen, 1899-1902“. Dieser auch in den USA selbst nicht zuletzt wegen des Vietnamkrieges weithin in Vergessenheit geratene Kolonialkrieg markierte den Aufstieg der Vereinigten Staaten zur Weltmacht. Breiten Raum widmete der Referent neben den Grundzügen des anfangs auch von den Philippinos „europäisch“ geführten Krieges den „Lernprozessen“ der Amerikaner, der eskalierenden Gewalt und den Erfahrungen der Kriegsteilnehmer. Thoralf Klein (Erfurt) sprach hierauf zum Thema „´Straffeldzug´ im Namen der Zivilisation. Der Boxerkrieg in China, 1900-1901“. Der Aufstand einer nach anfänglichem Widerstand vom chinesischen Kaiserhof unterstützten religiösen Bewegung, der „Boxer“, gegen die „Weißen“ mit der Belagerung des Pekinger Gesandtschaftsviertels sowie der gemeinsam von sechs europäischen Kolonialmächten, Japan und den USA geführte Vergeltungsfeldzug trug typische Züge eines Kolonialkrieges. Dennoch bildete diese imperialistische „Gemeinschaftsaktion“ unter anschließender Beibehaltung des informellen Imperialismus mit „offener Tür“ für alle Weltmächte eine Besonderheit.
Das nächste Panel stand unter dem Motto „Kolonialkriege an der Schwelle zum 20. Jahrhundert in Afrika“. Einen weiteren ausgesprochenen Sonderfall stellte hierbei Cord Eberspächer (Oldenburg) in seinem Beitrag „´Albion zal hier ditmaal zijn Moskau vinden!´ Der Burenkrieg, 1899-1902: Wirklichkeit und Wahrnehmung“ vor. Hier sorgte die Frontstellung zwischen zwei „weißen“ Kontrahenten, Briten und Buren, – die mittelbar und durch „Hilfstruppen“ auch unmittelbar involvierte einheimische Bevölkerung hatte freilich unter den Kriegsfolgen mindestens ebenso zu leiden –, für einen Perspektivwechsel. Den „normalen“, asymmetrischen Kolonialkrieg unter Verweigerung völkerrechtlicher Standards durch den „Kolonialherren“ bei entsprechend eskalierender Gegengewalt schilderte Susanne Kuß (Freiburg) in ihrem Beitrag „Kriegsführung ohne hemmende Kulturschranke: Die deutschen Kolonialkriege in Südwestafrika (1904-07) und Ostafrika (1905-08)“. Der 1904 bewusst herbeigeführte Genozid an den Herero in Deutsch-Südwest durch die deutschen Kolonialtruppen unter Generalleutnant von Trotha markiert hierbei einen der Extremfälle kolonialer Gewaltanwendung.
Im Panel „Kolonialkriege der Zwischenkriegszeit – die 1920er Jahre“ wurden die zunehmenden Schwierigkeiten kolonialer Herrschaft nach dem Ersten Weltkrieg deutlich. Ulrich Mücke (Göttingen) schilderte eindringlich die „Agonie einer Kolonialmacht: Spaniens Krieg in Marokko, 1921-1927“. Selbst der Einsatz moderner Massenvernichtungswaffen wie Flugzeuge und Giftgas brachte lange Zeit keine entscheidende Überlegenheit Spaniens. Mit der Marokko-Armee unter General Franco hatte dieser unmittelbar „vor der Haustür“ stattfindende Kolonialkrieg zugleich einen Machtfaktor geschaffen, der wenige Jahre später im Spanischen Bürgerkrieg von ausschlaggebender Bedeutung werden sollte. Birgit Schäblers (Erfurt) Beitrag „Bomben auf Damaskus: Ambivalenzen französischer Kolonialpolitik, 1925-1927“ machte auf die problematische Praxis bei der Verwaltung der Völkerbund-Mandatsgebiete am Beispiel Syriens aufmerksam. Die vormals osmanische Provinz stand seit 1918/20 unter der Herrschaft einer französischen Kolonialverwaltung, die den Spagat zwischen auf Emanzipation zielenden Völkerbund-Vorgaben und französischem Machtkalkül zu vollführen hatte, wobei die (v.a. militärischen) Repräsentanten traditioneller Machtpolitik die Oberhand behielten und mit der Bombardierung von Damaskus ein Beispiel blutiger Überreaktion lieferten.
Einen weiteren Qualitätssprung in der Technisierung und Brutalisierung von Kolonialkriegen gab es im Panel „Kolonialkriege der Zwischenkriegszeit – die 1930er Jahre“ zu verzeichnen. Giulia Brogini Künzi (Bern) beschrieb unter den Titel „Die Streitkräfte ´vernichten´ und das äthiopische Reich ´total erobern´: Der Abessinienkrieg 1935/36“ die enormen Anstrengungen des faschistischen Italiens, um den vorletzten unabhängigen Staat Afrikas in sein Kolonialreich zu zwingen. Spätestens hier konnte angesichts des massiven Einsatzes von Panzern, Luftwaffe, Giftgas etc. nicht mehr von einem „kleinen Krieg“ die Rede sein. Um einen Grenzfall kolonialer Konflikte mit gleichwohl eruptiven Fällen von schrankenloser Gewalt handelte es sich bei Reinhard Zöllners (Erfurt) Vortrag „Ostasiatischer Holocaust? Japans Aggression in China, 1931-1945“. Japan zielte mit seinem machtpolitisch motivierten Einmarsch in das kulturell-zivilisatorisch verwandte China nicht auf direkte koloniale Herrschaft, selbst das de facto abhängige Madschukuo erhielt nach außen hin die Fassade eines Kaiserreiches. Im Kontext dieses Beitrages wurde u.a. der Quellenwert und die moralisch-pädagogische Problematik des Einsatzes von Bildmaterial, hier speziell japanischer Greueltaten in China, thematisiert.
Das letzte Panel widmete sich dem Thema „Kolonialkriege und Dekolonisierung“. Marc Frey (Köln) sprach in seinem Referat „Die indonesische Revolution und das Ende des niederländischen Kolonialreiches in Südostasien“ über einen Fall von unmittelbar aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgehender Befreiung einer asiatischen Kolonie (Indonesien) von seinem europäischen Kolonialherren. Bei den Niederlanden handelte es sich hierbei um eine der kleinen Kolonialmächte, die nunmehr auf den Status eines unbedeutenden europäischen Mittelstaates zurückfielen. Schon im Titel deutete sich bei Daniel Mollenhauers (Erfurt) Beitrag „Weder Kolonie noch Krieg? Frankreich in Algerien, 1954-1962“ die Spezifik des algerischen Befreiungskrieges an. Von Frankreich und den französischen Siedlern im Lande wurde Algerien nicht als Kolonie, sonder als integraler Bestandteil Frankreichs angesehen. Die Verweigerung voller Gleichberechtigung führte jedoch 1954 zu einem Aufstand, der zwar militärisch niedergeschlagen werden konnte, aber durch die Eskalation der Gewalt bis hin zu Folter und Mord eine Pazifizierung auf absehbare Zeit unmöglich erscheinen ließ. So entließ Frankreich Algerien 1962 in die Unabhängigkeit, was die Vertreibung der meisten französischen Siedler zur Folge hatte.
Im Abschluss-Panel wurden die zusammengetragenen Ergebnisse gebündelt und ausgewertet. Hierbei konnte zu Recht festgestellt werden, dass sich der neue methodische Ansatz, über vergleichende Einzelstudien das Phänomen Kolonialkrieg zu untersuchen, als fruchtbar erwiesen hat. Da es sich zunächst bei fast allen Einzeluntersuchungen um mehr oder weniger ausgeprägte „Sonderfälle“ eines idealtypischen Kolonialkrieges zu handeln schien, wurde eine nicht zu enge Fassung des Begriffes, auch terminologisch, angeregt. Dennoch schälte sich ein Kernbestand an Charakteristika heraus. Als zentraler Faktor wurde die permanente Gewalt(-androhung) als Mittel kolonialer Herrschaft herausgearbeitet, die sich in Konfliktfällen (bei oft fließenden Übergängen) zu Kolonialkriegen ausweitete. Eines der zentralen Anliegen der Tagung war es, Perspektiven für zukünftige Forschungen auf diesem noch weitgehend unbearbeiteten Feld aufzuzeigen. Bernd Greiner (Hamburg) mahnte mit Blick auf die behandelten Konflikte nochmals eine über den nationalhistorischen Horizont hinausreichende globale und diachrone Betrachtungsweise an, während Gesine Krüger (Erfurt) und Michael Hochgeschwender (Tübingen) eine Stärkung der indigenen Perspektive anregten. Eine Reihe weiterer möglicher Ansätze und Fragestellungen, etwa das Element Guerilla-Krieg, Kriegspläne bzw. -szenarien („koloniale Schlieffenpläne“), Geschlechterfragen, unmittelbare Kriegsfolgen u.ä. Aspekte, rundeten die Abschlussdiskussion ab.
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Steffen Raßloff. Review of , Kolonialkriege. Beiträge zu einer vergleichenden Kulturgeschichte militärischer Gewalt im Zeichen des Imperialismus.
H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews.
March, 2003.
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