Das Friedenspotential von Religion. Mainz: Institut für Europäische Geschichte Mainz; Evangelisch-theologische Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (Irene Dingel, Christiane Tietz), 06.07.2007-07.07.2007.
Reviewed by Andreas Mohr
Published on H-Soz-u-Kult (August, 2007)
Das Friedenspotential von Religion
Am 06. und 07. Juli 2007 widmete sich eine durch das Institut für Europäische Geschichte (Mainz) und die Evangelisch-theologische Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität (Mainz) unter der Federführung von Irene Dingel und Christiane Tietz veranstaltete Tagung der Problematik des Friedenspotentials von Religion. Das Spektrum der Beiträge reichte vom frühneuzeitlichen Religionsfrieden über das Friedenspotential in fernöstlichen Religionen oder in monotheistischen Glaubensentwürfen bis hin zum aktuellen interreligiösen Dialog.
Zu Beginn referierte Armin Kohnle (Heidelberg) zum Thema „Das Problem des Religionsfriedens in der frühen Neuzeit“. Ausgehend davon, dass sich die Religionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts durch Gewalt zwischen Anhängern verschiedener christlicher Konfessionen auszeichneten, also zwischen altgläubigen und protestantischen Parteien, kam Kohnle auf das Regulativ des Religionsfriedens zu sprechen. Im Spannungsfeld religiös-theologisch begründeter Gegnerschaft einerseits und anderseits der Notwendigkeit, innerhalb eines territorial umrissenen „Gemeinwesens“ zusammenleben zu müssen, verhandelten verschiedene konfessionellen Parteien Friedenslösungen. Kohnle arbeitete zwei Varianten des Religionsfriedens heraus: den „präventiven“ Friedensschluss, um kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Religionsgruppen vorbeugend zu vermeiden, zum anderen die Friedensübereinkunft nach einem bereits erfolgten Religionskrieg (wie nach dem Dreißigjährigen Krieg). Der Referent kennzeichnete den Toleranzbegriff der frühneuzeitlichen Gesellschaft als von „widerwilliger“ Hinnahme des Anderen geprägt. Wie Kohnle aufzeigte, war der Religionsfrieden der frühen Neuzeit ein aus der Not der politischen Sachlage geborener und hauptsächlich von Politikern ausgehandelter Kompromiss, um kriegerische Auseinandersetzungen entweder zu vermeiden oder zu beenden. Einen Dialog zwischen religiösen Parteien auf der Grundlage von Akzeptanz der Verschiedenheit theologischer Deutungsmuster intendierte er hingegen nicht. Insofern sei – so der Referent – die Form der mit dem frühneuzeitlichen Religionsfrieden in Verbindung stehenden „Toleranz“ auch kein Vorbild für Konfliktlösungsmechanismen in gegenwärtigen Konfrontationsszenarien.
Klaus von Stosch (Köln) sprach über das Friedenspotential von Buddhismus und Hinduismus. Ausgehend von der Vorannahme, dass in der öffentlichen Diskussion vielfach das Klischee von der völligen Friedfertigkeit dieser östlichen Religionen vorherrsche, nahm der Referent zunächst das Gewaltpotential des Buddhismus in den Blick. Von Stosch verwies bezüglich der Gewaltpotentiale des Buddhismus insbesondere auf die während der Zeit der Shogune in Japan durch Vertreter des Zen-Buddhismus erfolgte Legitimierung militärischer Gewaltmittel. Danach fragend, wie derartige „geistliche“ Unterfütterungen kriegerischer Gewalt durch buddhistische Denker erklärbar seien, führte der Referent das aus der Tradition des ostasiatischen Mahayana-Buddhismus stammende Prinzip des „Shunyata“, der so genannten „Leerheit“, an. Ziel dieser religiösen Lebenshaltung ist die Überwindung der Affekte, ein spirituell verstandenes „Loslassen“. Dies kann allerdings auch zum Prinzip der „Leerheit aller Existenz“ umgedeutet werden. Wenn alles von „Leerheit“ und „Loslassen“ geprägt ist, hat nichts letztlich Gültigkeit und das ethische Subjekt droht, sich zu verflüchtigen. An diesem Punkt könne sich der von dieser Geisteshaltung Geprägte die Fragen stellen: Sind andere fühlende Existenzen überhaupt existent? Wenn dies nicht der Fall wäre, so wären alle Dharmas flüchtig und daher gäbe es weder Objekt noch Subjekt eines Mordes, womit Tötungen ideell gerechtfertigt werden könnten. Anschließend kam von Stosch auf die Friedenspotentiale des Buddhismus zu sprechen. Er verwies auf pazifistische Weisungen, die sich aus der Lehre des „edlen, achtfachen Pfades“ ergeben. Zu den normativen Grundlagen des Buddhismus gehört neben Friedfertigkeit auch die generelle Ablehnung von Feindschaft sowie die Anweisung: „Zerstöre kein Lebendes“. Sodann widmete sich von Stosch der Frage nach den Friedenspotentialen des Hinduismus. Ausgehend vom Gedanken der Nicht-Einheit kam er schließlich auf die Diskurse der Einheit zu sprechen: Alles ist dieser hinduistischen Deutung zufolge „Eins“. Dies führe letztlich dazu, eine Haltung zu entwickeln, der es gelinge, die unterschiedlichsten Gottheiten harmonisch zu vereinen.
Arnold Angenendt (Münster) thematisierte das Friedenspotential des Monotheismus. Dem Monotheismus standen in antiker Zeit polytheistische „Primärreligionen“ gegenüber, die in der frühgeschichtlichen „Stammeskultur“ wurzelten. Sie garantierten absoluten Frieden im Inneren (Familie, Sippe, übergeordneter Siedlungsverband), kompensierten dies aber mit Feindschaft gegenüber der Außenwelt. Demgegenüber stammen nach alttestamentlich-monotheistischer Tradition sämtliche Menschen von einem Schöpfer her. Der Monotheismus bringt – so die Ausführungen Angenendts – den Faktor der Gleichheit aller Menschen ins Spiel, trat im Altertum als Hüter von Recht und Gesetz hervor und begründete ein über das gentilreligiöse Verständnis hinausgehendes neues Menschenbild. Zudem kennen Judentum, Christentum und Islam die Kategorie des „freien Eintritts“ in die jeweilige Religion, wobei die gegenseitige Akzeptanz der drei Glaubensrichtungen untereinander verschieden ausfällt. Während das Judentum sowohl das jüngere Christentum, als auch den Islam als spätere „Verfälschungen“ des genuinen Gottesglaubens ablehnt, toleriert der Islam die Vertreter der anderen, monotheistischen Buchreligionen innerhalb seines Hoheitsterrains als Dhimmis. Das Christentum musste als „Erbe“ der jüdischen Tradition diese bis zu einem gewissen Grade akzeptieren, lehnte Teile der jüdischen Religion und Deutung jedoch bedingt durch den allmählichen Prozess der Abgrenzung zum Judentum ab, während es den Islam als „jüngere“ Form des Monotheismus begreift. Die hauptsächliche Gewalt der drei Monotheismen – wie Angenendt betonte – richtete sich, trotz Zwangsmissionierungen im Frühmittelalter, weniger gegen die Angehörigen anderer Religionen oder „Heiden“, als vielmehr gegen Apostaten. Das Christentum war in der Spätantike noch tolerant gegenüber den Abgefallenen, die Exkommunikation wirkte als lediglich „geistliche“ Strafe. Dies änderte sich aber nach der Wende vom ersten zum zweiten Jahrtausend. Die Ketzergesetzgebung Europas wurde dann von den weltlichen Autoritäten etabliert, „Gotteslästerer“ wurden an die weltlichen Machthaber zur Aburteilung überantwortet. Anschließend ging der Referent auf den Umgang der Monotheisten mit ihren Kriegsgegnern ein und kam auf den bereits in alttestamentarischer Zeit greifbaren und im Mittelalter wieder aufgeflammten „Heiligen Krieg“ zu sprechen. Der Interpretation einiger mittelalterlicher Rezipienten der antiken, griechischen Philosophie zufolge konnten jedoch auch „Heiden“ ein eigenes Gemeinwesen beanspruchen: dass sie Nicht-Christen seien, reiche nicht aus um sie anzugreifen. Zum Ende resumierte Angenendt seine Ausführungen, wobei er auf die namentlich dem Christentum zuzurechnenden Beispiele des Friedenspotentials hinwies: Abschaffung der Sklaverei, die Überwindung des aus der „gentilen Stammeskultur“ herkommenden Kriegerideals sowie die universalen Vorstellungen von einer Gottesebenbildlichkeit sämtlicher Menschen.
Christiane Tietz sprach, thematisch daran anknüpfend, über das „Das Friedenspotential des Christentums“. In den biblischen Texten wird der Frieden zwischen Gott und den Menschen, aber auch unter den Menschen durchweg positiv bewertet. Es ist der Mensch, der den Frieden gefährdet. Entsprechend setzt Paulus mit seinem Friedenskonzept beim einzelnen Menschen an. Inwiefern kann – so Tietz – der Mensch durch Religion zur Realisierung von Frieden kommen? In biblischer Perspektive spiegelt sich Frieden als Bezugspunkt auf verschiedenen Ebenen: zum einen im Frieden des Einzelnen mit Gott, zum anderen und daraus folgend im Frieden mit sich selbst und mit den Mitmenschen. Fundamental für das biblische Friedensverständnis ist der Frieden mit Gott als Ende der Feindschaft mit ihm. Einen Grund für eine solch aggressive Haltung Gott gegenüber sah Tietz darin, dass hier Gott als der „Andere“ wahrgenommen würde, der die Menschen übervorteile. Indem jedoch Gott dem Menschen dessen Feindschaft gegen ihn verzeiht, ist die Feindschaft des Menschen gegenüber Gott durch Gott selbst ontologisch überwunden. Der eigene Wert eines jeden Menschen besteht demzufolge nicht in seiner (materiell-lebensweltlich definierten) Stärke oder ökonomischen Prosperität, sondern in der grundsätzlichen Angenommenheit durch Gott. Doch Frieden ist – so Tietz – im christlichen Verständnis mehr als die bloße Abwesenheit von Feindseligkeit, Frieden hat auch stets die Komponente der Lebensförderung an sich. In einem abschließenden Teil des Vortrags kam Tietz auf die Frage nach dem Frieden aus christlicher Sicht und seiner Vernetzung mit politischen Entscheidungen zu sprechen. Den völkerrechtlich verbindlichen Frieden herzustellen und zu garantieren ist die Aufgabe eines im Idealfall weltanschaulich neutralen Staates. Mit Hilfe politischer und diplomatisch-staatlicher Mittel kann demnach nur ein Friede zwischen Staaten und Völkern im Sinne des Völkerrechts herbeigeführt werden, während das Friedenspotential des Christentums demgegenüber weitere Dimensionen, wie das Gottesverhältnis oder das Verhalten des Menschen gegenüber der Natur, aufweist. In ihrem Resumee brachte die Referentin diese Sachverhalte auf den Punkt: Einen allumfassenden Frieden in diesem Sinne kann letztlich nur Gott herstellen, er bleibt eine eschatologische Verheißung.
Peter Steinacker (Darmstadt) referierte zum Thema: „Was heißt Toleranz für die Begegnung der Religionen? Islam und Christentum in Dialog und Konfrontation“. Er problematisierte die Toleranz bei Begegnungen verschiedener Religionen und formulierte nach Vorüberlegungen, die sich auch auf die Säkularisierungsthese Max Webers bezogen, folgende Leitfragen: Woher kommt das den Religionen immanente Gewaltpotential? Was bedeutet dies im Kontext einer pluralistischen Gesellschaft? Wie können daraus entstehende Konflikte zivilisiert werden, ohne den Exklusivitätsanspruch der Religionen zu verlieren? Die Erklärung der grundsätzlichen Religiosität des Menschen verknüpfte der Referent mit Hinweisen auf anthropologische Selbsterkenntnisprozesse: Der Mensch durchläuft die Erfahrung des „Seiner-selbst-Bewusstwerdens“, wobei er zunehmend seine Endlichkeit erkennt. Dies führe, so Steinacker, weiter zu der existentiellen Frage: Woher kommen eigentlich Unheil und Elend in der Welt? Die Mythen der frühen Völker verweisen diesbezüglich auf eine in der Urzeit erfolgte Untat, welche diesen Zustand hervorgerufen hätte. Als göttlich interpretierte Gesetze scheinen jedoch einen Ausweg aufzuzeigen, jenes Unheil durch sie zu tilgen. Als Quelle dieser göttlichen Gesetze wird ein Letztgültiges gedacht, von dem die monotheistischen Religionen herkommen. Sie bieten einen universalen Weg des Heils für alle Menschen an und kultivieren – wie Christentum und Islam – einen Absolutheitsanspruch. Das Christentum hat die Vorstellung von dem einen Gott aus dem Judentum übernommen. In seinem Monotheismus-Verständnis knüpft der Islam ebenfalls an das Judentum an. Für den gläubigen Muslim ist Allah der Einzige; der Exklusivitätsanspruch des Islam besteht darin, sich in einem pointiert monotheistischen Sinn selbst als Religion des „natürlichen Menschen“ zu verstehen. Wie Steinacker ausführte, sei es das Ziel des Islam, Verdunklungen aufzuhellen, mit denen die beiden anderen monotheistischen Religionen den „wahren“ Glauben vernebelt hätten, insbesondere zerstöre die christliche Trinitätslehre den reinen Monotheismus, da sie neben Gottvater noch weitere Hypostasen zulasse. Doch welche Wege des Dialogs können angesichts solcher Exklusivitätsansprüche zwischen den monotheistischen Religionen konkret beschritten werden? Die Grundeinsichten in die Unsterblichkeit der menschlichen Seele und die Gemeinsamkeit, dass der von allen angebetete Gott der Gleiche sei, könnten solche Anknüpfungsmöglichkeiten darstellen und somit zu einem fruchtbaren interreligiösen Dialog führen.
Irfan A. Omar (Milwaukee) sprach über: „Jihad and Violence in the Qur’an. Potential for Peace in the Islamic Tradition“. Alle größeren Religionen seien – so Omar – während ihrer Entwicklungsgeschichte für die Absegnung von Gewalttaten in Anspruch genommen worden; auch der Islam stelle hier keine Ausnahme dar. Omar verwies darauf, dass die Mehrzahl der Gewalthandlungen innerhalb der „Geschichte der Religionen“ Mitglieder der eigenen religiösen Großgruppe betraf. Der Referent spürte der Frage nach, wie Gewalt in der islamischen Tradition verstanden wurde und wird. Er verwies darauf, dass das innerhalb der religiösen Tradition ableitbare Gewaltpotential, beispielsweise des Islam, weniger in den religiösen Texten selbst liege, sondern vielmehr in der Art ihrer Interpretation durch die Rezipienten. Omar stellte fest, dass es außer Frage stehe, dass sich einige Passagen des Qur’an mit Gewalt befassten. Doch in welchen Kontexten stehen diese Gewaltschilderungen und wo liegen ihre Grenzen? Der Begriff des Jihad werde häufig mit diesem religiös motivierten Gewaltpotential in Verbindung gebracht. Die Bedeutungsinhalte des arabischen Wortes Jihad können jedoch in ihren Interpretationsmöglichkeiten variieren. Die Grundbedeutung sei „sich im Dienst für Gott anstrengen“, wobei in der islamischen Geschichte „Jihad“ als kriegerische Aktion, aber auch als Anstrengung innerhalb eines politischen Gemeinwesens oder als innerer „Kampf“ des einzelnen Muslim, ein religiöses Leben zu führen, verstanden wurde und wird. Verschiedene islamische Gelehrtenschulen weisen darauf hin, dass kriegerische Gewalttaten im Qur’an zumeist mit dem Terminus qital (kämpfen) bezeichnet werden und nicht mit dem Begriff Jihad. Doch auch diesem Kampfesbegriff sind Grenzen gesetzt: qital meint hauptsächlich defensive Kampfhandlungen für den Fall, dass Muslime angegriffen werden. Das im Qur’an vorkommende Konzept des Jihad als Kampf, als „sich für den Glauben anstrengen“, ist also unverkennbar, doch das Grundprinzip des Jihad-Begriffes besteht Omar zufolge hauptsächlich in einem inneren Kampf des Einzelnen gegen die Faktoren des eigenen Lebens, die einem frommen Wandel als Muslim entgegenstehen. Aus diesem Grunde sei es hoch problematisch, die semantischen Grenzen zwischen „Jihad“ und „qital“ zu verwischen. Parallel dazu sind auch Aussagen im Qur’an zu finden, die auf Gewaltverzicht Bezug nehmen: sie umschreiben Schonung von Schwachen und Armen und den friedlichen Einsatz für Gerechtigkeit: al-silm (Frieden), al-afw (Vergebung) und al-abr (Geduld). Pointierte Schlussbetrachtungen rundeten Omars Vortrag ab: Der Islam erlaubt limitierte Gewaltanwendung. Hierbei betonte Omar, dass auch diese „legitimierte“ Gewaltanwendung nur als letztes Mittel zur Selbstverteidigung betrachtet werden dürfe und strengen Regeln unterliege, die u. a. die Schonung sämtlicher unbewaffneten und unbeteiligten Personen beinhalten. Im Verbund mit den ebenfalls im Qur’an auffindbaren Konzepten von Geduld, Vergebung und Gewaltverzicht könnte diese Jihad-Interpretation dazu beitragen, das dem Islam immanente Friedenspotential zu stärken und zu befördern.
Andreas Hasenclever (Tübingen) sprach als letzter der Referenten über die „ambivalente Rolle von Religionen in politischen Konflikten“. Zunächst wies Hasenclever auf die weltweite Entwicklung bewaffneter Konflikte seit 1945 hin, wobei nach einem Höhepunkt der Anzahl bewaffneter Konflikte zu Beginn der 1990er-Jahre ein deutlicher Rückgang von Kriegen festzustellen ist. Der Referent führte aus, dass religiöse Einflüsse innerhalb politischer Konflikte durchaus deeskalierenden Charakter annehmen können. Er unterstrich, dass religiöse Überlieferungen innerhalb kriegerischer Auseinandersetzung selten den primären Konfliktgegenstand darstellten, wohl aber – je nach Sachlage – konfliktfördernd, aber auch entschärfend zu wirken vermögen. Die Anlässe für Kriege seien jedoch zumeist in ökonomischen, ideologischen oder militärstrategischen Motivationslagen zu suchen. Ferner handelten auch die für die Kriegshandlungen verantwortlichen politischen Eliten in einem weiten Sinne rational, das heißt, sie wägten zu erwartende ökonomische oder politisch-strategische Vorteile ab und riskierten Kämpfe nur, wenn damit auch Aussichten auf die Erfüllung der gesetzten Ziele verbunden seien. In diesem Zusammenhang dienten religiöse Traditionen vor allem als Mobilisierungsressource, um bereits bestehende oder schwelende Konflikte zu verschärfen. Deshalb sei die Lösung der Frage, wie man religiöse Potentiale dazu einsetzen könne, die Entschärfung des Konfliktstoffs zu erreichen, in der Prophylaxe gegen Instrumentalisierung der Religion für Kriegsbestrebungen zu suchen. Am Beispiel der Bürgerkriege in den Staaten der „Dritten Welt“ seit den 1960er-Jahren zeigte der Referent die Dynamik zwischen dem Handeln der „rationalen Effizienz“ gewaltbereiter Eliten und der Eskalation brutalen Kriegsgeschehens. Doch welche Rolle können in solchen Szenarien religiöse Gruppen spielen? Glaubensgemeinschaften, die in direkter politischer Abhängigkeit zu staatlichen Organen oder Bürgerkriegsparteien stehen, die innerhalb ihrer Anhängerschaft keine ausreichende Aufklärung über ethische und religiöse Werte betreiben, können – so der Referent – in die Gefahr geraten, zur Legitimierung von kriegerischer Gewalt oder zur Anheizung solcher Konflikte benutzt zu werden. Demgegenüber charakterisierte Hasenclever ein Bündel von Faktoren, welches dazu beitragen kann, dass Religionsgemeinschaften in solchen Szenarien konfliktentschärfend wirken können. Hierzu zählen eine religiöse Öffentlichkeit und Diskussionskultur, das Bewusstsein um die Differenz zwischen den Bereichen des Profanen und Sakralen sowie religiöse Autonomie, also Unabhängigkeit einer Glaubensgemeinschaft von Staat und Politik. Sind diese Voraussetzungen gegeben, so bestehen gute Chancen, dass religiöse Konzepte nicht durch Machteliten dafür genutzt werden können, Konflikte zu verschärfen, sondern dass sie sogar ein abmilderndes Moment hinzufügen.
Im Spannungsfeld von religiös motiviertem Gewaltpotential einerseits und der innerhalb der menschlichen Gesellschaft verbreiteten Hoffnung auf Frieden andererseits wurde während der Tagung ein breites Spektrum von Themen erörtert. Die großen Religionen kennen allesamt ethisch-moralische Aussagen, die auf Verzicht von kriegerischen Mitteln, Tötungsverbote oder die Wertschätzung von Friedfertigkeit abzielen. Diese „Stimmen“ sind jedoch im Konzert der Religionsgeschichte nicht immer vornehmlich zu hören und können unter Umständen durchaus von einer Vereinnahmung der Religionen für die Legitimierung von Gewalt überdeckt werden. Doch die Religionen werden stets von den Menschen getragen, die in ihnen und aus ihnen leben: Es liegt letztlich an den menschlichen Trägern der Religionen, ob in der jeweiligen religionshistorischen Situation das den Glaubensentwürfen innewohnende Friedenspotential seine segensreichen Auswirkungen zu entfalten vermag oder nicht. Die Beiträge werden in einem Tagungsband zusammengeführt, der Anfang 2008 erscheinen soll. Die Veranstaltung wurde gefördert mit Mitteln der „Freunde der Universität Mainz e.V.“ und des „Vereins zur Förderung der Evangelischen Theologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz“.
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Citation:
Andreas Mohr. Review of , Das Friedenspotential von Religion.
H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews.
August, 2007.
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