Marjan Drnovšek. Historical and Cultural Perspectives on Slovenian Migration. Ljubljana: Založba ZRC, 2007. 204 S. ISBN 978-961-254-043-2.
Reviewed by Rolf Wörsdörfer
Published on H-Soz-u-Kult (April, 2009)
M. Drnovšek (Hrsg.): Slovenian Migration
Seit Mitte der 1980er-Jahre besteht in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana als Abteilung des Forschungszentrums der Slowenischen Akademie für Wissenschaft und Kunst (ZRC-SAZU) ein Migrationsforschungsinstitut. Zu seinen Zielen gehört unter anderem die Aufarbeitung der Geschichte von Migrationsbewegungen, die den slowenischsprachigen Raum – also das Territorium der heutigen Republik Slowenien und die Minderheitengebiete in den Nachbarländern Österreich und Italien – zur Ausgangs- oder Zielregion hatten.
Das Institut publiziert seit 1990 die mehrsprachige Zeitschrift „Dve domovini/Two Homelands“ und seit 2000 die Veröffentlichungsreihe „Migracije“ („Wanderungen“). Im Vorwort zum hier angezeigten Band beklagt der Herausgeber Marjan Drnovšek die Verspätung, mit der sich slowenische Wissenschaftler auf das Terrain der Migrationsforschung begeben hätten. Obwohl inzwischen eine erfolgreiche Aufholbewegung eingesetzt habe, fehlten von Seiten der Historiographie noch immer eine Reihe von Grundlagenstudien zum umfangreichen Themenfeld der slowenischen Migrationen. Dabei seien die Ansprüche von vornherein hochgesteckt, sollten doch „geschichtswissenschaftliche, kulturanthropologische, soziologische, kunst- und literaturwissenschaftliche“ Ansätze gleichermaßen Berücksichtigung finden (S. 8).
Da das Slowenische nicht gerade zu den im Ausland am meisten studierten Fremdsprachen zählt, legte das Institut kürzlich einen Querschnitt seiner Arbeiten der letzten Jahre in Englisch vor. Dies nicht zuletzt auch, weil den Mitarbeitern am Dialog mit der internationalen Fachwelt und insbesondere mit den am Thema „Migration“ orientierten Forschungsinstituten gelegen ist.
Es stellt sich die Frage, ob nicht die eingangs konstatierte „Verspätung“ mit einer negativen Grundhaltung zusammenhängt, die die slowenischen Machteliten und die traditionell einflussreiche katholische Kirche im 19. und 20. Jahrhundert den Migrationsbewegungen gegenüber an den Tag legten. Diese Haltung wäre dann nicht ohne Folgen für die Geisteswissenschaften geblieben, die insgesamt nur wenig Aufmerksamkeit auf das Feld der Migrationsforschung gerichtet hätten.
Marjan Drnovšek wählt als Ausgangspunkt für seine Analyse der wechselnden Einstellungen von Staat und Kirche bewusst die Epoche der modernen Massenmigrationen. Was die staatliche Seite betrifft, so wurde sie von drei sehr unterschiedlichen, durch zwei Weltkriege voneinander abgegrenzten Regime repräsentiert: von der Habsburgermonarchie, vom monarchischen und vom staatssozialistischen Jugoslawien. Die Tatsache, dass es sich beim Entsendeland der slowenischen Migranten jeweils um einen „multinationalen“ und „multikonfessionellen“ Staat handelte, darf nicht automatisch zu dem Schluss verleiten, die Slowenen hätten dort eine ethnische Minderheit dargestellt. „Minderheit“ waren die Slowenen in ihren Kerngebieten weder im 19. noch im 20. Jahrhundert. Wenn sie sich im Herzogtum Krain schon in der habsburgischen Zeit weitgehend vom „Deutschtum“ emanzipierten, so waren sie unter den südslawisch definierten Staatlichkeiten der Jahre 1918-1941 und 1945-1991 Teil der staatstragenden Nation (Monarchie) bzw. eines der Völker, auf denen die Staatsmacht (Titoismus) dem eigenen Anspruch nach beruhte. Das ist in allen drei Fällen etwas anderes als die Minderheitenposition, die Slowenen seit 1918 in Kärnten oder in Julisch-Venetien einnahmen.
Drnovšek verfolgt die Geschichte der Beziehungen zwischen Staat und Kirche im slowenischsprachigen Raum seit der Zeit der josephinischen Reformen. Am Ende finden wir eine staatlicherseits zwar wiederholt in Bedrängnis gebrachte, in ihrem Einfluss auf die Gesellschaft aber kaum jemals ganz gebrochene katholische Hierarchie vor. Was die Migrationspolitik betrifft, so konstatiert der Verfasser, das eine solche in der habsburgischen Zeit so recht eigentlich keinen Bestand hatte. Der österreichisch-ungarische Ausgleich von 1867 habe zwar die Auswanderung legalisiert, damit aber zugleich eine Art laissez-faire in Migrationsfragen eingeführt, das bis zum Zusammenbruch der Monarchie anhielt. Die Sorge um das Wohlergehen der Migranten überließ der Staat dabei bereitwillig dem Klerus und diversen von ihm gegründeten Organisationen, unter anderem dem St.-Raphaelsverein, der sich auf die Unterstützung und Beratung von Arbeitswanderern spezialisiert hatte.
Waren die Habsburgermonarchie und das Königreich Jugoslawien eher für eine liberale Haltung in Migrationsfragen bekannt, so änderte sich dies im zweiten jugoslawischen Staatswesen, das der Auswanderung gegenüber bis in die 1960er-Jahre hinein hohe Hürden errichtete. Eine neue Kurswende erfolgte erst wieder in der sogenannten „Gastarbeiterperiode“, die schon vor Abschluss des deutsch-jugoslawischen Anwerbeabkommens von 1968 einsetzte. Weltweit kam der slowenischen Diaspora noch einmal eine besondere Rolle in dem politischen Prozess zu, der zur Eigenstaatlichkeit des Landes und zu deren Anerkennung durch zahlreiche Länder führte.
Irena Gantar Godina rekonstruiert die Lage von sogenannten „atypischen Migranten“, worunter sie slowenische Intellektuelle des 19. Jahrhunderts fasst, die nicht in westliche Länder, sondern in den slawischsprachigen Raum auswanderten. Es handelte sich in der Regel um politisch aktive Mitglieder der slowenischen Nationalbewegung und ihrer austro-slawischen, russophilen oder pan-slawistischen Unterströmungen. Das Migrationsziel war selten ein Nationalstaat; es lag meist im slawischsprachigen Raum und gehörte in der Regel zum Territorium eines multiethnischen Reichs. Hauptfeind der slowenischen Migranten, die im Asyl-Land vielfach publizistisch tätig waren, blieb der (groß-)deutsche Nationalismus, mit dem die slowenischen Intellektuellen vielfach auch die jüdische Diaspora identifizierten. Vor die Alternative gestellt, ob sie beispielsweise in Prag an der deutschen oder an der tschechischen Universität studieren mochten, zogen sie letztere vor. Gegen Juden legten sie dieselbe Intoleranz an den Tag, die sie selbst von deutscher Seite her gewohnt waren.
Migration war und ist im slowenischsprachigen Raum ebenso wie in den diversen Zielländern der Migranten oft auch ein literarisches Thema. Einerseits haben sich Nationaldichter wie Ivan Cankar oder Oton Župančič mit ihr befasst; andererseits haben manche Wanderbewegungen selbst einige nicht zu unterschätzende literarische Werke hervorgebracht. Diesen widmet Janja Žitnik einen Aufsatz mit dem Titel “Slovenian Émigré Literature: Ignored, Forgotten, and Rediscovered“. Offensichtlich ist, dass das letzte der drei Partizipien, die den Zustand der slowenischen Migrantenliteratur charakterisieren sollen, auf deren „Wiederentdeckung“ im Anschluss an die Proklamation der Eigenstaatlichkeit anspielt. Tatsächlich wurde diese Art Literatur über lange Zeit eher an den Zielorten der Migration und unter den „autochthonen“ Minderheiten des Alpen-Adriaraumes rezipiert als in Slowenien selbst. Die Verfasserin unterscheidet zwischen literarischen Werken, die von Migranten der ersten Generation produziert wurden, und Arbeiten späterer Generationen. Nur erstere könne man guten Gewissens der slowenischen Nationalliteratur zurechnen; Heimweh und Nostalgie gehörten zu ihren zentralen Themen.
Eine der entlegensten Inseln slowenischer Migration, die zugleich politisch und weltanschaulich sehr stark auf einen antikommunistischen Katholizismus festgelegt war, stellte lange Zeit Buenos Aires dar. Anders als etwa die von der Forschung vernachlässigten Migranten im Ruhrgebiet, deren Assimilation und Integration sich binnen zweier Generationen vollzog, beharrten die Angehörigen der Exilgruppen in Argentinien lange Zeit auf ihrem Anderssein. Dies hängt mit den Umständen ihres Exils zusammen: Mit der Flucht aus Slowenien angesichts des Vormarsches der Partisanen ebenso wie mit den Aufenthalten in österreichischen oder italienischen Lagern für Displaced persons. Die Kulturanthropologin Kristina Toplak wirft die Frage auf, ob eine so eindeutig auf bestimmte weltanschauliche Schemata festgelegte Migrantenkolonie in der Lage sei, eine eigene Kunst hervorzubringen. Tatsächlich habe sich zwar im Umfeld der slowenischen Organisationen und Einrichtungen, etwa der „slovenska hiša“ (Slowenisches Haus) in Buenos Aires, eine solche Kunst herausgebildet. Zugleich aber sei sie all jenen Einschränkungen unterworfen, die die kulturelle Separation und die soziale Kontrolle innerhalb der Migrantenkolonie mit sich brächten. Zugleich konstatiert die Verfasserin, dass die slowenische Eigenstaatlichkeit seit 1991 zu einer deutlichen Minderung der Rolle des Antikommunismus als Integrationsfaktor geführt habe, was auch mit einer Schwächung der in Argentinien gepflegten „Ideologie des Slowenentums“ einhergegangen sei.
Als Einwanderungsland par excellence waren die USA auch das Land, das im Laufe von eineinhalb Jahrhunderten bei weitem die meisten slowenischen Migrantinnen und Migranten aufnahm. Lässt man die slowenische Nordamerika-Migration heute in der Regel mit der Tätigkeit katholischer Missionare in der Gegend um die Großen Seen beginnen, so datiert Mirjam Milharčič Hladnik das Auftreten erster Migrantinnen aus dem slowenischsprachigen Raum auf die Jahrzehnte nach dem amerikanischen Bürgerkrieg. Manchmal gehörten sie speziellen Berufsgruppen an, wie die sogenannten slamnikarice („Hutmacherinnen“) aus Domžale bei Ljubljana; die Mehrheit bestand demgegenüber aus Hausfrauen, die ihren Ehemännern in die Neue Welt folgten, wo sich beispielsweise in Cleveland (Ohio) oder in den Industriezentren des westlichen Pennsylvania konsistente slowenische Kolonien herausbildeten. Vor allem die Montanindustrie der letzteren Region gehörte zu den wenigen Branchen, in denen Einwanderer aus Österreich-Ungarn zahlreicher vertreten waren als die quasi-ubiquitären Italiener. Milharčič Hladniks Überlegungen gelten „different ways of preserving ethnic identity and heritage among Slovenian migrants and their descendants“ in den USA. Zwar ist die Sekundärliteratur ausreichend berücksichtigt, aber es lassen sich Zweifel an der Aussagekraft und Gültigkeit von überwiegend auf dem Wege der Oral History gewonnenen Erkenntnissen anmelden.
Zwei weitere Beiträge runden das insgesamt ausgewogene Bild eines überaus rührigen Forschungsinstituts ab, von dem man auch in den nächsten Jahren noch hören bzw. lesen wird. Es handelt sich um einen vergleichend angelegten Text von Marina Lukšič-Hacin zum „Multikulturalismus“ in verschiedenen europäischen Ländern und um einen kulturanthropologischen Beitrag von Jernej Mlekuž, der der Geschichte des Konsums von Burek, der im südslawischen Raum verbreiteten Variante des türkischen Börek, in Slowenien nachgeht.
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Rolf Wörsdörfer. Review of Drnovšek, Marjan, Historical and Cultural Perspectives on Slovenian Migration.
H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews.
April, 2009.
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