Detlef Nakath. Deutsch-deutsche Grundlagen: Zur Geschichte der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik in den Jahren von 1969 bis 1982. Schkeuditz: Schkeuditzer Buchverlag, 2002. 396 S. ISBN 978-3-935530-15-6.
Reviewed by Jörg Roesler
Published on H-Soz-u-Kult (November, 2002)
D. Nakath: Deutsch-deutsche Grundlagen
Der Autor hat seine wissenschaftliche Laufbahn an der Sektion Geschichte der Berliner Humboldt-Universität als Erforscher des Interzonenhandels begonnen und sich auf diesem Gebiet deutsch-deutscher Beziehungen schon damals erste Meriten erworben. Beschränkungen im Archivzugang verstand er durch Informationsermittlung in den Akten benachbarter Ressorts und durch Zeitzeugeninterviews in beträchtlichem Maße zu kompensieren. Nach 1990 entfielen die Zugangsbeschränkungen teilweise. Nakath konnte nun auch die politischen Beziehungen zwischen beiden Deutschlands stärker in seine Untersuchungen einbeziehen.
Das Feld, auf dem sich Nakath seit 10 Jahren souverän bewegt, wurde in dieser Zeit von Politikern höchst kontrovers diskutiert. In den Jahren der sozialliberalen Koalition - um die es in diesem Buch hauptsächlich geht – hätten, so die konservativen Kritiker, die Sozialdemokraten das Ziel der Einheit Deutschlands aufgegeben, sich bei der DDR angebiedert und mit Finanztransfers das Leben des SED-Regimes verlängert. Die Sozialdemokraten konterten, dass ohne ihre mit der sozialliberalen Koalition eingeleiteten Politik des „Wandels durch Annäherung“ die deutsche Einheit 1990 nicht zustande gekommen wäre.
Angesichts dieses Streits der Politiker ist jeder, der über deutsch-deutsche Beziehungen forscht, gut beraten, sich in seinen Recherchen an den Quellen zu orientieren. Nakath hat dies in hohem Maße beherzigt. Die zusammen mit Gerd-Rüdiger Stephan herausgegebenen Dokumentenbände „Von Hubertusstock nach Bonn“, „Countdown zur deutschen Einheit“ und „Die Häber-Protokolle“ zeugen davon. Allerdings muss Nakath auch im vorliegenden Band mit großem Bedauern feststellen, dass die schon vor etlichen Jahren von Hermann Weber beklagte „Schieflage“ im Zugang zu den relevanten deutschen Archiven weiterhin besteht. Während für die DDR fast alle Akten bis 1989/90 offen sind, gilt für die Staatsakten der Bundesrepublik weiterhin die 30-Jahre-Sperrfrist. Diese wurde 1990 auch auf die Akten des Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR ausgedehnt. ´
Nakath musste also auch für seine Recherchen zum vorliegenden Buch auf die zu DDR-Zeiten erlernte Fähigkeit zurückgreifen, sich über Nachbarressorts, z.B. über die „Sonderablage Stoph“, dem Thema zu nähern. Der Autor verstand es auch, das „Archiv der sozialen Demokratie“ in der Friedrich-Ebert-Stiftung zu nutzen, dessen kürzere Sperrfrist den im Buch behandelten Zeitraum nicht mehr berührt. Außerdem hat der Autor auf relevante Zeitzeugen zurückgreifen können. Unter den 28 interviewten Personen befinden sich solch prominente wie Egon Bahr, Hans Otto Bräutigam, Werner Eberlein, Valentin Falin, Günter Gaus, Herbert Häber und Helmut Schmidt.
So durch eine solide Quellenbasis abgesichert, informiert und urteilt der Autor über die Gespräche von Erfurt und Kassel und die 1970 beginnenden Verhandlungen zum Grundlagenvertrag. Parallel zu den „deutsch-deutschen Verhandlungen“, und nur durch diese vollständig verständlich, liefen die Verhandlungen über das Viermächte-Abkommen, die Zugangswege nach Berlin betreffend, und vollzog sich eine Annäherung zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik. Dies sind Handlungsstränge der internationalen Diplomatie, denen Nakath zu Recht in seinem Buch Platz einräumt.
Fast die Hälfte der Publikation ist aber den nach dem Abschluss des Grundlagenvertrages zwischen beiden deutschen Staaten möglich gewordenen Schritten zur Normalisierung der in der Zeit des Kalten Krieges völlig verkrampften deutsch-deutschen Beziehungen gewidmet. Zeitlich spannt sich der Bogen im Buch bis zum Gipfeltreffen zwischen Schmidt und Honecker am Werbellinsee Ende 1981 und – was der Untertitel leider nicht verrät – bis zur Entlassung des langjährigen Leiters der Westabteilung des ZK der SED und zuständigen Politbüromitglieds Herbert Häber (Frühjahr 1986) im Zusammenhang mit der Vorbereitung des Treffens von Honecker und Kohl 1987.
Vergleichsweise unspektakulär bleibt für die gesamten 70er Jahre der Ablauf des innerdeutschen Handels. Nach einem deutlichen Wachstum des Warenaustausches zwischen beiden Staaten in der zweiten Hälfte der 60er Jahre war dessen relative Stagnation vorwiegend ökonomisch bedingt – die Wettbewerbsfähigkeit der DDR-Erzeugnisse auf dem Außenmarkt ließ nach.
Die Bedeutung von Nakaths bisher bedeutendster Publikation geht aber über das von ihm unmittelbar behandelte Thema hinaus: Für die zukünftige Entwicklung der Forschungen zur deutschen Geschichte erweist es sich als Baustein von besonderer, fast strategischer Bedeutung. In den 90er Jahren hatte die Beschäftigung mit der Geschichte der DDR, begünstigt durch die Aktenfreigabe, Konjunktur. Für die Forschungen zur Geschichte der Bundesrepublik seit den 70er Jahren mussten die Historiker sich weiterhin auf gedruckte Quellen und Presseveröffentlichungen stützen. Was jedoch in den 90er Jahren fast gänzlich ausblieb, war der Versuch, die Geschichte beider deutscher Staaten in ihren Beziehungen, Wechselwirkungen, in ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu thematisieren.
Eine „Geschichte der Bundesrepublik“, wie die verdienstvolle von Thränhardt, wurde einfach fortgeschrieben und die der (Ex-)DDR erst seit 1990 erfasst. Görtemaker hat eine neue Geschichte der Bundesrepublik nach dem gleichen Muster verfasst. Weimer schließlich hat sein Buch „Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Von 1945 bis zum Euro“ genannt, tatsächlich aber bis 1990 fast nur die Geschichte der Bundesrepublik behandelt. Die Aufarbeitung der deutschen Geschichte nach 1945 steht also weitgehend noch aus. Nakaths Buch wird für die nächste Phase der Auseinandersetzung der Historiker mit der jüngsten deutschen Geschichte von großer Bedeutung sein.
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Citation:
Jörg Roesler. Review of Nakath, Detlef, Deutsch-deutsche Grundlagen: Zur Geschichte der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik in den Jahren von 1969 bis 1982.
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November, 2002.
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