Luginbühl Total. Museum Jean Tinguely, Basel.
Reviewed by Carmen Bosch-Schairer
Published on H-Museum (February, 2004)
Die gross angelegte Retrospektive von Bernhard Luginbühls Gesamtwerk, die derzeit in Basel und Bern zu sehen ist, wurde anlässlich der Fertigstellung des Werkkatalogs von Luginbühls Plastiken 1947-2002 ausgerichtet. Das Kunstmuseum Bern zeigt das kleiner dimensionierte Frühwerk mit Eisen- und Holzplastiken, Modellen, Graphik und Filmen, während in der grossen Halle und im Park des Basler Tinguely Museums vor allem die monumentalen, tonnenschweren Grossplastiken aus neuerer Produktion zu sehen sind. <p> Luginbühl, 1929 in Bern geboren, ist vor allem als Eisenplastiker bekannt, doch er konstruiert auch Feuerplastiken, die öffentlich abgebrannt werden, zeichnet, stellt Druckgrafik in verschiedenen Techniken her und dreht Filme. Heute wird der mittlerweile 74jährige von seinen drei Soehnen unterstützt, die die schweren Arbeiten übernehmen. <p> Mit dem verstorbenen Jean Tinguely, dem Basler Künstler der kinetischen Plastik, der mit ähnlichem Material arbeitete, verband ihn seit 1957 eine dauerhafte Freundschaft, die sich in gemeinsamen Ausstellungen und Projekten widerspiegelte, z.B. in der fahrbaren Geräuschmaschine "Klamauk", 1979. So war es nicht nur eine Frage der praktischen Durchführung, Luginbühls Grossplastik in Tinguelys Museum zu zeigen; es bietet darüber hinaus die reizvolle Möglichkeit, beider Werk zu vergleichen, denn zwei von Tinguelys raumhohen Arbeiten, die "Große Méta Maxi-Maxi-Utopie, 1987, und der "Luminator", 1991, sind in der Halle verblieben, dazu die frühen Werke im Obergeschoss und das Hauptwerk "Mengele-Totentanz", 1986, im Untergeschoss. Der Besucher bekommt einen Überblick über Luginbühls sämtliche Werkgruppen, vom Künstler selbst eingerichtet: Gross-Eisenplastiken und farbige Holzplastiken, Modelle von Feuerplastiken, Tagebücher, Druckgraphik, Zeichnungen und Filme. <p> Fast wird man überwältigt von der Fülle, Verschiedenartigkeit und Dimension der Exponate, die aus der Halle gleichsam in den Park hinausquellen und ein Spalier bis zum Museumseingang bilden. Von der riesigen besteigbaren Plastik "Großer Boss", 1972, über deren Elefantenrüssel-Rutsche man wieder parterre landet bis, bis zu den Tagebüchern mit ihren Kalligraphien, Zeichnungen und collagierten Einbänden muss sich das Auge immer wieder neu auf Abstand und Nähe einstellen. Das Ganze gleicht einer Wunderkammer voller Überraschungen, durch die man staunend wandelt. <p> Luginbühl, der in Serien arbeitet, zeigt Beispiele der "Atlas"-, "Boss"-, und "Stengel"-Serien, ferner Werke mit Tierskeletten, den "Roßaltar" mit Pferdeschädeln, dessen filigrane Eisengitterflügel motorgetrieben auf- und zuklappen, und einen "Pferdekopf-Altar" als beängstigende Phalanx dicht gereihter Pferdeschädel. Eine Abteilung widmet sich den Feuerplastiken mit Modellen und Videos der Brandaktionen, eine andere reiht Modelle und Kleinplastik aus Holz und Metall nebeneinander. Wer von dieser Ausstellung mehr als einen generellen Eindruck bekommen will, muss wissen, dass er dazu Zeit braucht. <p> Lohnend ist es allemal, nicht zuletzt wegen der Möglichkeit, Luginbühls und Tinguelys Werk zu vergleichen. Während letzterer auch in seinen grössten Werken leicht und filigran bleibt und selbst bei dem unheimlichen "Mengele-Totentanz" aus Überresten eines niedergebrannten Bauernhofs etwas Spielerisches in der Verwandlung des Materials ins Figurative beibehält, ist Luginbühl eine Art Hephaistos in der Schmiede. Das Ausstellungsplakat, das ihn in Silberfolie gehüllt mit einer meterhohen Feuerfontäne über dem Kopf zeigt, illustriert diesen vulkanischen Aspekt. Erz aus den Tiefen der Erde und Feuer sind seine Elemente. Daraus schafft er Werke, die in ihrer Schwere und Erdverbundenheit den Geschöpfen einer Urwelt gleichen oder dazu bestimmt sind, in Feuer und Rauch aufzugehen. Zumal die grossen Eisenplastiken haben oft etwas Tierhaftes, stehen auf stämmigen Beinen, recken Köpfe, strecken Schwänze oder Rüssel. <p> Während Tinguely unterschiedliche Materialien verwendet, neben Schrott und Gebrauchsgegenständen auch Kitschobjekte wie Gartenzwerge, beschränkt sich Luginbühl auf technoides Material: Zahnräder, Schraubenschlüssel, Spiralfedern, Ketten, Bettroste, Gussformen, selbst Schiffsschrauben, Anker und Granatmörser. Dazu kommen Holzgeräte und Tierskelette oder -schädel. Diese Elemente schweisst und schraubt er werkgerecht zu grossen Kompositionen zusammen und transformiert, was ehemals zur industriellen oder handwerklichen Produktion oder zur Fortbewegung diente in Kunstwerke mit der Rostpatina der vergehenden Zeit. Altes und Zeitgenössisches, Starres und Lebendiges, Abstraktes und Figuratives ist gleichermassen darin enthalten. <p> Luginbühl bevorzugt mit dem Eisen eines der dauerhaftesten Materialien, d.h. Dauer ist eine zentrale Kategorie seines Werks. Anders als Eisen- oder Stahlplastiker wie Serra, Caro oder Herbst formt er das Material in der Regel nicht selbst oder lässt es formen, sondern verwendet ehemalige Maschinen- und Funktionsteile. <p> So bestehen seine Werke aus Produkten eines Maschinenzeitalters, das dem Wandel unterworfen ist. Diese Kategorie des Alltäglichen, Vergänglichen, das ihrer Form anhaftet, verbindet ihn wiederum mit den Künstlern, die sich nach der Mitte des letzten Jahrhunderts einem neuen Materialrealismus verschrieben wie etwa die "Nouveaux Réalistes" in Paris, zu denen auch Tinguely gehörte. Nur war ihr Material eben nicht so unverwüstlich; selbst Tinguely integrierte neben Eisenschrott immer auch Zerbrechliches und Morbides. <p> Schliesslich erfährt dieses Material in Luginbühls monumentalen Eisenplastiken eine neue Dauerhaftigkeit durch die schiere Groesse und Schwere der Komposition. Anders als bei Tinguelys ironisch grundierten ruckelnden, toenenden und blinkenden Plastiken ist bei ihnen die Aura des Archaischen, des Mythischen gewollt, dafür sprechen auch die Namen wie "Sisyphos", "Zyklop" oder "Atlas". <p> Diese drei Parameter--die Dauerhaftigkeit im Material, das Vergängliche in der Form und erneute Dauerhaftigkeit durch Monumentalität--machen die Besonderheit von Luginbühls Eisenplastik aus. Denkt man dann noch den anderen Aspekt seines Werks hinzu, die Feuerplastiken, die extrem vergänglich sind, ist man geneigt, dem Oeuvre existentielle Bedeutung zuzuerkennen. <p> Vor dem Überzeitlichen und dem Ephemeren wird sich der Mensch und damit der Betrachter seiner eigenen Vergänglichkeit und Verletztlichkeit bewusst. Man kann Luginbühls rostige Riesen, die Tierschädel und Feuergerippe auch als Menetekel verstehen, die Bescheidenheit vor den Kräften der Natur, der Geschichte und des Schicksals anmahnen und vor menschlicher Hybris warnen. <p> Zum Glück tun sie das nicht dogmatisch, sondern mit einer Prise Humor, die die Kolosse gemütlich macht und den Schrecken mindert, den die Feuerräder versprühen. Doch das ändert nichts an ihrer Botschaft. <p> Zur Ausstellung ist ein Katalogbuch von Bernhard und Ursi Luginbühl erschienen.
If there is additional discussion of this review, you may access it through the network, at: http://www.h-museum.net.
Citation:
Carmen Bosch-Schairer. Review of , Luginbühl Total.
H-Museum, H-Net Reviews.
February, 2004.
URL: http://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=15332
Copyright © 2004 by H-Net, all rights reserved. H-Net permits the redistribution and reprinting of this work for nonprofit, educational purposes, with full and accurate attribution to the author, web location, date of publication, originating list, and H-Net: Humanities & Social Sciences Online. For any other proposed use, contact the Reviews editorial staff at hbooks@mail.h-net.org.