Besucherorientierung als Marketingkonzept amerikanischer Museen--ein Vorbild für deutsche Museen? ICOM-Deutschland.
Reviewed by Carmen Bosch-Schairer
Published on H-Museum (December, 2003)
Vom 12. bis 16. November 2003 fand in Washington, D.C. eine Fachtagung des ICOM-Deutschland zum Thema: Amerikas Museen--Besucherorientiert!, statt. Der vorliegende Text gibt meine Eindrücke als Kulturmanagerin wieder und versucht, auf dieser Basis die Frage zu beantworten, ob deutsche Museen die amerikanischen Modelle der Besucherorientierung mit Gewinn adaptieren könnten. <p> Die Vorträge von Wissenschaftlern, Museums- und Institutsleitern, Experten für Museumsmarketing und -beratung sowie die Museumsführungen vor Ort ergaben folgendes Bild: Besucherorientierung ist ein überall anzutreffendes Merkmal amerikanischer Museen. Sie bieten nicht nur umfangreiche Serviceeinrichtungen an, sondern orientieren sich auch in ihren Ausstellungskonzeptionen, z.T. sogar in der Definition ihrer Aufgaben an Besucherinteressen bzw. Rezeptionsbedingungen. <p> In den USA sind Museen in der Regel selbständige Nonprofit-Betriebe, deren Finanzierung auf drei Säulen ruht: Marginale staatliche Unterstützung auf Bundes-, Staaten- und/oder kommunaler Ebene, private Stiftungen, Schenkungen, Spenden und schließlich eigene Einnahmen, die durchaus die Hälfte des Budgets ausmachen können. <p> Die Abhängigkeit von Eigeneinnahmen ist mithin ein wesentlicher Antrieb für das Selbstverständnis amerikanischer Museen als besucherorientierte Dienstleistungsunternehmen. Zwar wird auch die abstrakte Verantwortung gegenüber der steuerzahlenden Öffentlichkeit als Grund genannt und in Einzelfällen bestimmt die erklärte Absicht zur Aufklärung, Erziehung, Emanzipation etc. die Ausrichtung am Besucher. Doch unabhängig von der jeweiligen Gewichtung und Kombination dieser Motive ist es stets das Ziel, mit attraktiven Angeboten hohe Besucherzahlen zu generieren, die einen Beitrag zur Sicherung des Budgets leisten. Dem gleichen Zweck dient Fundraising, das sich sowohl an Besucher wie an eine erweiterte Öffentlichkeit wendet. Die in den 80er Jahren entstandenen museumskundlichen Universitätsstudiengänge trugen ihren Teil dazu bei, dass betriebswirtschaftliche Grundsätze und Marketingmethoden Einzug in die Museen hielten. <p> Fasst man Besucherorientierung als Kundenorientierung im betriebswirtschaftlichen Sinn auf, so ist sie die Basis des Marketingkonzepts, das jedem Betrieb zugrundeliegt und für alle Abteilungen verbindlich ist. Für das Museum bedeutet das, dass sowohl der ideelle Bereich, in dem sich Zweck und Aufgaben konkretisieren (Ausstellungen, Führungen, Vorträge, Workshops etc.), wie der kommerzielle, in dem Serviceleistungen angeboten werden (Veranstaltungen, Museums-Shops, Catering, Vermietung von Räumen etc.), dem Besucher verpflichtet sind. Mit Blick auf ihn werden die--überwiegend kostenpflichtigen--Angebote geschaffen. Während die kommerzielle Besucherorientierung auch hierzulande bekannt und partiell eingeführt ist, bringt sie im ideellen Bereich Museumstypen und Ausstellungsformen hervor, die mit Konzeption und Erscheinungsbild von Museen in Deutschland nicht mehr viel gemein haben. <p> Als aktuelles Beispiel sei die erlebnisorientierte Präsentation genannt. Exponate werden bevorzugt in narrativen Kontexten vermittelt ("story telling"), der Erlebnisfaktor wird durch Inszenierungstechniken und Medieneinsatz erhöht. Das 2003 eröffnete City Museum of Washington, D.C. repräsentiert diesen Stand in fast idealtypischer Weise. Es bietet nahezu allen Alters- und Interessengruppen vielfältige, unterschiedlich komplexe Zugangswege, von der Multimediashow über den kursorischen oder ausführlichen Besuch der interaktiven Ausstellung bis hin zur wissenschaftlichen Arbeit in der Bibliothek und der Teilnahme an museumspädagogischen Angeboten. <p> Ist Besucherorientierung und damit eine Steigerung der Eigeneinnahmen eine Option für deutsche Museen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer ständigen Verknappung öffentlicher Zuwendungen? Ein detaillierter Blick auf die Ausgangssituation in den USA und in Deutschland zeigt die Grenzen der Übertragbarkeit. <p> In Deutschland sind öffentliche Museen staatlich finanzierte wissenschaftliche Einrichtungen. Dieses Modell gewährt wissenschaftliche Freiheit und relative materielle Absicherung. Damit einher geht die Abhängigkeit von der öffentlichen Hand, die wirtschaftliche Eigeninitiative bisher nur eingeschränkt zulässt. Es besteht weder die Verpflichtung noch die Notwendigkeit, die Öffentlichkeit über die sachorientierte Präsentation der Bestände hinaus zu berücksichtigen. <p> Museen in den USA sind in der Regel nichtstaatliche Nonprofit-Dienstleistungsbetriebe mit marginaler öffentlicher Förderung, die betriebswirtschaftlich geführt werden. Museen, die nicht über grosszügige mäzenatische Unterstützung in Form von Schenkungen oder Stiftungen verfügen wie beispielsweise die National Gallery of Art, Washington, D.C., müssen zur Existenzsicherung auf kundenorientiertes Marketing setzen, das wie gezeigt für alle Bereiche des Museums verbindlich ist. <p> Besucherorientierung ist keine freiwillige Zusatzleistung, sondern funktioniert nur als integrativer Bestandteil des Museumskonzepts. Wollten sich deutsche Museen am Marketinggedanken orientieren, müssten sie sich nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen reorganisieren. Dazu wären Änderungen nötig hinsichtlich Trägerschaft, Rechtsform, Selbstverständnis, Aufgaben und Qualifikation des Personals, um nur die wichtigsten Parameter zu nennen. Ohne starken Veränderungsdruck ist das weder kurz- noch mittelfristig zu erwarten. <p> So bleibt die Einsicht, dass das amerikanische Modell in Einzelheiten Anregungen bietet, doch kein Vorbild für eine Weiterentwicklung des Museumswesens in Deutschland darstellt. Dafür müssen eigene Lösungen gefunden werden. <p> Eine ausführliche Fassung des Textes mit detaillierten Informationen über unterschiedliche Modelle der Besucherorientierung am Beispiel von sechs Museen in Washington und Philadelphia erhalten Sie über: cbs@cbs-kultur.de
If there is additional discussion of this review, you may access it through the network, at: http://www.h-museum.net.
Citation:
Carmen Bosch-Schairer. Review of , Besucherorientierung als Marketingkonzept amerikanischer Museen--ein Vorbild für deutsche Museen?.
H-Museum, H-Net Reviews.
December, 2003.
URL: http://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=15328
Copyright © 2003 by H-Net, all rights reserved. H-Net permits the redistribution and reprinting of this work for nonprofit, educational purposes, with full and accurate attribution to the author, web location, date of publication, originating list, and H-Net: Humanities & Social Sciences Online. For any other proposed use, contact the Reviews editorial staff at hbooks@mail.h-net.org.