Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. Directmedia Publishing.
Published on H-Soz-u-Kult (July, 2000)
In der schon viel geruehmten Reihe "Digitale Bibliothek" des Verlags Direct-Media Publishing GmbH erschien nun auch das Lexikon "Die Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG)" als CD-ROM (Digitale Bibliothek 12). Bei der CD-ROM handelt es sich um die digitale Version der zwischen 1957 und 1965 in dritter, neubearbeiteter Auflage von Kurt Galling herausgegebenen gedruckten Ausgabe des erstmals 1909-1913 erschienenen Lexikons. Die digitale Ausgabe kostet 298 DM / 269 sfr / 2260 oeS und ist damit das mit Abstand teuerste Opus der Reihe (die meisten anderen kosten um die 50 bzw. 100 DM; nur die Goethe-Sammlung schlaegt mit 198 DM auch etwas kraeftiger zu Buche). Die CD-ROM fasst sechs Baende zusammen. Der Registerband ist durch die umfangreichen Suchfunktionen ersetzt worden. <p> Systemvoraussetzung fuer die Installation ist ein PC ab 486 mit mindestens 8 MB RAM, empfohlen werden jedoch 16 MB. Benoetigt werden zudem eine Grafikkarte ab 640 x 480 mit mindestens 256 Farben. Als Betriebssystem werden mindestens Windows 3.1. und 3.11. gebraucht, besser eignen sich aber Windows 95, 98 oder NT. Fuer die aelteren Systeme (Windows 3.1. und 3.11.) gibt es eine 16-Bit-Version, fuer die neueren (ab Windows 95) eine 32-Bit-Version. Eine Mac-Version existiert zur Zeit nicht, die jetzige Software laeuft aber unter Windows-Emulationen auf dem Macintosh. Eine Mac-Version ist nach Angaben des Verlags aber in Planung; wer jetzt eine CD-ROM der Digitalen Bibliothek erwirbt, kann spaeter kostenlos zur Mac-Version updaten. Die Software der Digitalen Bibliothek benoetigt laut Verlag etwa 2 MB Speicherplatz, angeraten werden 1-2 weitere MB fuer Dateien, die bei der Arbeit mit dem Programm angelegt werden. Die Installation wie die Deinstallation ist einfach und erfordert keine speziellen Kenntnisse. Das Programm ist so beschaffen, dass damit saemtliche Baende der Digitalen Bibliothek aufgerufen werden koennen, es beschraenkt sich also nicht nur auf die Nutzung der RGG. Daher erscheinen gelegentlich Menuepunkte und Optionen, die fuer die Nutzung der RGG nicht notwendig bzw. anwendbar sind, aber fuer andere Baende zur Verfuegung stehen (z.B. Tabellen oder Sound). Enthaelt ein Band eine neuere Softwareversion als die zuletzt installierte, muss die Installation aktualisiert werden. Insgesamt kann die Software kostenlos ueber die Hompage des Verlags (http://www.digitale-bibliothek.de) heruntergeladen werden; somit sind die Aktualisierungen leicht zugaenglich. Sollten Probleme bei der Installation oder in der Anwendung auftauchen, bietet der Verlag auf seiner Hompage eine Zusammenfassung der am haeufigsten vorkommenden Probleme und ihrer Loesungen; ausserdem existiert eine umfangreiche Online-Hilfe des Programms, die jederzeit und in allen Programmsituationen gestartet werden kann. <p> Grosses Lob verdient die Tatsache, dass der Verlag sich darum bemueht hat, die Moeglichkeiten einer digitalen Praesentation optimal zu nutzen. Die Editionen der Digitalen Bibliothek heben sich wohltuend von anderen Digitalisierungen ab, die lediglich die gedruckten Versionen einscannen. So sind nicht nur alle im Lexikon vorhandenen Stichwoerter miteinander verlinkt, sondern es werden vielfaeltige Suchfunktionen geboten, anhand derer man je nach Beduerfnis jederzeit rasch zu den gewuenschten Beitraegen gelangt. Benutzerfreundlich ist die Aufteilung des Bildschirms in Funktionsregister und Text, so dass man neben der Lektuere stets wahlweise Inhaltsverzeichnis, Stichwortregister oder das Suchraster aufrufen kann. Die verschiedenen Suchoptionen werden in einem beiliegenden Einfuehrungstext verstaendlich erklaert, so dass die Navigation insgesamt keine Muehe bereitet. Erfreulich ist die Moeglichkeit, Textpassagen mit verschiedenen Farben zu markieren, ebenso koennen der Text sowie die integrierten Bilddateien (Karten, Abbildungen) vergroessert oder verkleinert werden. Ein besonderer Service ist der sog. digitale Zettelkasten--gemeint ist die Moeglichkeit, markierte Textpassagen zu verwalten und zu bearbeiten. Ein Funktionsregister 'Notizen' bietet einen einfachen Texteditor, so dass Eingaben gespeichert oder in ein Textverarbeitungsprogramm kopiert werden koennen. Mehr eine Spielerei ist die Moeglichkeit, Schriftart und Papierfarbe zu veraendern. Positiv ist auch der Verzicht auf jedes Blendwerk oder farbig blinkende Nutzlosigkeiten. Die optische Gestaltung ist den Beduerfnissen langer Bildschirmbetrachtung gut angepasst. Schoen waere es gewesen, wenn man die Moeglichkeit genutzt haette, noch mehr Bilddateien als die vorhandenen zu integrieren. So gibt es zwar einzelne Karten und Abbildungen, doch haette man mit neuen Abbildungen und etwas Farbigkeit (die Abbildungen sind alle schwarz-weiss) staerkeren optischen Eindruck vermitteln koennen. Angenehm ist, dass man bei der Lektuere einzelner Beitraege auf die vorhandenen Abbildungen aufmerksam gemacht wird und sie sogleich abrufen kann. <p> Negativ faellt ins Auge, dass die Ausgabe des Lexikons nunmehr 40 Jahre alt ist und sich daher nicht mehr auf einem aktuellen Stand befindet. Fuer die CD-ROM wurde keine Neubearbeitung der Beitraege vorgenommen, wohl aber ist derzeit eine vierte gedruckte Auflage in Bearbeitung, deren ersten beiden Baende bereits vorliegen (Buchstaben A-D). Es stellt sich die Frage, warum dann zeitgleich eine wesentlich aeltere Ausgabe digitalisiert wird, zumal es sich bei der vierten Auflage um eine komplette Neubearbeitung handelt. Der Verlag argumentiert damit, dass es sich augenblicklich um die aktuellste vollstaendige Version handle und mit dem Abschluss der vierten Auflage vor der Mitte des kommenden Jahrzehnts nicht zu rechnen sei. Das Argument mag gelten, aber es draengt sich die Frage auf, ob sich die Investition von immerhin 298 DM lohnt, wenn bereits zwei Baende der neuen Auflage in den Regalen der Bibliotheken stehen. <p> Im Vergleich zur zweiten Auflage, die noch ueberwiegend aus deutscher Sicht gestaltet ist, haben sich die Herausgeber der dritten Auflage bemueht, den Horizont zu erweitern. Der gesamte Bereich der orthodoxen Kirche wurde miteinbezogen, ebenso wurde den Bereichen Oekumene und Mission sowie den "Jungen Kirchen" in Afrika und Asien Raum gegeben. Neben den theologischen Hauptdisziplinen und der Religionsgeschichte werden nun auch Beitraege zur biblischen und christlichen Archaeologie und Kunst, zum Kirchenrecht und zur Kirchenmusik geboten, in Auswahl auch zu Paedagogik, Literatur- und Sozialwissenschaft. In den klassischen Bereichen wurden die Beitraege um Hermeneutik, Auslegungsgeschichtliches zu einzelnen biblischen Buechern und zu den Themen Kirchenkampf, Qumran und Widerstandsrecht ergaenzt; erweitert wurden Beitraege zu Bekenntnis, Gesetz, Evangelium etc. Damit sollte einer Neuorientierung und bewussten Gegenwartsbezogenheit Ausdruck gegeben werden. Um die wesentlich breitere Faecherung sinnvoll praesentieren zu koennen, wurden manche Bereiche in groessere Hauptartikel zusammengefasst. Generell ist anzumerken, dass die RGG nicht, wie der Titel suggeriert, ein allgemein religionsgeschichtliches Nachschlagewerk ist, sondern sich nach wie vor stark evangelisch-christlich ausgerichtet praesentiert. Dies ist ausdruecklich ein Anliegen der Herausgeber: "Der christliche Glaube im evangelischen Verstaendnis soll die Neuauflage [d.i. die dritte Auflage] des Werkes bestimmen. Er ist die ordnende Mitte, von der aus kritisch zu allen Erscheinungsformen des Religioesen Stellung genommen wird".[1] Das wird weniger aus moralphilosophischer Sicht als vielmehr ueber die Auswahl der Stichwoerter und die allgemein anzutreffende Kategorisierung in 'christlich' und 'nichtchristlich' deutlich. Zwar findet man das gaengige Vokabular aus der Religionswissenschaft und Religionsethnologie vertreten, doch beschraenkt sich die Information mehr auf wissenschaftstheoretische, deskriptive oder analytische Begriffe (z.B. Animismus, Urmonotheismus, Kopfjagd o.ae.). Schwach wirken im Vergleich dazu die Beitraege zu einzelnen Laendern oder Ethnien; insbesondere bei den aussereuropaeischen Laendern faellt ins Auge, dass sich die Informationen auf die Geschichte der christlichen Mission beschraenken. Uebersichtlichere Informationen bieten zusammenfassende Artikel wie etwa zu Afrika, doch auch hier wird die Mission als Ueberwindung indigener religioeser Systeme missverstanden (eine schlechte Konkurrenz ist mithin der Islam!). Die Beitraege zu anderen Religionen fallen ebenfalls eher duerftig aus; meist sind sie unter den uebergeordneten Stichwoertern Islam, Buddhismus, Hinduismus etc. subsummiert. Allgemein mag diese Haltung aus christlicher Perspektive verstaendlich sein, um so mehr, als das neue "Ernstnehmen des christlichen Glaubens [...]" rueckblickend von den Herausgebern der vierten Auflage auf den mit dem Ende des zweiten Weltkrieges eingetretenen Zusammenbruch in den Bereichen Religion, Theologie und Kirche in Zusammenhang gebracht wurde. Gerade diese stark auf einen bestimmten historischen Zeitraum zugeschnittene Auspraegung des Lexikons macht es schwierig, die Ansprueche an Zeitgemaesses und Aktualitaet heute noch befriedigt zu sehen. In dieser Hinsicht will die Neubearbeitung fuer die vierte Auflage Abhilfe schaffen; aussereuropaeische Laender sollen staerker als bisher beruecksichtigt werden. Dass dies um so dringender geboten ist, laesst sich mit dem Verweis auf die grossen politischen Veraenderungen beispielsweise in Afrika bezeugen. So findet man etwa den heutigen Staat Benin in der aelteren Ausgabe nicht, dafuer liest man aber unter dem Stichwort Kenya von einer britischen Kolonie. Neuere Entwicklungen in der theoretischen Diskussion wie in der Zeitgeschichte sind naturgemaess ebenfalls nicht vorhanden. Die neue, vierte Auflage bietet neben der Aktualisierung der bereits vorhandenen Stichwoerter auch eine breitere Perspektive; die Herausgeber wollen dem Lexikon "in Zukunft ein noch staerkeres internationales Profil"[2] geben. Hierfuer wurden zusaetzliche Experten aus den entsprechenden Fachbereichen berufen. Ob dies so eingehalten wird, ist nicht an dieser Stelle zu eroertern.[3] <p> Zusammenfassend laesst sich sagen, dass die CD-ROM zwar dank ihrer computertechnisch umfassenden Verwendungsmoeglichkeiten beeindruckt--hier ist vor allem das Gesamtkonzept der Digitalen Bibliothek hervorzuheben-- und das Arbeiten am heimischen PC auf angenehme Weise erleichtert. Doch dies laesst kaum ueber die Ueberschneidung mit der Neubearbeitung fuer die vierte Auflage hinwegsehen. Fraglich ist, wer die CD-ROM eigentlich kaufen soll; von den Moeglichkeiten her ist sie vor allem fuer private Nutzer interessant, dafuer jedoch viel zu teuer. Ein Gang in die naechste groessere Bibliothek ist sicher die bessere Wahl, da dort neben den aelteren Baenden bereits die ersten Baende der Neuauflage stehen duerften. Aus demselben Grund werden sich Bibliotheken die Anschaffung wohl auch zweimal ueberlegen. Insgesamt haette ich es fuer angemessen gehalten, den Abschluss der Neubearbeitung abzuwarten und dann eine brandaktuelle CD-ROM zu praesentieren oder aber ein anderes Nachschlagewerk ins Programm aufzunehmen, das auf absehbare Zeit sicher nicht durch eine neue Version abgeloest werden wird. Somit bleibt das Lexikon auf CD-ROM brauchbar fuer alle klassischen christlich-theologischen Grundbegriffe, hier erhaelt man nach wie vor solide Information. Auch fuer diverse Begriffe aus der Religionswissenschaft, Ethnologie oder Kunstgeschichte bietet das Lexikon einen ersten, guten Einstieg. Vollkommen veraltet sind aber saemtliche Literaturangaben und alle Informationen, die sich auf einzelne Laender beziehen oder sonst Anspruch auf Aktualitaet haben. <p> Anmerkungen: <p> [1]. Vgl. Vorwort S. 6 der digitalen Ausgabe. <p> [2]. Religion in Geschichte und Gegenwart, Vierte Auflage, Band 1, Vorwort zur vierten Auflage, 1998. <p> [3]. Grundsaetzlich waere anzumerken, dass ein Lexikon, das den Titel "Religion in Geschichte und Gegenwart" fuehrt, eigentlich eine konfessionelle wie allgemein religioese Ungebundenheit erwarten laesst. Es ist nicht zuletzt ein Politikum, wenn man mit einer ueberstarken Dominanz der christlichen Religion und der gelegentlich immer noch genutzten kategorialen Trennung in christlich und nichtchristlich arbeitet; als Angehoeriger des Islam oder einer anderen Religion mag man sich auf den Schlips getreten fuehlen. Offenbar sind die Gestalter des Werkes noch immer stark zwischen dem Ansinnen, christliche Werte zu bewahren und Wissen ueber die christliche Religion zu vermitteln, und dem Anspruch, in einer zunehmend globalisierten Welt eine gewisse kulturrelativistische Toleranz walten zu lassen, hin- und hergerissen. Neu ist immerhin eine profunde Verstaendigung mit juedischen Religionswissenschaftlern, vor allem im Umgang mit biblischen Texten.
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