Das Grabmal Kaiser Heinrichs III. in Goslar. D?hrkohp & Radicke.
Published on H-Soz-u-Kult (May, 1999)
Das Wichtigste vorweg: Das Zauberwort "CD-ROM" hatte in der buchgewohnten Mediaevistin wohl allzu utopische Vorstellungen von mediengerechten Verknuepfungen, bewegten Bildern und Toenen und Moeglichkeiten selbstgewaehlter Informationskombinationen ausgeloest. Die vorliegende "wissenschaftliche Publikation auf Datentraeger" zeigt als Negativbeispiel deutlich, dass sich Struktur und Praesentation der Information und das gewaehlte Medium gegenseitig bedingen. Eine CD-Publikation ist nur sinnvoll, wenn der Inhalt entsprechend aufbereitet und organisiert ist. <p> Die Goettinger Magisterarbeit kann mit allen einschlaegigen Systemen gelesen werden (Windows 3.xx, Windows 95, Macinthosh, UNIX). Die Installation ist mit der entsprechenden Hardware (Windows-kompatibler PC mit 486er oder Pentium- Prozessor bzw. Apple Macintosh oder Power Macintosh, mindestens 8 MB Arbeitsspeicher, CD-ROM Laufwerk) auch fuer Computerlaien sehr einfach. <p> Nach dem Erfolgserlebnis der Installation dann die Enttaeuschung. Auf dem Bildschirm erscheint schlicht die Titelseite der Arbeit zum "Grabmal Kaiser Heinrichs III. in Goslar", das Navigieren ueber den Randbalken oder das auf Mausklick in einem Nebendokument erscheinende Inhaltsverzeichnis fuehrt von Seite zu Seite--kontinuierlich oder jeweils an den Beginn eines angewaehlten Kapitels springend--eines herkoemmlichen Buchmanuskripts einschliesslich Fussnoten und Abbildungsverzeichnis. Zum Glueck lassen sich die insgesamt 157 Seiten ausdrucken, und so ist die vertraute Buchform, wenn auch nicht als Monument dauerhafter als Erz, aber immerhin leserlich, bald hergestellt. <p> Der Autor sucht den "kunsthistorischen und historischen Hintergrund zu erhellen, in dem das Grabmal Heinrichs III. gesehen werden muss". Die Untersuchung ikonographischer Details sowie Stilvergleich und Ueberlegungen zum Bildtyp grenzen die Entstehungszeit der Skulptur zwischen 1260 und 1290 ein. Damit sei das zweitaelteste figuerliche Koenigsgrabmal in Deutschland benannt. Der Autor sieht die Errichtung des Grabmals als Antwort auf eine tiefgreifende Krise, in die das Stift St. Simon und Judas in Goslar in der zweiten Haelfte des 13. Jh. gekommen sei. Bereits in den zwanziger Jahren des 13. Jahrhunderts liess das Interesse der Koenige an ihrer Goslarer Residenz nach, nach der Jahrhundertmitte kam es dann zu verschaerften Konflikten mit der Stadt Goslar. Wirtschaftliche Probleme begleiteten die Auseinandersetzungen. Die Errichtung des Grabmals, die moeglicherweise mit einer grundlegenden Veraenderung der Gedenkliturgie einherging, unterstrich die Kaisernaehe des Stiftes und sollte gleichzeitig dessen offenbar umstrittene wirtschaftliche Ansprueche legitimieren. Nach innen "konnte die Besinnung auf die Tradition und die grosse Geschichte identitaetsstiftend sein", eine Zielsetzung, die angesichts einer stark gewandelten sozialen Zusammensetzung der Stiftsangehoerigen wuenschbar war. Ob das Monument zur Entstehungszeit und danach tatsaechlich die entsprechenden Funktionen der Identitaetsbildung und Legitimation wahrnehmen konnte, bleibt leider unbeantwortet. Der Autor weist an dieser Stelle noch darauf hin, dass die zur gleichen Zeit (1286-88) entstehende Stiftschronik die gleichen "Funktionen" (oder ist hier eher die Zielsetzung der Hersteller angesprochen?) wie das Grabmal, naemlich "Identitaetsstiftung und Demonstration von Selbstbewusstsein" hatte. Dieser naheliegenden Beobachtung gaelte es genauer nachzugehen, da Chronik und Stifterbild zwar durchaus dem gleichen zeitlichen und sozialen Kontext entsprungen sein koennen, der materielle und wohl auch der Handlungskontext, in dem die beiden Objekte stehen, aber grundlegend verschieden sind. <p> Waehrend die geschilderten Zusammenhaenge von lokaler Situation und Motiven zur Herstellung des Grabmals zwar zum Teil eher allgemein bleiben, aber durchaus ueberzeugen (der Autor bestaetigt hier die von Christine Sauer in ihrer wegleitenden Arbeit "Fundatio und Memoria. Stifter und Klostergruender im Bild 1100 bis 1350, Goettingen 1993" entwickelte These), bleiben die Aussagen des Autors andernorts beliebig. So seien beispielsweise gemaess der einschlaegigen Sekundaerliteratur "niemals" Hunde auf Grabmaelern fuer Herrscher abgebildet. Die Frage, die aus einer solchen Beobachtung (wenn sie denn tatsaechlich den Gegebenheiten entspricht) resultieren muesste, wird kurzerhand dahingehend beantwortet, dass Goslar einfach das frueheste bekannte Beispiel dieser Art sei und Hunde mit Herrschern sowieso die "grosse Ausnahme" darstellten. Und da ein Hund neben negativen und positiven Aspekten auch Treue symbolisieren koenne (wann? wo? in welchem Kontext?) "verkoerpert [er] hier die Treue, die Heinrich seiner gestifteten Gemeinschaft bewiesen hat"--eine Behauptung, die weder aus der Sekundaerliteratur noch aus den Quellenstudien des Autors ableitbar ist. Auch ein in der Zusammenfassung nochmals hervorgehobenes Ergebnis des Autors fordert Widerspruch heraus, naemlich die Aussage, dass das Grabmal "die einzige monumentale Skulptur des Mittelalters im deutschsprachigen Raum darstellt, die alle drei Funktionen, die Bloch[1] als Bedingung fuer die Darstellung des Menschen im Mittelalter nennt, in einem Bild vereint: Herrscherbild-- Grabbild--Stifterbild". Abgesehen davon, dass uns der Autor eine Bewertung dieser Aussage schuldig bleibt und dass die Definition eines "Herrschers" in der mittelalterlichen Adelsgesellschaft wohl nicht auf den Kaiser eingeschraenkt werden sollte, ist die Bemerkung auch auf konkreter Ebene nicht nachvollziehbar: Nur schon im vom Autor zitierten Werk von Sauer werden eine ganze Reihe von Monumenten mit diesen drei "Funktionen" erwaehnt. <p> Als Ergebnis vermag die chronologische Einordnung des Grabmals aufgrund kunsthistorischer Merkmale zu ueberzeugen. Wer eine quellenkritisch fundierte, tatsaechlich kontextbezogene Analyse einerseits der Umstaende erwartete, die zur Errichtung des Grabmals fuehrten, und andererseits der Funktionen, die dieses fuer Stift und Stadt im Lauf der Zeit wahrnahm, bleibt zwar mit einigen anregenden Hinweisen versehen, aber im grossen Ganzen unbefriedigt zurueck. Anmerkung: <p> [1]. Bloch, Peters. Das Bild des Menschen im Mittelalter: Herrscherbild--Grabbild--Stifterbild, in: Bilder vom Menschen in der Kunst des Mittelalters, Berlin 1980, S. 107-141.
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May, 1999.
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