Uwe Schirmer. Kursächsische Staatsfinanzen (1456-1656): Strukturen--Verfassung--Funktionseliten. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2006. 1007 pp. EUR 76.00 (cloth), ISBN 978-3-515-08955-5.
Reviewed by Dagmar Droesser (Humboldt-Universität, Berlin)
Published on H-German (March, 2008)
Langzeitbeobachtung der kursächsischen Staatsfinanzen in der Frühen Neuzeit
Denkt man bei dem Begriff Finanzgeschichte vielleicht an verstaubte Rechnungsbücher und trockene Zahlen, wird man bei genauerer Betrachtung positiv überrascht. Die Finanzgeschichte sagt mehr aus. Nicht allein aus diesem Grunde ist die Finanzgeschichte seit 1970 verstärkt in den Fokus der Geschichtswissenschaft gerückt. Ist es doch möglich, anhand der Finanzen auf Kultur-, Alltags-, Politik- und Mentalitätsgeschichte Rückschlüsse zu ziehen. Uwe Schirmer legt in seiner 2003/2004 eingereichten Habilitationsschrift die Geschichte der kursächsischen Staatsfinanzen von 1456 bis 1656 vor. Die Forschungsarbeit fokussiert die Entwicklung der kursächsischen Staatsfinanzen als eine Problemgeschichte des Staatsbildungsprozesses. Mit seiner Langzeitbeobachtung möchte er ein Desiderat in der sächsischen Landesgeschichtsforschung schließen. Denn bisher verfaßten im 19. Jahrhundert Robert Wuttke und Johannes Falke für den Großraum Sachsen Tabellenwerke und Finanzgeschichten.[1]
Die Grundlage bildet zu großen Teilen unediertes Quellenmaterial aus den Hauptstaatsarchiven Weimar und Dresden. Nur in Ausnahmefällen konnte auf gedrucktes Material zurückgegriffen werden, wobei jedoch auch dort durch den Habilitanden eine Systematisierung notwendig war.[2] Schirmer betont, daß seine Studie auf neu erschlossenem Archivmaterial basiert, "damit steht und fällt sie" (S. 48). Die Arbeit ist ein gutes Stück Fleißarbeit, mußte Schirmer zur Sichtung des Materials an die 240 Findbücher durchsehen. Die daraus resultierenden Datenmengen und die Fülle an Quellen sind oft unüberschaubar und konnten nicht alle vom Autor genutzt werden. So verzichtete Uwe Schirmer auf ein detailliertes Eingehen zur Kipper- und Wipperzeit (S. 48). Um einen durchschnittlichen Jahreshaushalt für Kursachsen errechnen zu können, mußte der Autor Zahlen aus verschiedenen Rechnungsakten und andere Quellen sortieren, auswerten und neu zusammenfassen. Seine Quellenarbeit ist eine respektable Leistung.
Ziel der Arbeit ist die Rekonstruktion der landesherrlichen und landständischen Einnahmen und Ausgaben für den Zeitraum zwischen 1456 und 1656. Des weiteren wird der Entwicklung und Ausformung der gesamten Finanzverwaltung sowie der Frage nach den wesentlichen Entscheidungsträgern innerhalb der kursächsischen Finanzverwaltung nachgegangen. Der Autor verfolgt in seiner Studie einen strukturgeschichtlichen Ansatz mit einer statistisch-quantitativen Erfassung aller Einnahmen und Ausgaben. Dabei möchte Schirmer den gewählten Ansatz immer wieder durch alltagsgeschichtliche und sozialgeschichtliche Beobachtungen vervollständigen. Ebenfalls sollen die kursächsischen Staatsfinanzen im Kontext des Staatsbildungsprozesses beleuchtet werden. Zwar weist Schirmer immer wieder auf die frühmoderne Staatlichkeit hin, jedoch mangelt es diesen Äußerungen oftmals an einem konsequenten Aufbau. Seine thesenartigen Erläuterungen lesen sich zu gewollt (vgl. S. 273).
Schirmer wählt die Zeitspanne von 1456 bis 1656. Im Zentrum stehen das Land Kursachsen mit seinen Fürsten und deren Höfe. Besondere Beachtung erhalten dabei, wie im Titel schon vermerkt, die Strukturen, die Verfassung und die Funktionseliten. Schirmer ist es wichtig, die Abhängigkeitsstrukturen zwischen Fürst und Ständen, aber auch die Verknüpfung von Land und Fürst aufzuzeigen. Ebenfalls stellt der Autor nicht nur die Frage nach dem Geld, sondern auch von wem es kommt. Die Analyse der Gläubiger unter besonderer Berücksichtigung ihrer sozialen und regionalen Herkunft, läßt den Leser in das soziale Netzwerk der Gläubiger und ihrer Verbindungen zum Fürsten und seinem Hof eintauchen. Die besondere Beziehung zwischen Adel und Fürst sowie Fürst und Gläubigern wird umfangreich beschrieben.
Die Arbeit ist in vier große Teile gegliedert, jeder Teilabschnitt wird neben kleinen Abweichungen nach einem bestimmten Muster betrachtet. Als erstes stellt Schirmer dem Leser die Finanzverwaltung des jeweiligen Kurfürsten vor und lenkt dann den Blick auf die verschiedenen Einnahmequellen wie Ämter, Montanwirtschaft, Schatzkammer, Gemeine, Neue und Mittelalterliche Einnahmen. Anschließend werden die verschiedenen Ausgaben betrachtet, unter die auch der Fürst, die fürstliche Familie und die Hofhaltung fallen sowie Personal, Verwaltung, Zeughäuser, Gebäude, Militärwesen, Ämter, gekaufte Güter und die Schuldentilgung. Jeweils eine Zwischenbilanz beendet die vier Großkapitel.
Der erste Teil beginnt mit dem Jahr 1456, als Kanzler Georg von Haugwitz eine Anordnung zur Straffung der Ämter mit einheitlicher Führung zur Gesundung des sächsischen Finanzsystems erließ. Ebenfalls wurde in diesem Jahr eine Hofordnung erlassen, die größere Sparsamkeit und Haushaltung anstrebte. Schirmer schlägt in seinem ersten Großkapitel den Bogen von 1456 bis zur Leipziger Teilung 1485. Er schildert die schwierige materielle Situation unter Kurfürst Friedrich II., welche sich erst unter Kurfürst Ernst und seinem Landrentmeister Johann von Mergenthal allmählich besserte. Mergenthal reformierte das sächsische Finanzwesen deutlich, indem er die Kontrollen über die Ämter verbesserte und das Rechnungswesen intensivierte. Die Einführung einer indirekten Steuer (Tranksteuer), von der ein Viertel des Betrages an den schriftsässigen Adel und die schriftsässigen Städte abfiel, deckte ein Großteil des landesherrlichen Haushaltes ab. Als eine besondere finanzielle Spritze erwies sich ab 1470 der erzgebirgische Silberbergbau für Sachsen. In kürzester Zeit konnte das kursächsische Finanz-, Rechnungs- und Haushaltswesen auf eine stabile Grundlage gestellt werden.
Im zweiten Abschnitt behandelt Schirmer über fünfzig Jahre sächsische Geschichte (1485-1539/47). Die Besonderheit in diesem Abschnitt gilt der mit der Leipziger Teilung einhergehenden Teilung Kursachsens. Das ernestinische Kurfürstentum wird wie das albertinische Sachsen getrennt voneinander betrachtet. Zu einem ausführlichen Vergleich der beiden Landesteile kommt es nicht. Zwar geben Tabellen vergleichende Auskunft über die Haushalte der verschiedenen Kurfürsten, im Text fehlt jedoch ein ausführlicher Kommentar dazu. Die Leipziger Teilung brachte zunächst keine Veränderung innerhalb der Finanzverwaltung. Kurfürst Ernst und Herzog Albrecht hatten sich 1485 vertraglich auf die Aufteilung der Silbereinkünfte geeinigt. Beide setzten zur Verwaltung der Silbereinkünfte einen eigenen Zehntner ein. Erst 1487/88 wurde im Rahmen der albertinischen Finanzreform die Kasse des Landrentmeisters mit der Kasse des Zehntner zusammengelegt. Jacob Blasbalg stand an der Spitze des albertinischen Finanzsystems. Diese Reform wurde 1492 von den Ernestinern übernommen. Während sich bei den Ernestinern die Finanzverwaltung von der Figur des Kurfürsten löste, kam es bei den Albertinern nach einigen außenpolitischen Ereignissen zur Leitung des Finanzwesens durch Herzog Georg. Die Länder entwickelten sich zu Finanzstaaten, da sich die fürstliche Herrschaftspraxis vollständig auf der Geldwirtschaft begründete. Neben diesen Entwicklungen beschreibt Schirmer den Aufstieg der Landstände zu fast gleichberechtigten Partnern des Fürsten sowie den Ausbau der ernestinischen Landesverwaltung.
Der dritte Teil der Arbeit behandelt den Zeitraum zwischen 1539/40 und 1591. Hatte Herzog Georg die Finanzverwaltung noch unter seiner Kontrolle, überließ Moritz die Verwaltungsarbeit der Kammer seinen Räten Georg von Karlowitz und Ernst von Miltitz. Erst nach der Wittenberger Kapitulation (1547/48) und der Abwanderung einiger ernestinischer Verwaltungsfachleute kam eine spürbare Modernisierung in das Finanzwesen Kursachsens. Der 1551 in albertinische Dienste getretene ehemalige ernestinische Kämmerer Hans von Ponickau regte eine Reform nach ernestinischem Vorbild an. Er systematisierte das Rechnungswesen, erneuerte die Buchführung und wollte das Finanzwesen vom Kurfürsten lösen. Allerdings scheiterte Hans von Ponickau am Mißtrauen des Kurfürsten August. Dieser nahm die Verwaltung der Finanzen zwischen 1563 und 1578 wieder selbst in die Hand. Aufgrund des großen Arbeitsaufwandes überließ Kurfürst August zwischen 1578 und 1583 seinem Vertrauten Hans von Bernstein die Finanzverwaltung, bevor er sie erneut bis zu seinem Tod 1586 selbst verwaltete. Erst nach dem Ableben von Kurfürst August konnten entschiedene Reformen umgesetzt werden. Insgesamt stellt die Zeit zwischen 1541 und 1591 die Blütezeit des albertinisch-kursächsischen Finanz-, Wirtschafts- und Verwaltungsstaats dar. Unter Kurfürst August wurde verstärkt das Territorium ausgebaut und die Gründung eines Obersteuerkollegiums stellte das kursächsische Kreditwesen auf eine feste Grundlage.
Der vierte und letzte Teil gilt der Betrachtung des Zeitabschnitts von 1591 bis 1656. Der kursächsische Steuer- und Verwaltungsstaat gehört dank seiner Reformen zu den modernsten des Alten Reiches. Der Verwaltungsapparat war vollkommen ausgebildet. Für äußere Angelegenheiten war der Geheime Rat zuständig, für Inneres und Justiz war die Landesregierung verantwortlich. Die Rentkammer und das Obersteuerkollegium kümmerten sich um die Finanzen, das Oberkonsistorium war für Religion und Bildung zuständig. Zusätzlich gab es 1606 die Bergexpedition für Bergbau und Montanwesen sowie 1620/22 die Geheime Kriegskanzlei und das Kriegszahlamt für das Militär. Die kursächsischen Stände waren fest in das System integriert. Kursachsen hatte sich zu einem Steuer- und Verwaltungsstaat entwickelt. Allerdings kam es gleichzeitig auch zu einer immer größeren Verschuldung. Nicht nur die Kosten für Fürst, Hof und den Verwaltungsapparat stiegen jährlich, sondern auch die Sonderausgaben für Kriege und die neuen Möglichkeiten durch Schuldscheine ließen einen immer größeren Spielraum für das Kreditwesen.
Schirmer zeigt in seiner Studie ein vielschichtiges Bild des sächsischen Territoriums mit den zahlreichen Facetten der Steuereinnahmen, -ausgaben und Verwaltungsmöglichkeiten auf. Daneben unternimmt er regelmäßig Ausflüge in die Bereiche der Politik-, Alltags- und Kulturgeschichte. So lassen sich beispielsweise aufgrund der Rechnungen für den fürstlichen Hof genaue Rückschlüsse auf die Bewirtung bei Hochzeitsfeiern, den Umfang der Hochzeitsgesellschaft und die Bekleidung des Fürsten schließen (S. 183ff.). Die Möglichkeit von Finanzgeschichte auf Kultur-, Alltags-, Politik- und Mentalitätsgeschichte zu schließen, wird beim Lesen des Buches sehr deutlich. Die Grundlage für weitergehende Forschungen in der sächsischen Landesgeschichte ist damit gelegt.
Abgerundet wird die Habilitationsschrift durch ein umfangreiches Tabellenwerk. Die Tabellen bieten nicht nur eine Übersicht über Einnahmen und Ausgaben einzelner Fürsten, sondern auch die Möglichkeit eines Vergleiches der einzelnen Haushalte untereinander (S. 922f.). Obwohl zahlreiche biographische Hinweise über Personen aus dem Finanzwesen und der näheren Umgebung der Fürsten in der Studie vorhanden sind, wäre ein gesonderter prosopographischer Anhang wünschenswert gewesen.
Insgesamt handelt es sich bei der Habilitationsschrift von Schirmer um ein sorgfältig recherchiertes und gut lesbares Werk, welches einem den Einblick nicht nur in die Finanzgeschichte, sondern auch in die damit verbundene Alltags-, Sozial- und Mentalitätsgeschichte gewährt und damit eine empfehlenswerte Grundlage für weitergehende Forschungen bietet.
Notes
[1]. Robert Wuttke, Tabellen zu den Vorträgen über sächsische Finanz-Geschichte (Dresden: Manuskript Gehe-Stiftung, 1894); Johannes Falke, "Bete, Zise und Ungeld im Kurfürstentum Sachsen bis zur Teilung 1485," Mitteilungen des Königlich Sächsischen Altertumsvereins 19 (1869): 32-59, and "Die Finanzwirtschaft im Kurfürstentum Sachsen im Jahr 1470," Mitteilungen des Königlich Sächsischen Altertumsvereins 20 (1870): 78-106.
[2]. Hugo Grosse, Die kursächsischen Finanzen am Ausgang des Mittelalters (Leipzig: Univ. Diss., 1919) und Alexander Puff, Die Finanzen Albrecht des Beherzten (Leipzig: Quelle & Meyer, 1911).
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Citation:
Dagmar Droesser. Review of Schirmer, Uwe, Kursächsische Staatsfinanzen (1456-1656): Strukturen--Verfassung--Funktionseliten.
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