Claus W. Schäfer. André Francois-Poncet als Botschafter in Berlin (1931-1938). München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2004. 382 S. EUR 64.80 (cloth), ISBN 978-3-486-56844-8.
Reviewed by Sylvia Taschka (Department of History, Wayne State University)
Published on H-German (January, 2008)
Der falsche Mann zur falschen Zeit am falschen Ort
Als der Diplomat Andre François-Poncet im September 1931 sein Amt als Botschafter Frankreichs in Berlin antrat, kam er mit dem festen Vorsatz, eine Verständigung zwischen den Erbfeinden Deutschland und Frankreich zu erreichen. Claus Schäfer versucht in seiner Studie über den Diplomaten, den er für einen der bedeutendsten Deutschlandpolitiker Frankreichs im 20. Jahrhundert hält, dieses bekanntermassen erfolglose Unterfangen minutiös zu rekonstruieren.
Dabei bedient er sich Methoden der Kognitionsforschung und behandelt insbesondere die Entwicklungen der deutschlandpolitischen Vorstellungen François-Poncets im Hinblick auf "seine Perzeption und Imagination von Deutschland und seiner Konzeption der Deutschlandpolitik" (S. 24). Schäfers Studie gegenüber früheren Forschungsarbeiten über Francois-Poncet sticht insoweit hervor, als er zum ersten Mal den seiner Meinung nach für die deutschlandpolitischen Vorstellungen des Botschafters entscheidenden Quellenfundus der Ambassade de Berlin im Centre des Archives diplomatiques de Nantes umfassend auswertete, der nicht nur die kompletten Telegramme und Depeschen der Berliner Botschaft, sondern insbesondere auch die persönlichen Handakten des Botschafters enthält.
Mit Hilfe dieser und anderer Quellen rekonstruiert Schäfer in den insgesamt sieben Kapiteln akribisch François-Poncets Vorstellungen über Deutschland und die deutsch-französischen Beziehungen sowie die Handelsempfehlungen, die er angesichts seiner Beobachtungen an die französische Regierung gab. Dabei ist jedes Kapitel in eine Binnenstruktur von Perzeption, Imagination und Konzeption des Botschafters unterteilt--ein theoretisches Korsett, das bisweilen etwas gezwungen wirkt.
Abgesehen davon sind die Kapitel chronologisch angeordnet: In den ersten drei Kapiteln erfährt der Leser, wie François-Poncet sich zunächst vergeblich bemühte, bei Brüning und Papen mit seinem wirtschaftlichen Verständigungskonzept durchzudringen ("Geld gegen Garantien" hieß seine Formel), aber allein aufgrund der innenpolitischen Widerstände im Reich keinen Erfolg hatte. Schon im Sommer 1932 war sein Konzept endgültig gescheitert. Daraufhin bemühte sich der Diplomat um eine Verständigung durch ein rüstungspolitisches Konzept, das sowohl Deutschland als auch Frankreich Zugeständnisse abverlangte und daher von beiden Seiten energisch abgelehnt wurde.
Ironischerweise hatte François-Poncet in diesem Zusammenhang gehofft, dem nationalsozialistischen Deutschland aufgrund seiner internationalen Isolation mehr Zugeständnisse abringen zu können. Diese Hoffnung zerschlug sich indes bald und somit war der Botschafter auch mit seinem zweiten Verständigungskonzept gescheitert.
Wie Schäfer in Kapitel 4 und 5 der Arbeit eingehend zeigt, waren es die Ereignisse der Jahre 1934/35--angefangen mit der aggressiven Selbstdarstellung der NSDAP auf dem "Parteitag des Willens" in Nürnberg 1934 bis hin zur Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland im Frühjahr 1935--die Francois-Ponçet veranlaßten, seine Deutschlandvorstellungen grundlegend zu überdenken. Der Botschafter war nun davon überzeugt, daß Hitlers Deutschland auf einen Krieg zusteuerte, und er wollte eine Verwicklung Frankreichs verhindern. Seine Versuche, mit der Stresa-Front eine schlagkräftige antideutsche Allianz zu schaffen, waren indes nur von kurzem Erfolg, und so kehrte François-Poncet schon Ende des Jahres 1935 zu einer Verständigungspolitik zurück.
Mit dieser Erkenntnis distanziert sich Schäfer merklich von bisherigen Studien über den Botschafter, die mit der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht allesamt einen Wendepunkt, einen "point of no return" in der Deutschlandpolitik François-Poncets sahen (S. 317). Schäfer hingegen zeigt, daß François-Poncet auch nach diesem Ereignis wieder eine Verständigung mit Deutschland suchte, diesmal allerdings ohne Illusionen und aus rein strategischen Überlegungen: Indem der Botschafter Deutschland zwingen wollte, klare Entscheidungen über seine Stellung im internationalen Bündnissystem zu treffen, wollte er der Welt ganz klar vor Augen führen, wer die Verantwortung für den zu erwartenden Krieg trug.
Außerdem trieben ihn strategische Motive, denn Frankreich brauchte Zeit für eine Nachrüstung. So erklärt sich der nur scheinbare Widerspruch, daß François-Poncet sowohl für Kooperation mit als auch für Konfrontation gegen Deutschland plädierte, was dazu führte, daß er in der Forschung sowohl als "leading advocate of appeasement" als auch als "French Advocat ... of Firmness" bezeichnet wurde (S. 318-319). Schäfer zeigt in seiner Studie, daß der Botschafter beides war und sein wollte. Er war dabei von der falschen Hoffnung geleitet, daß er maßgebenden Einfluß auf Hitler ausüben konnte--eine Fehleinschätzung, die Schäfer dem Botschafter ankreidet. Mit dieser Fehleinschätzung ist Andre François-Poncet freilich in guter Gesellschaft. Denn für wen war 1933 oder 1935 oder sogar 1938 der Weltenbrand, den das nationalsozialistische Deutschland in den folgenden Jahren entfachen würde, wirklich absehbar?
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Citation:
Sylvia Taschka. Review of Schäfer, Claus W., André Francois-Poncet als Botschafter in Berlin (1931-1938).
H-German, H-Net Reviews.
January, 2008.
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