
Angela Fischel, Hg. Instrumente des Sehens--Bildwelten des Wissens: Kunsthistorisches Jahrbuch fuer Bildkritik. Berlin: Akademie Verlag, 2004. 110 S. EUR 29.80 (paper), ISBN 978-3-05-004063-9.
Reviewed by Claudia Bluemle (Bauhaus-Universitaet Weimar)
Published on H-ArtHist (March, 2005)
Im Rahmen des Forschungsprojektes "Das technische Bild" am Helmholtz-Zentrum fr Kulturtechnik der Humboldt-Universitt zu Berlin erscheint im Akademie Verlag halbjhrlich das von Horst Bredekamp und Gabriele Werner herausgegebene kunsthistorische Jahrbuch fr Bildkritik. Nach den bisher erschienenen Bnden "Bilder in Prozessen", "Oberflchen der Theorie" und "Bildtechniken des Ausnahmezustandes" widmet sich die neueste, von Angela Fischel konzipierte Ausgabe den epistemischen Dimensionen des Bildes innerhalb von Kunst und Wissenschaften. Unter dem Titel "Instrumente des Sehens" geht der vorliegende Band anhand von historischen wie zeitgenssischen Materialien der Frage nach, in welcher Weise optische Instrumente, wissenschaftliche Modelle des Sehens und knstlerische Bildtechniken sich gegenseitig bedingen und berlagern. Eine Fragestellung, an deren Entwicklung Kultur- und Kunstwissenschaftler sowie Wissenschaftshistoriker wie Friedrich Kittler, Svetlana Alpers, Jonathan Crary, Lorraine Daston, Peter Galison, Horst Bredekamp und Barbara Stafford mageblich beteiligt waren. Ausgehend von dieser Debatte und ihrer Fokussierung optischer Medien wie Thaumatrop, Laterna magica, camera obscura oder Photographie, stellt der vierte Band der "Bildwelten des Wissens" das Mikroskop in seiner Eigenschaft, weder Bildtechnik noch Speichermedium zu sein, ins Zentrum des Interesses.
Verschiedene Beitrge berichten davon, wie die Naturwissenschaften versucht haben, das Mikroskop an Bildtechniken wie Zeichnung, Lithographie oder an Speichermedien wie Photographie und Computer anzuschlieen. Eine Schlsselposition nahm dabei, wie Erna Fiorentini in ihrem Aufsatz "Subjective Objective: The Camera Lucida and Protomodern Observers" zeigt, die von William Hyde Wollaston um 1786 erfundene Camera Lucida ein. Sie projiziert im Gegensatz zur Camera Obscura kein uerliches Bild, sondern ruft durch die Brechung des Lichts in einem Prisma direkt im Auge ein virtuelles Bild hervor, das dann, dem Nachbildeffekt vergleichbar, auf ein Blatt Papier bertragen werden kann. In Verbindung mit dem Mikroskop kam dieses Verfahren bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts bei der Herstellung wissenschaftlicher Abbildungen zum Einsatz. Gleichzeitig diente die Camera Lucida als Hilfsmittel, um Bilder nach der Natur zu zeichnen und zu malen, wie die von Pierre Henry de Valenciennes um 1800 verfasste Einfhrung in die Handhabung der Camera Lucida fr Knstler zeigt. Der Einsatz dieser Technik fhrte zur Konstitution eines "protomoderne[n] Beobachter[s]" (S. 64ff.), dessen Auge durch seine physiologischen Eigenschaften Objektivitt und Subjektivitt visueller Prozesse zusammen fallen lsst.
In "Das Versprechen der Retina. Zur Mikrofotografie Robert Kochs" erlutert Franziska Brons, wie die Kopplung von Photoapparat und Mikroskop zu einer vernderten Theorie des Sehens fhrte. Die mikrophotographische Bildgenese steht bei Koch nicht einfach fr die Reprsentation eines Gegenstandes, sondern fr dessen Realprsenz; sie wird nicht als Medium, sondern als "unmittelbar sehendes Auge" (S. 26) verstanden. Anders als Descartes, der in die Camera Obscura ein Ochsenauge als Linse eingesetzt hatte, behandelte Willy Khnes Versuch von 1877 den Bulbus (Augapfel) eines Kaninchens selbst als Kamera. Nach dreimintiger Exposition im Sonnenlicht und mittels einer Behandlung mit Alaunlsung konnte er im Kaninchenauge selbst ein "scharf berandetes, nahezu quadratisches helles Bild" (S. 24-25) erkennen. Auch wenn bei dieser Technik des sogenannten Optogramms im Gegensatz zur Photographie kein Abzug von der exponierten Retina hergestellt werden konnte und infolge dessen als Lithographie abgebildet werden musste, steht dieses Experiment dennoch exemplarisch fr die Gleichsetzung von Retina und photographischer Platte.
Neben der gelungenen Mischung von Aufstzen, Buchrezensionen und Projektvorstellungen hat der vorliegende Band auch in gestalterischer Hinsicht einiges zu bieten. So beginnt und endet "Instrumente des Sehens" mit doppelseitigen Tafeln, die hnlich wie Aby Warburgs Atlas Bilder aus unterschiedlichsten Bereichen versammeln und auf diese Weise berraschende formale Zusammenhnge herstellen: So findet man neben Beleuchtungslinsen und Fernrohren eine Augenmaske gegen das Schielen, und Galileo Galileis Mondzeichnungen rcken neben die runden Projektionsscheiben einer Laterna Magica. Faksimilebltter mit mikroskopischen Bildern gefrbter Prparate aus der Zoologischen Lehrsammlung der Humboldt Universitt entsprechen ebenfalls ganz dem Konzept der Herausgeber. Die Bildserie, die einen Einblick in die "Geschichte der Prparations-, Fixierungs- und Frbetechnik in der Lichtmikroskopie der letzten 150 Jahre" gewhrt, ist ein schnes Beispiel fr die von Hans-Jrg Rheinberger benannte Phnomenotechnik (S. 50).[1]
Mikroskopische Bilder bildeten auch den Ausgangspunkt fr Sigmund Freuds frhe Schriften zur organischen Neurologie, deren sthetische Dimension den kommenden Psychoanalytiker zu entscheidenden Einsichten fhrte, wie Susanne Deicher in ihrem Aufsatz "Mikroskopische Bilder der Nervensysteme in Sigmund Freuds Publikationen der 70er und 80er Jahre" nachweist. Das unter dem Mikroskop entstehende bewegte Bild der Nervenfunktionen verunmglichte aufgrund seiner fehlenden Statik eine Beschreibung. Dieses Scheitern einer Bildbeschreibung war fr Freud Anlass, sich von Anatomie, Physiologie und der Analyse mikroskopischer Bilder abzuwenden und brachte ihn dazu, das Unbewusste als "unsichtbare[n] Ursprungs- und Zielpunkt der psychoanalytischen Methode" zu verstehen (S. 5).
Der Beitrag "Augen wie Blindenhunde. Diderot im Salon" von Peter Bexte handelt davon, wie die durch optische Instrumente ermglichten neuen Wahrnehmungen nicht nur die Bildbetrachtung und -beschreibung, sondern auch das Verstndnis von Raum und Sehen prgten. So habe Denis Diderot 1763 Gemlde von Claude-Joseph Vernet und Jean-Baptiste Greuze durch Lunetten (Opernglser) hindurch betrachtet, was Rahmen und Malweise zum Verschwinden brachte und dadurch das Gemlde in reine Natur verwandelt habe: Nicht mehr Nachahmung der Natur ist Thema, sondern die Erprobung der Blicke durch optische Instrumente, um die Wahrnehmung von Natur und Kunst zu erforschen. Dabei gelingt der Lunette mittels dem "sensualistische[n] Effekt geschliffener Glser" die "optische Distanz bei Unterbrechung taktiler Kontakte" zu berbrcken (S. 73).
Gerade der Blick durch das fremde und neue Bildwelten erffnende Mikroskop kann heute Anlass fr die Frage sein, ob die Theorie dem Bild vorausgeht oder umgekehrt. Wie kommt es jeweils dazu, dass gewisse Dinge gesehen und ins Bild bersetzt werden? Berhmtheit hat in diesem Zusammenhang der Streit zwischen Dalenpatius und Leeuwenhoek erlangt, den Karin Leonhard anhand einer kurzen Bildbesprechung zu den Homunculus- und Spermatozoenzeichnungen in Erinnerung ruft. Und wie das Interview mit den Biologen Randolf Menzel und David Poeppel zeigt, hat auch die Gegenwart ihren biologischen Bilderstreit. Die Diskussion mndet in die Frage, ob man sich der Evidenz des Bildes aus heuristischen Grnden zunchst anvertrauen msse. Und wenn das Bild die Basis der wissenschaftlichen Arbeit darstellt, ist es diesseits einer Theorie oder Interpretation angesiedelt?
Als Argument ins Feld gefhrt, knnen Bilder auch zu verheerenden Missverstndnissen zwischen Wissenschaft und ffentlichkeit fhren. Mit der Popularisierung wissenschaftlicher Bilder am Beispiel der Verbindung von Mikroskop und Computer beschftigt sich Jochen Hennig in seinem Beitrag "Vom Experiment zur Utopie. Bilder in der Nanotechnologie". Anhand eines Experiments mit einem Tunnelmikroskop sollte die Verschiebung einzelner absorbierter Atome visualisiert werden. Das dabei entstandene Bild zeigt die drei Buchstaben IBM und machte in der Zeitschrift "Nature" Furore: "War das Logo ursprnglicher Teil einer wissenschaftlichen Verffentlichungsstrategie, so ist es schnell zum Teil einer Werbestrategie geworden" (S. 16). Naturwissenschaftliche Forschung, so kann man resmieren, wird nach David Poeppel heute mehr denn je "bildgetrieben konzipiert und exekutiert" (S. 96).
In welcher Weise optische Instrumente im wissenschaftlichen Diskurs bislang elidiert wurden, macht zuletzt Christian Schaus an der Person Joseph von Fraunhofers deutlich. Aus der Biographie des berhmten Instrumentenerfinders geht hervor, wie Joseph Baader und andere Mitglieder der Bayerischen Akademie der Wissenschaften um 1820 zu verhindern suchten, dass der "Instrumentenmacher" wissenschaftlich anerkannt und in die Akademie aufgenommen wurde. Sptestens zum Zeitpunkt der Rede Hermann von Helmholtz', 1887 anlsslich des 100. Geburtstags von Fraunhofer gehalten, setzte eine Aufwertung der "Kunst der praktischen Mechanik" ein, wie sie nun auch im Mittelpunkt des vierten Bandes der "Bildwelten des Wissens" steht.
Dabei erscheint das Verhltnis von Bildern, Bildtechniken und Theorien des Sehens als ein Forschungsfeld, auf dem die Kunstgeschichte noch zahlreiche Entdeckungen machen kann. Einzig hinsichtlich der Frage der "Handlungsregeln", deren Thematisierung in der Einleitung als notwendige Erweiterung der techn (im Sinne von Maschinen, Apparaten und Instrumenten) eingefordert wird, htte man sich mehr Klarheit gewnscht. Im Hinblick auf die Geschichte des Mikroskops und seine sthetischen wie epistemischen Folgen bereitet dieser Band jedoch ein groes Lesevergngen, so dass man auf die nchsten Bnde des Jahrbuches fr Bildkritik gespannt sein darf.
Anmerkung
[1]. Vgl. dazu auch Hans-Jrg Rheinberger, "Prparate--'Bilder' ihrer selbst. Eine bildtheoretische Glosse," in Oberflchen der Theorie--Bildwelten des Wissens: Kunsthistorisches Jahrbuch fr Bildkritik, Hg. Horst Bredekamp und Gabriele Werner (Berlin: Akademie-Verlag, 2003), S. 9-19.
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Citation:
Claudia Bluemle. Review of Fischel, Angela; Hg, Instrumente des Sehens--Bildwelten des Wissens: Kunsthistorisches Jahrbuch fuer Bildkritik.
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March, 2005.
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