Frank Bajohr. "Unser Hotel ist judenfrei": Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main: S. Fischer, 2003. 233 S. EUR 12.00 (broschiert), ISBN 978-3-596-15796-9.
Frank Bajohr. "Unser Hotel ist judenfrei": BÖ¤der-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt: Fischer Taschenbuch Verlag, 2003. 233 pp.
Michael Mack. German Idealism and the Jew: The Inner Anti-Semitism of Philosophy and German Jewish Responses. Chicago: University of Chicago Press, 2003. 229 pp. $35.00 (cloth), ISBN 978-0-226-50094-2.
John Weiss. The Politics of Hate: Anti-Semitism, History, and the Holocaust in Modern Europe. Chicago: Ivan R. Dee Publisher, 2003. 245 pp. $26.00 (cloth), ISBN 978-1-56663-492-2.
Reviewed by Stefan Scheil (Independent Scholar)
Published on H-German (January, 2005)
Die Erforschung des europäischen und besonders des deutschen Antisemitismus ist immer mit der Frage nach Ursprüngen, Kontinuität und Brüchen verbunden. Alle drei hier zu besprechenden Bücher widmen sich dieser Frage, wenn auch auf verschiedene Weise. Frank Bajohr stellt sie sich anhand eines wenig untersuchten Phänomens (S. 165). Er untersucht den "Bäder-Antisemitismus" der deutschen Kurorte im 19. und 20. Jahrhundert auf seine Verbreitung und seine Veränderungen. Bajohr nimmt dafür das vom Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens erstellte Verzeichnis antisemitischer Erholungsorte, Hotels und Pensionen als Ausgangspunkt. Der Verband warnte die Leser seiner Zeitschrift vor unangenehmen Erfahrungen auf Urlaubsreisen, die besonders in den Nordseebädern drohten. Deutschlands westlichste Insel Borkum machte Juden den Zutritt sogar praktisch unmöglich und zelebrierte dies förmlich in einem eigenen "Borkumlied". Aber auch an anderen Orten in Deutschland und Österreich fanden sich Gaststätten und Ortschaften, die keine Juden bewirten wollten. Der Autor konstatiert ein Ost-West-Gefälle. In den heutzutage polnisch geworden Ostseebädern Deutschlands waren antisemitische Ausfälle weniger häufig. In Orten wie Kolberg stellten die jüdischen Gäste auch deswegen nicht selten die Mehrheit. Wie Bajohr zeigt, gefährdete die Anwesenheit von Juden aus dem damals zaristischen Russland diese oberflächliche Liberalität dann wieder.
In insgesamt vier Kapiteln geht Bajohr dem Bäder-Antisemitismus, seiner Radikalisierung in den 1920er Jahren, dann der "administrativen Ghettoisierung" der Juden unter den Nationalsozialisten nach, um schließlich eine Bewertung des Phänomens zu versuchen. Denn es bleiben die Fragen nach der Dimension und den Folgen. Einen deutschen Sonderweg und einen direkten Zusammenhang "zwischen Borkum und Auschwitz" kann Bajohr nicht erkennen. Deutschland, so der Autor, lag mit der Praxis des Bäderantisemitismus bedauerlicherweise nicht außerhalb des "zivilisatorischen mainstreams". Das lässt ein Blick in andere Länder insofern plausibel erscheinen, als der prozentuale Anteil derjenigen Hotels, die keine jüdischen Gäste akzeptierten, in den USA der fünfziger Jahre fünfzehnmal höher gewesen sei, als der in Deutschland vor 1933 (S. 167). Dennoch schreibt Bajohr dem Bäderantisemitismus eine Wirkung zu. Er habe dazu beigetragen, den Antisemitismus der Nationalsozialisten gesellschaftsfähig zu machen, ein Befund, dem man kaum widersprechen kann. Eine Analyse etwa des Borkumliedes veranschaulicht diese These des zunehmend radikalisierten Vorurteils gegen Juden. Die vor 1914 gebräuchliche Version appellierte noch an antisemitische Klischees, ohne Juden direkt zu erwähnen. Nach 1918 erschienen mehrere andere Varianten, die so weit gingen, offen gegen Juden zu hetzen und Borkum als "judenfrei" zu proklamieren. Das rief dann allerdings Repräsentanten der Republik bis hin zum sozialdemokratischen Reichswehrminister Noske auf den Plan, denen es gelang, das Borkum-Lied zeitweilig verschwinden zu lassen. Bajohr gelingt es, diesen lange übersehenen Teilaspekt täglichen Antisemitismus in Deutschland anschaulich und angemessen darzustellen. Man liest dies mit Gewinn.
Ein vielbeackertes, weites Feld erneut zu bestellen, hat sich dagegen Michael Mack aufgemacht.[1] Er sucht aus den intellektuellen Dispositionen der deutschen Philosophen des 18. und 19. Jahrhunderts eine Frühform antisemitischen Denkens abzuleiten, die über viele Zwischenstationen politisch wirksam und schließlich vernichtend wurde. Dies tut der Autor ausdrücklich mit Blick auf den Holocaust, wie er einleitend bemerkt. Mit den "Methoden der Kabbalistik" will er ganz bewusst gegenchronologisch die alten Texte lesen und ihren verborgenen Sinn ans Tageslicht heben. Mack schlägt zunächst einen Bogen von Kant über Hegel zu Wagner, den er dann als denjenigen ansieht, der den vorher vorhandenen "inneren Antisemitismus" von Deutschlands philosophischen Ikonen in die politische Sphäre überführt habe. Im zweiten Teil seiner Studie konstruiert er einen deutsch-jüdischen Antwortdiskurs, den er von Moses Mendelsohn, über Heinrich Heine bis zu Walter Benjamin und Sigmund Freud tradiert sieht und dessen Ansätze er insgesamt für zukunftsgewandter hält als die Paradigmen des deutschen Idealismus. Auch Außenseiter wie Otto Weininger, der eine ganz andere "deutsch-jüdische" Antwort gab, vergisst der Autor nicht zu erwähnen.
Immanuel Kants Tod jährt sich 2004 zum zweihundertsten Mal. Aus diesem Anlaß sind zahlreiche Biographien und Darstellungen erschienen, die sich mit Person und Werk befassen. Große Aufmerksamkeit wurde dabei seinem Verhältnis zum Judentum gewidmet. Das Image Kants als "Aufklärer" nahm dabei durchaus Schaden. Auch er war von Vorurteilen gegen Juden und andere nicht frei, und es besserte sein Ansehen in den Augen seiner neuen Kritiker nicht wesentlich, dass er sich "politisch korrekt" für die Aufnahme jüdischer Studenten an der Königsberger Universität eingesetzt hatte. Michael Mack nimmt Kant nun gar als heimliche Hauptfigur seiner Argumentation und zum Ausgangspunkt einer intellektuellen Tradition, die er als deutschen Idealismus bezeichnet und der er einen "inneren Antisemitismus" bescheinigt.
Man wird dem Gedankengang des Autors jedoch an etlichen Stellen kaum folgen wollen. Das beginnt mit seiner Einschätzung, Kant habe "den Juden" wegen einer von ihm unterstellten materiellen Orientierung die Unfähigkeit bescheinigt, sich der immateriellen "reinen Vernunft" zu nähern. Kant stufte bekanntlich wesentliche Teile der jüdischen Glaubensüberzeugungen geradezu als vorbildlich für den von ihm als nötig erachteten Respekt vor dem Unsagbaren ein. Ohne Kants Hochschätzung des Gebots, "du sollst dir kein Bildnis machen, noch irgendein Gleichnis", das er für eine unübertreffbar angemessene Haltung gegenüber Gott hielt, sind weite Teile seiner Philosophie nicht zu verstehen. Das hinderte ihn allerdings nicht daran, die buchstabengetreue Ausführung detaillierter Regeln für das alltägliche Leben, wie sie in inspirierten Texten formuliert seien, als eine Minderung dieser Glaubenshaltung anzusehen. Er räumte dem praktizierten Glauben ein Existenzrecht ein, bezeichnete seine kirchliche Praxis aber wenig freundlich als "Afterdienst", was ihm von Mack als "Pseudotheologie" angekreidet wird. Einen prinzipiellen Unterschied zwischen christlichen, islamischen oder jüdischen Traditionen sah Kant dabei nicht. Insofern enthält die Kantische Philosophie eine implizite Abstufung jeder Form von Offenbarungsreligion und mit dieser Botschaft hat sie viele deutsche Juden in ganz ähnlicher Weise beeinflusst wie deutsche Christen. Dieses religionskritische Denken lässt sich schwer als speziell antisemitisch bezeichnen. Andere Ausführungen des Autors werden nicht ausreichend begründet. So war Richard Wagner anders als Kant zweifelsfrei antisemitisch eingestellt, aber hier bleibt Mack eine genaue Antwort schuldig, auf welchem Weg Wagner gerade durch Kant in dieser Haltung bestärkt worden sein könnte. Insgesamt gesehen hat Mack ein geistreiches, aber hoch spekulatives Buch vorgelegt.
Die Praxis des Antisemitismus als einer "Politik voll Hass", über gesellschaftliche und intellektuelle Vorurteile hinaus, ist das Thema von John Weiss. Er beschreibt anhand der Beispiele Deutschland, Österreich, Frankreich, Polen und Italien fünf verschiedene Fälle, wo und wie Antisemitismus entstehen, wachsen oder wie im Fall Italiens auch marginal bleiben kann. Weiss folgt dabei implizit einer auch von Robert Wistrich vertretenen Linie, den Holocaust als "paneuropäisches Ereignis" zu interpretieren, ohne dass die besondere deutsche Verantwortung dadurch anders eingestuft würde. Der von Weiss behandelte Zeitraum reicht im wesentlichen vom späten 19. Jahrhundert bis zum Ende des 2. Weltkriegs. Der Autor sieht dabei im Ersten Weltkrieg einen entscheidenden Schritt zur Radikalisierung des Antisemitismus in Europa und unterteilt die Kapitel zu den einzelnen Ländern, grob gesagt, in eine Vor- und eine Nachkriegsperiode dieses Krieges. Eine Ausnahme bildet Italien, in der eingliedrigen Darstellung ebenso wie in der konstanten Marginalisierung seines Antisemitismus, während er in den anderen Ländern stetig wuchs. Das Buch lässt sich als Extrakt eines Forschungslebens verstehen und sein Verdienst besteht daher mehr in der Zusammenfassung wichtiger Erkenntnisse denn als argumentativer Beitrag. Fußnoten fehlen weitgehend und auch die Literaturliste ist sehr knapp gehalten. Weiss schreibt jedoch ausbalanciert und führt die Darstellung sicher durch die Wirren der europäischen Kriegszeiten.
Die Kritikpunkte sind nicht umfangreich. So überschätzt Weiss die Attraktivität antisemitischer Klischees in Deutschland. Die erklärten Antisemiten erreichten 1893 nicht, wie er schreibt, fünfundzwanzig Prozent. In diesem Jahr, bei ihrem größten Erfolg vor 1914, kamen die Antisemitenparteien im engeren Sinn auf 3,4 Prozent der Wählerstimmen und 16 von 397 Reichstagsmandaten.[2] Nimmt man noch den antisemitisch gesinnten Anteil der Deutschkonservativen und einzelner Verbände hinzu, so kommen die 51 Stimmen oder 12 Prozent Zustimmung zusammen, die der 1895 im Reichstag eingebrachte Antrag auf Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft für alle Juden erhielt.[3] Das war eine beachtliche Minderheit. Mit Antisemitismus waren in Deutschland jedoch keine Mehrheiten zu gewinnen, das wusste auch die NSDAP, die ihre antisemitische Propaganda in den entscheidenden Wahlen 1932 absichtlich drosselte.
Warum nun jedoch gerade in Italien selbst während der faschistischen Periode so wenig Platz für Antisemitismus war, kann auch Weiss letztlich nicht erklären. Als Nation so "spät gekommen" wie Deutschland, christlich-katholisch wie Polen und seit 1922 zudem aufgeladen mit einer totalitären, nationalistischen Ideologie, wären einige der oft genannten Voraussetzungen eigentlich gegeben gewesen. Dennoch blieb die italienische Gesellschaft selbst nach partieller Übernahme deutscher Rassegesetze stets in kritischer Distanz zur NS-Rassenideologie oder den damaligen Versuchen der polnischen Regierung, ihren jüdischen Bevölkerungsanteil in irgendeiner Weise zur Auswanderung zu bewegen, wie Weiss betont. Der Ausbau einer vergleichenden, europäisch angelegten Antisemitismusforschung bleibt auch deshalb weiter eine Aufgabe, um die Kontinuitäten und Brüche der europäischen Judenfeindschaft noch stärker zu verdeutlichen.
Notes
[1]. So etwa durch Micha Brumlik, Deutscher Geist und Judenhass. Das Verhältnis des philosophischen Idealismus zum Judentum (München: Luchterhand-Verlag, 2000).
[2]. Vgl. Stefan Scheil, Die Entwicklung des politischen Antisemitismus in Deutschland zwischen 1881 und 1912 (Berlin: Duncker & Humblot, 1999), S. 130 f.
[3]. Ebd., S. 98.
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Citation:
Stefan Scheil. Review of Bajohr, Frank, "Unser Hotel ist judenfrei": Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert and
Frank Bajohr, "Unser Hotel ist judenfrei": BÖ¤der-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert and
Mack, Michael, German Idealism and the Jew: The Inner Anti-Semitism of Philosophy and German Jewish Responses and
Weiss, John, The Politics of Hate: Anti-Semitism, History, and the Holocaust in Modern Europe.
H-German, H-Net Reviews.
January, 2005.
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