August Ruhs. Der Vorhang des Parrhasios. Schriften zur Kulturtheorie der Psychoanalyse. Wien: Sonderzahl, 2003. 328 S. EUR 21.50 (broschiert), ISBN 978-3-85449-190-3.
Reviewed by Insa Härtel (Universität Bremen)
Published on H-Museum (March, 2004)
Der Titel des Buches verspricht eine Täuschung: In dem Wettstreit zwischen Parrhasios und Zeuxis geht es um eine von der Wirklichkeit kaum zu unterscheidende Kunst. Während Zeuxis mit gemalten Trauben Tauben ködern kann, vermag Parrhasios' Bild von einem Vorhang den Künstler Zeuxis selbst zu täuschen, indem er hinter diesen Vorhang zu sehen begehrt. Der 'Vorhang des Parrhasios' führt, so scheint es, in seinem ,naturgetreuen' Charakter die Augen des Betrachters Zeuxis in die Irre und Parrhasios zum Sieg gemäß der dargebotenen Ähnlichkeit einer nachahmenden Kunst mit dem, was ,wirklich' ist.
Eigentlich geht es in dieser Geschichte um die Täuschung des Auges und den über das Auge triumphierenden Blick, schreibt Lacan: Will man einen Menschen täuschen, muss man ihm das Bild vor Augen halten, "jenseits dessen er zu sehen verlangt" (Lacan 1964). In dem "Vorhang des Parrhasios" betitelten Buch von August Ruhs dient das Täuschungsmanöver entsprechend dazu, gerade die nicht-mimetische Funktion auf dem Felde des Sehens herauszustellen, die eine Funktion des Begehrens ist. Das etwa in der bildenden Kunst wirksame Begehren geht demnach nicht in einer nachahmenden Darstellung von Objekten auf. Begehrt wird immer etwas anderes, gesucht wird der ,dahinter' liegende Blick, von dem man in diesem lacanschen Verständnis immer schon angeblickt ist. Auf dem Wege dieses Blicks wird es möglich, den Vorhang des Parrhasios z.B. bis zu Arnulf Rainers Arbeit der "Übermalung" (1965) zu ziehen, in der letztlich der Akt des Zeigens selbst gezeigt wird, und dies, wie Ruhs weiter ausführt, "vor allem durch seine Negierung in Form des Verdeckens" (vgl. "Die Psychoanalyse geht ins Museum oder über das Begehren, Bedeutung zu sehen", S. 294-313).
In den Psychoanalysen Ruhs' geht es um Begehrensfunktionen und nicht um das unmögliche ,Wieder'finden eines ,verborgenen' Objekts. Ein solcher Zugang vermag ,hinter' die bewussten Ansprüche des Subjekts zu sehen und zugleich jede Hoffnung auf eine Enthüllung oder auf den Fund eines ,ursprünglichen' ,Dahinter' oder ,Darunter' zu ent-täuschen--mitsamt der damit verbundenen ,Tiefenmetaphorik', die der Psychoanalyse so gerne unterstellt wird. Ruhs' Ansatz einer tendenziell entmythologisierenden Analyse hat--wenngleich sie, wie er schreibt, niemals vor dem Zugriff des Mythos geschützt sein kann, und manches überhaupt nur in mythischer Form fassbar ist--wenig gemein mit "Höhlenforschung und Tauchtätigkeit" (vgl. "Die Untiefen der Seele", S. 83-92). Seine Aufsätze trachten vielmehr danach, gerade in der Untersuchung unbewusster Dimensionen, jene ersehnt-verborgene ,Tiefe' zugunsten eines anderen Schauplatzes zu durchkreuzen.
"Der Vorhang des Parrhasios" ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Sammelband; nicht umsonst wird in ihm auch das Sammeln selbst zum Gegenstand. In der Sammlung zusammengefügt sind Artikel an einem eigens dafür eingerichteten Platz, wo sie eben ausgestellt und angesehen werden können. Geht es beim Sammeln immer auch um Repräsentationen des Unsichtbaren, so geht es Ruhs, wie die das Buch strukturierenden Kapitelüberschriften zeigen, um das "Un-" in einem noch erweiterten Sinn. Nach einer "Übersicht" zur "Problematik der Psychoanalyse" folgen entsprechend "Unbewusste Taten", "Ungewusste Reden" und "Unsichtbare Bilder". Unter diesen Überschriften finden sich heterogene Abhandlungen, deren thematisches Spektrum von Film und Museum über Körpermodellierungen, Geschlechterfragen bis zu Gruppenanalysen oder psychoanalytischen Begriffsbestimmungen reicht. Viele Zusammenhänge und rote Fäden erschließen sich erst bei einem zweitem Lesen. Diese Sammlung erliegt nicht jenem "Totalitätsanspruch", der dem Sammeln nicht selten anhaftet; potentielle Hoffnungen auf Einheit und mangellose Einsichten werden gerade nicht erfüllt. Eher schon finden sich derartige Wünsche nach Aufhebung von Mangel und Verfehlen als eines der Motive der Analyse wieder, welche die unterschiedlichen Konstellationen des Buches durchziehen.
Die Zusammenstellung der ausgewählten, aus verschiedenen Perioden stammenden Schriften von August Ruhs schreckt vor Wiederholungen nicht zurück. Nicht nur werden Gegenstände der eigenen Analyse, wie z.B. Hans Holleins Gestaltung des Freud-Raumes in der Ausstellung ,Traum und Wirklichkeit' (1985), denen zuvor ein Aufsatz gewidmet war (S. 255-262), mit durchaus differierendem Akzent einige Jahre später passager und Interesse weckend wieder aufgegriffen (vgl. "Die Psychoanalyse geht ins Museum oder über das Begehren, Bedeutung zu sehen", S. 294-313). Darüber hinaus tauchen auch bestimmte Wendungen mehr als einmal auf. Was sich daraus ergibt, ist keine Redundanz, sondern eine Art ,gesättigtes' Gewebe, das einem die Produktivität der ver- und spezifisch ge-wendeten psychoanalytischen Theoreme einmal mehr vor Augen führt, die in den verschiedenen Kontexten niemals das gleiche bedeuten. Werden z.B. Aspekte des Genießens einmal im Rahmen von Seinsverfehlung und Geschlechter(miss)verhältnis zum Thema gemacht ("Band, Knoten, Naht. Die menschliche Seinsverfehlung und ihr Einfluss auf die Differenz der Geschlechter", S. 55-82), so tragen sie an anderer Stelle auch dazu bei, Fragen der Körpermanipulation (in Form von Tätowierungen, Piercing usw.) und deren Relation etwa zu ,perversen' Strukturen zu erhellen: Der Aufsatz "'Ein unbemalter Körper ist ein blöder Körper'. Haut- und Körpermanipulationen zwischen Sublimierung und perverser Struktur" (S. 95-118), um dieses Beispiel weiter herauszugreifen, geht dabei von der Allgegenwart manipulierter Körper in Alltags- und sog. Hochkultur aus, um die Frage nach den Beweggründen für dessen stetige ,Bearbeitung' aufzuwerfen, die sowohl als Vollkommenheitsstreben als auch als Zerstörung gelesen werden kann. Charakteristisch für den Zugang von Ruhs sind dabei die kundigen, hier auch thematisierten Verknüpfungen zwischen kulturtheoretischen und klinischen Betrachtungen: Die Formen derzeitiger Körperbesessenheit, so eine These, erstrecken sich von Kunst bis Psychopathologie, sie bewegen sich im Spannungsfeld von Perversion und Sublimierung. Damit werden die Zurichtungen des Körpers weder zum Kult noch zur Krankheit erklärt, sondern es wird ein Zugang erprobt, der in ihnen etwa paradoxe Bildungen eines zur Würde des Dings erhobenen Fetischs erblicken kann.
In Aufsätzen wie diesem kommt es bei Ruhs zu immer auch prekären und m.E. genau zu bedenkenden Verschaltungen von anthropologischen Annahmen (hier des Menschen als konstitutionell ,unreif' geborenes Wesen) oder ,ursprünglichen' Relationen (hier i.S. einer elementaren Erotik der Zeichnung) mit historischen Betrachtungen, die z.B. kenntnisreich der Geschichte von Körpermarkierungen nachgehen. Wird hierbei auf Autoren wie u.a. Foucault Bezug genommen, so kommt es in anderen Arbeiten z.B. zu dezidierten Diskussionen derridascher Dekonstruktionen--und zwar auf eine wohltuend nicht diffamierende Weise. Insgesamt zeigt sich dieses psychoanalytisch ansetzende Buch stärker von dem Bemühen geprägt, mit anderen Theorien (wie z.B. auch der bartheschen Mythenanalyse) zu denken bzw. mögliche Anschlüsse oder Differenzen zu formulieren, als von Bestrebungen, Gegnerschaften aufzubauen.
Die hier versammelten Abhandlungen halten in der Leseerfahrung der Rezensentin ebenso erfrischend undogmatische Passagen (etwa zu psychoanalytischen Verfahrensweisen) bereit, wie solche, die potentiellen Widerspruch provozieren (z.B. über bestimmte grundsätzliche Annahmen zur Sexualität). Der Stil des Buches ist den transportierten Einsichten gemäß nicht immer gefällig, dabei unprätentiös und prägnant. Gedanken werden nicht beherrscht, sondern es wird ihnen--mit unvorhersehbaren Resultaten-- gefolgt: "Wahrscheinlich werden wir darauf noch zurückkommen" heißt es etwa verlockend in "Dionysos. Kulturkritische Anmerkungen zur ökologischen Bewegung" (S. 127-146). Gelegentlich werden Vorstellungen 'eingefroren', wieder verlassen und in diesem Sinne endet das Buch eher unvermittelt an jedoch einem das zentrale Motiv des Vortäuschens genau wiederaufnehmenden Punkt.
Wer also eine in erster Linie konsistente bzw. im wissenschaftlichen Verständnis stringent aufbereitete, abgeschlossene Argumentation erwartet, ist mit diesem Buch vermutlich nicht so gut beraten. Wer einer spannungsreichen Erschließung verschiedener kultureller Terrains (übrigens auch des wissenschaftlichen Diskurses) folgen und sich von aufschlußreichen Verknüpfungen und prägnanten Einblicken zum Weiterdenken anregen lassen möchte, dem sei es sehr empfohlen. In diesem Fall nämlich hat im Wettstreit der (Ent-)Täuschungen vorzugsweise der/die Leser/in gewonnen.
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Citation:
Insa Härtel. Review of Ruhs, August, Der Vorhang des Parrhasios. Schriften zur Kulturtheorie der Psychoanalyse.
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March, 2004.
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