Stefan Spevak. Das JubilÖ¤um "950 Jahre Ö?sterreich". Eine Aktion zur StÖ¤rkung eines Ö¶sterreichischen Staats- und Kulturbewusstseins im Jahr 1946. Wien und MÖ¼nchen: R. Oldenbourg Verlag, 2003. 318 S. EUR 39,00 (gebunden), ISBN 978-3-486-64849-2.
Reviewed by Ernst Hanisch (Institut für Geschichte der Universität Salzburg)
Published on HABSBURG (March, 2003)
Die Ostarrichi-Feiern 1946
Die Ostarrichi-Feiern 1946
Das Buch war ursprünglich eine Diplomarbeit. Mit 16 Druckseiten Quellen und 17 Druckseiten Literatur ungewöhnlich genug. Der Verfasser breitet alles vor dem Leser aus, was er in den Archiven, in Zeitschriften und Zeitungen über die Staatsfeier "950 Jahre Österreich" des Jahres 1946 gefunden hat. Auch wenn das Thema für die Forschung nicht ganz neu ist, kann er dennoch eine Fülle von neuen, z. T. überraschenden Aspekten freilegen. Das Buch leidet aber an der Anfängerkrankheit: Die Begeisterung über die Funde in den Quellen wird noch nicht gezähmt durch die Kunst des Auslassens in der Darstellung. Selbst über die Tischordnung des Festbanketts der Bundesregierung am 29. Oktober 1946 werden wir ausführlich informiert. Die Darstellung ist vorwiegend faktenorientiert. Theoretische Überlegungen über den Nationsbildungsprozess in Österreich nach 1945 und die Funktion dieser Staatsfeier in diesem Prozess liegen ihr fern.
Doch abgesehen davon, gelingt es der Arbeit vorzüglich die Konturen dieser Staatsfeier in aller Breite nachzuzeichnen. Die Idee stammte wohl aus dem Bundesministerium für Unterricht unter der Leitung des begeisterten Österreichers Felix Hurdes, genauer: aus der "Zentralstelle für Kultur und Volksbildung". Den österreichbewussten politischen Eliten war klar, dass der Großteil der Bevölkerung noch von einem deutschen Kultur- und Volksbewusstsein getragen wurde. Dem sollte die Feier entgegenwirken und ein österreichisches Staats- und Nationalbewusstsein fundieren. Gleichzeitig sollte, dem Opfermythos folgend, Österreich als Antithese zum Nationalsozialismus ideologisch gerechtfertigt werden. Auch in diesem Fall lässt sich zeigen, dass der Nationalismus vor der Nation entstand, dass es der Feindbilder bedurfte und dass die politischen Eliten von oft skurrilen Geschichtsklitterungen nicht zurückschreckten.
Bundespräsident Karl Renner und Bundeskanzler Leopold Figl lehnten zunächst eine große Staatsfeier aus Anlass der damals wenig bekannten Ostarrichi-Urkunde ab. Sie fürchteten die deutschnational besetzte Ostmarkerinnerung. Erst ziemlich spät erkannten sie das Potenzial der Urkunde für den österreichischen Nationsbildungsprozess, und vor allem Figl wird dann bei verschiedenen Gelegenheiten mächtig in die Posaune des goldenen Österreichmythos blasen. Geplant war die Feier als überparteilich, aber bereits beim Jugendtag 1946 zeigte sich, dass zwischen dem Österreichenthusiasmus von ÖVP und KPÖ auf der einen Seite und der österreichskeptischen SPÖ auf der anderen Seite noch eine Kluft klaffte. Die linke Tradition der SPÖ-Jugend setzte die österreichische Geschichte mit dem Haus Habsburg gleich und damit mit der "vielhundertjährigen modrigen Geschichte Österreichs". Beim Aufmarsch auf dem Rathausplatz in Wien, wo es zu einem heftigen Streit kam, trug ein Transparent die Aufschrift: "950 Jahre Knechtschaft und Krieg wir wollen ein sozialistisches Österreich". In der ÖVP regte sich sofort die Vermutung, die SPÖ strebe eine sozialistische Diktatur an. Und die britische Besatzungsmacht stellte, angesichts der parteipolitischen Fragmentierung der Jugend, wohl berechtigt die Frage: "Der Grundsatz, erst ausbilden, dann selber politisch urteilen lassen, ist er so ganz und gar ausgeschlossen im neuen Österreich?"
Knüpfte die SPÖ an die Habsburgkritik der Ersten Republik an, stand sie dem Jubiläum eher skeptisch gegenüber, ließ die ÖVP den Österreichpatriotismus des Ersten Weltkrieges und des "Ständestaates" wiederaufleben, auch in den Festformen der Huldigungen und Treuegelöbnisse, der kulturellen Großmachtfantasien, der massiven ideologischen Beeinflussung der Jugend in den Schulen nur die deutschen Elemente wurden abgestoßen. Die KPÖ machte dabei wacker mit, vermutete freilich, dass die westliche Politik der Bundesregierung in Wahrheit einen "Anschluss an Deutschland" plane.
Die propagierte Österreichideologie des Jubiläums versuchte zwar einen Patriotismus zu verkaufen, trug aber in Wahrheit alle Kennzeichen des Nationalismus: die "Erfindung" einer tausendjährigen Geschichte, die Überhöhung dieser Geschichte, das Fehlen jeder kritischen Selbstreflexion (Österreich habe der Welt die Demokratie geschenkt), die kulturellen Großmachtfantasien, die ständige Verwendung von heiligen Texten (Grillparzer, Wildgans), die Kreation von Feindbildern (in Wien wirkte bereits Walther von der Vogelweide, als Berlin noch ein "elendes Fischerdorf" eines slawischen Volksstammes war), die Mythenbildung: Österreich als erstes Opfer der NS-Aggression, der Brückenmythos als Kern der österreichischen Geschichte (der österreichische Mensch ist Weltbürger), der jeweils abgelöst werden konnte durch den Bollwerkmythos, wie kurze Zeit später im Kalten Krieg.
Das alles kann und soll man kritisieren. Dennoch bleibt die Tatsache, dass dieses Jubiläum "950 Jahre Österreich" ein weiterer Kristallisationskern der österreichischen Nationsbildung darstellte. Die weitläufige Interpretation dieses Ereignisses ist daher wichtig, auch wenn die Rezeptionsgeschichte des Jubiläums in der Bevölkerung noch aussteht. Die delikate Position der Regierung gegenüber der Besatzungsmacht lässt sich an einem Satz von Leopold Figl ablesen: "Wir danken euch, daß ihr uns befreit habt, und nun krönt euer Werk dadurch, daß ihr uns die Freiheit gebt!"
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Citation:
Ernst Hanisch. Review of Spevak, Stefan, Das JubilÖ¤um "950 Jahre Ö?sterreich". Eine Aktion zur StÖ¤rkung eines Ö¶sterreichischen Staats- und Kulturbewusstseins im Jahr 1946.
HABSBURG, H-Net Reviews.
March, 2003.
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