Jean-Michel Johnston. Networks of Modernity: Germany in the Age of the Telegraph, 1830-1880. Oxford: Oxford University Press, 2021. 304 pp. $80.75 (e-book), ISBN 978-0-19-259894-3; $85.00 (cloth), ISBN 978-0-19-885688-7.
Reviewed by Robert Radu (Universität Bonn)
Published on H-German (October, 2022)
Commissioned by Matthew Unangst (SUNY Oneonta)
In der Kommunikationsrevolution des 19. Jahrhunderts kommt der elektrischen Telegrafie eine eminent wichtige Rolle zu. Für Zeitgenossen stand die telegrafische „Verkabelung“ der Welt nicht selten paradigmatisch für Fortschritt und den Anbruch der Moderne überhaupt. Von Industrialisierung und Kapitalismus – zumal in seiner finanzökonomischen Ausprägung, verkörpert in der Börse – bis hin zu Imperialismus und Nationalstaatsbildung: Ohne die durch die elektrische Telegrafie ermöglichte Beschleunigung der Kommunikation und Synchronisierung menschlicher Alltagserfahrung - und deren Kehrseite: den Ausschluss jener, die nicht angeschlossen sind und folglich nicht an der Kommunikation partizipierten – sind viele der das 19. Jahrhundert prägenden Prozesse so nicht vorstellbar.
Umso erstaunlicher muss es erscheinen, dass die elektrische Telegrafie, jenseits ihrer technischen Beschaffenheit und ihres medialen Gebrauchs, in ihren fundamentalen Auswirkungen politischer, intellektueller und sozioökonomischer Art bislang kaum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen gewesen ist; dies gilt insbesondere mit Blick auf Deutschland.
Diesem Forschungsdesiderat widmet Jean-Michael Johnston seine aus einem Dissertationsprojekt an der Universität Oxford hervorgegangene Studie „Networks of Modernity – Germany in the Age of the Telegraph, 1830-1880“. Johnston untersucht darin die Rolle der telegrafischen Kommunikation bei der Transformation Deutschlands im 19. Jahrhundert, wobei sowohl die vielgestaltigen Auswirkungen dieser technologischen Revolution als auch ihre Ursprünge in den Blick rücken. Für Johnston, so eine der Kernthesen des Buches, stehen die im 19. Jahrhundert entstandenen Kommunikationsnetze emblematisch für die Ambiguität und Widersprüchlichkeit der Moderne überhaupt: „For networks are themselves Janus-faced creatures; they not only create connections and relations of interdependence between people and places but by their very nature also include und exclude; they privilege the ‘connected’ to the detriment of those who remain ‘disconnected’“ (p. 6).
Die Studie ist in sechs Kapitel untergliedert, von denen die ersten drei die Zeit der Frühindustrialisierung im Vormärz und die folgenden drei Kapitel den Zeitraum seit der Revolution von 1848/49 bis zur ersten Dekade des Kaiserreichs abdecken. Johnston zeigt dabei, wie das telegrafische Kommunikationsnetz zumindest in der Anfangszeit auf dem bereits durch die Eisenbahn vorgezeichneten Netz aufbauen konnte. Ebenso wird etwa am Beispiel des Industriellen Werner Siemens die führende Rolle privater – keineswegs nur auf Preußen beschränkter – Akteure beim Aufbau telegrafischer Verbindungen deutlich, womit Johnston zugleich die lange herrschende Ansicht relativiert, wonach es im Vormärz vornehmlich der Staat gewesen sei, allen voran der Preußische, der den Aufbau kommunikativer Netze, etwa in Form der Eisenbahn, vorangetrieben habe.
Die Jahre 1848/49 bilden insofern eine Zäsur, als mit ihnen die deutschen Staaten die elektrische Telegrafie als Kommunikationsmedium für sich entdeckten und den Ausbau der Telegrafennetze in ihre Hand nahmen. Dies geschah, wie Johnston darlegt, parallel zum Bestreben der Frankfurter Nationalversammlung, einen geeinten deutschen Wirtschaftsraum zu schaffen (p. 111).
Die kommunikative Einigung im Zeichen der elektrischen Telegrafie ging Hand in Hand mit der wirtschaftlichen Verflechtung der deutschen Staaten und legte somit zugleich eine Grundlage für die spätere staatliche Einheit Deutschlands. Spätestens seit den 1870er Jahren gehörte die telegrafische Kommunikation zum festen Bestandteil des sozialen Lebens und war eingebettetet in die Infrastruktur des „modernen“ Deutschlands, „underpinning its social, economic, and even political divisions and yet connecting its extremes“, wie Johnston resümiert. Sie war „at once a force of interaction, amalgamation, and differentiation which provoked ambiguous recations“ (p. 241).
Johnstons Studie, auf breiter Grundlage archivalischer Quellen verfasst, eröffnet neue Perspektiven auf die Geschichte Deutschlands im 19. Jahrhundert und seinen, keineswegs linear verlaufenen, Weg in die Moderne. Sie zeigt damit auf überzeugende Art und Weise, wie sich Medien- und Kommunikationsgeschichte produktiv und erkenntnisreich als Gesellschaftsgeschichte schreiben lässt.
If there is additional discussion of this review, you may access it through the network, at: https://networks.h-net.org/h-german.
Citation:
Robert Radu. Review of Johnston, Jean-Michel, Networks of Modernity: Germany in the Age of the Telegraph, 1830-1880.
H-German, H-Net Reviews.
October, 2022.
URL: http://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=56937
This work is licensed under a Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 3.0 United States License. |