Ken Friedman, Hrsg. The Fluxus Reader. Chichester and New York: Academy Editions, 1998. X + 309 S. EUR 55.00 (gebunden), ISBN 978-0-471-97858-9.
Reviewed by Andreas Haug (Freie Universität Berlin)
Published on H-ArtHist (September, 2001)
Der Fluxus Reader wartet mit einer grossen Bandbreite an Themen auf. In den vierzehn Texten - darunter zwei `O-Toene´, d.h. Interviews mit George Maciunas bzw. dessen Witwe - wird Fluxus aus den unterschiedlichsten Richtungen betrachtet. Nach drei historischen Ueberblicken (die 60er, die 70er, danach) werden Themen wie Fluxus und Zen, Fluxus als Laboratorium, Fluxus und die Postmoderne (Beaudrillard) oder auch Fluxus und die Langeweile als absichtliches Stilmittel untersucht.
Im Zentrum des Buches stehen dabei zwei theoretische Texte zu Fluxus, die zum einen vom Fluxuskuenstler und -denker der ersten Stunde Dick (Richard) Higgins, zum anderen von Ken Friedman selbst stammen. Beide Texte wurden bereits an anderer Stelle veroeffentlicht, sind aber gerade in ihrem Nebeneinander inter-essant, da Friedman mit einem 12-Punkte Fluxus-Katalog direkt auf einen frueheren 9-Punkte-Plan von Higgins Bezug nimmt. Waehrend Higgins mit der Erfahrung der fruehen europaeischen Fluxus-Festivals die Bewegung aus der historischen Situation zu Beginn der 60er Jahre beschreibt, greift Friedman einige dieser Ueberlegungen auf, legt sie aber vor dem Hintergrund einer vorangeschrittenen Zeit neu aus. Bei Higgins tritt dem Leser daher ein Fluxus entgegen, das sich insbesondere in einer strikten Abgrenzung gegenueber dem Abstrakten Expressionismus formuliert. Mittel, um sich davon abzusetzen sind Intermedia, d.h. die Aufloesung der Gattungen, um mit Mischformen neues Terrain zu erkunden und verbunden damit Experimentalismus und Ikonoklasmus. Aber auch die Reduktion der Mittel spielt eine wichtige Rolle, jene besondere Form von `Minimalismus´, die in Richtung Arte Povera weist und gleichermassen der Abgrenzung gegen Happening und Multimedia wie auch der Entwicklung einer fuer Fluxus typischen linearen `Gag´-artigen Struktur dient (vgl. Maciunas-Interview). Vielfach von Cage beeinflusst, versucht Fluxus eine Kunst, die den Autor hinter- fragt, das Werk ephemer werden laesst und mit viel Humor auf eine Ueberwindung der Grenzen zwischen Kunst und Leben hin- arbeitet.
Ken Friedman war seit 1966 u.a. als Leiter von Fluxus West/ Kalifornien (bis 1975) aktiv und hat sich ausserdem um Fluxusaus-stellungen und -sammlungen verdient gemacht. Er uebernimmt von Higgins die Ansicht, dass Fluxus bereits in den Anfaengen eine internationale Kunstbewegung war. Er beschreibt dies unter dem Stichwort "Globalism" und nennt dabei die Vorzuege von Fluxus, die er vor allem in der Faehigkeit zum Dialog, im Eintreten fuer mehr Demokratie und gegen die Bildung von Eliten sieht. Friedman erkennt in der Welt, die Fluxus seiner Meinung nach anstrebt, vielfach eine Umsetzung buddhistischer Grundsaetze. Ausserdem sieht er in jenem besonderen Ansatz von Fluxus, vertreten z.B. durch Nam June Paiks Manifest zu einem "Utopian Laser Television"(1962), letztlich auch die Grundlage fuer das Internet mit seiner Verheissung eines gleichberechtigten Zugangs zu Information.
Heute als Professor am "Departement of Knowledge Management" in Oslo taetig, beschreibt Friedman Fluxus in vieler Hinsicht aus einer naturwissenschaftlichen bzw. wissenschaftsgeschichtlichen Perspektive. So bescheinigt er Fluxus, die "scientific method"(248) auf die Kunst uebertragen zu haben und geht u.a. mit einem der Wissenschaftsgeschichte (Occam's Razor, 249) entlehnten Ideal von `simplicity' an Fluxus heran. Dabei verliert er jedoch an einigen Stellen wichtige kuenstlerische Grundlagen von Fluxus aus den Augen. So spricht sich Friedman fuer einfache und `elegante'Loesungen in der Kunst aus, vergisst jedoch, dass Higgins die Eleganz eines Duchamp fuer Fluxus gerade ablehnt, oder er beschreibt die Auffuehrung eines Musikstuecks eher aus der Perspektive der Frage nach der wissenschaftlichen Verifizier-barkeit als auf der Folie der Frage von Interpretation. Darueber-hinaus argumentiert Friedman immer wieder mit dem Begriff der Transformation. Dieser steht bei ihm per se fuer einen Wechsel der Paradigmen, und wird Fluxus als grundlegende Eigenschaft zugesprochen: "The essence of Fluxus has been transformation"(239).
Wie diese Einschaetzung finden viele der Ansichten von Friedman in anderen Texten des Readers ein Echo. Craig Saper etwa nimmt das gemeinschaftliche Arbeiten von Fluxus auf und vergleicht es mit den Laboratorien groesserer Unternehmen. Aus dem Genius des Autors wird so bei Fluxus eine "networked community"(139), die letztlich auch den Betrachter am `interaktiven' Entstehungs-prozess des Werkes beteiligt. Obwohl Saper gerade, was die Fluxusfilme betrifft, in sehr ueberzeugender Weise kunsthistorisch argumentiert, wird der Bereich einer Fluxusaesthetik insgesamt in seinem Text durch Thesen zu "disseminating knowledge" und die "social situation of learning"(137) fast vollstaendig ueberdeckt.
Den Vergleich von Fluxus mit dem Zen-Buddhismus greift David T. Doris auf. Fuer die Fluxus-Literatur stellt dies zunaechst einmal einen Gluecksfall dar. Es gelingt Doris naemlich, viele Eventan-leitungen direkt auf besondere Techniken von Zen, auf bestimmte Goettercharaktere oder auch auf buddhistische Dichtungen zu beziehen. Fluxus rueckt auf diese Weise erstaunlich nahe an die fernoestliche Religion heran. Der Nachteil dieser Betrachtungsweise ist jedoch, dass Doris die Seiten von Fluxus vernachlaessigt, die von dieser Stroemung abweichen. So wandte sich Higgins etwa mit dem Vorwurf der Selbst-Destruktivitaet gegen La Monte Youngs (Schmetterlings-) Composition #5. Er machte zugleich ein "Danger"-Konzept stark, das u.a. auf eine politische Agitation der Zuschauer/-hoererInnen hinarbeitete und sich darin in vieler Hinsicht mit der politischen Ausrichtung von Maciunas deckt. Diese andere Stroemung innerhalb Von Fluxus unterscheidet sich aber deutlich von zen-buddhistischen Zielvorstellungen, wie sie Doris z.B. in Form einer angestrebten Bewussten Leere oder als Forderung nach der Aufhebung aller dualistischen Kategorien beschreibt.
Probleme mit George Maciunas - Mitbegruender und Hauptorganisator von Fluxus - tauchen aber auch dort auf, wo es insbesondere um eine Fortschreibung der Fluxus-Geschichte geht. Die Kunsthistorikerin Hannah Higgins etwa extrapoliert ein ganzes "Maciunas-based paradigm" (34ff.), womit zunaechst einmal eine Sicht auf Fluxus kritisiert wird, die Maciunas als das Mass aller Fluxus-Dinge ansetzt. So berechtigt diese Kritik auch ist, sie geraet hier zunehmend zu einer Anklage gegen Maciunas als Person, dessen Haltung schliesslich sogar als "precisely terrorist" angegriffen wird. Hannah Higgins wertet dabei die Tatsache zu wenig, dass Fluxus gerade keinen zweiten Breton (vgl. Dick Higgins) haben wollte. Obwohl sich der Text durch umfangreiches Fachwissen auszeichnet, gewinnt man hier zunehmend den Eindruck, als werde an der Person von Maciunas gefeilt, damit sich Fluxus besser als ein fruehes Modell von Gleichberechtigung und Demokratie in die Gegenwart hinueberretten liesse.
Eine kritische aber auch wuerdigende Auseinandersetzung mit "Mr. Fluxus" ist im Ansatz am besten dem Text von Owen Smith gelungen, der zugleich eine glaenzende Darstellung der Geschichte der Fluxus-Publikationen (einschliesslich der Fluxus-Yearboxes) bis 1968 vorlegt. Darueber hinaus zeichnet Smith auch verant-wortlich fuer die ausfuehrliche und hervorragend recherchierte Dokumentation zu Fluxus am Ende des Buches.
Im Zentrum des Bandes steht jedoch, bei aller fruchtbaren Diskussion von Einzelproblemen, eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Untersuchungen darueber, ob Fluxus mehr als ein eklekti-zistisches Moderne-Konglomerat (Stephen C.Foster) ist oder der Versuch einer Parallelisierung von Fluxus mit einem postmodernen Denker wie Baudrillard (Nicholas Zurbrugg) weisen darauf hin: Wo steht Fluxus historisch?
Am deutlichsten wird diese Frage im Aufsatz von Estera Milman untersucht, die dabei im Grunde zugleich auch die beiden Positionen von Dick Higgins und Ken Friedman mitdiskutiert. Ihr Ansatz geht dabei von einem Vergleich zwischen Dada und Fluxus aus, wobei sie weniger auf inhaltliche Bezuege (die im Reader mehrfach bestritten werden) als auf ein bestimmtes Verhalten der beiden `Kunst´-Stroemungen eingeht. Fluxus und Dada positionieren sich demnach zunaechst einmal als ausserhalb der Kunst stehend, als Un-Kunst, bei Fluxus vor allem als Anti-HighArt. Um sich jedoch dennoch als starke Bewegungen praesentieren zu koennen, stellen sie sich zudem als ueber-besser als "transhistorisch" (155ff.) dar. So behauptet Dada einen Dada-Geist oder -Spirit, bei Fluxus wird Fluxattitude bzw. Fluxism genannt, was keine geschichtliche Entstehungszeit kennt, im Grunde schon immer da war und daher natuerlich auch weiterhin existieren wird. Diese De-Kontextualisierung gegenueber einer historischen Situation deutet Milman als eine Dada und Fluxus gemeinsame Strategie der Selbst-Installierung im Kunst-betrieb der Moderne.
In der Kunst nach 1945 war von Dada vor allem diese trans-historische fast mythische Komponente und ein Ruf "to be the limit of the extremely crazy in art" (D. Higgins, 159) uebrig, und Milman kann nachweisen, dass Kritiker etwa seit der Mitte der 50er Jahre fast jeder neuen Kunstrichtung den Begriff des Neo-Dada anprobierten. Kuenstler wie Jasper Johns, Robert Rauschenberg oder Andy Warhol und eben auch Fluxus (hier z.T. selbstgewaehlt) bekamen dies zu spueren. Was Dada zu dieser Zeit brauchte, um wirklich als das, was es war weiterzuleben, war eine erneute Positionierung im Kunstbetrieb, diesmal allerdings als historische Bewegung, und diese Re-Kontextuali-sierung (Milman) wurde vielfach von den einstigen Dadaisten selbst betrieben.
In diesem Zusammenhang kann man dann auch den 9-Punkte-Plan von Dick Higgins sehen, dessen ausgewiesener Anspruch es ist, Fluxus-Werke und -Kuenstler bestimmbar, auch bewertbar zu machen. Seine Anstrengungen gehen aber noch weiter: Indem er hier das Modell des hermeneutischen Zirkels auf die Fluxus-Performance anwendet, sucht er eine Moeglichkeit, Fluxus verstehbar - besser (fuer Fluxus in seinen Anfaengen noch undenkbar), es als KUNST verstehbar zu machen. Friedman setzt dagegen neu an, und er hat dabei den Anspruch, die Geschichte von Fluxus fortzufuehren. Seine Akzente setzt er daher wieder mehr auf den transhistorischen Aspekt von Fluxus. So beginnt er seinen Artikel mit Fluxismus bei Heraklit, bei den Zen-Moenchen des 14. Jahrhunderts usw. Darueberhinaus versucht Friedman, wie bereits beschrieben, Fluxus aus seiner innersten Struktur heraus als Zeiten ueberschreitend und damit auch als zeitlos zu beschreiben.
Insgesamt weist sich der Fluxus Reader also durch eine beachtliche Vielzahl von Ansaetzen und verbunden damit durch eine grosse Menge an z.T. ganz neuen Ansichten und Informationen zu Fluxus aus. Was darueber hinaus beim Lesen allerdings auffaellt, laesst sich zu der These verdichten, dass innerhalb des Readers zwei unterschiedliche Verhaltensweisen gegenueber Fluxus existieren. Oft trifft man beide Tendenzen gleichzeitig in einem Text an, zumeist behaelt jedoch eine davon durch unterschiedliche Gewichtung am Ende die Oberhand:
Auf der einen Seite steht die Bekenntnis zur Historizitaet von Fluxus, verbunden mit dem Versuch, Fluxus besser versteh- bzw. einschaetzbar zu machen und es damit als Teil der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts zu begreifen. Das hat eigentlich zum Ziel, dass Fluxus die Wertschaetzung erhaelt, die es verdient, und dass es auf diese Weise mit einer deutlichen Physiognomie ausgestattet wird, mit der es Einfluss auf kommende Kunstbewegungen haben kann. Auf der anderen Seite steht der zunaechst einmal berechtigte Versuch, Fluxus in einem neuen zeitgemaessen Gewand weiterzufuehren. Was dabei an dieser Haltung auffaellt, ist jedoch, dass sie die Vorstellung einer historischen Beschreibung von Fluxus offenbar als hinderlich fuer die Fortsetzung von Fluxus empfindet. Das fuehrt an einigen Stellen zu einer Preisgabe des historischen Fluxus gegenueber den Neuansaetzen. Ein zeitgenoessisches Fluxus muss sich daher mit der Frage der Relation von Gewinn und Verlust auseinandersetzen, denn sonst laeuft es Gefahr, als Ganzes mit der Zeit immer gesichtsloser zu werden.
If there is additional discussion of this review, you may access it through the network, at: http://www.arthist.net/.
Citation:
Andreas Haug. Review of Friedman, Ken; Hrsg., The Fluxus Reader.
H-ArtHist, H-Net Reviews.
September, 2001.
URL: http://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=5534
Copyright © 2001 by H-Net, all rights reserved. H-Net permits the redistribution and reprinting of this work for nonprofit, educational purposes, with full and accurate attribution to the author, web location, date of publication, originating list, and H-Net: Humanities & Social Sciences Online. For any other proposed use, contact the Reviews editorial staff at hbooks@mail.h-net.org.