Thomas Urban. Von Krakau bis Danzig. Eine Reise durch die deutsch-polnische Geschichte. MÖ¼nchen: C.H. Beck Verlag, 2000. 347 S. DM 48.00 (gebunden), ISBN 978-3-406-46766-0.
Reviewed by Isabel Roeskau-Rydel (Berlin)
Published on HABSBURG (May, 2001)
Deutsche und Polen. Ein Streifzug
Deutsche und Polen. Ein Streifzug
Der in Warschau lebende Slawist und Korrespondent der Sueddeutschen Zeitung Thomas Urban gibt in seinem Buch einen historischen Ueberblick ueber die Geschichte der Deutschen in Krakau, Posen, Breslau, Kattowitz, Lodz, Warschau und Danzig. In knappen Unterkapiteln fasst er die wichtigsten historischen Ereignisse einzelner Epochen vom Mittelalter bis 1945 und teilweise bis zur Gegenwart zusammen. Er skizziert die Bedeutung der deutschen Patrizier fuer die Entwicklung der polnischen Staedte und die allmaehliche Assimilation der Deutschen seit dem 16./17. Jahrhundert. Bis auf die Staedte Kattowitz und Lodz verzichtet er darauf, auf die in der Zwischenkriegszeit zunehmenden Spannungen zwischen deutscher und polnischer Bevoelkerung einzugehen, die vor allem eine Folge der unsensiblen Minderheitenpolitik des neuen polnischen Staates waren und vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges eine vom Innenministerium in Warschau verfuegte Verhaftungswelle unter der deutschen Intelligenz in allen Teilen Polens ausloesten. [1]
Einen ueberproportionalen Anteil nimmt die von 1939 bis 1945 dauernde deutsche Besatzung Polens und die Terrorherrschaft des nationalsozialistischen Regimes gegenueber Polen und Juden ein. Zu diesem Thema liegen allerdings schon zahlreiche Publikationen in verschiedenen Sprachen vor. Bei den Staedten Breslau und Kattowitz, in denen sich nach dem Zweiten Weltkrieg eine bedeutende deutsche Minderheit befand, geht Urban ausfuehrlicher auch auf deren Nachkriegsgeschichte sowie auf die Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen bis in die Gegenwart ein.
Da es sich bei diesem Buch weniger um eine historische Studie, als vielmehr um ein historisches Begleitbuch fuer deutschsprachige Touristen handelt, die Polen besuchen und ein groesseres Interesse an der Geschichte Polens haben, mag dieser Schwerpunkt wohl sinnvoll sein, weil Polenbesucher nolens volens mit der traurigen Vergangenheit in Beruehrung kommen.
Erfreulich ist, dass in dem Ueberblick nicht auf Anmerkungen zu den einzelnen Stadtkapiteln verzichtet wurde und dass im Anhang ebenfalls ein Literaturverzeichnis fuer die einzelnen Staedte aufgenommen wurde, wobei hier vornehmlich neuere deutschsprachige Publikationen, aber auch polnische beruecksichtigt werden. Dies ermoeglicht dem Leser, sich mit der weiterfuehrenden Literatur zu einzelnen Themen bekanntzumachen. Allerdings hat der Autor erstaunlicherweise auf eine Uebersetzung der polnischen Titel verzichtet, obwohl er davon ausgehen musste - zumal sich im Anhang eine Rubrik zur "Aussprache polnischer Zeichen" befindet -, dass sich insbesondere auch Leser, die des Polnischen nicht kundig sind, fuer dieses Buch interessieren werden.
Dank der Benutzung neuerer und neuester deutscher und polnischer Publikationen wird dem Leser der aktuelle Forschungsstand vermittelt, der sowohl den Polenreisenden als auch den Studenten und Wissenschaftlern dient, die einen schnellen Ueberblick ueber die neuesten historischen Veroeffentlichungen zu der vom Autor skizzierten Geschichte der sieben Staedte erhalten wollen.
Allerdings waere es sicherlich fuer den Leser von Nutzen gewesen, wenn der Autor der Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen in der Nachkriegszeit allgemein einen groesseren Raum beigemessen haette, was in diesem Buch mit Ausnahme der Staedte Breslau und Kattowitz versaeumt wurde. Es waere wohl auch angemessen gewesen, beispielsweise die Taetigkeit der Stiftung fuer deutsch-polnische Zusammenarbeit in Warschau und deren Foerderungen von Gemeinschaftsprojekten zu erwaehnen, die massgeblich zu einem besseren gegenseitigen Verstaendnis beigetragen haben. Ebenso wichtig waere eine Erwaehnung des ebenfalls seit mehreren Jahren taetigen Deutsch-Polnischen Jugendwerks mit Sitz in Warschau bzw. Potsdam, das gerade im Bereich des Jugendaustauschs der besonders notwendigen Verstaendigung zwischen Jugendgruppen im allgemeinen und Schueler- und Studentengruppen im besonderen dient sowie Veranstaltungen und Workshops zur Geschichte und anderen Themen organisiert.
Darueber hinaus gibt es eine grosse Zahl von deutsch-polnischen Vereinen und Gesellschaften in den vom Autor ausgewaehlten Staedten, die in den neunziger Jahren von Privatpersonen gegruendet wurden und die einen grossen Beitrag zur Verbesserung und Normalisierung der deutsch-polnischen Beziehungen auf nichtstaatlicher Ebene leisten. Auch ein Hinweis auf die beiden Goethe-Institute in Warschau und Krakau, die sowohl Kultur- als auch Spracharbeit leisten, waere sicherlich fuer den Leser von grossem Interesse gewesen. In der Einleitung hebt der Autor lediglich die Unterstuetzung seitens der Mitarbeiter der Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Warschau bei der Zurverfuegungstellung und Beschaffung relevanter Publikationen hervor.
Die jahrzehntelang sowohl auf polnischer als auch auf deutscher Seite von Stereotypen begleitete Auseinandersetzung mit der Geschichte der Deutschen in Polen hat erst Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts eine Wende durch den politischen Umbruch in Polen erfahren, als man langsam damit begann, den zuvor haeufig dominierenden propagandistischen Ballast abzuwerfen und sich in wissenschaftlicher Weise vorurteilsfrei der Fakten sowie nun auch erstmals zugaenglich gemachten Quellen aus polnischen Archiven zu bedienen. Ein Beispiel dafuer ist die 1999 erschienene umfangreiche Studie des Posener Historikers und Archivars Dariusz Matelski ueber die Deutschen in Polen im 20. Jahrhundert bis zum Jahre 1998, die auf zahlreichen neu herangezogenen Quellen basiert und ein objektives Bild des Zusammenlebens und der Spannungen zwischen Polen und Deutschen vermittelt.[2]
Erst die Demokratisierung Polens hat es ermoeglicht, alte, aber auch neue Themen unter neuen methodologischen Ansaetzen hin zu erforschen und zu bewerten. Endlich konnten nun auch bis dahin aus politischen Gruenden unaufgearbeitete historische Ereignisse untersucht werden. So befasste man sich nun auch auf beiden Seiten mit der Geschichte der Internierungs- und Arbeitslager fuer Deutsche und andere Nationalitaetengruppen, die nach dem Zweiten Weltkrieg von den polnischen Behoerden eingerichtet oder als ehemalige deutsche Arbeitslager in Polen uebernommen wurden, in denen Tausende von Kindern, Frauen und Maennern zu Tode kamen. Die Untersuchungen zu diesem Thema und die Veroeffentlichung ihrer Ergebnisse in der Presse und in Publikationen bedeutete fuer die polnische Seite einen schmerzlichen Erkenntnisprozess, dass auch Deutsche, zumal Kinder und Frauen, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Polen Opfer des kommunistischen Systems wurden.
Die Diskussion um die Vorgehensweise der auf polnischer Seite als "Aussiedlung" und auf deutscher Seite als "Vertreibung" bezeichneten Ausweisung der Deutschen aus den ehemaligen Ostgebieten des Deutschen Reichs und spaeteren Westgebieten Polens hat schliesslich zu einer engen Zusammenarbeit zwischen Historikern beider Laender bei der Herausgabe von Dokumenten aus polnischen Archiven ueber die Deutschen in diesen Gebieten in den Jahren 1945-1950 gefuehrt. So erschien im Jahre 2000 in deutscher Uebersetzung der erste Band der von Wlodzimierz Borodziej und Hans Lemberg herausgegebenen Dokumentenreihe, die im Herder-Institut in Marburg in der Institutsreihe "Quellen zur Geschichte und Landeskunde Ostmitteleuropas" publiziert wird. Der deutsche Titel des Bandes lautet "Unsere Heimat ist uns ein fremdes Land geworden ..." Die Deutschen oestlich von Oder und Neisse 1945-1950 und betrifft die zentralen Behoerden und die Wojewodschaft Allenstein/Olsztyn. Die polnischen Originale erschienen zuvor in Warschau unter demselben Motto, aber unter dem etwas abweichenden Titel Niemcy w Polsce 1945-1950 (Deutsche in Polen 1945-1950). [3] Inzwischen wurde in Warschau auch der zweite Band veroeffentlicht, der Zentralpolen und die schlesische Wojewodschaft behandelt und in deutscher Uebersetzung Ende 2001 erscheinen wird.
Ebenfalls im Jahre 2000 wurde von dem Verein Kulturelle Gemeinschaft "Borussia" in Allenstein/Olsztyn ein Band mit Erinnerungen von Deutschen und Polen an die Flucht und Vertreibung der Deutschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten herausgegeben.[4]
Es waere sinnvoll, diese neuen Forschungsarbeiten in einer Neuauflage, die sicherlich erscheinen wird, nachdem schon das Buch von Thomas Urban Deutsche in Polen. Geschichte und Gegenwart einer Minderheit inzwischen in vierter, aktualisierter Auflage erschienen ist, zu beruecksichtigen.[5]
Auch wenn in dem Buch manche Zeitabschnitte nicht ihre notwendige Beruecksichtigung erhielten und zu knapp gerieten, - daher hat Thomas Urban in seiner Einfuehrung wohl auch von einem "Streifzug" gesprochen -, so ist diese Arbeit doch fuer jeden Polenreisenden eine Bereicherung, da er einen objektiven Einblick in die historischen Beziehungen zwischen Deutschen und Polen erhaelt. Darueber hinaus verzichtet der Autor auch nicht darauf, den unterschiedlichen Umgang mit der Geschichte auf beiden Seiten im Laufe der Jahrhunderte anzusprechen.
Anmerkungen:
[1]. Von diesem schwierigen Verhaeltnis handelt eine Untersuchung von Albert S. Kotowski, die von Urban leider nicht beruecksichtigt wurde. Albert S. Kotowski, Polens Politik gegenueber seiner deutschen Minderheit 1919-1939 (Studien der Forschungsstelle Ostmitteleuropa an der Universitaet Dortmund 23, Wiesbaden: Harrassowitz, 1998).
[2]. Dariusz Matelski, Niemcy w Polsce w XX wieku [Deutsche in Polen im 20. Jahrhundert] (Warszawa-Poznan: Wydawn. Naukowe PWN, 1999).
[3]. "Unsere Heimat ist uns ein fremdes Land geworden ..." Die Deutschen oestlich von Oder und Neisse 1945-1950. Dokumente aus polnischen Archiven, hrsg. von Wlodzimierz Borodziej und Hans Lemberg. Bd. 1: Zentrale Behoerden. Wojewodschaft Allenstein (Quellen zur Geschichte und Landeskunde Ostmitteleuropas 4, Marburg/Lahn: Herder-Institut, 2000); polnisch "Nasza ojczyzna stala sie dla nas obcym panstwem..." Niemcy w Polsce 1945-1950. Wybor dokumentow, hrsg. von Wlodzimierz Borodziej und Hans Lemberg (Warszawa: Neriton, 2000).
[4]. Hans-Juergen Boemelburg, Renate Stoessinger, Robert Traba, Vertreibung aus dem Osten. Deutsche und Polen erinnern sich (Olsztyn: Borussia, 2000).
[5]. Thomas Urban, Deutsche in Polen. Geschichte und Gegenwart einer Minderheit. 4. erw. und aktualisierte Aufl. (Beck'sche Reihe 1012, Muenchen: Beck, 2000).
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Citation:
Isabel Roeskau-Rydel. Review of Urban, Thomas, Von Krakau bis Danzig. Eine Reise durch die deutsch-polnische Geschichte.
HABSBURG, H-Net Reviews.
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