Klaus Lohrmann. Zwischen Finanz und Toleranz: Das Haus Habsburg und die Juden. Ein historischer Essay. Graz, Wien, KÖ¶ln: Styria, 2000. 232 S. 350 ATS / 48 DM (gebunden), ISBN 978-3-222-12766-3.
Reviewed by Ursula Ragacs (Institut für Judaistik der Universität Wien)
Published on HABSBURG (August, 2000)
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Zwischen Finanz und Toleranz: Die Habsburger und die Juden
Klaus Lohrmann studierte Geschichte, Romanistik und Byzantinistik an der Universitaet Wien. Als Absolvent des Instituts fuer Oesterreichische Geschichtsforschung hat er sich unter anderem fuer die Archivwissenschaft spezialisiert. Als Archivar im Wiener Stadt-und Landesarchiv (1976-1987) und Direktor des Instituts fuer die Geschichte der Juden in Oesterreich [1] hat er zahlreiche Artikel zur juedischen, oesterreichischen und franzoesischen Geschichte verfasst. Er lehrt als Dozent fuer mittelalterliche Geschichte an der Universitaet Wien.
Das genannte neue Werk hat das Verhaeltnis der Habsburger zu den Juden zum Thema. Einem kurzen Vorwort und einer etwas ausfuehrlicheren Einleitung folgen zunaechst die zwei laengeren Kapitel "Habsburg und die Toleranzpolitik" und "Die Habsburger und die Juden im Mittelalter". Die weiteren, kuerzeren Kapitel sind uebertitelt: Verfolgung und Vertreibung; die Habsburger als Kaiser und die Juden; die Habsburger als Landesfuersten; Kaiser, Staat und buergerliche Gesellschaft. Literaturhinweise und ein Register fuer Personen-, Ortsnamen und diverse sonstige Stichworte beenden das insgesamt 232 Seiten umfassende Werk.
Als erstes bespricht Lohrmann ausfuehrlich die den Titel des Werkes mitpraegende Toleranzpolitik Josef II.[2] Bereits vor Drucklegung des Werkes ist der Autor zu dem Schluss gekommen, dass "die Durchsetzung der Toleranzphilosophie, die sich auch auf die Juden bezog, (...) das Kernstueck habsburgischer Politik gegenueber den Juden (ist)."[3] Laut Handschreiben Josefs vom 13. Mai 1781 sollten die Juden im Gottesdienst kein Hebraeisch mehr benutzen, der zeitgemaessen Schulbildung zugefuehrt werden und in diversen Berufen, wie dem Ackerbau, dem Fuhrwesen, dem Handwerk, als Kuenstler und Fabrikanten zugelassen werden. So sollten sie von "dem ihnen so eigenen Wucher und betruegerischen Handel abgeleitet werden" (S. 25). Darueber hinaus sollten ihnen keinerlei demuetigende Kleidervorschriften oder Kennzeichen aufgezwungen werden. Lohrmann macht darauf aufmerksam, dass das Schreiben, trotz seiner Bedeutung fuer die juedische Emanzipation, sich dennoch einiger der Zeit entsprechenden Vorurteile bedient. Ausserdem uebersah Josef, wie Lohrmann in Unterkapiteln ausfuehrt, dass seine Toleranzgesetze nicht allen Juden seines Machtbereiches Verbesserungen brachten, ja manche gegenueber bisherigen Gepflogenheiten sogar schlechter stellte.
Das zweite Kapitel ist dem Mittelalter gewidmet.[4] Lohrmann bespricht zunaechst zum Verstaendnis notwendige Einzelaspekte der Zeit vor dem Beginn der Herrschaft Rudolf I. Darunter ist vor allem die Judenordnung von 1244, erlassen durch Friedrich II. den Streitbaren, zu nennen. Sie spricht dafuer, dass de facto bereits der Babenberger den Judenschutz ausgeuebt hat, obwohl dieser als Reichslehen erst im Jahr 1331 den Habsburgern uebertragen worden ist. In Summe kommt Lohrmann zu dem Schluss, dass sich die "Behandlung der Juden nur geringfuegig von den beiden mit ihnen konkurrierenden Dynastien, den baierischen Wittelsbachern und den Luxemburgern in den boehmischen Laendern" unterschieden hat (S. 114). Das Verhaeltnis zwischen den Habsburgerherzoegen und ihren Juden ist von einem "funktionalen Element" (S. 113) bestimmt, aus dem kaum auf persoenliche Einstellungen oder gar Toleranz geschlossen werden kann. Besonders auffaellig zeigt sich dies am Beispiel Rudolf IV., "dessen Politik den Eindruck erweckt, dass er die Juden geradezu in ein geplantes Wirtschafts- und Finanzkonzept einbaute" (S. 115).
Im dritten Kapitel arbeitet Lohrmann beispielhaft die Verfolgungen und Vertreibungen der Juden durch Albrecht V. (1420/21), Leopold I. (1669/70) und Maria Theresia (1744-48) auf. Dabei macht der Autor vor allem darauf aufmerksam, dass selbst die bedeutendsten Antisemitismusforscher sich der Schwierigkeiten und Unmoeglichkeiten eines Vergleiches der jeweiligen Ereignisse und ihrer Motivation nicht oder zumindest nur unzureichend bewusst sind. Vor allem zu beruecksichtigen sind nach Lohrmann das politische Umfeld und die "geistige Verfasstheit des Repraesentanten einer Vertreibung" (S. 119).
In den naechsten beiden Kapiteln geht Lohrmann der Frage nach dem Verhaeltnis der Habsburger als Kaiser bzw. als Landesfuersten zu den Juden nach. Fuer das erstgenannte zieht er als Beispiele Friedrich III., Karl V. und das spanische "Zwischenspiel" heran, fuer letzteres Rudolf II. und Ferdinand II; dazu beschreibt Lohrmann die Zustaende in den Laendern der boehmischen Krone, in Ungarn und in den oesterreichischen Erblaendern. Als besonderes Merkmal des Verhaeltnisses des jeweiligen Kaisers zu den Juden haelt er fest, dass dieser sich, im Gegensatz zu den Landesfuersten, auf Grund des Anspruches auf die roemische Kaiserwuerde zu jeder Zeit der Verpflichtung zum Judenschutz bewusst war. In der Behandlung der einzelnen Personen und Laender beschraenkt Lohrmann sich auf die Darstellung an Hand der Quellen. Dabei macht er mehrmals darauf aufmerksam, dass manche von ihnen ueberbewertet worden sind, was letztlich zu einer - im Gegensatz zum tatsaechlich geschilderten Geschehen - dramatischeren Darstellung desselben gefuehrt hat. Einige Male verweist Lohrmann auch auf wenig ausgewertete Quellen.
Im Schlusskapitel haelt der Autor nochmals fest, dass die Toleranzpolitik Josef II. als wesentlichster Aspekt der habsburgischen Politik aus der Geschichte des Verhaeltnisses der Habsburger zu den Juden hervorsticht. Bereits im Vorwort hat Lohrmann festgestellt, dass auf Grund der Forschungslage zur Zeit noch keine umfassende Untersuchung zum Thema Habsburger und Juden vorgelegt werden kann (S. 8). Nun kommt er zu dem Schluss: "Man ist ueberfordert, ein generelles Urteil ueber das Verhaeltnis der Habsburger zu den Juden abzugeben. Immer war es Spiegel der jeweiligen Verhaeltnisse, immer durch realpolitische Lagen gepraegt; eine prinzipielle Haltung laesst sich nicht erkennen" (S. 215).
Wenn der Untertitel "ein historischer Essay" ein Hinweis darauf sein soll, dass das Werk fuer ein breites Publikum gedacht ist, dann wird Lohrmann diesem Anspruch sicherlich mehr als gerecht. Auf Grund seiner umfassenden Kenntnis und Erfahrung kann der Autor die ausgewerteten Quellen zu einem spannend zu lesenden Ganzen verweben. Schade ist, dass das Werk ohne Anmerkungen auskommt. Dieser Mangel mindert seinen Wert fuer den Gebrauch im wissenschaftlichen Bereich, was nicht zuletzt deshalb bedauerlich ist, weil Lohrmann mehrmals auf den bisher unzureichenden Umgang mit den vorhandenen Quellen hinweist, dieser aber nicht nachvollziehbar ist. Das eher kurz gehaltene und lediglich nach Kapiteln geordnete Literaturverzeichnis macht diesen Mangel leider nicht wett.
Anmerkungen
[1]. Mit Sitz in St. Poelten/Niederoesterreich. Fuer genauere Informationen zum Institut siehe http://www.members.magnet.at/injoest
[2]. Bereits 1980 hat sich der Autor, im Rahmen einer Ausstellung des juedischen Museums Eisenstadt, mit Teilen des nun vorgelegten Themas beschaeftigt: Klaus Lohrmann, Das oesterreichische Judentum zur Zeit Maria Theresias und Josephs des Zweiten ( Studia Judaica Austriaca 7, Eisenstadt: Roetzer, 1980).
[3]. Juden in Oesterreich. Gestern-Heute/Jewish Austria. Past-Presence, hrsg. vom Institut fuer die Geschichte der Juden in Oesterreich, 1 (1998), S. 5.
[4]. Zu diesem Bereich hat Lohrmann erst juengst ein weiteres Buch herausgebracht: Klaus Lohrmann, Die Wiener Juden im Mittelalter (Geschichte der Juden in Wien 1, Berlin, Wien: Philo, 2000).
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Ursula Ragacs. Review of Lohrmann, Klaus, Zwischen Finanz und Toleranz: Das Haus Habsburg und die Juden. Ein historischer Essay.
HABSBURG, H-Net Reviews.
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