M. S. Lane, Martin Ruehl, eds. A Poet's Reich: Politics and Culture in the George Circle. Rochester: Camden House, 2011. x + 349 pp. Illustrations. $75.00 (cloth), ISBN 978-1-57113-462-2.
Reviewed by Max Kramer (CUNY-Baruch College)
Published on H-German (August, 2015)
Commissioned by Chad Ross
Stefan George: zwischen Kulturwissenschaft und Alltagsgeschichte
Dieser von Melissa S. Lane und Martin A. Ruehl herausgegebene Sammelband, der zweite Beitrag zur George-Forschung aus der germanistischen Reihe von Camden House, Studies in German Literature, Linguistics, and Culture, gewährt einen verschärften Einblick sowohl in das Leben und Werk Stefan Georges als auch in die Komplexität und Problematik des von ihm gegründeten männerbündnischen Kreises. Einstmals verglichen mit Goethe und Hölderlin, avancierte George im frühen 20. Jahrhundert zu einer der wichtigsten literarisch-sozialen Persönlichkeiten und zog mit seinem holistischen Bildungsideal mehrere Generationen deutschsprachiger Geistesgrößen charismatisch in seinen Bann. Das im Kreis vorherrschende und dem griechischen Modell verpflichtete Meister-Jünger-Verhältnis zielte dabei auf eine intellektuelle Elite und richtete sich vehement gegen den als brutal empfundenen Positivismus seiner Zeit. Während die Ausstrahlung Georges in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg in den intellektuellen und politischen Sphären der Bonner Republik durchaus anhielt, wurde er spätestens ab den 1970ern von der kritischen Literaturwissenschaft weitestgehend vergessen oder desavouiert; zu sehr war sein Name in den Dunstkreis des schlechten Gewissens der deutschen Seele geraten. In der Folgezeit entstand eine Dichotomie zwischen Georges Apologeten, deren Besprechungen in aller Regel hagiographischer Natur waren und den protofaschistischen Charakter seines Werkes herunterspielten, und Georges Gegnern, die in ihm einen ideologischen Wegbereiter zum Nationalsozialismus sahen, ihn damit aber auch ad acta legten, ohne der vielschichtigen Situation innerhalb seines „Zenakels“, in dem zugleich Deutschnationale und Juden, Hetero- und Homosexuelle, ihren Platz fanden, weiter Bemerkung zu schenken. Georges Gegner ignorierten zumeist die Lyrik Georges, die sich sowohl aus einem radikalen Antimodernismus als auch aus der Erfahrung einer zutiefst geächteten und illegalen Geschlechtlichkeit speiste. Nur selten schaffte George es noch in die bundesrepublikanischen Feuilletons, und für das breitere Lesepublikum war, wie Gert Mattenklott 1970 bemerkt, das Werk dieses Autors tot.
Der vorliegende Sammelband versucht diese verschiedenen Abgründe zu überbrücken und den über die Jahre erheblich changierenden Standpunkten Georges als auch seiner Anhänger Rechnung zu tragen. Herausgekommen ist dabei eine Mischung von Beiträgen, die sich in ein neues, vorwiegend kulturwissenschaftliches und alltagshistorisches Interesse am verfemten Autor und an seinem toten Werk einschreibt, und weniger in die artistisch-ästhetische Rezeption. In der Tat hat sich seit Marita Keilson-Lauritz’ schmaler Studie Von der Liebe die Freundschaft heißt aus dem Jahre 1987 einiges getan und die Aufmerksamkeit, die man George und seinem Kreis schenkt, lässt nicht nach. Zu erwähnen seien hier vor allem Stefan Breuers Ästhetischer Fundamentalismus: Stefan George und der deutsche Antimodernismus aus dem Jahr 1995, und dann rasch aufeinanderfolgend mehrere Studien aus den nuller Jahren: Robert Nortons Secret Germany: Stefan George and His Circle (2002), Ernst Osterkamps „Ihr wisst nicht wer ich bin“ - Stefan Georges poetische Rollenspiele (2002) und Poesie der leeren Mitte - Stefan Georges Neues Reich (2010), Margherita Versaris La poesia di Stefan George. Strategie del discorso amoroso (2004), Manfred Riedels Geheimes Deutschland, Stefan George und die Brüder Stauffenberg (2006), Thomas Karlaufs Stefan George, Die Entdeckung des Charisma (2007), Ulrich Raulffs Kreis ohne Meister, Stefan Georges Nachleben (2009), der von Ute Oelmann und Ulrich Raulff herausgegebene Band Frauen um Stefan George (2010) und Christophe Frickers Stefan George: Gedichte für Dich (2011). Bemerkenswert ist zudem, dass Ludwig Lehnen 2009 die erste französische Gesamtübersetzung des lyrischen Werks Georges lieferte, Poésies Complètes, die nach der Übertragung ins Englische von Olga Marx und Ernst Morwitz, The Works of Stefan George, aus dem Jahre 1974 erst jetzt die zweite Gesamtübertragung seiner Lyrik in eine andere Sprache konstituiert. Es hat sich in den Georgeana also inzwischen viel getan. In seinem Auftrag erinnert das vorliegende Buch jedoch am meisten an Jens Rieckmanns Sammelband A Companion to the Works of Stefan George von 2005: dem Deutsch sprechenden angelsächsischen Publikum ein facettenreiches Bild des fremden Dichters vermitteln. A Poet’s Reich ist freilich umfangreicher und liest sich wie die Weiterführung und Vertiefung seines Vorgängers. Formell gesehen wurde ein Kompromiss gefunden, indem der Band auf Englisch ist, die zahlreichen deutschen Zitate aber konsequent unübersetzt bleiben, wenngleich – dies sei am Rande vermerkt – man sich in einer germanistischen Edition gewünscht hätte, dass deutsche Wörter nach deutschen Rechtschreibregeln getrennt werden, um Monstren wie „verke-hrt“ oder „schw-erste“ zu vermeiden.
Der aus einer Konferenz in Cambridge anno 2002 gewachsene Band teilt sich in vier Kapitel auf, die verschiedene Aspekte des Kreises erörtern. Der erste Teil, mit dem Titel Members and Mores, geht der Entwicklung des Kreises von einer Künstlergesellschaft zu einer Lebensgemeinschaft nach. Ute Oelmann zeigt auf, wie das primär lyrische Vorhaben Georges und der George-Anhänger, das sich in der Gründung der Blätter für die Kunst manifestierte, einer neuen kulturellen Agenda Platz machte, deren Bedeutung eher existenziell als literarisch war. Oelmann macht zudem die Zäsur zwischen den beiden Phasen bei Wolfskehl fest, der Kunst als eine sakrale Tätigkeit verstand und damit die Beziehung zwischen George und seinen Jüngern von einer losen Gruppe zu einer quasi religiösen, elitären „Blätter-gemeinschaft“ definierte, in der „Begriffe wie Erziehung, Dienst, Führerschaft und ,höheres leben’“ (S. 27) eine wegweisende Bedeutung haben sollten, und deren Aufgabe es war, Kultur und Geist zu erneuern. Eine zweite Transformation sieht Oelmann in der „Erfindung einer neuen Gottheit“ (S. 30) – Maximin – im Jahre 1905, zu deren Prophet George wurde. Insgesamt zeigt Oelmann sehr plausibel die verschiedenen Wandel auf, die der Kreis durchlief und die ihn mit der Zeit zu mehr Hierarchie und Dogma führten, welche weniger auf dem Maximin-Kult als auf dem Mythos des geheimen Deutschlands, das heißt politisch begründet waren.
In diesem Zusammenhang bespricht Adam Bisno die frühe Begegnung zwischen George und Hofmannsthal, und den plötzlichen Bruch zwischen den beiden Dichterkollegen. Eine grundlegend verschiedene Haltung zur Homosexualität, die selbst auf einem entgegengesetzen Klassenbewusstsein fußte, trennte laut Bisno die beiden noch jungen Menschen und sollte zur zentralen Episode in Georges Leben führen. Anschließend wird die stark homoerotische Bindung des Dichters mit einer Reihe von jungen Männern genauer untersucht, die abwechselnd um die Aufmerksamkeit des Meisters und um seine Anerkennung buhlten, womit sich die Dynamik zwischen den Georgeanern unaufhörlich änderte. Hofmannsthal, so das Argument Bisnos, wurde darauf durch eine Reihe noch jüngerer Anhänger ersetzt, womit George die Rolle Sokrates’ in Platons Symposium in einer neuen philhellenischen „Erlösungsreligion“ (S. 38) neu inszenieren konnte. Die erste und berühmteste dieser erotischen Figuren war Maximilian Kronberger, dessen früher Tod es George erlaubte, ihn in das Objekt eines Kults zu verwandeln, in den später weitere Kreis-Mitglieder verpflichtet wurden. Maximin, wie die posthume Göttlichkeit getauft wurde, entwickelte sich so zum Leitbild innerhalb eines andauernden Wetteifers unter den jüngeren Mitgliedern um die Gunst und Anerkennung des charismatischen Meisters. In subtilen Vergleichen mit zeitgenössischen Gruppierungen, wie der Gemeinschaft der Eigenen oder der Liebenberger Tafelrunde, gelingt es Bisno, den Weltblick innerhalb des Kreises in den maskulinistischen Diskurs zur Homoerotik des Fin-de-Siècle-Deutschland einzuschreiben, ohne dabei ihre „radikal illiberale“ (S. 47) und „männlich-suprematistische“ (S. 51) Fracht zu löschen.
Robert E. Lerner vervollständigt die Reflexionen um die Kreiszugehörigkeit mit einer Exploration, die sich auf das dramatische und in Theresienstadt endende Leben der Gertrud Kantorowicz und damit auf die komplexe und problematische Rolle der Frauen um George fokussiert. Kantorowicz hatte Stefan George 1898 getroffen und war die einzige Frau, deren Gedichte in den Blättern für die Kunst aufgenommen wurden. Lerner beschäftigt sich insbesondere mit der Dreifachrolle Kantorowicz’ als Frau, Deutsche und Jüdin, und beschreibt dabei ihren Lebensweg aus einer behüteten Kindheit in wohlhabenden Verhältnissen und als eine unpolitische und nicht sozialkritische Person zu jemandem mit wachsendem Interesse an geschlechterspezifischer Diskriminierung und Frauenfragen. Die Grenzen dieses Interesses veranschaulicht Lerner jedoch sehr gut an dem Beispiel von Sabine Lepsius, die ebenfalls dem Kreis nahestand, die es aber ob des Platzes von Frauen und Weiblichkeit im Kreis „zum Bruch mit dem ,Meister‘“ (S. 61) kommen ließ. Dies steht im direkten Kontrast zu Kantorowicz’ Verhalten, die vielmehr als eine musterhafte Jüngerin einzustufen ist und sich kaum als Jüdin definierte. Gleichzeitig aber, so Lerners Analyse, zeichnete sich Kantorowicz durch ihren komplexen Charakter aus, der sie einerseits einen Arisierungsantrag stellen ließ, während sie sich andererseits in späteren Jahren dem Judentum zuwandte. Alles in allem vermittelt Lerner auf spannende Weise die Widersprüchlichkeit der meisten der jüdischen Verbündeten Georges, die „zwar Juden waren, aber eben nicht zu sehr Juden“ (S. 66).
Im zweiten Teil des Sammelbandes, Poetry, Prophecy, Publics, werden im Kontext von Weimar-, Nazi- und Nachkriegsdeutschland die Machtverhältnisse in Georges Lyrik, seine Auffassung von Dichtung und Kultur als auch die Beziehung zu seinem langjährigen Jünger Friedrich Gundolf besprochen. Zu diesem Zweck analysiert Rüdiger Görner Gundolfs Rezeption von Rilke, der bis zu seinem Tod im Jahre 1926 der große Rivale Georges um den Posten des poeta vates in der deutschen Sprache war. Der Bruch zwischen den beiden Dichtern im selbigen Jahr wirkte sich zutiefst auf Gundolfs Bewertung der Lyrik Rilkes im Vergleich zu Georges Lyrik aus. Dieser Wandel fand 1931 – kurz vor Gundolfs eigenem Tod – seinen krönenden Abschluss in dem Vortrag über Rilke, in dem Gundolf die Idee vertritt, dass sich bei Rilke Vers und Prosa mischen und Rilke sich sowohl durch seinen fehlenden Willen als auch seine Empfänglichkeit für das moderne Leben auszeichne. Rilke sei deshalb ein moderner Dichter, weil er alle möglichen Erfahrungen aufnehme und seiner Lyrik eine „diastolische, entspannte Qualität“ gebe. Im Gegensatz dazu verleihe George seiner Dichtung eine „systolische Spannung“ (S. 86), eine äußerste Konzentration.
Im Anschluss vergleicht Ray Ockenden das Verhältnis zwischen George und Rilke in Hinsicht auf ihre jeweiligen politischen Anschauungen. Ockendens Anliegen ist es, ein Gegengewicht zu den in dem Band und in letzter Zeit überhaupt vorherrschenden soziologischen, historischen und biografischen Betrachtungen zu bieten. Dabei kritisiert Ockenden zu Recht vor allem Robert Norton und Thomas Karlauf, die Georges Lyrik vorwiegend als „biografische Quelle“ (S. 92) benutzen, um George als ideologischen Wegbereiter zum Nazismus zu dekuvrieren. Ockenden lenkt das Augenmerk zurück auf Georges Hass gegen den modernen Materialismus als auch gegen „leere geistige Spekulationen“ (S. 95) und vollzieht in seinem Beitrag eine Reihe von Textinterpretationen georgescher Gedichte, geht dabei aber selbst relativ akkumulativ vor und reißt die Zitate z.T. sehr rabiat aus ihren Gedichten heraus, was er eigentlich seinen Opponenten vorwirft. Das Gedicht „Geheimes Deutschland“ lediglich als „strange poem“ zu interpretieren und von ihm zu behaupten, George habe „wenig Hoffnung gehegt, dass seine Ideen sich spürbar auf die allgemeine Gesellschaft auswirken würden“ (S. 100) ist wenig überzeugend, zumal Ockenden selbst bestätigt, dass der Begriff wirkmächtig blieb. Insgesamt verbindet Ockenden seine Hermeneutik zu wenig mit den kulturpolitischen Problemen des Kreises – die Dichtung Georges „mache keine politischen Aussagen“ (S. 111) – und begeht damit den umgekehrten Fehler von Norton und Karlauf.
Mit dem Beitrag von David Midgley geht der Sammelband von der Lyrik Georges zur öffentlichen Wahrnehmung dieser Lyrik in den verschiedenen intellektuellen und kulturellen Milieus der Weimarer Republik über. Midgley beschreibt, wie Georges Reputation in den 1920ern fluktuierte, und macht einen Bruch im Jahr 1928 fest. Zu dieser Zeit ließ die unter anderem mit Bertolt Brecht assoziierte Gebrauchslyrik der Neuen Sachlichkeit den romantischen Idealismus und den „ästhetischen Fundamentalismus“ Georges (S. 119, Stefan Breuer) zunehmend anachronistisch erscheinen. Midgley zufolge wurde George sowohl von seinen damaligen Gegnern als auch von seinen Bewunderern als Vertreter eines „vergangenen Zeitalters“ (S. 119) wahrgenommen und war für die Dichtkunst weit weniger wichtig als im geistesgeschichtlichen Leben. Dementsprechend fiel Brechts Urteil extrem negativ aus, indem er „Georges ästhetischen Modus vom Aspekt des Klassenkampfs von oben imprägniert sah“ (S. 122). Walter Benjamins Verdikt war zweischneidiger. Er lehnte Georges Ethos (Heroisierung, Maximin-Kult, Zirkel von Jüngern) ab, während er Sympathie für sein ästhetisches Empfinden hegte. Für ihn stand George am historischen Ende einer literarischen Bewegung, die mit Baudelaire begonnen hatte. Midgley arbeitet diese Widersprüchlichkeit auf interessante Weise heraus.
Unter dem Titel Wissenschaft and Herrschaft richtet der dritte Teil den Blick auf eine weitere Problematik innerhalb des Kreises: die schwierige Frage nach der Natur und Rolle der Wissenschaft für George-Anhänger wie Gundolf und Wolters, die sich zugleich als Dichter und als Forscher verstanden und die dennoch die zeitgenössische Form der Wissenschaftslehre ob ihrer Trockenheit und ihres Positivismus scharf kritisierten. Besonders durch Gundolf, der sich 1911 zur Überraschung aller habilitierte und ein bedeutender Professor in Heidelberg wurde, kam George in Berührung mit Max Weber und Georg Simmel, zwei sehr einflussreichen akademischen Persönlichkeiten, die zu jener Zeit Sinn und Zweck der Sozialwissenschaft neu definierten. Laut Lane und Ruehl war es Webers Wissenschaftsbegriff, der von einem Ethos rigider Sachlichkeit getragen wurde, der in den Augen Gundolfs zur „Entzauberung“ der Welt beitrug (S. 10), weshalb er und andere Kreis-Mitglieder eine Form der Wissenschaft praktizierten, die Mythos und Leidenschaft nicht ausschloss, sondern nahtlos in diese überging. Lane und Ruehl zitieren dabei sowohl Karlauf als auch Gundolf (und damit implizit Weber) etwas unsauber: denn erstens ist es nicht Gundolf, sondern Salin, ein anderes epistemologisch interessiertes Kreismitglied, der Weber die „Entzauberung“ der Welt vorwirft (wie Karlauf in der von Lane und Ruehl zitierten Passage seiner George-Biographie richtigstellt); und zweitens, stammt der Ausdruck „Entzauberung“ von Weber selbst, der damit einen Zustand der technischen Wissenschaft und Welt diagnostiziert, ohne diesen Zustand damit gutzuheißen. Melissa Lane konzentriert sich in der Folge auf Platons Philosophie und ihre politische Rolle im Kreis, ein Thema, das Georges Jünger ausgiebig erörterten. Lane zufolge kam Platon schon früh eine „Hilfsfunktion“ (S. 135) zu, und seine Philosophie wurde zu einem zentralen Element im Kreis, da es ein Modell verkörperte, in dem sich Lyrik, Philosophie und Politik verwischten. In dem Versuch, Wissenschaft im Namen einer vereinenden und lebendigen Gestalt neu zu bestimmen, beseitigten die Georgeaner die Barrieren zwischen Wissenschaft und mythischer Vision, zwischen Denken und Handeln. Lane beschreibt, wie Platon bereits 1901, oder schon früher, für den Kreis als Führerfigur, Gesetzgeber, Geliebter und Dichter eine wichtige Rolle spielte, und wie Platons Philosophie einen entscheidenden Einfluss sowohl auf Kurt Hildebrandt hatte, der auch noch in den letzten Kriegsjahren dem Naziregime die Treue hielt, als auch auf jemanden wie Claus von Stauffenberg, der zur inneren Umkehr gelangte. Lane wagt somit die These, dass sich traditioneller Konservatismus und Nationalsozialismus aus der gleichen Quelle nährten.
Bertram Schefolds Beitrag stellt in diesem Kontext die politischen Ökonomen vor, die dem Kreis nahestanden, und kommt insbesondere auf Edgar Salin, Friedrich Wolters, Arthur Salz und Kurt Singer zu sprechen. Auf ihre jeweilige Biografie zurückgreifend, geht Schefold der Frage nach, welchen Einfluss George auf das Denken dieser Ökonomen hatte. Salin zufolge fehlte es Weber an künstlerischem Interesse und Talent, denn Weber habe einen völlig nordischen, puritanischen Charakter. Salin – wie Wolters, Salz und Singer – strebte danach, die Nationalökonomie in eine Disziplin innerhalb der Geisteswissenschaften umzugestalten und sie in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen. Schefold zeigt, wie jeder Ökonom die positivistische Richtung der zeitgenössischen Wirtschaftswissenschaften mit einem holistischen und der “Anschauung” verpflichteten Ansatz zu überwinden suchte: Im Gegensatz zu kumulativer „Teilerkenntnis“ erfordere „Gesamterkenntnis“ eine intuitive „Schau“ (S. 172). Wie Schefold herausarbeitet, war die Ablehnung der neoklassischen Theorie von George beeinflusst, der der empirischen Rationalität und überhaupt dem Fortschrittsgedanken äußerst misstrauisch gegenüber stand. Wie Geschichte, wurde stattdessen auch die Ökonomie in einer Welt von häufig unabhängigen politischen, sozialen, kulturellen und intellektuellen Faktoren eher von talentierten „Tätern“ gestaltet. Während Schefold das häufig Unorthodoxe und Originelle der Arbeit dieser Ökonomen sehr plastisch schildert, hinterfragt er wenig das darin enthaltene typisch georgesche Elitedenken oder überhaupt das Problematische an einer von Herrschaft und Dienst geprägten absolutistischen Staatsform, so wie sie Wolters idealisierte, in welcher „die einen erhaben sind“ und „die anderen willig oder unwillig sich neigen” (S. 176).
Martin A. Ruehl kommt auf den Fall Ernst Kantorowicz zurück, dessen jüdische Geburt für ihn zwar Ächtung und Exil zur Folge hatte, dessen politische und wissenschaftliche Schriften jedoch in vielerlei Hinsicht mit den von den Nazis propagierten Vorstellungen von Herrschaft und Deutschtum in Einklang zu stehen scheinen. Ruehl sucht einen Mittelweg zur komplexen Beziehung, die Kantorowicz zum Nazismus hegte, und manövriert zwischen Norman Cantors überspitzter Verdammung Kantorowicz’ als jüdischen Nazigelehrten und der hagiografischen Verteidigung seiner Person als Antifaschisten, wobei Kantorowicz stellvertretend für die Verwirrung unter den Kreis-Mitgliedern nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten steht. Durch eine feinsinnige Analyse von Kantorowicz’ berühmter Monografie Kaiser Friedrich der Zweite und von Kantorowicz’ national-deutschen Lebensanfängen in Posen gelangt Ruehl zu Kantorowicz’ Ablehnung der Weimarer Republik und schließlich zu seiner Legitimierung des deutschen Anspruchs auf die Vormachtstellung innerhalb Europas. Jedoch versuchte Kantorowicz nicht, sich bei den Nationalsozialisten beliebt zu machen, sondern protestierte vorsichtig gegen ihren Antisemitismus. Gleichzeitig aber blieb er so lange wie möglich in Deutschland und fand sich damit ab, dass man als „Jude oder Farbiger“ „von dem allein rassisch fundierten Staat notwendig ausgeschlossen“ (S. 222) war. Ruehls bestechendes Fazit ist folgendes: dass die Vision des George-Kreises und die Ideologie des Nationalsozialismus gewisse Versatzstücke teilten, während viele Facetten inkommensurabel blieben.
Im vierten und ominös betitelten Teil The New Reich and the Third Reich geht es um die politische Frage im Kreis. Richard Farber leitet diese Frage mit einer Studie über Georges Begriff von Deutschlands Beziehung zu Italien und Rom sowie über seine Konzeption des Reiches ein. Vom transeuropäischen Reich Karls des Großen ausgehend, beschäftigt sich Farber mit der Idee des Rheins als vereinigende Kraft europäischer Geschichte, als natürliches Zentrum des Reichs und als Bindeglied zwischen Deutschland und Frankreich. Dabei kommt er auch auf Georges katholisch gefärbte prussophobe Haltung zu sprechen, die nur die römischen Gebiete Deutschlands, also jene, die Teil des römischen Reiches gewesen waren, als europäisch ansah. Diese Haltung zum römischen Deutschland hatte er mit Curtius gemein, wie überhaupt mit der katholischen Intelligenzija, während jemand wie Alfred Schuler, Vertreter des Komischen Kreises, sich auf das vorchristliche Germanien berief. Aus dieser Aneignung der Reichsidee erwuchs laut Farber auch Georges Reichs-Begriff, so wie er in dem Titel des Gedichtbands Das Neue Reich Verwendung fand, worin seine Reichsauffassung frei nach der Präfigurationslehre nicht leicht von den Reichsmythologien der Nationalsozialisten zu unterscheiden war. Farber belässt es allerdings aber bei dieser Annäherung und geht nicht weiter auf die Problematik seines Vergleiches ein.
Umso mehr tut dies Robert E. Norton, der schon in seiner intellektuellen George-Biographie den zunehmend willentlichen Einsatz Georges für eine politische und eine seinen elitären und autoritären Umgang mit Freundschaften spiegelnde Umgestaltung Deutschlands dokumentierte. In dem hier vorliegenden Aufsatz verfolgt er diesen Werdegang bis zurück auf Hofmannsthals Ansicht über die politische Wirksamkeit von Lyrik und auf Georges Appropriation dieser Ansicht. In einer Annäherung, die zunächst an eine reductio ad Hitlerum erinnert, schlägt Norton vor, dass Hitler die praktische Durchführung des georgeschen Plans einer neuen deutschen Wirklichkeit lieferte, so wie Hofmannsthal ihn ursprünglich entworfen hatte. Auf einem Zitat Georges fußend, „j’aime l’art comme pouvoir“ (S. 273), und Georges Verhältnis zu seinen Jüngern über die Jahre aufrollend, postuliert Norton die steile These, dass die mythografischen Geschichtsbücher von Autoren wie Gundolf, Kantorowicz oder Bertram als „versteckte Biografien Georges“ geschrieben wurden, da eine Abstammungslinie vom Stauferkaiser Friedrich II. über Goethe, Napoleon und Nietzsche erstellt werden sollte, am Ende derer George selbst stünde (S. 275, 276). Ohne so weit zu gehen, dass George Hitler direkt beeinflusst oder Hitler sich wissentlich bei George inspiriert habe, kommt Norton zu der Schlussfolgerung, dass Hitler von der allgemeinen Verschmelzung ästhetischer und politischer Autorität (S. 284), wie George sie darstellte, profitieren und dadurch seiner Herrschaftsform Legitimität verleihen konnte, insbesondere weil Hitlers Interesse an den Künsten ein genuines war, wofür Norton mehrere anschauliche Beispiele bietet.
In einem ähnlichen Beitrag widmet sich der Stauffenberg-Experte Peter Hoffmann jener berüchtigten Frage, welche Rolle der Kreis in der Formulierung nationalsozialistischen Gedankenguts spielte oder inwiefern der Kreis zumindest mit diesem Gedankengut verwandte Ideen stärkte. Zu diesem Zweck erörtert Hoffmann zunächst den Begriff völkisch vom 15. Jahrhundert an als simple Übersetzung des lateinischen popularis bis zu Fichtes radikalisierter Definition von völkisch als deutsch und Hitlers als rassisch. Bondis Versuch, die Benutzung der Swastika, die auf den Kreisbüchern prangte, vom Hakenkreuz der Nazis zu dissoziieren, beschreibt Hoffmann „als einen Selbstbetrug oder als unaufrichtig“ (S. 289), da sich George bereits seit vielen Jahren mit politischen Entwürfen beschäftigt und seine Lehre auf eine „großangelegte Reorganisation der menschlichen Gesellschaft“ (S. 306) gezielt habe, womit er Karlaufs These von Georges unpolitischer Hybris widerspricht. Von hier geht Hoffmann zu der Frage über, inwiefern sich George als Ahnherr der Nationalsozialisten begriff und sich die Mitglieder dem NS-Regime anschlossen, aber wie zumindest die Stauffenberg-Brüder schlussendlich zu den Todfeinden der Nazis wurden. Das Attentat Stauffenbergs interpretiert Hoffmann jedoch nicht als auf Georges Schulung basierend, womit er gleichzeitig Robert Norton, Thomas Karlauf, Manfred Riedel und Ulrich Raulff widerspricht, da es für deren (verschiedene) Thesen „keine Beweismittel“ (S. 305) gebe. Insbesondere auf Karlaufs These antwortet Hoffmann, dass George „Verschwörung, Umsturz, Staatsstreich“ nie gebilligt und dass George die Stauffenberg-Brüder nicht in einem Verschwörungsethos erzogen habe. Im Gegenteil: Hoffmann hält es zwar für „unwahrscheinlich, dass George dem Massenmord oder auch nur der Verfolgung der Juden zugestimmt hätte“ (S. 305); aber seine Bilanz ist trotzdem, dass „George die Ahnherrschaft für den Nationalsozialismus für sich in Anspruch nahm“ (S. 306) und dass er nicht gegen die schon zu seiner Lebenszeit beginnenden Verfolgungen opponierte. Hoffmann basiert sein Urteil auf das strikte Beweismaterial, diskreditiert vielleicht aber zu sehr die differenzierten und keineswegs monokausalen Erklärungen anderer Forscher, ohne selbst von Vermutungen völlig Abstand zu halten.
Im letzten Beitrag kommt Thomas Karlauf selbst zu Wort. Um der politischen Frage nachzugehen, bezieht er sich nicht repräsentativ auf die Mehrheit der Mitglieder, sondern nur auf das Einzelschicksal Claus von Stauffenbergs. Karlauf wendet sich gegen Nortons Auslegung des misslungenen Mordanschlags Stauffenbergs auf Hitler als Emanzipation von zentralen Idealen und Werten seines einstigen „Meisters George“. Er räumt zwar dabei ein, dass für Stauffenberg „das post-nationalsozialistische Deutschland ein feudales sein und nach den Prinzipien von Herrschaft und Dienst umstrukturiert werden sollte“ (S. 319); aber gleichzeitig ist ihm bewusst, dass es für die meisten nicht-jüdischen Kreis-Mitglieder zweifellos schwierig war, zwischen Georges „neuem Reich“ und dem von den Nationalsozialisten proklamierten „Dritten Reich“ klar zu unterscheiden. Auch Stauffenberg habe lange gebraucht, um die beiden „Reiche“ zu trennen – nämlich bis zu den Niederlagen von 1942-43 – und um Hitler als „falschen ,Führer‘“ (S. 330) zu erkennen. Gleichwohl hält Karlauf daran fest, dass Stauffenbergs ethischer Impetus zu seiner „Tat“ und seine Unerschrockenheit in der Welt Georges und des Kreises ihren Ursprung hätten. Während Hoffmann und Norton sich einig sind, dass Stichwörter wie „Verschwörung“, „Umsturz“, „Staatsstreich“ etc. in Georges Wortschatz nicht zu finden seien und George deshalb als Inspiration zu Stauffenbergs Wandlung und Handlung als unwahrscheinlich zurückweisen, ist Karlaufs Fokus ein anderer. „Der Dichter, der sich danach sehnte, ein Tatmensch zu sein, brachte den Tatmenschen hervor“, und am „20. Juli wurden Wort und Tat eins“ (S. 330), so Karlaufs Conclusio. Dieser Tatmensch Stauffenberg habe sich dazu entschlossen, Hitler zu töten, nicht weil er Georges Weltanschauung für irrig hielt, wie Norton behauptet, sondern weil er seine „Grundideen“ in der „Durchführung durch das [NS]-Regime“ (S. 319) verraten sah, was Karlauf erlaubt, George durch Stauffenberg ethisch-politisch zu retten. Damit lässt er aber auch die Existenz zahlreicher ideologisch austauschbarer Elemente zwischen den georgeschen und hitlerischen Zielpunkten erkennen.
Es ist das enorme Verdienst dieses Sammelbands, solche sich widersprechende Thesen und Beweisführungen auf die Leser wirken zu lassen und überhaupt Autoren sehr verschiedener fachlicher Provenienz zusammengebracht zu haben. Dadurch ist ein informatives und umfassendes Werk entstanden, das den Bogen sehr weit und interdisziplinär spannt: von der Lyrik zur Blätter-Gemeinschaft, Wissenschaft und Wirtschaft; von der Mythologisierung zur Politik; von der Homosexualität zur Misogynie; vom Antisemitismus zum Nationalsozialismus. Der Band liefert damit viele spezifische Ansatzpunkte für neue Forschungsarbeiten in den Studien zu George und dem George-Kreis, bleibt aber darüber hinaus als weiterführende Einleitung auch einer breiteren Leserschaft zugänglich. In seiner Fülle eröffnet dieses Buch der anglophonen Welt einen nuancierten Zugang zu George, dem Dichter und der sozialen Figur.
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Citation:
Max Kramer. Review of Lane, M. S.; Ruehl, Martin, eds., A Poet's Reich: Politics and Culture in the George Circle.
H-German, H-Net Reviews.
August, 2015.
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