
Daniel H. Nexon. The Struggle for Power in Early Modern Europe: Religious Conflict, Dynastic Empires, and International Change. Princeton Studies in International History and Politics Series. Princeton: Princeton University Press, 2009. xv + 354 pp. $75.00 (cloth), ISBN 978-0-691-13792-6; $29.95 (paper), ISBN 978-0-691-13793-3.
Reviewed by Matthias Pohlig (Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin / Deutsches Historisches Institut London)
Published on H-German (October, 2009)
Commissioned by Susan R. Boettcher
Religion als Faktor internationaler Politik, oder: Hohe Hürden zwischen Disziplinen
Daß Religion ein ernstzunehmender Faktor politischen Handelns ist, ahnen Historiker der Vormoderne schon lange, Politikwissenschaftler glauben dies seit 9/11 auch wieder. Die Frage, warum es in den anderthalb Jahrhunderten nach 1517 zu einer offenbar mit der Reformation zusammenhängenden Krise der europäischen Politik kam, ist eine Historikerfrage, die traditionell vielleicht mit Hinweis auf die alteuropäische Konzeption der Einheit von Religion und Politik und auf die enge Verbindung von Kirche und Staaten beantwortet worden wäre, die politische Konflikte als Folge religiöser Differenzierung nahezu unausweichlich machte.
Der Politikwissenschaftler Daniel H. Nexon, Experte für internationale Beziehungen und für Harry Potter,[1] hat sich jetzt diesem Thema ebenfalls zugewandt. Er sieht in den politischen Verwerfungen des 16. und der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu Recht einen Testfall für Theorien des internationalen Wandels und zielt in seinem Buch auf zweierlei ab: auf eine Darstellung internationaler Konflikte, die durch ein bestimmtes theoretisches Instrumentarium strukturiert wird, und andersherum auf eine empirische Überprüfung eben dieses Instrumentariums. Der Klappentext zitiert aus Rezensionen und Gutachten anderer politologischer Experten, die das Buch unter anderem "iconoclastic", "magisterial", "fresh" und "extremely impressive" finden. Der irritierte Historiker würde vielleicht einwenden: Das Buch ist überambitioniert, zu theoretisch und breitet fast nur schon Bekanntes aus. Vermutlich haben beide Positionen unrecht. Was ist hier passiert?
Seit Thukydides stehen Geschichte und Theorie von internationalen Beziehungen, eher historische und eher systematische, typologische oder analytische Herangehensweisen, in einem engen Verhältnis. Die Abwendung von den "großen Mächten" (Leopold von Ranke), die die Geschichtswissenschaft des 20. Jahrhundert vollzogen hat, trug aber ebenso zu einer Entfremdung von "historischen" und "politologischen" Ansätzen bei wie die zunehmend komplexe theoretische Ausrichtung der Politikwissenschaft. Diese wachsende Distanz wird seit ungefähr einem Jahrzehnt oft beklagt und zum Ausgangspunkt von Überlegungen zur Wiederannäherung beider Disziplinen genommen.[2] Das ist gut, wenn auch nicht immer unproblematisch.
Problematisch ist und bleibt es aus zwei Gründen: erstens dann, wenn--wie in Nexons Fall--historisches Wissen auf einem (anglophonen) Forschungsstand herangezogen wird, der nicht falsch, aber doch oft schematisch oder latent veraltet ist. Dabei kommt heraus, daß sich Fehler einschleichen wie "Cesare Borge" (S. 116) und das unübliche "Charles of Habsburg" für Karl V. (S. 135 und passim); daß ohne jede Konsultierung der ja doch relativ ausführlichen (kirchen-)geschichtlichen Diskussion die Reformation in den Plural "the reformations" gesetzt wird, um (nicht falsch, aber doch arbiträr) die zeitliche, geographische und inhaltliche Diversität dieser Bewegung zu bezeichnen (S. 2, Anm. 4); oder daß ein in der geschichtswissenschaftlichen Diskussion so historisch spezifischer Begriff wie "balance of power"--der in die Geschichte des 18. Jahrhunderts gehört--unhinterfragt zu einem systematischen, epochenunspezifischen Terminus umfunktioniert wird.[3] Das kann man machen, muß aber doch mindestens erklären, was man genau meint.
Zweitens ist die Verquickung historischer und systematisch-sozialwissenschaftlicher Interessen genereller und offenbar konstitutiv problematisch, denn Historiker und Politologen gehen unterschiedlich mit theoretischen Generalisierungen um. Das Problem, wie reflektiert und souverän Historiker mit den Theorieangeboten der systematischeren Nachbardisziplinen arbeiten, kann hier nicht eingehend diskutiert werden;[4] es fällt aber doch auf, daß Historiker den begrifflichen Aufwand und die Schemata der international-relations-Forscher in der Regel entweder für trivial oder für überkomplex halten, und daß Historiker (leider? zum Glück?) nicht besonders an abstrakten und generellen Aussagen darüber interessiert sind, wie politischer Wandel und Religion miteinander zusammenhängen. Die unterschiedlichen Generalisierungsniveaus beider Disziplinen sind schwer überbrückbar, und daher ist es wohl unvermeidlich, daß ein Historiker--der Rezensent ist einer--Nexons Buch nicht allzu viel abgewinnen kann--ohne gleichzeitig zu leugnen, daß es im Rahmen der politologischen Diskussion möglicherweise eine innovative und wichtige Studie darstellt.
Auf der Ebene politologischer Theorie geht es Nexon um eine Vermittlung zwischen realistischen und konstruktivistischen Ansätzen. Während die Realisten unrealistischerweise von einem ewigen Kampf zwischen Staaten innerhalb eines anarchischen Staatensystems ausgingen, würden die Konstruktivisten auf historische Kontingenz setzen, die aber Generalisierungen erschwere. Nexon schlägt vor, statt dessen verschiedene Formen von "social ties", Netzwerke und historisch variable Institutionen in den Mittelpunkt zu rücken. Der Historiker kann diese Theoriestrategie schwer angemessen beurteilen; es fällt aber auf, daß wichtige Netzwerke, die den behandelten historischen Zeitraum entscheidend mitgeprägt haben, nicht auftauchen; so wären neben den calvinistischen Netzwerken sicher auch die internationalen Vernetzungen der Jesuiten zu beachten (die überhaupt nicht vorkommen).
Produktiv erscheint mir ein Akzent in Nexons Buch: Nicht so sehr seine Ablehnung der alten These, der Westfälische Frieden habe ein egalitäres System souveräner, territorial definierter Staaten geschaffen--das ist eine Einsicht, die auch von Historikern seit einiger Zeit vorgebracht wird;[5] auch nicht so sehr seine Einsicht in die eminente Rolle von Religion als Konfliktfaktor im 16. und 17. Jahrhundert--dies vermag die Konfessionalisierungsforschung umfassender zu zeigen, die überdies den Katholizismus ernster nimmt, als Nexon dies tut. Produktiv ist seine Idee, daß es die Struktur zusammengesetzter Staatlichkeit war, die in Kombination mit religiöser Heterodoxie politische Verwerfungen erzeugte; der Konfessionskonflikt habe sich an die vorgängige "dynamics of resistance and rule in the composite political communities that dominated the European landscape" (S. 3) angelagert und diese verschärft. Diese Idee ist nicht neu, scheint mir aber selten so systematisch ausgearbeitet worden zu sein wie bei Nexon. Mit "composite political communities" meint Nexon durch Dynastien zusammengehaltene, aus rechtlich und sozial differenzierten Territorien bestehende politische Einheiten, aber auch Bünde und Imperien--also im Grunde alles jenseits des nationalen Zentralstaats. Für die Gegenwartsdiagnose leitet Nexon daraus eine größere Aufmerksamkeit sowohl für Religion als Faktor der internationalen Politik als auch für die Wiederkehr nicht oder nur partiell zentralstaatlich organisierter politischer Akteure ab.
In mehreren Kapiteln spielt Nexon die theoretischen und konzeptionellen Überlegungen an verschiedenen historischen Feldern durch, etwa den Problemen, denen sich Karl V. in Spanien, aber auch im Reich gegenüber sah (Aufstände, Reformation); dem Niederländischen Aufstand gegen die spanische Herrschaft; den französischen Religionskriegen; schließlich dem Dreißigjährigen Krieg und dem Westfälischen Frieden. Nexons Ausführungen sind zuweilen erhellend, zuweilen folgen sie bekannten Parametern. Seine Schlußfolgerungen nennt er selbst "somewhat unsurprising": "religious contention in early modern Europe most threatened the long-term integrity of political communities where, first, segmentation of constituent political units was most advanced, and, second, where religious differences aligned in some way with those fault lines" (S. 263). Das ist überzeugend gezeigt, und doch: Historiker werden mit diesem Buch nicht froh werden--und sich statt dessen vermutlich eher an das empirisch umfassendere und konzeptionell überzeugendere Opus magnum Heinz Schillings halten.[6] Wahrlich: Hohe Hürden zwischen den Disziplinen.
Anmerkungen
[1]. Harry Potter and International Relations, ed. Daniel H. Nexon und Iver B. Neumann (Lanham: Rowman & Littlefield, 2006).
[2]. Jack S. Levy, "Too Important to Leave to the Other: History and Political Science in the Study of International Relations," International Security 22 (1997): 22-33; David Armitage, "The Fifty Years' Rift: Intellectual History and International Relations," Modern Intellectual History 1(2004): 97-109.
[3]. Heinz Duchhardt, Balance of Power und Pentarchie 1700-1815 (Paderborn: Schöningh, 1997), 7-19.
[4]. Siehe jüngst: Theorie in der Geschichtswissenschaft: Einblicke in die Praxis des historischen Forschens, ed. Jens Hacke und Matthias Pohlig (Frankfurt am Main: Campus, 2008).
[5]. Heinz Duchhardt, "'Westphalian System': Zur Problematik einer Denkfigur," Historische Zeitschrift 269 (1999): 305-315.
[6]. Heinz Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen (1559-1659) (Paderborn: Schöningh, 2007).
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Citation:
Matthias Pohlig. Review of Nexon, Daniel H., The Struggle for Power in Early Modern Europe: Religious Conflict, Dynastic Empires, and International Change.
H-German, H-Net Reviews.
October, 2009.
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