Nils Block. Die Parteigerichtsbarkeit der NSDAP. Frankfurt am Main: Peter Lang, 2002. 238 S. ISBN 978-3-631-39097-9.
Reviewed by Wolfgang Stelbrink
Published on H-Soz-u-Kult (April, 2003)
N. Block: Die Parteigerichtsbarkeit der NSDAP
Die Parteigerichtsbarkeit der NSDAP – darauf wurde jüngst noch von Armin Nolzen zurecht hingewiesen Nolzen, Armin, Parteigerichtsbarkeit und Parteiausschlüsse in der NSDAP 1921-1945, in: ZfG 48, 2000, S. 965ff. – ist trotz relativ guter Quellenlage und weitreichender Erkenntnischancen als ein Stiefkind der NS-Forschung zu bezeichnen. Nolzen führt dieses Defizit plausibel auf eine ungerechtfertigte „Kanonisierung“ der bereits 29 Jahre alten Monographie des amerikanischen Historikers Donald McKale zurück. McKale, Donald M., The Nazi Party Courts. Hitler’s Management of Conflict in His Movement, 1921-1945, Kansas City 1974. Um so interessierter wird manch ein Leser das hier zu rezensierende Buch von Nils Block zur Hand nehmen. Seine Arbeit beruht auf einer rechtswissenschaftlichen Dissertation, die von Uwe Wesel betreut und an der FU Berlin im Jahre 2001 angenommen worden ist. Blocks Intention besteht in der „Analyse der rechtlichen Grundlagen, der Verfahrensweise und der Spruchpraxis der [...] Parteigerichte aus rechtshistorischer Sicht“ (S. 5). Insbesondere liegt ihm dabei der Nachweis am Herzen, dass es sich um „keine autonome Rechtsinstitution mit einer konsequenten Rechtsauffassung und einem festen Korpus von Präzedenzfällen“ handelte. Die Parteigerichte – bis Ende 1933 Untersuchungs- und Schlichtungsausschüsse (USchlAs) genannt – hätten vielmehr „überwiegend [...] Willkürentscheidungen“ getroffen und damit „einen Beitrag im System des nationalsozialistischen Terrors“ geleistet (S. 3).
Bei der Lektüre der Einleitung nimmt der kundige Leser allerdings schon bald mit beträchtlicher Irritation zur Kenntnis, dass es nach den Worten des Autors „bislang keine zusammenhängende Darstellung der Organisation und Geschichte der NSDAP-Parteigerichtsbarkeit“ (S. 3) gäbe. Ein besorgter Blick ins Literaturverzeichnis scheint die Befürchtung zu bestätigen. Das oben erwähnte grundlegende Werk von McKale über die „Nazi Party Courts“ will Block nicht benutzt haben, wohl aber einen einschlägigen, Jahre später erschienenen kurzen Aufsatz McKales, in dem auf seine Monographie selbstverständlich deutlich verwiesen wird. McKale, Donald M., Der öffentliche Dienst und die Parteigerichtsbarkeit der NSDAP, in: Rebentisch, Dieter; Teppe, Karl (Hgg.), Verwaltung contra Menschenführung im Staat Hitlers. Studien zum politisch-administrativen System, Göttingen 1986, S. 237ff. Auch die wichtigen Beiträge von Roser und Arbogast; Gall aus dem Jahr 1993 Roser, Hubert, Nationalsozialistische Beamte auf der Anklagebank? NS-Parteigerichtsbarkeit und öffentliche Verwaltung in Südwestdeutschland 1933-1945, in: Rauh-Kühne, Cornelia; Ruck, Michael (Hgg.), Regionale Eliten zwischen Diktatur und Demokratie. Baden und Württemberg 1930-1952, München 1993, S. 125ff.; Arbogast, Christine; Gall, Bettina, Aufgaben und Funktionen des Gauinspekteurs, der Kreisleitung und der Kreisgerichtsbarkeit der NSDAP in Württemberg, ebd., S. 151 ff. sind der Aufmerksamkeit des Autors offenbar entgangen. Folglich setzt man das Studium des Buches mit großer Skepsis fort, die wenig später einem gehörigen Maß an Empörung weicht. Es dauert nämlich nicht lange, bis den Leser der böse Verdacht beschleicht, dass Blocks Arbeit über weite Passagen sehr eng an McKales besagte „Nazi Party Courts“ angelehnt ist. Diese Vermutung wird zur traurigen Gewißheit, wenn man sich fortan die Mühe macht, die Bücher Blocks und McKales Schritt für Schritt „parallel“ zu lesen. Die enge Verwandtschaft beider Werke betrifft nicht nur fast durchgängig die Materialauswahl Blocks, sondern sehr oft auch die Strukturierung des Stoffes und geht häufig bis in die einzelnen Satzformulierungen. Man vergleiche etwa nur – zur Ablösung des ersten USchlA-Vorsitzenden Bruno Heinemann im November 1927 – die Seite 50 bei McKale mit der Seite 23 bei Block. Dieses willkürlich ausgewählte Beispiel ließe sich völlig mühelos durch eine lange Reihe weiterer verblüffender Ähnlichkeiten ergänzen. So nimmt es denn auch nicht wunder, dass McKales Wortschöpfung „pseudosupporters“ McKale, Nazi Party Courts, S. 35. bei Block – gewissenhaft ins Deutsche übersetzt – als „Schein-Unterstützer“ (S. 47) wieder auftaucht. Alles ohne entsprechenden Nachweis der Fundstelle, versteht sich. Schließlich gibt Block ja vor, dass das von ihm so überaus intensiv benutzte Standardwerk gar nicht existiert. Damit soll nicht gesagt werden, dass Block das von ihm angegebene Quellenmaterial nicht selbst eingesehen hat. Seine Arbeitsweise scheint über weite Strecken vielmehr darin bestanden zu haben, McKales Buch nachzuerzählen und anhand der dort angegebenen Quellen und Sekundärliteratur einiges, in der Sache meist unergiebiges Füllmaterial beizusteuern. An anderen Stellen schreibt Block sogar fast wörtlich aus dem von ihm erwähnten Aufsatz McKales ab, ohne dies allerdings – man wundert sich kaum noch – im einzelnen kenntlich zu machen. Vgl. etwa die ohne jeglichen Nachweis getätigte fast wörtliche Übersetzung von McKale, Der öffentliche Dienst, S. 254, Zeile 20-23 bei Block, S. 223, Zeile 1-4.
Knapp die Hälfte des vorzustellenden Buches befasst sich mit den Wurzeln, dem allmählichen flächendeckenden Ausbau und den Aufgaben der Parteigerichte bis zur „Machtergreifung“ 1933. Ein darin integrierter ausführlicher Exkurs widmet sich der Biografie und Weltanschauung des 1927/28 eingesetzten obersten Parteirichters Walter Buch. Zur Exemplifizierung der Spruchpraxis dienen vor allem die schon von McKale ausführlich besprochenen „Fälle“ der prominenten Parteiführer Mutschmann, Brückner, Ley, Dinter, Streicher, Kaufmann/Pfeffer und Goebbels/Gebrüder Strasser. Ausführlich geht Block auf das problematische Verhältnis der Parteigerichte zur SA sowie auf deren Rolle bei der Bewältigung der Stennes-Revolte ein. Nach der Machtergreifung 1933 änderte sich an den Hauptaufgaben der Parteigerichte grundsätzlich wenig. Auf den knapp 120 Seiten, die der Zeit ab 1933 gewidmet sind, beschäftigt sich Block u.a. mit der Rolle der nunmehr öffentlich-rechtlichen Parteigerichte bei der Überprüfung der zahllosen Aufnahmeanträge in die Partei, ihrem nach wie vor komplizierten Verhältnis zur SA und SS sowie ihrer Involvierung in die Judenverfolgung. Anschaulich schildert er dabei insbesondere die skandalöse Spruchpraxis der Parteigerichte nach den Pogromen vom 9./10. November 1938, die selbst sadistische Mörder nicht aus der Partei ausschloß und sie der Aburteilung durch die staatliche Justiz vorenthielt. In Sorge um das „Ansehen der Bewegung“ erschienen den Parteigerichten vor allem sexuelle Übergriffe randalierender „Parteigenossen“ als strafwürdig. Ein weiterer Schwerpunkt des Buches liegt auf dem Verhältnis der Parteigerichtsbarkeit zur Wehrmacht und zum öffentlichen Dienst. Durch die latente Drohung mit potentiell existenzvernichtenden Parteigerichtsverfahren gegen verbeamtete „Parteigenossen“ verfügte die NSDAP über wichtige Einflußmöglichkeiten auf die Verwaltungen. Blocks eingehende Darstellung der problematischen „doppelten Verantwortlichkeit“ der betreffenden Personen gegenüber Dienststraf- und Parteigerichtsverfahren „zerfließt“ ihm jedoch zunehmend in eine allgemeine Betrachtung über den Einfluß der NSDAP auf das gesamte Beamtentum.
Aufgrund der oben skizzierten Arbeitsweise des Autors kann es nicht verblüffen, daß Block an keiner Stelle nennenswert über die grundlegenden Ergebnisse McKales hinauskommt. Er reproduziert vielmehr dessen wohlbekannte These von den Parteigerichten als „eisernen Klammern“ der Partei, die zu keinem Zeitpunkt ihres Bestehens von 1921 bis 1945 mehr als willfährige Werkzeuge in den Händen Hitlers und seiner nachgeordneten „Hoheitsträger“ zur personellen und moralischen Reinhaltung der Partei von „unerwünschten Elementen“ (S. 102), zum parteiinternen, möglichst diskreten Konfliktmanagement und letztlich zum persönlichen Machterhalt gewesen seien. Dabei spielte es laut Block bei den Verfahren in aller Regel „keine Rolle [...] , ob die [...] erhobenen Vorwürfe tatsächlich zutrafen oder nicht“ (S. 210). Die Maxime der Parteigerichte lautete vielmehr stets: „Recht ist, was der Bewegung nützt. Unrecht ist, was ihr schadet“ (S. 194). Hitlers formal vorgenommene eigene Unterstellung unter das Oberste Parteigericht blieb folglich bloße Fiktion. Widersprachen dessen Auffassungen ausnahmsweise einmal Hitlers Machtkalkül – wie im berühmten „Fall Josef Wagner“ –, so „wischte er den Beschluß einfach beiseite als existierte er nicht“ (S. 62). Es widerspricht daher auch Blocks Hauptthesen, wenn er die Reaktionen der Parteispitze auf den „Fall Wagner“ als „Kehrtwende“ (S. 210) für die Geschichte der Parteigerichte bezeichnet. Schließlich wurde danach ja nur „offen ausgesprochen, was bislang [...] verschleiert werden sollte, nämlich daß die Parteigerichte als verlängerter Arm der politischen Führung fungierten“ (S. 212). Auf neue, gegenläufige, differenzierende oder weiterführende Fragestellungen und Thesen, wie sie wenige Jahre vorher bzw. etwa zeitgleich in den erwähnten Veröffentlichungen von Roser, Arbogas; Gall und Nolzen zu finden sind, hofft man bei Block vergeblich. Folglich stellt sich bei der Lektüre nicht zuletzt Langeweile ein.
Ein – allerdings bescheidenes – Verdienst Blocks liegt darin, die teilweise nicht veröffentlichten bzw. schwer zugänglichen, zu einer zunehmenden Formalisierung und scheinbaren Berechenbarkeit der Verfahren führenden Richtlinien der Parteigerichte vom August 1929, April 1931 und Februar 1934 weit ausführlicher als McKale behandelt und zitiert zu haben. Dass Block dabei die 1994 erfolgte Veröffentlichung der Richtlinien vom August 1929 und April 1931 (in: Hitler: Reden, Schriften, Anordnungen. Februar 1925 bis Januar 1933, hrsg. vom Institut für Zeitgeschichte, 7 Bde in 13 Teilbänden, München 1992-1999, hier Bd. III/2, S. 364 ff. und IV/1, S. 294 ff.) offenbar entgangen ist, mag für einen Nichthistoriker noch als lässlich erscheinen. Gewisse Redundanzen waren dabei wahrscheinlich unvermeidbar. Eine ausführliche Behandlung finden auch einige andere, bisher nur an entlegener Stelle nachzulesende Arbeitsanweisungen für die Parteigerichte. Negativ schlägt eine wiederholt zu verzeichnende, sachlich völlig überflüssige Langatmigkeit der Darstellung zu Buche. Eine über das übliche Maß weit hinausgehende Anzahl von sprachlichen Ungeschicklichkeiten, sachlichen Nachlässigkeiten sowie orthographischen und grammatikalischen Flüchtigkeitsfehlern vervollständigen den sehr negativen Gesamteindruck.
Alles in allem handelt es sich also um ein für den Historiker höchst ärgerliches Buch, das man nicht einmal als NS-Spezialist in der Hand gehalten, geschweige denn gelesen zu haben braucht. Ob gleiches auch aus der vom Autor einleitend bemühten „rechtshistorischen Sicht“ eines Juristen zu konstatieren ist, kann hier mangels Kompetenz des Rezensenten letztlich nicht beurteilt, sondern nur stark vermutet werden.
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Citation:
Wolfgang Stelbrink. Review of Block, Nils, Die Parteigerichtsbarkeit der NSDAP.
H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews.
April, 2003.
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