Thomas Meier. Die Archäologie des mittelalterlichen Königsgrabes im christlichen Europa. Stuttgart: Jan Thorbecke Verlag, 2002. 478 S. + 173 Abb. EUR 65.00 (gebunden), ISBN 978-3-7995-4259-3.
Reviewed by Bernd Thier
Published on H-Soz-u-Kult (October, 2002)
T. Meier: Archäologie des mittelalterlichen Königsgrabes
Das aufwändig gestaltete Buch von Thomas Meier beinhaltet die zweite Hälfte seiner im Wintersemester 1998/99 an der Philosophischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität in München eingereichten Dissertation über „Die Königsgrablege im Dom zu Speyer und die Archäologie des mittelalterlichen Königsgrabes im christlichen Europa“. Für die Druckfassung wurde das Manuskript überarbeitet sowie um einige Nachträge und neuere Literatur ergänzt.
Der sehr übersichtlichen Gliederung liegt eine Einteilung in sieben Kapitel zugrunde, die mit einer kurzen dreisprachigen Zusammenfassung, einem umfangreichen Quellen- und Literaturverzeichnis (64 S. mit über 1500 Titeln) und einem ausgezeichneten Register zu den erwähnten Personen und Ortsnamen (28 S.) abschließt.
1. Einleitung
Die Einleitung umfasst vier Abschnitte, die sich zunächst mit dem Tod des Königs und dessen Bedeutung und Position für die mittelalterliche Gesellschaft auseinandersetzen. Der dritte Abschnitt behandelt die mittelalterlichen Quellen zum Kondukt, zur Aufbahrung und zum Begräbnis des Königs, der vierte die neuzeitlichen Berichte, welche „wissenschaftliche“ Untersuchungen, Umbettungen oder auch Grabschändungen der Königsgräber verzeichnen. Thomas Meier diskutiert hierbei den Quellenwert der jeweiligen Berichte in Bezug auf Glaubwürdigkeit, Vollständigkeit und Exaktheit der einzelnen Quellen, die er dann auch in Relation zu sowohl archivalisch überlieferten als auch archäologisch in jüngerer Zeit untersuchten Königsgräbern stellt. Als Basis der Arbeit dienen ca. 75 Königs- und 25 Königinnengräber. Leider ist der Anteil der Gräber, zu denen glaubwürdige Berichte über Graböffnungen bzw. auch als solche zu bezeichnende archäologische Untersuchungen vorliegen, gering.
In seinem „Diskurs über die Position des Königs: Ziele und Aufgaben dieser Arbeit“ liefert Thomas Meier sein Verständnis der von ihm behandelten Quellen und Untersuchungsergebnisse: “Daher stellt diese Arbeit die Sachquellen um das Königsgrab in den Vordergrund. In diesem, d.h. im englischen oder skandinavischen Sinne führe ich das Wort Archäologie im Titel: Es meint allgemein die historische Auswertung materieller Zeugnisse, ist also wesentlich weiter gefasst, als der im Deutschen (noch) übliche Sprachgebrauch, wo Archäologie sich nur auf Funde und Befunde unter dem aktuellen Bodenniveau bezieht.“ (S. 11). Leider ignoriert er bei der Wahl des für den deutschen Sprachgebrauch sehr irreführenden Titels, dass der Käufer und Leser dieses Buches einen anderen Inhalt und vor allem eine andere Aufbereitung der archäologischen Quellen erwarten würde. Ziel seiner Untersuchungen war es daher, ausgehend von angelsächsischer und französischer Praxis „... auf Grundlage einer breiten Quellenkenntnis anhand von Beispielen die Entwicklungstendenzen herauszuarbeiten, wobei weniger antiquarische als vielmehr geistesgeschichtliche Ergebnisse angestrebt sind.“ (S. I) Zwar wird die „breite Quellenkenntnis“ Meiers durchaus deutlich, aber der wissenschaftliche Zugang zu den reinen archäologischen Quellen bleibt aufgrund der Art und Weise des Umgangs mit den Befunden oft verschlossen. Die Archäologie ist eine exakte Wissenschaft und daher auf gründliche und vollständige Quelleneditionen angewiesen. Hierzu gehören Befund- und Fundvorlagen, die man in der Arbeit Meiers vermisst. So fehlt ein Katalog der Königsgräber; die zahlreichen mehr oder weniger übersichtlichen Kombinationstabellen der Grabbeigaben können dieses Fehlen nicht beheben, ein schneller Überblick über die Einzelbefunde ist nicht möglich. Für die Interpretation wichtige Angaben fehlen und werden daher nicht analysiert (z.B. Grabgröße, Grabtiefe, Sargform, rekonstruierte Größe des Bestatteten, päläopathologische und antropologische Untersuchungen, exakte Lage der Beigaben im Grab etc.). Fehlende Befundübersichten erschweren die Nachvollziehbarkeit der Schlussfolgerungen und erlauben es kaum, zu anderen Ergebnissen zu kommen.
2. Beigabenausstattung
Das zweite Kapitel behandelt die Beigabenausstattung der Königsgräber. Eine Tabelle (Abb. 13) zeigt zunächst die Quellenlage und den Forschungsstand der Beigabensitte der untersuchten Gräber. Im Anschluss daran werden die verschiedenen Beigabengruppen vorgestellt: Kronen und Kronhaube, sphaira („Reichsapfel“), Szepter, Schwert, Fingerringe und Kreuzzeichen. Danach werden die Beigabensitten verglichen und die Objekte drei Beigabengruppen zugewiesen (Insignien des Königtums, Standeszeichen des Adels und allgemeine Beigaben), die detailliert diskutiert und beschrieben werden. In einem zeitlichen Rückblick werden die Beigabenausstattungen der frühmittelalterlichen Königsgräber analysiert, die sich anders als die späteren Gräber nicht durch bestimmte Beigaben oder Insignien als solche zu erkennen geben, sondern durch Reichtum bzw. besonders durch die herausragende Qualität der Ausstattungsstücke. Abgerundet werden alle Abschnitte durch Kombinations- und Ausstattungstabellen sowie die Auswertung der Funde in ihrer chronologischen Abfolge. In diesem Zusammenhang sei auf ur- und frühgeschichtliche Beispiele verwiesen, die Meier vernachlässigt. Durch die Untersuchungen der germanischen „Fürstengräber“ weiß man, dass die beigabenreichsten Gräber mit dem größten Prunk gerade in der Kontaktzone zum Römischen bzw. später Fränkischen Reich auftreten. Die dortigen Herrscher sahen sich offenbar gezwungen, ihre Machtposition ihren Untertanen oder auch ihrem Gegenüber zu Lebzeiten und auch im Tode zu belegen. Hierzu passt dann jedoch wiederum die Aussage zu den von Meier untersuchten Königsgräbern, dass Veränderungen im Bestattungsritus besonders in Krisen- und Umbruchzeiten auftraten. Die Frage ist jedoch – von Thomas Meier nicht in extenso gestellt – wie der Kontakt bzw. die Kommunikation innerhalb der Personengruppen funktionierte, die für die Bestattung der Könige in den jeweiligen Königreichen verantwortlich zeichneten. Wie erfuhren z.B. Bestattende in Frankreich von eventuellen Neuerungen im Grabbrauch in Dänemark? Diese Fragen der Kommunikationswege und Kommunikationszeiten wurden nicht bedacht.
3. Kennzeichnung des Grabes
Der Kennzeichnung des Grabes ist der dritte Hauptteil gewidmet: Die verborgenen Kennzeichnungen durch Inschriften auf Siegel- und Namensringen bzw. die sogenannten Grabauthentiken, die obertägig sichtbaren Kennzeichnungen der Gräber mittels Epitaphien, Platten, Wappen und Figurengrabmälern sowie die Realien auf oder über den Gräbern. Der vierte Abschnitt vergleicht diese Grabkennzeichnungen in ihren Erscheinungsformen und chronologischen Entwicklung. In allen Teilen werden Bezüge zur allgemeinen Praxis der Kennzeichnung von Gräbern auch außerhalb der Gruppe der Königsgräber hergestellt, besonders zu den Bischofsgräbern. So erklären sich auch die sehr langen Exkurse, die teilweise weit vom eigentlichen Thema wegführen.
4. Wege zur historischen Interpretation
Das vierte Kapitel behandelt in vier Abschnitten zunächst die königlichen Motive im Bestattungsbrauchtum, konzentriert analysiert im Zusammenhang der Figurendenkmäler und Realiendeponierungen, der Inschriften und der Beigaben. Auf der Suche nach den externen Motiven für bestimme Erscheinungen beschreibt Thomas Meier die „traditio“ (Tradition), den „stupor“ (Bestaunen) und die „imitatio“ (Imitation) im Bestattungswesen. Der dritte Abschnitt sucht die Struktur der königlichen Selbstdarstellung in der Abwesenheit des Realen zu ergründen, der letzte Abschnitt fragt nach dem „Warum“ für alle diese Befunde und Beobachtungen. Meiers Gesamtschlussfolgerung für die den Königinnen und Königen mitgegebenen Grabbeigaben und Grabauthentiken ist die Vermutung, dass diese Ausstattung nicht für das „Leben“ im Jenseits bestimmt war, sondern der Identifizierung des Grabes bei einer späteren Graböffnung dienen sollte.
5. Bewertung
Es würde zu weit führen, die vom Meier benannten Gründe zu erläutern und zu bewerten, obwohl die Aussagen insgesamt sehr dürftig sind. Der gesamte Schreibstil und die immer wieder verwendeten Worthülsen, unüberschaubaren Anhäufungen von nicht notwendigen Fremdworten und Floskeln, die nicht übersetzten und nicht erläuterten Originalzitate aus verschiedensten Quellen in lateinischer, französischer und italienischer Sprache verschleiern dabei leider, dass der Autor nur sehr wenige Ergebnisse aufzuweisen hat, die er offenbar nicht allgemein verständlich auszuführen vermag. Der gesamte Text ist schwer zu lesen und langatmig, zahlreiche Interpretationsansätze wurden vernachlässigt, so dass eine eingehende Analyse leider unterblieb.
So spricht sich Meier als Beweggründe für die Beigaben in den Königsgräbern für die Kennzeichnung des Grabes im Diesseits aus, die Ausstattung für das Jenseits ist aber immanent: Bei Bischofsgräbern bilden Kelch, Patene, Bischofsstab und vor allem die liturgische Gewänder die „Insignien“, das Ornat des Bestatteten, das ihn als Träger eines kirchlichen Amtes zu erkennen gibt. Anders bei einer Königsbestattung. Der König wurde ebenfalls in offizieller Tracht, die seinem Rang und seiner Funktion entspricht, bestattet, nicht wie er sich jeden Tag kleidete und ausstattete. Die Mitgabe von Waffen / Turnierwaffen, Sporen, Schild – auch in der Darstellung auf den Grabdenkmälern – schließen die Zeichen der Macht (Krone, Zepter, Weltkugel) aus, sie widersprechen sich. Der König erscheint als machtvoller Herrscher aber auch Beschützer seiner Untertanen. Im Jenseits werden jedoch die guten Taten bewertet, sie verkürzen die Zeit im Fegefeuer, ein Aspekt mittelalterlicher religiöser Vorstellungen, der nicht genug Berücksichtigung finden kann und von Meier nicht in diesen Zusammenhang gestellt wurde.
Nicht bedacht wurde von Meier der im Mittelalter – bis in die Neuzeit – weit verbreitete Wiedergängerglaube: Es gelangten in allen Fällen Nachbildung von Beigaben mit in die Gräber der Könige, nicht die den Nachfolgern übergebenen Originalinsignien. Eine nicht unabwegige Interpretation hierzu ist die Vorstellung, dass der Tote mit diesen Ersatzbeigaben seinen rechtlich Eigentumsanspruch erfüllt sieht und folglich nicht als Wiedergänger zurückkommt, um sich die echten Insignien und damit seine Macht zurückzuholen. Die Grabbeigaben wären dann ein Schutzmechanismus der Nachfolger.
Fast alle wichtigen Bereiche des mittelalterlichen Bestattungswesens entziehen sich der schriftlichen oder bildlichen Überlieferung und somit auch deren Interpretation. Dies nicht zu diskutieren, führt unweigerlich zu Zirkelschlüssen und einseitigen Deutungen. Das Fehlen der gesamten volkskundlichen Forschung zum Bestattungswesen ist ebenfalls fatal. So sind im Literaturverzeichnis weder Arbeiten von Matthias Zender noch von Gerda Grober-Glück zu finden. Diese Arbeiten können aber als unerschöpfliche Quellen für andere Interpretationsansätze archäologischer Befunde dienen. Ebenfalls darf auf des Fehlen der Arbeiten von Albert Genrich hingewiesen werden, der sich mit den frühmittelalterlichen Grabbeigaben und dem germanischen Recht auseinandersetzt.
Insgesamt hätte man wesentlich mehr aus diesem Thema machen können, trotzdem ein lesenswertes Buch, das auf jeder Seite zu Widersprüchen und Diskussionen anregt und so hoffentlich die Forschung weiter beflügeln wird.
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Citation:
Bernd Thier. Review of Meier, Thomas, Die Archäologie des mittelalterlichen Königsgrabes im christlichen Europa.
H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews.
October, 2002.
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