Onder den Oranje Boom. Niederländische Kunst und Kultur im 17. und 18. Jahrhundert an deutschen Fürstenhöfen. Kaiser Wilhelm Museum.
Published on H-Soz-u-Kult (August, 1999)
"Onder den Oranje Boom" lautet der Titel der grossen internationalen Ausstellung, die einen der kunst- und kulturhistorischen Mittelpunkte des Jahres 1999/2000 darstellen soll. Als Gemeinschaftsprojekt der Niederlande sowie der Bundeslaender Nordrhein-Westfalen und Brandenburg ist die Ausstellung an den traditionsreichen Wirkungsstaetten des Hauses Oranien- Nassau (Krefeld, Oranienburg und Apeldoorn) zu sehen und knuepft somit an die historischen niederlaendisch-deutschen Beziehungen an. <p> Im Eingangsbereich erhaelt jede/r Besucher/in ein Informationsblatt ausgehaendigt, auf dem einseitig der Grundriss der Ausstellung mit den thematischen-chronologischen konzeptionellen Zuordnungen abgebildet ist. Die Rueckseite des Informationsblattes bietet, ohne Hinweis auf die Quelle, einen Stammbaum des Hauses Nassau-Oranien, der dem/der Besucher/in die Uebersicht ueber die familiaeren Verflechtungen erleichtern soll. Leider folgt diese erste genealogische Besucherinformation der in der historischen Forschung und musealen Praesentation gleichermassen gaengigen Praxis, sogenannte "unwichtige" Familienmitglieder (darunter zaehlen offenbar auch die "weniger bedeutenden" Frauen) ohne jeglichen Hinweis auf ihren Wegfall aus dem Stammbaum zu streichen bzw. nicht aufzunehmen. Auch wenn verstaendlicherweise nur diejenigen Mitglieder der Familie aufgefuehrt werden, die fuer die Ausstellungsthematik uebergeordnete Relevanz besitzen, sei es auf politisch- administrativer oder aber auf kunst- und kulturpolitischer Ebene, haette ein Hinweis auf nachfolgende Mitglieder sicherlich auch Sinn gemacht. Neben diesem "Wegbegleiter" waere sicherlich eine grossformatige genealogische Uebersicht im ersten Raum der Ausstellung wuenschenswert gewesen. <p> Als ausstellungsbegleitendes Medium kommt ein Videofilm zum Einsatz, der die Geschichte des Hauses Oranien-Nassau sowie den politischen, territorialen und kulturellen Entwicklung von rund 200 Jahren umfasst. Der technisch gut gemachte und informative Film wird in der Krefelder Ausstellung leider in einer kleinen Ecke unter einem Treppenaufgang in der 1. Etage gezeigt. Verstaendlicherweise ziehen multimediale Ausstellungselemente verstaerkt die Besucher/innen in ihren Bann, so dass zum Zeitpunkt der Besichtigung durch die Rezensentin ein dichtes Gedraenge in diesem Bereich herrschte. <p> Der erste Ausstellungssaal steht unter dem Titel "Der statthalterliche Hof Friedrich Heinrichs und Amalia von Solms". Zahlreiche grossformatige Portraits der Familienmitglieder, besonders hervorzuheben sind u.a. Gerard van Honthorst' Witwenportrait der Prinzessin Amalia von Solms und das Gemaelde Prinz Wilhelm II. von Oranien-Nassau aus der Werkstatt Anthonis van Dyck, geben diesem Raum eine besondere Note. Ergaenzt wird dieser positive Gesamteindruck durch die im mitten im Raum plazierte Rundvitrine, in der zahlreiche Quellen und Exponate aus dem 17. Jahrhundert zu sehen sind. Die Exponate stammen vorwiegend aus dem persoenlichen Besitz der auf den Portraits abgebildeten Regent/innen. Sie zeugen vor allem aber auch von der regen Sammeltaetigkeit der Amalia von Solms, die gemeinsam mit ihrem Ehegatten den Grundstock fuer die reichen Kunstsammlungen und vielen Schlossanlagen der Herrscherhaeuser Oranien-Nassau und Brandenburg-Preussen legten. <p> Auch die naechsten Raeume zeugen von einer sorgfaeltigen Exponatauswahl der Ausstellungsmacher, wobei die Themen und Inhalte stark variieren und fuer die "normalen" Besucher/innen oft nicht nachvollzogen werden koennen. Es fehlt hier mitunter der vielzitierte "rote Faden". Beispielsweise zeigt der zweite Ausstellungsraum unter dem Thema "Onder den Oranje boom - Politische Sinnbilder der Niederlande und des Hauses Oranien" die Bildsprache, mit der die politischen und geographischen Strukturen der Niederlande sowie des Hauses Oranien beschrieben wurden. Die Emblemata, vornehmlich dem Tier- und Mythenreich entnommen, zeigen die allegorische Umsetzung des sogenannten "Goldenen Zeitalters" auf zahlreichen Stichen und Pro-Patria-Ofenplatten. Im nachfolgenden Ausstellungsraum, ueberschrieben mit "Statthalterlichen Architektur und Gartenkunst", wird dann jedoch wiederum an die Thematik des ersten Raumes, die Hofhaltung des Statthalters Friedrich Heinrich von Oranien- Nassau, angeknuepft. Die dadurch unterbrochene thematische Praesentationsabfolge ist hier leider nicht nachvollziehbar. <p> Johann Moritz von Nassau-Siegen, genannt "der Brasilianer", sind zwei grosse Raeume gewidmet. Dieser bekannte Vertreter des Herrscherhauses war Gouverneur der niederlaendischen Kolonien in Suedamerika sowie zudem auch in brandenburgischen Diensten u.a. als Statthalter von Kleve, Mark und Minden taetig. Besondere Akzente setzte er in der Garten- und Landschaftsgestaltung, was sich auch in der Ausstellungspraesentation niederschlaegt. Zahlreiche Grafiken und Gemaelde mit Landschaftsarchitektur, Tiergaerten und ueberseeischen Ansichten werden ergaenzt durch eine interessante Inventarliste aus dem Jahre 1652. Aus dieser Liste geht hervor, welche "Gegenstaende" Johann Moritz dem kurbrandenburgischen Regenten veraeussert hatte, z.B. einige Moebelstuecke aus Elfenbein, die sich auch in der Ausstellung wiederfinden. <p> Das naechste Ausstellungsthema widmet sich den "Niederlaendischen Einfluessen auf die Landeskultur und Kunstentfaltung in Brandenburg von 1640 bis 1740". Die Beziehungen der beiden Familien Oranien-Nassau und Brandenburg wurden durch heiratspolitische Allianzen begruendet und gefestigt. Mit der Heirat Friedrich Wilhelms von Brandenburg ("der Grosse Kurfuerst") und Louise Henriette von Oranien im Jahre 1646 eroeffnete sich fuer beide Herrscherhaeuser enge familiaere Kontakte, die einhergingen mit territorial- und kulturpolitischen Entwicklungen. Ein bekanntes Beispiel dafuer war die Ansiedlung von niederlaendischen Kolonisten im nachmaligen Hollaendischen Viertel im brandburg-preussischen Potsdam durch den "Grossen Kurfuersten" unter Einfluss seiner Gemahlin. In der Ausstellung wird versucht, diese Zusammenhaenge anhand von zahlreichen Exponaten und Dokumenten zu verdeutlichen. Besonders beachtenswert ist die Inszenierung mit Chinoisen auf einer Etagere aus dem Porzellankabinett im Schloss Oranienburg. Neben dieser Inszenierung ist eine zeitgenoessische Radierung von 1733 mit eben dieser Etagere zu sehen. Ergaenzt werden die Exponate des Raumes durch bekannte Gemaelde wie Jan Lievens' "Mars und Venus" (1653), das als Friedens-Allegorie auch in der Ausstellung zum Westfaelischen Frieden in Muenster 1998 bereits praesentiert wurde. <p> Zwei weitere nachfolgende Raeume sind thematisch den drei Schwestern der Louise Henriette zugeordnet. Henriette Albertine von Oranien-Nassau, der ein Raum allein gewidmet ist, wurde 1659 im niederlaendischen Groningen mit Fuerst Johann Georg II. von Anhalt-Dessau vermaehlt. Anhalt-Dessau war zu diesem Zeitpunkt infolge der Rueckwirkungen des 30jaehrigen Krieges verarmt und teilweise verwuestet. Der Braeutigam, militaerisch verbunden mit dem "Grossen Kurfuersten", vermochte sich und sein Fuerstentum durch diese Heirat zu sanieren. Der Wiederaufbau wurde systematisch auch durch die Fuerstin Henriette Albertine betrieben. Die Exponate dieses Ausstellungsbereiches sind neben Portraits der genannten Personen, der Heiratskontrakt sowie verschiedene Plaene der Schlossanlage Oranienburg. Besonders interessant ist ein Teil einer Ledertapete aus der anhalt-dessauischen Residenz. Nachfolgend werden die beiden Schwestern der Fuerstin durch Exponate, Quellen und Portraits dokumentiert. <p> In einem weiteren Bereich sind zwei umfangreiche Themen, die Grafschaften Lingen und Moers sowie Universitaeten und Hohen Schulen, zugleich abgehandelt. Dargestellt werden anhand von verschiedenen Grafiken und Karten, die genealogischen und territorialpolitischen Entwicklungen in den beiden Gebieten, die sich urspruenglich im Besitz der Grafen von Neuenahr-Moers befanden. Im Eingangsbereich ueber den Texttafeln befinden sich aus einer Publikation herauskopierte Landkarten, die hinsichtlich Qualitaet und Aussagekraft voellig im Gegensatz zu den ausgestellten, hochwertigen Exponaten stehen. Hier waeren qualitativ sauberer gearbeitete Uebersichtskarten angemessener gewesen, was heute wohl kaum noch ein groesseres finanzielles und auch technisches Problem sein duerfte. Im Bereich Universitaeten und Hohen Schulen faellt besonders in einer Vitrine der unsachgemaesse Umgang mit archivalischen Quellen auf. Die in der Vitrine ausgestellte Promotionsurkunde des Dr. Fabricius aus Moers von 1654 wird von zwei vergoldeten Silberzeptern der Universitaet Duisburg "beschwert", was aus konservatorischer Sicht hoechst bedenklich ist. Es muss gesagt werden, dass es sich hierbei um einen absoluten Ausnahmefall im Bereich des ansonsten optimal erscheinenden Exponatschutz handelt. Im Untergeschoss klingt die Ausstellung mit einem Bereich ueber die Rezeptionsgeschichte durch Kaiser Wilhelm II. aus. <p> Ein raeumlich grosszuegig gestalteter Museumsshop mit weiterfuehrender Literatur zum Thema sowie ein umfangreiches Angebot an Devotionalien zur Ausstellung (Becher, Poster, Aufkleber, Briefpapier, Armbanduhr, Krawatte usw.) bieten Moeglichkeiten, die Ausstellung ueber den Besuch hinausgehend in Erinnerung zu behalten. Das benachbarte Museumscafe laedt nach dem zeitlich und inhaltlich sehr intensiven Ausstellungsrundgang zur abschliessenden Reflektion ein. <p> Insgesamt betrachtet, bietet die Ausstellung einen guten Ueberblick ueber das Leben und Wirken zahlreicher Regentinnen und Regenten des Hauses Oranien- Nassau sowie die vielfaeltigen kulturellen und politischen Beziehungen, die sich durch militaerische und heiratspolitische Allianzen ergaben. Die hinsichtlich ihrer Qualitaet sorgfaeltige Auswahl und Zusammenstellung der Exponate, Portraits und Quellen ist groesstenteils beeindruckend. Doch fuer unbefangene Besucher/innen, die sich einfach eine kunst- und kulturgeschichtliche Ausstellung anschauen moechten, ist die Praesentation doch schon etwas ueberwaeltigend. Ohne historische und genealogische Vorkenntnisse faellt der Rundgang sicherlich recht schwer, zumal mit naeheren Informationen zu den Zusammenhaengen sparsam umgegangen wird. Besonders augenfaellig erscheinen dabei neben den zahlreichen grossformatigen und prachtvollen Exponaten die eher unscheinbaren zweisprachigen Texttafeln (niederlaendisch/deutsch) aus grauem Kartonpapier in DIN A 5 - Format. Dem anspruchsvollen Rahmen, der Repraesentanz der Ausstellungsstuecke sowie letztendlich auch der Benutzer/innenfreundlichkeit waeren sicherlich ansehnlichere Texttafeln in DIN A 4-, besser noch DIN A 3- Format sowie in einer technisch besseren Ausfuehrung angemessener gewesen. Auch die Lebensdaten der Mehrzahl der abgebildeten Persoenlichkeiten, vielleicht auch mit kurzen biographischen Hinweisen, haetten sehr zum besseren Verstaendnis der Thematik beigetragen. Auch fehlen bei den meisten der zahlreichen Dokumenten neben einer kurzen Zusammenfassung besonders auch Transkriptionen, die es den nicht kundigen Besucher/innen ermoeglicht haetten, einen inhaltlichen Eindruck von den bedeutsamen Originalquellen zu gewinnen. Gleichzeitig dienen solche Transkriptionen auch dazu, den Gesamtzusammenhang und die in den Dokumenten abgehandelten Vorgaenge in einen Kontext zu den uebrigen Exponaten zu setzen. Dies ist jedoch fast ueberwiegend ein generelles Problem in Ausstellungen mit historischen Schriftquellen und sonstigen Dokumenten. <p> Internet-Praesentation <p> Die Ausstellungsseiten unter http://www.oranier-ausstellung.org bieten einen sehr guten Einblick in die breit angelegten Ausstellung. Ein virtueller Rundgang erschliesst die bedeutendsten Gemaelde und wichtige Exponate. Auch die grafische Umsetzung sowie die Benutzerfuehrung durch das Online-Angebot kann als vorbildlich bezeichnet werden. Die einzelnen Angebote der Ausstellungsstationen variieren deutlich. Waehrend das Kaiser-Wilhelm-Museum in Krefeld mit den notwendigsten Informationen wie Anfahrt und Oeffnungszeiten sowie mit einem Link zur offiziellen Stadtseite aufwartet, zeigt die naechste Station Schloss Oranienburg einige Informationen zum Schloss und zur Stadt, die folgende Ausstellungsort Palais Het Loo bei Apeldoorn hingegen eine Anzahl von weiterfuehrende Links zum Ort und zur Region. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die offizielle Website zur Ausstellung inhaltlich und grafisch noch einige weitere Features und Informationen verdient haette, die vielleicht im Rahmen der weiteren Ausstellungsdauer bis Maerz 2000 vorgenommen werden sollten. <p> Der Katalog <p> Die beiden Katalogbaende bestechen zunaechst einmal durch ihren Umfang und die aufwendige Verarbeitung. Sowohl der Text-, als auch der eigentliche Katalogband enthalten zahlreiche, ueberwiegend farbige Abbildungen. Bei den Katalogbaenden ist jedoch wieder einmal eine Gratwanderung zu erkennen, die wissenschaftlichen und populaeren Anspruch miteinander verknuepfen soll. Dies ist in soweit schwierig, da das Thema an sich schon ein sehr spezielles ist und keineswegs fuer Laien leicht nachvollziehbar sein kann. Hier koennen die zahlreichen Abbildungen als Bruecken dienen. Hinsichtlich des wissenschaftlichen Anspruchs stellt der Katalog einen sehr wichtigen Beitrag zur Fruehneuzeitforschung dar. Namhafte Autorinnen und Autoren, die sich unter der Herausgeberschaft von Horst Lademacher (Direktor des Zentrums fuer Niederlande-Studien, Westfaelische Wilhelms-Universitaet Muenster) in diesem Band versammeln, beleuchten aus verschiedenen Blickwinkeln die Themen der Ausstellung sowie weiterfuehrende Aspekte. Einige Beitraege folgen in ihrer Konzeption dem inhaltlichen Tenor der Ausstellung, andere wiederum greifen ueber diese Thematik heraus und vermitteln somit ein abgerundetes Bild, was in der Ausstellung verstaendlicherweise nicht realisiert werden konnte. Allein der umfangreiche Anmerkungsapparat und die Auswahlbibliographie erweisen sich fuer jede Historikerin/ jeden Historiker als gewinnbringend. Eine umfassende Zeittafel enthaelt nahezu saemtliche wichtige Daten aus Politik, Wirtschaft, Kunst, Religion und Wissenschaft. Der breit gefaecherte Personenindex (mit Lebensdaten) stellt eine wesentliche Bereicherung dar. Zusammenfassend betrachtet, ist der Ausstellungskatalog ein wirkliches Muss fuer jede/n Fruehneuzeithistoriker/in, der/die sich mit den niederlaendisch- deutschen Beziehungen vom 16. bis 18. Jahrhundert beschaeftigt. Besonders hervorzuheben ist, dass beide Kataloge auch isoliert von der Ausstellung wichtige Publikationen bleiben werden.
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H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews.
August, 1999.
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