Katherine Crawford Luber. Albrecht DÖ¼rer and the Venetian Renaissance. Cambridge: Cambridge University Press, 2005. xvi + 268 pp. $75.00 (cloth), ISBN 978-0-521-56288-1.
Reviewed by Claudia Ehresmann (Independent Scholar)
Published on H-HRE (April, 2007)
Dürers Werk in neuem Licht
Dieses Buch kann niemand, der sich mit Dürer beschäftigt, ignorieren. Katherine Crawford Luber hinterfragt in ihrer Untersuchung traditionelle Sichtweisen auf Dürers Werk und sein Verhältnis zur venezianischen Malerei der Renaissance und ist dabei zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen.
Die kunsthistorische Forschung beschränkte sich in der Vergangenheit im Wesentlichen auf Dürers Druckgrafik. Dürers malerisches Werk hingegen, so stellt Luber zu Beginn ihrer Untersuchung fest, wurde bislang nicht nur vernachlässigt, sondern im Verhältnis zur Druckgrafik auch als weniger bedeutend klassifiziert. Diese sehr einseitige Ausrichtung der Forschung führt Luber auf das sechzehnte Jahrhundert und insbesondere auf Giorgio Vasari zurück. Vasari unterteilte in seinem Buch Le Vite delle più eccellenti pittori, scultori, e architettori (1550) die italienische Malerei in desegno und colore.[1] Der Begriff desegno, welcher übersetzt werden kann mit Zeichnung, offenbart nach Vasari die geistige Quelle einer künstlerischen Idee. Florenz war das Zentrum des desegno. In Venedig wurde das Kunstschaffen hingegen von der Malerei und damit der Wirkung der Farbe bestimmt. Entscheidend ist, dass Vasari das colore als weniger bedeutend einstufte als das desegno. Diese Bewertung hat bis heute gro?en Einfluss auf die kunsthistorische Forschung über die Malerei der Renaissance im Allgemeinen und das Werk von Dürer im Besonderen. Luber strebt daher in ihrem Buch eine längst überfällige Neubewertung der Malerei Dürers an.
Dürer gilt als einer der ersten Maler des Nordens, der die Renaissance in Italien studierte. Er wird deshalb nicht nur als Mittelsmann zwischen der Kultur des Nordens und des Südens sondern auch zwischen der Alten Welt und der Neuen Welt verstanden. Der Einfluss der italienischen Malerei ist, im Gegensatz zu seinem druckgrafischen Werk, in Dürers malerischem Werk klar erkennbar. Luber stellt demzufolge zu recht die Frage, warum angesichts dieser Tatsache das malerische Werk Dürers bisher kaum beachtet wurde. Diesen Missstand versucht Luber in ihrem Buch aufzuzeigen und auszuräumen.
Eine wichtige Rolle in Lubers Buch spielt Dürers Maltechnik. Luber weist darauf hin, dass Dürers Maltechnik sich im Laufe seines Lebens entscheidend veränderte. Um die Ursachen für Dürers Wandel in der Maltechnik zu ergründen, hat sie nach eigenen Angaben fast ein Drittel von Dürers malerischem Werk mit Hilfe neuester technischer Methoden untersucht. Der Interpretation ihrer Ergebnisse stellt sie allgemeine Überlegungen hinsichtlich der Aussagefähigkeit von technischen Methoden im Vergleich zu stilistisch-kunsthistorischen Untersuchungen voran. In diesem Punkt offenbart sich deutlich Lubers sehr genaue und reflektierte wissenschaftliche Arbeitsweise, die das ganze Buch durchzieht.
Mithilfe der technischen Untersuchungen entdeckte Luber verschiedene Varianten der Unterzeichnung in Dürers malerischem Werk: Die Motive eines Bildes sind vor seiner Reise nach Venedig im Jahre 1505 in den Unterzeichnungen bezüglich Form und Volumen vollständig ausgeführt. Die Unterzeichnungen weisen ein dichtes Netz von einfachen Schraffuren und Kreuzschraffuren auf. Während seines Aufenthaltes in Venedig in den Jahren 1505-1507 änderte sich Dürers Art der Unterzeichnung merklich. Die Unterzeichnungen sind nun auf ein Minimum reduziert. In Venedig begann Dürer zur gleichen Zeit mit der Anfertigung von Vorzeichnungen auf venezianischem Blaupapier. In Dürers Spätwerk sind dann beide Varianten der Unterzeichnung zu finden. Dürers Porträts behandelt Luber als eigenständige Gruppe. Sie weisen nur eine sehr geringe oder gar keine Unterzeichnung auf. Diese Ergebnisse der technischen Untersuchung von Dürers malerischem Werk sind grundlegend für Lubers entscheidende Hypothese über Dürers Zeit in Venedig.
Die kunsthistorische Forschung ging bislang davon aus, dass Dürer während seines Lebens zweimal nach Italien reiste. Demzufolge soll Dürer das erste Mal in den Jahren zwischen 1494 und 1495 in Italien gewesen sein. Der zweite Aufenthalt erfolgte im Jahre 1505 und dauerte bis 1507. Im Gegensatz zu dieser weit verbreiteten Annahme vertritt Luber in ihrem Buch die Auffassung von nur einer (!) Reise Dürers nach Italien. Diese soll in den Jahren zwischen 1505 und 1507 erfolgt sein. Aufbauend auf dieser These widmet sich Luber der Frage des Einflusses der venezianischen Malerei auf Dürers malerisches Werk.
Beginnend in Kapitel Zwei argumentiert Luber anhand Dürers malerischem Werk vor 1505 gegen eine frühe Reise Dürers nach Italien und gibt eine überzeugende Erklärung, wie der Mythos der ersten Reise Dürers nach Italien in der kunsthistorischen Forschung konstruiert wurde. Das dritte Kapitel konzentriert sich auf Dürers Werk Das Rosenkranzfest. Dürer malte das Altarbild für die deutsche Kaufmannsgemeinde während seines Aufenthaltes in Venedig im Jahre 1505. Die kunsthistorische Forschung geht übereinstimmend davon aus, dass einzelne Motive dieses Werkes unter dem Einfluss der italienischen Malerei entstanden sind. Dieser Meinung schlie?t sich Luber an. Im Folgenden analysiert sie ausführlich die einzelnen Motive des Bildes und widmet sich intensiv Dürers Aneignung der für Venedig typischen Behandlung von Farbe, Licht und Perspektive. In Kapitel Vier beschreibt Luber das Verhältnis zwischen Dürer und Giovanni Bellini. Sie erklärt anschaulich, dass das Rosenkranzfest Gegenstand eines künstlerischen Wettstreits der beiden Künstler war.
Die Zeit nach dem Aufenthalt in Venedig ist das Thema des fünften Kapitels. Im Gegensatz zu Erwin Panofsky, der erklärte, dass Dürer bezüglich der Bildidee und der Farbe nur mit dem Rosenkranzfest die Qualität der venezianischen Malerei erreichte, beschränkt Luber den Einfluss der Malerei Venedigs auf Dürers malerisches Werk nicht nur auf dieses eine Bild.[2] Sie legt vielmehr dar, dass Dürer in den Jahren nach seiner Rückkehr nach Nürnberg eine Synthetisierung von Technik und Bedeutung seiner Bilder, basierend sowohl auf den alten Techniken, die er in Nürnberg während seiner Ausbildung erlernte, als auch auf jenen, die er in Venedig kennen lernte, erreichte. Dürer verwendete unterschiedliche Maltechniken, um bei seinen Bildern insbesondere den Unterschied zwischen menschlichem und göttlichem Fleisch zu betonen. Die in seiner Heimat verwendete Darstellungstechnik für Fleisch nutzte er um menschliches Fleisch zu kennzeichnen. Das Fleisch Christus zeigte Dürer hingegen in byzantinischer Manier nach Art der in Italien gemalten Ikonen. Dieser Unterschied zeigt sich deutlich im Bild Virgin with a Pear, welches Luber mit grö?ter Genauigkeit analysiert.
Die Portraits Dürers stellen für Luber eine gesonderte Gruppe dar. Am Beispiel des Portraits Kaiser Maximilian I. untersucht Luber in Kapitel Sechs den Einfluss der venezianischen Malerei auf Dürers Portraitmalerei. Sie berücksichtigt dabei sowohl die Druckgrafik als auch die malerischen Werke und kann so interessante Beziehungen zwischen den einzelnen Portraits des Herrschers herstellen. Auf diese Weise erhält man Aufschluss über den Einfluss der italienischen Malerei sowie auf die Entstehung der Portraits. Ihre Untersuchung schlie?t Luber mit einer knappen Zusammenfassung in Kapitel Sieben ab. Zwei Anhänge vervollständigen das Buch. Im ersten Anhang wird die Provenienz des Rosenkranzfestes zurückverfolgt und auf diese Weise der schlechte Erhaltungszustand erklärt, den Luber bei ihren Untersuchungen zu berücksichtigen hatte. Im zweiten Anhang finden sich eine originale und eine englisch übersetzte Fassung von Dürers Schrift über die Farbe, welche im Buch diskutiert wird.
Luber offenbart uns in ihrem Buch faszinierende neue Informationen über den Künstler Dürer und seine Kunst. Die Untersuchungen Lubers werfen einen völlig neuen Blick auf das Werk Dürers, und es bleibt daher zu hoffen, dass dieses Buch ein Ausgangspunkt für weitere Diskussionen in der kunsthistorischen Forschung wird. Das Buch ist in einer angenehmen und klar verständlichen Sprache geschrieben. Die Qualität der Cambridge-Publikation ist insgesamt gut. Nur in manchen Fällen hätten die Fotos der Bilder eine bessere Auflösung aufweisen können.
Anmerkungen
[1]. Giogio Vasari veröffentlichte seine Viten in zwei Editionen (1550 and 1568). Luber bevorzugt die modernere Edition der Viten, vgl. Giorgio Vasari, Le Vite delle più eccellenti pittori, scultori e architettori nelle redazioni del 1550 e 1568, ed. R. Bettarini, commentary by P. Barocchi (Florence: Sansoni, 1966-1976).
[2]. Erwin Panofsky, The Life and Art of Albrecht Dürer (Princeton, N.J.: Princeton University Press, 1943), S.110.
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Citation:
Claudia Ehresmann. Review of Luber, Katherine Crawford, Albrecht DÖ¼rer and the Venetian Renaissance.
H-HRE, H-Net Reviews.
April, 2007.
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