Graeme Murdock. Calvinism on the Frontier, 1600-1660: International Calvinism and the Reformed Church in Hungary and Transylvania. Oxford und New York: Clarendon Press, 2000. Xii + 359 S. $80.00 (gebunden), ISBN 978-0-19-820859-4.
Reviewed by Meinolf Arens (Ungarisches Institut München)
Published on HABSBURG (July, 2002)
Die frühneuzeitliche calvinistische Alternative eines ungarischen Staatswesens
Die frühneuzeitliche calvinistische Alternative eines ungarischen Staatswesens
Das Fürstentum Siebenbürgen ist schon seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein beliebtes und im Vergleich mit benachbarten Regionen und politischen Formationen (Moldau, Walachei, Ukraine, Krim, Georgien, etc.) ein überdurchschnittlich häufig gewähltes Forschungsobjekt der Historiographie. Gerade auch Historiker, die nicht aus dem Donau-Karpatenraum stammen, haben sich in Vergangenheit und Gegenwart immer wieder diesem zeitlich gesehen kurzlebigen Fürstentum angenommen. Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist die Geschichte des Fürstentums Siebenbürgen eines der am gründlichsten und im Detail erforschten Epochen dieses Raumes. Beim näheren Betrachten des Forschungsstandes fällt allerdings auf, dass doch eine grössere Zahl dieser Arbeiten sich mit den immer gleichen Fragestellungen auseinandersetzen und seit dem 19. Jahrhundert unverdrossen und unbeeindruckt vom Wandel der Zeiten immer die gleichen Methoden und auch Quellen für ihre Arbeiten wählen.
Graeme Murdocks innovative Arbeit fällt nicht unter diese Gruppe. Er zeigt sich nicht nur als Fachmann für die Geschichte Ungarns und Siebenbürgens, sondern in gleicher Weise fachkundig in Bezug auf England, die Niederlande und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation in der frühen Neuzeit. Dies ist eine leider noch immer seltene Kombination auch 13 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, der die Historiographie des Westens über den Osten nachhaltig prägte.
Das Fürstentum Siebenbürgen, das von 1604 bis 1662 und noch einmal 1690 von calvinistischen Fürsten regiert wurde, versuchte mehrfach - und auch mit einigem Erfolg - durch antihabsburgische oder auch antipolnische Allianzen sich möglichst eng mit den gleichfalls geographisch gesehen verstreuten calvinistischen Mächten und Mittelmächten zu verknüpfen. Fernziel dieser Politik war die Verdrängung des Hauses Habsburg aus Ungarn. Die geistige und politische Elite Siebenbürgens verstand das Fürstentum als calvinistische Alternative für das gesamte dreigeteilte Ungarn. Ihre von aggressivem Sendungsbewusstsein geprägten Bestrebungen richteten sich damit in erster Linie gegen das Haus Habsburg als Inhaber der Stefanskrone, das rund ein Drittel des dreigeteilten historischen Ungarn kontrollierte. Schliesslich mündete gerade diese aggressive Politik - die aus dem heilsgeschichtlichen Sendungsbewusstsein der calvinistischen Eliten zu erklären ist - gegenüber dem katholischen Polen (Teilungsvertrag von Rádnót 1656) in eine blutige Katastrophe für das Fürstentum in den Jahren zwischen 1657 und 1662.
Siebenbürgen entfaltete sich in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu einem der wichtigsten geistigen Zentren des europäischen Calvinismus und zum Zufluchtsort für viele calvinistische Glaubensflüchtlinge vor der massiv einsetzenden altkirchlichen Konfessionalisierung und Restauration. Ihr Einwirken auf den calvinistischen Hof und seine Politik, die theologischen Auseinandersetzungen und das ungarische Schulwesen werden von Murdock untersucht.
Im vierten Abschnitt (S. 110-142) widmet sich Murdock dem Problem des Spannungsverhältnisses zwischen konstitutionell reglementierter Toleranz und konfessioneller Rivalität im calvinistisch dominierten Siebenbürgen des 17. Jahrhunderts. Er analysiert darin die höchst unterschiedlichen Beziehungssysteme des calvinistischen Hofes und der calvinistischen Elite zu den anderen Konfessionen des Landes. Dabei sollte angemerkt werden, dass bei einer belegbaren Mehrheit der ethnischen Ungarn in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Siebenbürgen und den ostungarischen Komitaten die Calvinisten die relative Mehrheit der Landesbevölkerung stellten.
Die Katholiken, die sich in einem geographisch und geostrategisch isoliert an der nordöstlichen Peripherie des Fürstentums liegenden Block konzentrierten - den Szeklerstühlen Csík, Gyergyó und Kaszon, sowie Teilen der Szeklerstühle Kezdi und Udvarhely -, stellten schon aufgrund ihrer geringen Zahl und ihrer sozialen Zusammensetzung für die calvinistische Staatsmacht keine direkte Gefahr dar. Trotz einiger Behinderungen wurde ihnen von Seiten der calvinistischen Eliten eine grössere Duldung entgegengebracht als es im habsburgischen Teil Ungarns gegenüber Angehörigen protestantischer Konfessionen fast über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg die Regel war. Gelegentlich versuchte die calvinistische Seite die ungarischen Katholiken Siebenbürgens als Druckmittel gegen die Rekatholisierungsbestrebungen der Habsburger zu verwenden.
In der lutherischen Kirche A.B. der Siebenbürger Sachsen sah die calvinistische geistliche Führungsschicht des Fürstentums zeitweilig einen potentiellen Verbündeten. Entsprechende Bemühungen hin zu einer engeren Vernetzung scheiterten auch am Misstrauen der sächsischen Obrigkeit gegenüber einer zu engen Anbindung an den fürstlichen frühabsolutistisch strukturierten Fürstenhof. Von einem ausgeprägten Paternalismus und Missionsgedanken waren hingegen die Beziehungen zu den orthodoxen Rumänen und Ruthenen gekennzeichnet, die jedoch aufgrund der wechselseitigen geistig-kulturellen Ferne im wesentlichen ergebnislos blieb.
Aggressiv und intolerant verhielt sich die calvinistische Kirche gegenüber Unitariern und Sabbatariern und wirkte in dieser Hinsicht auch erfolgreich auf die dementsprechenden Massnahmen des Hofes und des Landtages ein. Zu erklären ist diese Haltung erstens mit der scharfen politischen Konkurrenz des Unitariertums, aus dessen Reihen zweimal der Landesherr gestellt wurde. Zweitens gab es auch aufgrund der räumlichen Verwobenheit vieler unitarischer und calvinistischer Gemeinden eine ständige Fluktuation von Gläubigen in die eine oder andere Richtung. Drittens bemühten sich die Funktionsträger des siebenbürgischen Calvinismus im Rahmen eines massiven Verkirchlichungsprozesses und der Schaffung einer das gesamte Alltagsleben auch des einzelnen Untertanen durchdringenden reformierten Gesellschaft um eine Homogenisierung von Lehre, Verkündigung und Ritus.
Massive Konfessionswechsel von Unitariern und Sabbatariern, die unter der ungarischen Bevölkerung der westlichen und südlichen Szeklerstühle Udvarhely, Sépsi, Maros und Aranyós, sowie in einigen Teilen der Komitate des mittleren Siebenbürgen die Mehrheit der Bevölkerung ausmachten, hin zum Calvinismus waren die Folge. So verschwand der unitarische Adel fast vollständig und wurde das unitarische städtische Bürgertum deutlich reduziert. Murdock zieht auch bei dieser Analyse immer wieder parallel laufende vergleichende Beispiele aus anderen von Reformation und Konfessionalisierung geformten Gesellschaften heran.
Die Fülle des herangezogenen oft schwer erreichbaren Quellenmaterials und eine hervorragend zusammengestellte Bibliographie runden diese wertvolle und hoffentlich beispielgebende Studie ab.
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Citation:
Meinolf Arens. Review of Murdock, Graeme, Calvinism on the Frontier, 1600-1660: International Calvinism and the Reformed Church in Hungary and Transylvania.
HABSBURG, H-Net Reviews.
July, 2002.
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