Norbert Schindler. Wilderer im Zeitalter der FranzÖ¶sischen Revolution. Ein Kapitel alpiner Sozialgeschichte. MÖ¼nchen: C.H. Beck Verlag, 2001. 442 S. DEM 78,00 (gebunden), ISBN 978-3-406-47478-1.
Reviewed by Martin Scheutz (Institut für Geschichte der Universität Wien und Institut für Österreichische Geschichtsforschung)
Published on HABSBURG (August, 2001)
Diese am Institut fuer Geschichte der Universitaet Salzburg als Habilitation approbierte Arbeit behandelt Wilderei unter dem Aspekt von sozialem Protest und fuehrt damit - mehr als man auf den ersten Blick vermuten wuerde - auch in eines der Hauptthemen des Aufgeklaerten Absolutismus ein, naemlich wie obrigkeitliche Vorstellungen durchgesetzt, Rechte geschuetzt bzw. aus Sicht der Untertanen bewusst untergraben werden konnten. Auf Archivmaterial des Salzburger Landesarchivs basierend hat die Studie ihren territorialen Schwerpunkt im s=FCdlich der Landeshauptstadt gelegenen Landgericht Golling. Die erbittert zwischen Jaegern und meist unterbaeuerlichen Untertanen gefuehrten Auseinandersetzungen werden als Teil der im Broeckeln begriffenen Macht des Salzburger Erzbischofs verstanden. Schindler interpretiert Wilderei in dieser mikrohistorischen Untersuchung als "Seismograph der baeuerlichen Unzufriedenheit" (S. 323), an dem sich wie auf einer Skala die den Erzbischof empfindlich und zielsicher treffenden Proteste der Untertanen ablesen lassen.
Zentraler Gegenstand dieser innovativen Untersuchung, die sich dem Thema historisch-anthropologisch naehert, sind plastische Miniaturen von Wilderern und Jaegern / Jagdgehilfen; daneben findet sich auch eine sozialgeschichtliche Interpretation des Raumes: Es war nicht gleichgueltig, wer wo wie und was jagte bzw. wilderte. Gemsenwilderei verletzte die krisengeschuettelte "Staatlichkeit" mehr als etwa die "kleine" Jagd auf Marder und Rehe.
Das Buch gliedert sich in zwei Teile: Nach einer allgemeinen Einleitung, die durch ihre pointierte Schilderung die oekonomische, politische und mentale Situation des Landes Salzburg gegen Ende des 18. Jahrhunderts praezise umreisst, widmet sich der erste Teil der Sozialbiographie von Taetern, der Topographie der Taten, aber auch den schlechten Lebensbedingungen der Jaeger. Der zweite Teil verdeutlicht den Zusammenhang von innerer Staatskrise und baeuerlichem Protest am Beispiel von mikrohistorischen Feldstudien, in denen einerseits die oekonomische Bedeutung von Wilderei, andererseits auch die Wirkungsweise der moral economy von Wilderern und Jaegern eindrucksvoll vor Augen gestellt wird. Die gegen Ende des Jahrhunderts stark zunehmenden Wildereikonflikte lassen sich vor diesem Hintergrund als langer Abgesang auf den Salzburger Kleinstaat lesen, vergleichbar etwa den allerorts im Erzbistum aufflammenden Rekrutierungsaufstaenden.
Die Wirtschaft des Pfleggerichtes Golling mit seinem gleichnamigen Zentrum war zum einen durch Landwirtschaft und Viehzucht, zum anderen durch Handel und Zulieferung zur holzintensiven Halleiner Saline gepraegt. Der Wald in diesem Uebergangsgebiet zwischen Flachland und Hochgebirge musste neben der Jagd in steigender Intensitaet genuetzt werden, wollte man dem "Holzmangel" entscheidend abhelfen, was auch administrativ an die Beamten neue Anforderungen stellte (etwa steigende Schriftlichkeit). Einerseits trachteten die Behoerden stark danach, Fremden den Zutritt zum Wald verstaerkt zu verbieten, andererseits benoetigte man zur deutlich intensiveren Bewirtschaftung mehr Personal im Wald (haeufig an Bauern im Nebenerwerb vergeben).
Verortet man die Wilderer soziographisch, so verstaerkt sich das Bild der Wilderei als eines laendlich-baeuerlichen Phaenomens: Die Gesamtgruppe der 110 erhobenen "Gollinger" Wilderer kam zu rund 80% vom Land, nur rund 20% lassen sich dem Markt Golling als lokalem Zentrum zuordnen (meist Wirte, Wirtssoehne, Wirtsknechte; Markthandwerker, aber auch ein Gollinger Gerichtsschreiber finden sich). Die laendliche Gruppe war sozial homogen verteilt: 20,7% hofbesitzende Bauern, 20% Bauernsoehne (meist nachgeborene Soehne), 15% Bauernknechte, 12% besitzarme laendliche Unterschichten, 11% Landhandwerk (davon ein Grossteil Mueller!). Aber auch einige Jaeger (ca. 5% der Gesamtzahl der Wilderer) - die Dunkelziffer duerfte deutlich hoeher gelegen sein - wechselten die Fronten. Das Durchschnittsalter der Wilderer betrug 30,9 Jahre, dasjenige der Hehler lag deutlich darueber, naemlich bei 42,7 Jahren.
Der typische Gollinger Wilderer war ein 18 bis 25jaehriger lediger Bauernsohn oder ein Bauernknecht (ca. 60% ledig, ca. 40% verheiratet), gewildert wurde uebrigens haeufig in sogenannten "Gespannschaften", meist zu zweit oder auch in Gruppen. Freundschaft, Verwandtschaft oder auch Berufsgemeinschaft spielten bei der heiklen Wahl eines Genossen eine entscheidende Rolle, zudem mussten die Wilderer gleichzeitig - haeufig an Sonn- und Feiertagen - zum Wildern Zeit haben. Jeder vierte maennliche Bewohner des Pfleggerichtes Golling hatte, so die Schaetzung des Autors, zumindest einmal das Gewehr des Wilderers ergriffen oder Schlingen nach Kleinwild ausgelegt. Dem Gewehr als maennlichem Statusbesitz, als Inbegriff der Mannesehre, kam bei der Wilderei naturgemaess besondere Bedeutung zu - eigene Spezialisten verstanden sich darauf, passende Schaefte zu schnitzen; die populaeren Preisschiessen kuerten den zielsichersten Schuetzen. Die Feuerkraft war aber meist ungleich verteilt - die Jaeger verfuegten ueber die bessere Bewaffnung, der die Wilderer im direkten Duell rifle-to-rifle meist unterlegen waren.
Norbert Schindler lokalisiert Herkunfts- und Tatorte von Wilderern und Wilderei in einem dreigliedrigen Modell: Der Talboden war selten Ort von Wilderei, obwohl von hier viele Taeter stammten. Die dichtbewaldete Mittelgebirgsregion war der haeufigste Schauplatz dieses Deliktes, hier befanden sich auch baeuerliche Streusiedlungen sowie Almen; Tat- und Wohnort lagen meist weniger als fuenf Kilometer auseinander (ca. 70% der Faelle). Die Hochgebirgsregion, das Reich der von Jaegern besonders behueteten Gemse, war aufgrund des langen Anmarschweges seltener Ort von Wilderei; hier kam es aber haeufig zu besonders erbitterten Duellen zwischen Jaegern und Wilderern. Die Hochgebirgswilderei stellte die deutlichste Provokation der Jaeger dar, schon allein die stundenlangen Anmarschwege erhoehten das Risiko einer ueberraschenden Konfrontation. Die deutlich risikobereiteren, meist aus Talbewohnern rekrutierten Hochgebirgswilderer waren zudem im Vergleich juenger als die in unmittelbarer Naehe jagenden "Hauswilderer" und meist ledig.
Rund ein Fuenftel der vor Gericht verhandelten Wildereifaelle waren der Gemsenjagd gewidmet. Nur hoechst erfahrene Wilderer konnten sich auf diese Jagd, die gleichzeitig ein bewusst in Kauf genommenes Katz-und-Maus-Spiel mit den Jaegern auf dem Plateau der Salzburger Gebirgswelt darstellte, einlassen. Rund die Haelfte der Begegnungen (45 Faelle) von Jaegern und Wilderern endet mit der gewaltlosen Aufgabe der Wilderer, bei den restlichen Faellen eskalierte die nicht auf Totschlag ausgerichtete Gewalt - die Jaeger waren hierbei uebergriffiger als die Wilderer - vorwiegend aus dem Grund, dass die Wilderer ihr Inkognito vor der Staatsgewalt wahren wollten; doch auch hier ist regional einschraenkend hinzugefuegt, dass es gerade im Hochgebirge haeufiger zu einem blutigen Finale zwischen Jaegern und Wilderern kam.
Die Hauswilderer hatten es neben dem Wild auch auf Voegel und Kleinwild abgesehen. Die sogenannten "Bagatellewilderei" ueber Schlingenlegen und Fallenstellen spielte sich vorwiegend im Mittelgebirge ab und war auch ein Kampfmittel von meist unterbaeuerlichen Schichten gegen den zu hohen, ernteschaedigenden Wildbestand. Jahreszeitlich lassen sich keine ausgepraegten Spitzen wahrnehmen, doch war die Wilderei deutlich in die baeuerliche Lebensweise eingelagert, was sich auch an den Ruhepausen abzeichnet, welche die Wilderer, nahezu analog zu den staatlich festgesetzten Jagdschonfristen, dem Wild goennten.
Der Abschnitt ueber die Jaeger, vielleicht der interessanteste Teil dieses Buches, zeigt deren hohe Selbstrekrutierungsquote (70 % entstammten Jaegerfamilien), den hohen Ledigenanteil und ihre schlechte Bezahlung. Norbert Schindler charakterisiert sie als hungrige und vor allem "bissige Wachhunde". Ihre schwache soziale Integration wurde durch eine gezielte Versetzungspolitik innerhalb des Erzstiftes noch erhoeht, wobei schon zeitgenoessisch eine deutliche Unterscheidung zwischen den eigenstaendiger agierenden und selbstbewussten Hochgebirgs-Jaegern "inner Gebirge" (suedlich des Pass Lueg) und dem Voralpengebiet gemacht wurde. Die Ausbildung zum Jaeger begann sich zu dieser Zeit zu professionalisieren, neben die Jagd trat deutlicher als bisher die lange vernachlaessigte =46orstwirtschaft bei steigendem Verschriftlichungsgrad der Verwaltung. Viele altgediente, aber schreibunkundige Jaeger stellte dies vor groessere Probleme. Zahlreiche Jaegerknechte wurden -aufgrund der schlechten Bezahlung wenig verwunderlich - selbst straffaellig; haeufig versetzte man delinquente oder allzu aggressive Jaeger infolge des akuten Jaegermangels in andere Reviere. Der meist bis ins hohe Alter ausgeuebte Jaegerberuf besass neben den Gefahren durch Wilderer auch andere berufsspezifische Schwierigkeiten (Kaelte, Wind, Naesse); grosse koerperliche Anstrengungen waren zusaetzlich zur schriftlichen Verwaltungstaetigkeit zu ertragen - allein im Oktober 1822 legte ein Jaeger 350-400 Kilometer und ca. 10.000-12.000 Hoehenmeter zu Fuss, unabhaengig vom guten oder schlechten Wetter im Rahmen der Revierkontrolle und der Forsttaetigkeit, zurueck (S. 153-154).
Der zweite Teil des Buches ist zum Grossteil Fallstudien gewidmet, welche die Ergebnisse des ersten Teiles stuetzen und aufgrund ihrer plastischen Schilderung vertiefen: Der Bluntaumueller Johann Prechler und seine Frau, die sich wiederholt an Wilderei direkt und vermutlich noch haeufiger indirekt als Hehler beteiligten, oder der im besonders behueteten erzbischoeflichen Jagdrevier im Bluehnbachtal taetige Jaeger Simon Hochleitner treten in diesen Schilderungen hervor. Eskalierende Gewalt entstand meist bei der ueberraschenden Begegnung von Wilderern und Jaegern, die sich ploetzlich und unverhofft Aug in Aug im Wald, durch unuebersichtliches Gelaende beguenstigt, wiederfanden: Jaeger schossen dabei gezielt aus dem Hinterhalt auf Wilderer und liessen die Schwerverletzten im Wald liegen; ein gerade seinen Dienst antretender Revierjaeger und sein Jaegerjunge wurden gar ermordet. Die Gewaltbereitschaft nahm gegen Ende des Jahrhunderts spuerbar zu, ein Zeichen fuer die zunehmende politische Destabilisierung des Landes. Jaeger und damit obrigkeitliche Beamte durften sich nicht mehr in den Wirtshaeusern sehen lassen, die desertierten Soldaten und deren gute Bewaffnung sowie fluechtige Rekruten trugen mit zur Eskalierung dieses "kleinen", scharmuetzelnden "Krieges" zwischen Obrigkeit und Untertanen bei.
Der zu milderer Vorgangsweise ratende Salzburger Hofrat befand sich gerade in Angelegenheiten der Jagd im Gegensatz zum "aufgeklaerten" Erzbischof Colloredo, welcher auf seinen Jagdprivilegien bestand und mit seiner Haltung zur Eskalation dieses "Buergerkrieges" wesentlich beitrug, indem er sich auf die Seite der zunehmend gewaltbereiten Jaeger stellte. Der Erzbischof verwandelte "die Frage der Wildereibekaempfung in eine grundsaetzliche Frage des Seins oder Nichtseins der aristokratischen Jagdprivilegien" und koppelte "unumschraenkten Jaegerschutz und die Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung bruchlos aneinander" (S. 252). Der Salzburger Hofrat riet dagegen, die Zeichen der Zeit erkennend, den Wildueberhang abzuschiessen, Wildschaeden der Bauern zu vergueten, und schlug dem Erzbischof - ein Skandalon - vor, "das uebrige Wild in besondere Thiergaerten" einsperren zu lassen (S. 253).
Der Konflikt um den Wildbestand, die Wilderei erscheint hier nur als Teilproblem, zeichnet das Ende der Erzbistums in den Napoleonischen Kriegen voraus, verdeutlicht das Ringen von weltlicher und geistlicher Macht und machte die engen Grenzen der Aufklaerung und der Vernunft in diesem vielfach als Musterland titulierten Kleinstaat deutlich. "Die Schuesse der Wildschuetzen verletzten den abstrakten Koerper des absoluten Fuersten, der das Land zu sein beansprucht, das er sich repraesentativ einverleibt" hatte (S. 260). Die Wilderei stellte eine Reaktion auf die aufklaererischen Bemuehungen Colloredos dar; weder die vielfach verhaengten Militaerstrafen noch die Festungshaft fuer Wilderer sowie die hohen, meist uneinbringbaren Geldstrafen fruchteten bei den unterbaeuerlichen "Sozialrebellen". Das Sanktionssystem als Ganzes war deutlich in die Krise geraten.
Besonders am Bluehnbachrevier, wo sich ein Jagdschloss als Symbol erzbischoeflicher Macht befand und ausserdem keine Bauern angesiedelt werden durften, wird deutlich, dass die Untertanen zwar auf Wild schossen, aber auf den "leibhaftigen" Erzbischof und seine aufgeklaerte Mandatflut zielten. Dieses erzbischoefliche Leibgehege zog die Untertanen nahezu wie Motten das Licht an. Die geographischen Gegebenheiten dieses Terrains, das von einem Zahnkranz von 2300-2800 Meter hohen Bergen eingefasst wird, laesst sich als Amphitheater beschreiben, in dem das Katz- und Maus-Spiel zwischen Gejagten und Jaegern - wobei sich die Rollen immer mehr umzukehren schienen - inszeniert wurde und staendig am Spielplan stand.
Die Wilderer auf dem alpinen Hochplateau vor dem Bluehnbachtal fingierten einen "Einbruch" ins Revier ("Antaeuschen") und schlugen dann, den Jaegern geostrategisch ueberlegen, anderswo zu. Den Jaegern verging ob der "Juchizer" der Wilderer das Hoeren und Sehen, deren Frustration resultierte in gewaltsamen Uebergriffen, ja Meuchelmorden. Die Riten der Revanche der Wilderer fuer die mit groesster Brutalitaet vorgenommenen Uebergriffe der Jaeger waren elaboriert: Als ein Wilderer von Jaegern erschossen wurde, "eroberten" zum hellen Schrecken der Jaeger mehrere aus dem Pinzgau stammende Wildschuetzen bei hellichtem Tage (!) den hinteren Teil des Reviers und besetzten demonstrativ die Schiessstaende des Erzbischofs und seines Hofstaates, die noch bei der letzten Hofjagd benutzt worden waren (S. 291). Vor allem das Sozialprestige trieb die unverheirateten Burschen dazu, im Bluehnbachrevier zu wildern, obwohl der oft mehrtaegige Abtransport der Beute ausserordentlich muehsam und gefaehrlich war. Die Wilderer okkupierten allmaehlich diesen "Augapfel" des Erzbischofs - "ein konkurrierender Anspruch auf die Landesherrschaft von unten" (S. 297).
Die scharfe Wildererpolitik erscheint wie ein letztes Halali obrigkeitlicher Regelungsbemuehungen, die immer mehr am Widerstand der unruhigen und mit ihren Aktionen den Erzbischof empfindlich treffenden Untertanen scheiterten. Auch die subalternen Beamten liessen ihren Erzbischof mehr und mehr im Stich, der Untergang des Ancien Regime laesst sich ohne die "Enttaeuschungsgeschichte" der kleinen Beamten nicht beschreiben (S. 321). Die kollektiven Widerstandstraditionen und deren quellenmaessig schwer greifbare Vermittlungswege werden am Beispiel dieser Wildereifaelle ebenso deutlich wie die allmaehliche Ausweitung bzw. das Uebergreifen der lokalen doerflichen Burschenkultur zu immer ueberregionaleren Wildereitaetigkeiten.
Jagd eignet sich, wie juengst auch fuer Schwaben gezeigt, ausserordentlich gut zur Visualisierung von Herrschaftsmacht bzw. aus der Sicht der Untertanen als Reibebaum. [1] Norbert Schindler gelingt es in seinem auch sehr gut lesbaren Buch durch subtile Quellenanalysen selbst scheinbar nebensaechliche Details, wie etwa die "Wildererkronen" aus Pappe, in einen groesseren Kontext zu stellen und zu interpretieren. Diese faszinierende "Erzaehlung" verbindet darstellerisch geschickt Wildereikonflikte mit scharfsinnigen Analysen von krisenhaft gefaehrdeten "Herrschaftsvorstellungen" gegen Ende des 18. Jahrhunderts in einem Musterland der Aufklaerung. Mit diesem Blick auf kollektive Widerstandsformen in den Alpen ist dem Autor eine Fortsetzung seiner mittlerweile als Klassiker der Fruehneuzeitforschung gehandelten Widerspenstigen Leute gelungen. [2] Die Staerke des Buches ist zudem die Verbindung von Mikrogeschichte und Historischer Anthropologie, wobei sich der Autor aber nie ausschliesslich von einem Konzept - sei es etwa Volkskultur oder Sozialdisziplinierung -leiten laesst; vielmehr befragt er seine Quellen gewissenhaft auch auf Gegenlaeufiges.
Norbert Schindler ging dabei vielen Wegen der Jaeger und Wilderer im woertlichen Sinne muehsam selbst nach und konnte dadurch auch die noch wenig erforschte soziale Dimension des Raumes einbringen. Der Romantizismus Girtlerscher Alpenrebellen und die heimelige Stimmung der vielbesungenen liab zwischen Wilderer und Sennerin kommen hier nie auf; [3] vielmehr wird das bewusste Agieren von Wilderern und Jaegern klar benannt. Die Aktionen von Jaegern und Wilderern lassen sich nicht nur als Maennlichkeitsrituale, sondern auch als Verteidigung von bzw. Angriff auf Herrschaft interpretieren. Der veraengstigte, verhaermte, mehrmals auf Wilderer schiessende Simon Hochleitner oder der selbstbewusste, vor Gericht geschickt agierende Mueller Prechler werden in ihrer Lebenswelt differenziert geschildert und - soweit dies quellenmaessig fuer "Unbekannte" moeglich ist - in der Logik ihres Handelns nachvollziehbar. Der Blick auf den Eigenwillen der handelnden Personen, auf die gewaltigen Marschleistungen von Aufsehern und Wilderern, auf die Welt der "kleinen Leute" schlechthin, geht dabei nicht verloren. Man muss diesem hervorragend geschriebenen Buch viele Leser wuenschen, die nach der Lektuere bestaetigen werden, wie ausserordentlich spannend Geschichte sein kann.
Anmerkungen:
[1]. Alexander Schunka, Soziales Wissen und doerfliche Welt. Herrschaft, Jagd und Naturwahrnehmung in Zeugenaussagen des Reichskammergerichtes aus Nordschwaben (16.-17. Jahrhundert). (Muenchner Studien zur Neueren und Neuesten Geschichte 21, Frankfurt: Lang, 2000).
[2]. Norbert Schindler, Widerspenstige Leute. Studien zur Volkskultur in der fruehen Neuzeit. (Fischer Taschenbuch Geschichte 10658, Frankfurt: Fischer Taschenbuch-Verlag, 1992).
[3]. Vgl. Roland Girtler, Wilderer. Rebellen in den Bergen. 2. Aufl. (Wien: Boehlau, 1998).
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Martin Scheutz. Review of Schindler, Norbert, Wilderer im Zeitalter der FranzÖ¶sischen Revolution. Ein Kapitel alpiner Sozialgeschichte.
HABSBURG, H-Net Reviews.
August, 2001.
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